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Die Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen
Werner Busch: Die englische Kunst des 18. Jahrhunderts
Einführung
Die englische Kunst des 18. Jahrhunderts ist in gewisser Weise voraussetzungslos.
Eine eigenständige englische Kunst des 17. Jahrhunderts ist so gut
wie nicht vorhanden. Künstler, Kunst und Geschmack importierte man
aus den Niederlanden, Italien und Frankreich; besonders das Vorbild des
Hofmalers van Dyck wirkte bis ins 18. Jahrhundert hinein prägend.
Für nationale Künstler war es ausgesprochen schwer, aus diesem
Schatten zu treten; denn der Adel - bis weit ins 18. Jahrhundert hinein
die einzig bedeutsame Auftraggeberschicht - maß alle Kunst an der
Norm internationaler Hochkunst. Dieses Hochkunstkonzept mußte den
nationalen Künstlern nach den Erfahrungen der "Glorious Revolution"
von 1688 schrittweise fragwürdig werden. Die neue Staatsform, die
konstitutionelle Monarchie, sicherte die Rechte und Besitzverhältnisse
auch des Bürgertums, das insbesondere in der Londoner City auf der
Grundlage dieser Rechte einen strengen Moralkodex entwickelte, der die
bestehenden Sozialstrukturen und Geschäftsformen sichern helfen sollte.
Die Künstler der 1. Hälfte des Jahrhunderts waren diesem Moralkodex
verpflichtet; er sollte ihnen selbst Erfolg und Aufstiegschancen sichern.
Kein Künstler hat diesen Prinzipien so beredt Ausdruck verliehen
wie William Hogarth (1697 - 1764). Wie nie zuvor in der Geschichte der
Kunst bedingen sich bei ihm Kunst- und Sozialreform wechselseitig. Durch
sein ganzes Leben hindurch sind bei ihm Kunst- und Sozialaktivitäten
miteinander verknüpft: über seine Kunst versuchte er die Gesellschaft
auf bestimmte Moral- und Sozialnormen zu verpflichten, von der Gesellschaft
erwartete er eine Honorierung seiner Aktivitäten. Seine Kunst setzt
eine öffentliche Debatte über Fragen der Sozial- und Moralreform
voraus; sie wendet sich notwendig gegen überlieferte Hochkunsttraditionen
und Hochkunstnormen. In erster Linie müht sie sich um detaillierte
soziale Unterscheidung in der Darstellung: Mimik und Gestik seines Personals
und die zugehörige Umgebung sind genauestens beobachtet. Seltsamerweise
führt diese Abbildgenauigkeit im Bilde zu einer unaufhebbaren Mehrdeutigkeit
der Formen und Gegenstände. Da alles im Bilde gleiches Erscheinungsrecht
hat, kann alles mit allem in Beziehung treten. Gegenstandsfülle bringt
Sinnfülle, Sinnfülle führt zu Mehrdeutigkeit in der Mitteilung.
Man weiß schließlich nicht mehr, auf welcher Ebene eine derartige
Kunst gelesen werden soll. Auf der ersten Ebene, der primären Erzählebene,
ist sie eindeutig und präzise charakterisierend, doch führt
die Bezugsfülle den Betrachter auf immer neue Ebenen, die Bedeutungen
beginnen zu changieren. Zum einen ist diese Kunst damit ganz auf der Stufe
der Wirkungsästhetik der Zeit, die begreift, daß alle Wahrnehmung
relativ ist, jeder also auch die Wirkung eines Kunstwerkes anders einschätzt,
es absolute Normen des Kunstschönen nicht geben kann. Zum anderen
komplizieren die Künstler selbst ganz notwendig ihre Kunst. Denn
wenn es erste Aufgabe der Kunst ist, soziale Wirklichkeit abzubilden,
dann muß der Künstler sich fragen, was denn noch den Kunstcharakter
dieser Kunst ausmacht. Für die verschiedensten Formen englischer
Kunst des 18. Jahrhunderts haben wir das Paradox, daß die strenge
Verpflichtung auf die Wirklichkeit zugleich ein ausgeprägtes Bewußtsein
von der Künstlichkeit der Wiedergabe mit sich bringt.
Für viele Künstler des englischen 18. Jahrhunderts heißt
ein Abschied von den Normen der Hochkunst nicht Abschied auch von ihren
Formen. Der klassischen Formen versuchen sich die Künstler auch bei
ihren neuen, der gegenwärtigen Realität entnommenen Themen zu
versichern. So unterlegen sie nicht selten ihre Themen mit klassischen
Bildschemata, versuchen neuen Wein in alte Schläuche zu füllen.
Dabei geht es ihnen auch um eine künstlerische Aufwertung der zeitgenössischen
alltäglichen Gegenstände: die Kunst will sich nicht in der Gegenwart
erschöpfen, den Anspruch auf Dauer nicht aufgeben. Hier ist ein heikler
Punkt erreicht: Form und Inhalt drohen auseinanderzufallen; die Form droht
zur bloßen Hülse zu werden, in die beliebiger Inhalt gegossen
werden kann. Dieses Problem spitzt sich in der 2. Hälfte des Jahrhunderts
noch zu; denn nun geht auch noch die eine statische Gesellschaftsform
voraussetzende verbindliche Moralnorm verloren. Im Zuge der Industriellen
Revolution ändert sich die Sozialstruktur Englands besonders auf
dem Land grundlegend. Die Hogarthschen Moralsatiren, die einen bestimmten
Moralbegriff voraussetzten, verloren ihren historischen Ort.
Vor allem zwei Funktionen fielen der Kunst in der 2. Hälfte des Jahrhunderts
zu: Zum einen sollte sie die nationale Entwicklung und die Erscheinung
ihrer Hauptvertreter überhöhen - diese Aufgabe übernahm
die 1768 gegründete Akademie, die Anschluß an im Grunde genommen
längst überholte kontinentale Hochkunstnormen suchte. Zum anderen
sollte die Kunst wissenschaftlichen Fortschritt und wirtschaftlichen Erfolg
festhalten - hier war keine Überhöhung gefordert, sondern präzise
Wiedergabe des Ist-Bestandes. Diese Aufgabe erfüllten vor allem nichtakademische
Künstler aus der Provinz, die kulturell sichtbar wurde und eigene
Normen aufstellte, sich gegenüber der Hauptstadt zu Wort meldete.
Für sie stellt sich wieder das Problem der Kunstdimension des scheinbar
nur dokumentarisch Wiedergegebenen. In verschiedenen von der Hochkunst
als niedrig eingestuften Gattungen entwickelten Künstler wie Wright
of Derby, Stubbs oder Jones Strategien einer höchst abstrakten Bildordnung,
die den sich vordrängenden abbildlichen Realismus der Gegenstände
auffingen. In diesem Punkte sind die Bilder dieser Künstler verblüffend
modern.
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