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Text zu beziehen bei Klaus Schmitt, Apostel-Paulus-Str. 26, D-10823 Berlin

Entspannen Sie sich,

Frau Ditfurth!

Über das Faszinosum Menschliche Dummheit

und den Versuch,

den Faschismus mit faschistischen Methoden zu bekämpfen

 

 

 

 

von

 

 

 

 

Klaus Schmitt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Espero & Editions Achtacht3

1998

 

Herzlichen Dank an alle "Unterstützer" dieser Arbeit!

Gewidmet sei sie Anje, Bella und Cina.

 

 

 

 

Inhalt:

 

Ein geniales Werk! 3

"Brauner und roter Faschismus" 5

Die Umkehr der Tatsachen 5

Der "Antisemit" Gesell 7

Der "Rassist" Gesell 8

Wer das Wort "Kinderschänder" gebraucht, ist selber einer! 9

Wo bleibt der Nationalismus-Vorwurf? 11

Eugenik gleich Rassismus 11

GenossInnen, schafft die Küchenmesser ab! 13

Die "rassistische" Frauenkommune 14

Gesells "Neuer Mensch" - ein Werk der Mütter! 15

Gesells "Demokratie-" und "Massenfeindlichkeit" 17

Die roten Diener der Massen 19

Max Stirner 20

Eine "antisemitische Wirtschaftstheorie" 21

Der Holocaust-Beitrag der Demokraten und Kommunisten 22

Eine "prokapitalistische Wirtschaftstheorie" 23

Vollbeschäftigung ohne Wachstum und Mehrwert 26

Das "Knochengeld", die Neoliberalen, Boockchin und Bloch 27

Eine famose Alternative zur Freiwirtschaft 29

Die "inhaltliche" Diskussion der roten Kader 30

Die Gutmenschen und die Bösewichtel 33

Wer ist "links"? 35

Die Logik der falschen Gleichsetzung 37

Der Mechanismus der selektiven Wahrnehmung 39

Ein Beispiel: Die selektive Wahrnehmung der Keynes´schen Theorie 41

"Right or wrong, my country" 41

Die "fremde" Spezies als Ersatz-Jude? 43

Ditfurth, die Homo-sapiens-Patriotin 47

Sublimierte Ausstossreaktionen kommunistischer "Kleinbürger" 49

Bin ich objektiv? - Ein kleiner Selbsttest 50

Zeig mir, wo die Antisemiten sind! 52

Der feine Duft des Marxismus 55

Anmerkungen 56

 

 

 

 

Ein geniales Werk!

Welch ein Buch! Das von Jutta Ditfurth. Welch ein Titel! Entspannt in die Barbarei. Apart verfasst und schön gebunden. Für wahr ein alles seiner Art überragendes Werk, in dem diese zweite Rosa Luxemburg die unzähligen Feinde des Kommunismus als Faschisten, Rassisten und Antisemiten entlarvt. Mit fundierter Sachkenntnis und rasierklingenscharfer Intelligenz, versteht sich. Bahnbrechend für den antifaschistischen Kampf und strotzend von humanistischen Bekenntnissen, natürlich marxistisch-humanistischen. Und lustig. Selten so gelacht.

Man verzeihe mir meine Euphorie. Zugegeben, ein subjektives Urteil, habe ich doch die Ehre, dass mir die rote Ex-Sprecherin der GRÜNEN auf immerhin 20 der 224 Seiten dieser Spitzenleistung des Konkret-Verlags ihre freundliche Aufmerksamkeit schenkt. Der "Guru" (S. 63 ihres Buches) Dieter Duhm (Angst im Kapitalismus), sehr bekannt und beliebt bei den Spontis in den 70-er Jahren, z. B. findet sich gerade mal auf drei Seiten ihrer unendlichen Faschistenliste wieder, der "´neu´-rechte Hochschullehrer" (S. 64), "Mystiker und Völkische" (S. 13) Rudolf Bahro (Die Alternative), marxistischer DDR-Dissident, wenigstens auf neun, der "´Euthanasie´-Propagandist" (S. 17) Peter Singer (Animal Liberation) auf elf, der "Ökofaschist" (S. 34) Herbert Gruhl (Ein Planet wird geplündert) auf zwölf und Roman Schweidlenka (Bioregionalismus, Mitautor: E. Gugenberger) immerhin auf 17 Seiten. Nur wenige fahren mehr ein, zum Beispiel der "scheinheilige" (S. 98) und "chronisch lächelnde Antisemit" (S. 16) Franz Alt (Das ökologische Wirtschaftswunder) 19 Seiten und die "Schanierstelle" (S. 16) zwischen Ökos und Neonazis, Max Otto Bruker (Gesund durch richtiges Essen), sogar 47 Seiten. (Hoffentlich muss der brave Mann nicht kotzen, wenn er von Ditfurths Schwarte kostet.) Den Spitzenplatz von gut fünf Dutzend registrierter "Faschisten" etc. belegt jedoch der "prokapitalistische, rassistische" (S. 17) und "antisemitische Eugeniker" (S. 16) Silvio Gesell (Die natürliche Wirtschaftsordnung): 56 Seiten!

Da kann ich nicht mithalten, bin aber immerhin ein schlimmer Finger. Weil sowohl ein "rechter" als auch ein "Anarchist" (S. 56), zudem noch ein "rassistischer" (S. 110) mit "frauenfeindlichen Positionen" (S. 75) und - oh, Graus! - ein "Antikommunist" (S. 108). Na bitte! Ich belege mit 20 Seiten immerhin den 3. Platz: Bronze! Lediglich das Etikett Faschist vermisse ich. Dabei läge es nahe, mir auch das zu verpassen, schleppte ich doch auf der grossen Berliner Demo gegen Fremdenfeindlichkeit 1992 nicht ein Kerzchen, sondern ein Plakat mit mir, auf dem zu lesen war: "Vergast die Rassisten!" Um es vor dem Zugriff böser Buben zu verteidigen, musste ich zudem wieder einmal die Gaspistole "zücken" [1]. Wäre doch Anlass genug, mir für beides, wenn schon nicht das Prädikat Faschist, dann, bitte schön, doch wenigstens das Adjektiv faschistoid zu verleihen, oder [1a]?

Madams Rundumschlag ist phänomenal. Und weit ausholend. So konnte er auch nicht den kleinen anarchistischen Karin Kramer Verlag in Berlin verfehlen, der sich doch glatt erdreistet, einen Text des "nationalrevolutionären Theoretikers" Henning Eichborn zu veröffentlichen, und - besonders verwerflich - die infame "Jubelschrift für Gesell, voll antilinker Hetze, sozialdarwinistischer Propaganda und prokapitalistischer Euphorie" (S. 75). Gemeint ist die vom "Anzünder-Klaus" herausgegebene "Jubelschrift" Silvio Gesell - ´Marx´ der Anarchisten?[2] mit dem Beitrag des "rechtsextremistischen Autors" (S. 115) und "Nationalrevolutionärs" (S. 75 u. 96) Günter Bartsch: Silvio Gesell, die Physiokraten und die Anarchisten, der mittlerweilen in Japan gut angekommen ist.[2a] Ditfurth hält den Kramers die Anarcho-Zeitschrift Schwarzer Faden als gutes Beispiel vor, hat diese doch "schon 1984 einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, in dem die Gesellsche Theorie sowie die GesellianerInnen scharf kritisiert wurden" (S. 113). - "Kritisiert"? Jedenfalls nicht widerlegt. Aber "scharf" war es schon, dieses Sieben-Seiten-Werk eines scharfen, antifaschistischen Wachhündchens in schwarz-rotem Pelz, das auf den Namen Horst Blume hört und dort den gestandenen "Akraten" Silvio Gesell "scharf" ankläfft: "Silvio Gesell - ´der Marx der Anarchisten´ - ein Faschist! - Wau, wau!"

Wie alles anfing? Mit dem Erscheinen der Gesell-Nummer der staatsfeindlichen Underground-Zeitung agit 883 im Jahre des Herren ´83, von der damals mit zwei Auflagen rund 4.000 Exemplare verkauft worden sind und auf die mit etwa 50 wohlwollenden bis begeisterten Leserbriefen geantwortet worden war. Dass das nicht das Wohlwollen dogmatischer MarxistInnen und ihrer "anarchistischen" MitläuferInnen findet, ist klar. Entsprechend reagierten sie. In jenem Artikel im SF (13 / Jan. 1984) wurden bereits damals von Blume, der offenbar aus einer Fleissarbeit des Diplomanden Peter Elger [3] aus Marburg abgeschrieben hatte, die ersten Horrorgeschichten über den "Spinner" (P. Bierl, von Ditfurth zit. S. 80) Gesell verbreitet. Viele wurden in Zuschriften an den SF (14 / Febr. u. 15 / März 1984) widerlegt, einige wichtige 1989 auch in meinem Buch Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten? [4]

Diese Diffamierungskampagne gegen Gesell erinnert mich an die Hetzkampagne der Konservativen und der Springer-Presse gegen Rudi Dutschke und Heinrich Böll in den 60-er und 70-er Jahren. Sie läuft nun länger als ein Dutzend Jahre, Zeit genug, um den Antisemitismus- und Faschismus-Vorwurf zu klären. Doch welcher Jungrevolutzer hat schon Bock, diese Erwiderungen oder gar die Originaltexte von Gesell zu lesen? Von keinerlei Sachkenntnis getrübt, glauben viele "kritische" Junganarchos und sog. Antifaschisten lieber an das, was ihnen andere Leute (über 30) vorkauen, wenn diese nur die rote oder schwarze Fahne schwenken. Wären diese Linken vor 65 Jahre etwa ebenso den braunen Lügnern auf den Leim gekrochen? In einem Flugblatt Syndikat A Info I ´97 fabuliert ein Rezensent (oder eine Renzensentin) des Ditfurth-Buches: "Harte und klare Worte in dem neuen Schmöker der Publizistin und Ökolinken Jutta Ditfurth. Nichts für harmoniebedürftige Linke! Wer sich aber für Fakten und grundsätzliche und differenzierte Kritik begeistern kann, liegt mit dieser Lektüre genau richtig. Fundiert belegt untersucht die Autorin die Esoterik-, Veganer-, Erdbefreier- und gar die Anarchoszene auf ihren rechten Rand hin. / Verwirrte Anarchisten suchen sich mit Silvio Gesell, einem Antisemiten und Rassenhygeniker und dem Begründer der ´Freiwirtschaftslehre´ einen neuen ökonomischen Guru (Marx ist wahrscheinlich verpönt...).

Genau: "Guru" Marx ist Murx. Das war er schon für nicht verwirrte Anarchisten des 19. Jahrhunderts, und die suchten ihr Heil lieber bei dem von Marx als Ideologen des Kleinbürgertums verachteten Anarchisten Pierre Joseph Proudhon, einem geld- und zinstheoretischen Vorläufer Gesells (und der heutigen Tauschbanken und -ringe [5]). Heutige Anarchos fallen - trotz der mittlerweilen bekannten Lügen und den Massakern der Roten an den Anarchisten - immer noch auf die "klaren Worte, Fakten und fundierten Belege" einer roten Demagogin herein. Und alles schön unharmonisch, oder, um es in der Sprache der Stalinisten zu sagen: "spalterisch". Hat dieser (oder diese) offenbar schwarze Genosse (Genossin) Ditfurths "Fakten" und "fundierten Belege" mit den Originaltexten von Gesell verglichen, wie es sich gehört für einen gewissenhaften Rezensenten einer derartigen Schmähschrift? Wohl kaum. Wir wollen das hier nachholen und mal sehen, ob unser Anarcho-Pimpf (beziehungsweise unsere Anarcha-Maid) recht hat, abgesehen davon, dass Ditfurths "Schmöker" ein Schmöker ist (gelinde gesagt).

"Brauner und roter Faschismus"

Das Verdienst von Leuten wie Jutta Ditfurth und ähnlichen Erscheinungen in der linken Szene wie z. B. Peter Elger, Horst Blume, Peter Bierl, Johannes Weigel, Roland Nappert, Peter Kratz und Robert Kurz ist es, dass sich an Hand ihrer literarischen Absonderungen exemplarisch belegen lässt, dass sich bezüglich der Methoden der Diffamierung und Hetze gegen Andersdenkende gewisse Gemeinsamkeiten bestimmter Linker mit den Stalinisten - aber auch mit den Nazis - bis heute erhalten haben. Das reicht bis zur Aufforderung zu Gewaltanwendung und dem Einsatz von Roll-kommandos. Um einen Vergleich dieser Methoden, politische und/oder humanitäre Ziele duchzusetzen, geht es hier, nicht um einen Vergleich dieser Ziele. Und es geht um tiefenpsychologische Hintergründe solcher Methoden.

In den humanitären Ansprüchen sind die Linken aller Schattierungen zweifellos ganz gross und ihren politischen Gegnern Haus hoch überlegen, nur mit ihrer Umsetzung in die Praxis haperts. So stellt sich Frau Ditfurth als Kämpferin gegen die "Barbarei" dar, zählt jedoch die "MarxistInnen-LeninistInnen" (S. 100) zu ihren Genossen. Bereits in den 30-er Jahren hatte der Links-Marxist und Rätekommunist Otto Rühle in seiner Analyse Brauner und roter Faschismus einige Parallelen gezogen zwischen Nazismus und Stalinismus [5a]. Die rote Barbarei begann jedoch bereits mit Lenin, und sie lässt sich durchaus mit der der braunen messen. Im April und Mai 1997 brachte die linke Ost-Berliner Tageszeitung junge Welt eine Serie über den Aufstand der Kronstädter Arbeiter und Matrosen 1921 gegen die bolschewistische Partei. Dort berichtet Klaus Gietinger über die Verbrechen der Bolschewiki zur Zeit Lenins, über ihre Propaganda für Massenmorde, die Erschiessung Aufständischer, gefangener Geg-ner und sogar Unbeteiligter und die Verleumdung der Ermordeten als Konterrevolutionäre, Agenten des Kapitals usw. Leo Trotzki, zweiter Mann nach Lenin und Liquidator der Kronstädter Kommune, Schlächter von Tausenden ihrer Kämpfer für die "Dritte Revolution" und die Macht der Räte, hatte sie zuvor noch als "Schönheit und Stolz der Oktoberrevolution" bezeichnet. Bei Gietinger lesen wir z. B. folgendes Zitat von Lenin: "Solange in Deutschland die Revolution noch mit ihrer Geburt ´säumt´, ist es unsere Aufgabe, vom Staatskapitalismus der Deutschen [Kaiser Wilhelms Kriegswirtschaft 1914 - ´18] zu lernen, ihn mit aller Kraft zu übernehmen, keine diktatorische Methode zu scheuen, um diese Übernahme noch stärker zu beschleunigen, ... ohne dabei vor barbarischen Methoden der Kampfes gegen die Barbarei zurückzuschrecken." Klar: Kommunismus statt Barbarei [6].

Die Umkehr der Tatsachen

Frau Ditfurth eine kleine Lenin? Oder doch ein bischen zu klein? Ich würde sie in die Nähe des Schreibtischtäters Julius Streicher rücken, dem Herausgeber des Naziblattes Der Stürmer, das wegen seiner besonders ekelerregenden Hetze gegen die Juden von dem antisemitischen Reichsfeldmarschall Göring als eine "Kulturschande" [6a] bezeichnet wurde. Ditfurths Methoden, plumper als die des antisemitischen Propagandaministers Goebbels´, sind etwa so primitiv wie die Streichers, geniert sie sich doch nicht, nicht nur zu verzerren und zu lügen wie Goebbels, sondern Autoren sogar das Gegenteil von dem zu unterstelln, was diese geschrieben haben! So werden Zitate gegen den Antisemitismus zu Beweisen für Antisemitismus!

Hier ein Beispiel. Den Autor des interessanten, mit Zitaten von Marx, Bakunin, Kropotkin, Machno, Arschinow und anderen gespickten Buches Untergang eines Mythos (des kommunistischen!) Yoshito Otani, nennt sie einen "knallharten Antisemiten" (S. 101): Der "Auschwitz-Leugner" (S. 56) "Otani stellt die Vernichtung der Jüdinnen und Juden in KZs und die Gaskammern von Auschwitz in Frage. Er leugnet die Kriegsschuld der Deutschen und schiebt selbst die Schuld am ersten Weltkrieg ´jüdischen Bankhäusern´ zu. Otani bezieht sich in seinem Buch ´Untergang eines Mythos´ auf die sogenannten ´Protokolle der Weisen von Zion´" (S. 101).

Ich habe bei Ditfurth nirgends einen Quellennachweis zur Bestätigung dieser Behauptungen gefunden. Die Stelle zu den "Protokollen" habe ich mir selbst bei Otany herausgesucht. Doch was lesen wir dort auf Seite 135 (1981)? Um mich nicht des Vorwurfs des Zitierens aus dem Zusammenhang auszusetzen, gebe ich die betreffende Stelle hier vollständig wieder:

"Die Bezeichnung ´Protokolle der Weisen Zions´ weist natürlich in eine bestimmte Richtung, von der aber die Urheberschaft dieser Schrift aufs Schärfste zurückgewiesen wurde. Auch Henry Ford, dessen Buch aus dem Jahre 1921 ´Der internationale Jude´ die angegebenen Zitate entnommen sind, vertritt darin einen völlig einseitigen rassistischen Standpunkt. Wie gesagt, lehne ich selbst es ganz entschieden ab, ein Volk oder eine Rasse mit der Verfolgung solcher Pläne zu verdächtigen. Gerade den Juden gegenüber wäre das die größte Verantwortungslosigkeit, nachdem solche Massenverdächtigungen unter ihnen schon so furchtbare Opfer gefordert haben. Was mich trotzdem veranlaßt, die Protokolle nicht als ´Fälschung´ beiseite zu legen, ist die Tatsache, daß ihr Inhalt exakt die negativen Möglichkeiten des kapitalistischen Systems aufzeigt, wie sie nach dem Erscheinen der Protokolle schrittweise verwirk-licht wurden. Ich halte sie nicht für Exponenten von ´Verschwörern´, sondern für einen Exponenten des kapitalistischen Systems, d. h. für die Darstellung von Möglichkeiten, die bis heute noch jedem gegeben sind, der skrupellos genug ist, sie bis aufs letzte auszunützen. Sie sollen nicht als Anklage dienen, sondern nur als Warnung für jeden, der am Erhalt unserer demokratischen Freiheiten interessiert ist und die Möglichkeiten ihrer Gefährdung durch das kapitalistische System vielleicht noch nicht ins Auge gefaßt hat."

Otany ein "knallharter Antisemit", wie Ditfurth behauptet? In der berechtigten Hoffnung, dass die unverstümmelten Originaltexte sowieso nicht gelesen werden, kann Frau Ditfurth mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten bis hin zu einfach nur aus der Luft gegriffenen Behauptungen ungeniert ihren politischen Gegnern jede Scheusslichkeit unterschieben, um dann gegen diese falschen Unterstellungen zu Felde zu ziehen. Ist diese besonders schäbige Art der Denunziation nicht eines Julius Streichers würdig?

"Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht", heisst ein Sprichwort. Lohnt es sich da noch, nach den "Beweisen" der übrigen Behauptungen über Otany zu suchen? Da ich die zahllosen von Ditfurth angegriffenen Personen, Organisationen und Gruppierungen nicht oder nur wenig kenne und auch keine Lust habe, meine und vor allem die Zeit meiner Leserinnen und Leser damit zu vergeuden, alle ihre Lügen und Verleumdungen gegen Gott und die Welt zu widerlegen, möchte ich mich auf einige ihrer Behauptungen beschränken, die mir wichtig erscheinen und eine Person betreffen, die mir gut bekannt ist und der Ditfurth eine tragende Rolle in ihrer Schmierenkomödie zugedacht hat: Silvio Gesell. Vermutlich steht er - wie das Otani-Beispiel zeigt - stellvertretend für andere. Außerdem erscheint es mir (um mal eine linke Phrase zu dreschen) "konterrevolutionär", tatenlos zuzusehen, wie dieser interessante Sozialreformer mit revolutionären Ideen wegen dieser aufgeblasenen, sich selbst als "marxistisch-humanistisch" verklärenden Denunziantin und einiger "Spinner" (wie Bierl andere nennt) aus ihrem Dunstkreis permanent in Misskredit gebracht wird. Dazu gehört auch die Richtigstellung einiger Behauptungen über Gesells Wirtschaftstheorie.

Der "Antisemit" Gesell

Ditfurth nennt Gesell "rassistisch" (S. 17) und einen "Antisemiten" (S. 16, 115 u. 124). Mal ganz abgesehen davon, dass selbst dann, wenn Gesell tatsächlich ein Rassist und Antisemit wäre, das noch nicht gegen seine Geld-, Zins- und Bodentheorie spräche. Sollte diese richtig und wichtig sein, kann mich nichts davon abhalten, sie dennoch für meine Zwecke auszuschlachten. Kein Marxist hat sich je von Marxens antisemitischen Sprüchen - ja ja, die gibt es! [7] - abhalten lassen, den "historischen Materialismus" zu studieren und zu propagieren. Doch was lesen wir bei Gesell über die Juden? In seiner Schrift Nervus rerum aus dem Jahre 1892 schreibt er in dem Kapitel Die Judenfrage, hier in der Gänze:

"Bei dem heutigen Geldwesen hat der Geldinhaber dem Wareninhaber, d. h. dem Producenten, gegenüber große Vorrechte und wenn er aus diesen Vorrechten Nutzen zu ziehen sucht, so thut er nicht mehr, als jeder andere an seiner Stelle auch thun würde. / Die Juden beschäftigen sich nun mit Vorliebe mit Geldgeschäften und es ist klar, dass diese Vorrechte des Geldinhabers darum auch vorzugsweise den Juden zu Gute kommen. / Hat aber darum Herr Stöcker [der damalige Hofprediger Kaiser Wilhelms II] ein Recht, die Juden zu verfolgen? / Ist nicht das Geld eine öffentliche Einrichtung, kann nicht Jeder, wenn er dazu befähigt ist, den Juden Concurrenz machen, hat nicht schon Jeder, selbst Herr Stöcker, den geheimen Wunsch gehegt, selber Bankier zu sein? / Die Judenhetzerei ist eine colossale Ungerechtigkeit und eine Folge einer ungerechten Einrichtung, eine Folge des heutigen Münzwesens. / Wo Aas ist, da versammeln sich die Adler; will man die Adler vertreiben, so braucht man die Lockspeisen nur fortzuschaffen und die Adler werden von selbst verschwinden, ohne dass es nöthig sein wird, auch nur einen einzigen zu thödten [!]. / Die Münzreform macht es unmöglich, dass jemand erntet ohne zu säen, und die Juden werden durch dieselbe gezwungen werden, die Verwerthung ihrer grossen geistigen Fähigkeiten nicht mehr im unfruchtbaren Schacher zu suchen, sondern in der Wissenschaft, Kunst und ehrlichen Industrie. / Die Münzreform schützt die Juden nicht allein vor jeder weiteren Verfolgung [!], sondern sie sichert auch der deutschen Wissenschaft und Gesetzgebung die Mitwirkung des jüdischen Scharfsinnes." [8] - So spricht also ein Antisemit.

 

Der "Rassist" Gesell

Doch Ditfurth hat noch anderes in petto. Um Gesell als Rassisten zu entlarven, verwendet sie Bruchstücke aus Gesells Natürlicher Wirtschaftsordnung: "´Die Rassenpolitik der Amerikaner´ sagt Gesell, könne sich ´ja auch einmal gegen die Europäer richten, auch kann in dieser amerikanischen Rassenpolitik der schwarze Bestandteil, können die Neger eines Tages die Oberhand gewinnen´." Einen weiteren Beleg für Gesells Rassismus glaubt sie dort gefunden zu haben, wo Gesell davon spricht, dass die "Empörung ... bei den schwarzen, wimmelnden Arbeitermassen überall ... zum Kriege führen" könne. Auf diese Zitate bezogen stellt Ditfurth die Frage: "Gesell kein Rassist, wie Schmitt und andere behaupten?" (S. 79)

Na, ist er nun? Für diejenigen, die aus diesen Kurzzitaten noch keine Schlüsse ziehen wollen, hier der ganze Abschnitt des ersten Zitats, in dem Gesell das Völkerrecht und die aus ihm abgeleiteten Einwandrungsgesetze der US-Amerikaner anklagt: "Laut diesem Völkerrecht gab Er die Erde - nicht den Menschenkindern, wie es doch in der Bibel heisst - sondern den Völkern. Und welchen Missbrauch treiben die Völker mit den, wie es heisst, noch nicht weit genug getriebenen Hoheitsrechten! Da sehen wir uns einmal Amerika an! Entdeckte Columbus etwa jenen Weltteil für die Nordamerikaner? Sicher nicht; für die Menschheit entdeckte er das Land, zum mindesten aber für seine Landsleute. Und diesen seinen Landsleuten verweigern die Amerikaner heute die Landung unter dem Vorwand, - sie seien des Schreibens unkundig oder hätten kein Geld in der Tasche! Führte etwa Columbus soviel Geld mit sich, und konnten seine Mannen etwa lesen und schreiben? Auch die Aussätzigen, die Zigeuner, die Blinden, Lahmen und Greise weisen die Amerikaner ab - und stützen sich dabei auf ihre Hoheitsrechte, auf das Völkerrecht, auf das Selbstbestimmungsrecht - das man jetzt erweitern und sichern will? ´Amerika für die Amerikaner´ sagen sie dabei verächtlich. Ja, sie gehen noch weiter und sagen: ´Amerika für die amerikanische Rasse´ und verweigern damit dem Hauptstamm des Menschengeschlechts, dem ältesten und zahlreichsten, den Mongolen, den Zutritt in ihr Land - auf Grund des Völkerrechts, auf Grund der Staatshoheitsrechte. Und dieses verderbte Recht sollen wir zum Zweck des Friedens ausbauen und vor Vergewaltigung sichern! Machen wir uns doch einmal klar, was das heisst. Die Rassenpolistik der Amerikaner kann sich ja auch einmal gegen die Europäer richten, auch kann in dieser amerikanischen Rassenpolitik der schwarze Bestandteil, können die Neger eines Tages die Oberhand gewinnen!" Und ganz unten: "Wie gesagt, die Mongolen, Europäer und Afrikaner haben sich bis heute solche Behandlung gefallen lassen. Aber wie lange noch?" [9]

Wie sieht es mit dem zweiten Zitat aus? Vollständig zitiert so: "Von Menschen, die im Klassenstaat, unter Herren und Knechten, unter Bettlern und Almosenspendern, in Wohltätigkeitsbasaren aufwachsen, unter Gesetzen, die viel mehr darauf zugespitzt sind, den Klassen- und Gewaltstaat, die Vorrechte der Reichen zu schützen, als dem Wohle aller Bürger zu dienen, können wir nicht den christlichen Geist erwarten, der nötig ist, wenn wir den Frieden nach innen, wie nach aussen, aufrecht erhalten wollen. Der Geist der Empörung, der bei den Unterdrückten, bei den schwarzen, wimmelnden Arbeitermassen überall in allen Staaten herrscht, und der Geist der Gewaltherrschaft und Unterdrückung, der in den anderen Klassen in entscheidenden Fällen regelmässig die Oberhand gewinnt, schafft selbsttätig die Zustände, die zum Krieg führen." [9a]

Immer noch Unklarheiten? Eine wie Pol Pot akademisch gebildete Vertreterin des "wissenschaftlichen Sozialismus" sollte sich die Frage, ob Gesell Rassist ist, eigentlich selbst beantworten können. Und siehe da - hat sie auch! Eine Seite zuvor, wo sie sich mit Hilfe eines anderen Zitats von Gesell zu dessen Freiland-Konzept äussert: "Unabhängig von ´der Rasse, der Religion, der Bildung und der körperlichen Verfassung´ habe jeder dann das Recht auf völlige Freizügigkeit und dürfe überall so viel Boden pachten, wie er bebauen könne" (S. 78). Nun, immer noch Fragen? Aber, Leute! Natürlich ist Gesell Rassist, tritt er doch dafür ein, dass die Menschen aller Völker und Rassen sich auf dem gesamten Planeten schrankenlos bewegen und sich ansiedeln können, wo sie wollen. Keine Zollschranken, keine Zuwanderungsbeschränkungen, keine "Festung Europa" - wenn das kein Rassismus ist!

Wer das Wort "Kinderschänder" gebraucht, ist selber einer!

Wenn alle Stricke reissen, Frau Ditfurth weiss sich zu helfen. Sie behauptet, bereits der Gebrauch des Begriffs Rasse sei rassistisch. So sind sicherlich auch jene, die das Wort Kinder benutzen, Kinderschänder. Nein? Aber ganz gewiss doch jene, die das Wort Kinderschänder benutzen, oder? Ganz so nicht. Sie schreibt: "Die Annahme, es gäbe ´Rassen´, ist rassistisch" (S. 42). Die "Annahme"! Die "Annahme", es gäbe Kinderschänder. Wer das annimmt, ist einer! Gibt es sie nicht? Und gibt es keine Volksgruppen, die stammesgeschichtlich miteinander verwandt sind und mit anderen Volksgruppen weniger eng verwandt sind, also "Rassen"? Gibt es keine Abstammungsgeschichte und keine Verwandschaftsgrade? Und wenn doch, mit welchem Begriff sollen dann Biologen, Ethnologen und Anthropologen verwandte Volksgruppen von anderen verwandten Gruppen unterschieden? Ist es nicht erlaubt, diese ethnischen Gruppierungen irgendwie zu benennen, zum Beispiel mit dem Begriff Rasse? Soll ein neuer Begriff für Rasse erfunden werden? Dann konsequenterweise auch für Volk, Stamm, Sippe, Klan, Familie? Das nicht? Nur das Wort Rasse, weil es von Rassisten verwendet worden ist?

Soll es den Ethnologen und Anthropologen untersagt werden, Abstammungslinien und Verwandschaften von Ethnien zu untersuchen? Ist Darwin, den Marx wegen seiner Abstammungslehre bewunderte, wieder out? Gilt wieder die christliche Abstammungslehre des vorigen Jahrhunderts? Dürfen biologische Unterschiede nur in der Tierwelt untersucht und benannt werden? Oder darf auch hier nicht von Tieren, Tierarten und Tierrassen und auch nicht von Unterschieden zwischen dem Homo sapiens und anderen Tieren, z. B. den übrigen Primaten, geredet werden? Damit käme sie aber in arge Nähe zu Vorstellungen Peter Singers! Doch keine Sorge, Ditfurth unterscheidet sehr nachhaltig zwischen Mensch und Tier, wie wir bei ihr lesen können, wenn sie sich mit Singer und den Tierschützern anlegt (S. 123 ff.).

Vielleicht möchte Frau Ditfurth Stalin nacheifern, der jede Forschung unterdrückte, die der Ideologie des Marxismus-Leninismus zuwiderlief. Wozu das führte, zeigt ein Beispiel aus der Biologie. In der vulgärmarxistischen Vorstellung, alles sei gesellschaftlich bedingt, glaubte Stalin anscheinend, man könne Einarmige züchten, indem man nur lange genug einer Generationenfolge von Menschen einen Arm amputieren würde; irgendwann kämen dann Einarmige zur Welt. Entsprechend solcher oder ähnlicher Wahnvorstellungen favorisierte er nicht nur die absurden Landwirtschaftsexperimente des Scharlatans Lyssenko, er liess auch dessen wissenschaftliche Konkurrenten einknasten, darunter den bekanntesten und international renomierten sowjetischen Genetiker und Züchtungsforscher, Wawilow. Dadurch verkam nicht nur die Reputation der biologischen Wissenschaften der sog. Sowjetunion zur Farce, das führte auch zu einer gewaltigen Pleite in der Landwirtschaft [10]. Fürwahr ein strammes Werk "wissenschaftlicher Sozialisten", eines Lenin-Ordens würdig.

Vielleicht geht es Ditfurth auch um die berechtigte Abscheu gegenüber diskriminierender Begriffe, also um die richtige Wortwahl, zum Beispiel "intellektuell behinderte Tiere" statt, wie Ditfurth sagt: "blöde Viecher"(S. 69)? Ist Gesell Rassist, weil er nicht korrekt den heutigen Begriff Schwarzer statt den damals allgemein verwendeten Begriff Neger (nicht Nigger!) benutzte? Dann darf heute kein Bleichgesicht den Begriff Indianer benutzen und muss in vielleicht ein oder zwei Jahrzehnten "Roter" sagen (oder "Rothaut"?). Ditfurth will es ganz korrekt: sie bevorzugt "Indigena" (S. 17 ff.). Und überhaupt: "Schwarzer"! Ist der "schwarze Mann" nicht jener, mit dem uns unsere Mütter drohten? Eine Kabarettistin sagte mal, eine gewisse Operette heisst nicht mehr "Der Zigeuner-", sondern "Der Sintibaron". Schliessslich ist auch das Wort Zigeuner als Schimpfwort misbraucht worden. Das Wort Jude aber ebenfalls, also benutzen wir ein anderes, vielleicht Israelit? Ob das allen Juden gefallen würde? Und was macht man..., Pardon, mensch mit dem Wort Kapitalist? Wird doch auch als ziemlich diskriminierendes Schimpfwort gebraucht. Aber eben auch als wissenschaft-licher Begriff in der Ökonomie. Will Ditfurth auf ihn verzichten oder ihn austauschen gegen einen politisch absolut korrekten? Ich kann und werde nicht auf ihn verzichten. Und andere, rational denkende Menschen können und werden nicht auf den wissen-schaftlichen Begriff Rasse verzichten - wenn sich denn dieser Begriff definieren lässt. Gesells abfälliger Gebrauch der Begriffe "Bummler, Sonnenbrüder, Zigeuner" [11] kann allerdings auch robuste Gemüter verärgern, sogar einen grobschlächtigen Bummler und Sonnenbruder wie mich.

Ditfurth will den Begriff Rasse total abschaffen, auch als wissenschaftlichen Begriff. Glaubt sie, damit die Existenz von Ethnien abzuschaffen? Vielleicht nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf? Ihr Tabuierungsdiktat begründet sie so: "Die Annahme von ´Rassen´ versperrt den Blick auf die vielfältigen wirklichen Unterschiede zwischen den Menschen - biologische wie soziale Unterschiede." Aha! Zwischen den einzelnen Menschen gibt es also Unterschiede, sogar (ach, nee!) "biologische"! Ist das nicht Biologismus, wie viele Linke immer wieder behaupten?

Auch Gesell hat individuelle, vielleicht naturgegebene, Unterschiede nicht geleugnet. Er wollte sie mit seiner Idee von fairem Wettbewerb zum Zuge kommen lassen, zum Nutzen der Individuen aller Völker und Rassen. Der biologische Begriffs Rasse hat ihm keineswegs den Blick versperrt auf die sozialen Unterschiede der Menschen. Gerade die sozialen Unterschiede, die durch die kapitalistischen und feudalistischen Ausbeutersysteme bedingt sind, hatte er im Blick! Er will allen Menschen der Erde zur Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung verhelfen und den Individuen aller Völker und Rassen die gleichen Rechte zugestehen. Ist das rassistisch?

 

Wo bleibt der Nationalismus-Vorwurf?

Frau Ditfurth, die sonst keine Gelegenheit auslässt, andere mit Dreck zu bewerfen, hat jedoch übersehen, dass Gesell auch ein infamer Nationalist ist. Beschwerte er sich doch nach dem Ersten Weltkrieg in einem Brief an seinen Mitstreiter Will Noebe über die Mitgliedschaft einiger "nationalistischer Federn" im Kleide der Freiwirtschaftsbewegung: "Mein Irrtum ist es auch gewesen, dass ich der freiwirtschaftlichen Gedankenwelt eine viele grössere erzieherische Kraft zumass. Mir war es eine Selbstverständlichkeit, dass die nationalistischen Federn, die den freiwirtschaftlichen Mauserungsprozess überlebten, über kurz oder lang abgestossen würden. Solches ist aber bei vielen FFF-Leuten [FFF = Freiland, Freigeld, Freiwirtschaft bzw. Freiland, Freigeld, Freihandel] leider nicht eingetreten. Diese Federn sitzen sehr fest, und ich bin auch noch nicht dahintergekommen, woran das liegt. Dass es ein Erziehungsprodukt ist, das ist mir klar, aber dass dieses Erziehungssprodukt der reifen Überlegung des heranwachsenden Mannes nicht weichen kann, das ist, wie gesagt, schwer verständlich. Mir deucht fast; dass der nationalistische Wahn mit dem religiösen Wahn zu einer Einheit rattenkönigverschwanzt ist, und dass hier Religion und Nationalismus gleichzeitig angegriffen werden müssen. Als Kaiser Konstantin die christliche Lehre zur Staatsreligion ´erhob´, da wurde wahrscheinlich der Plan geschmiedet, aus Gott und Staat einen Brei zu machen und diesen den Staatsknechten auf die Augen zu streichen." [12]

Nach der verschrobenen Logik Ditfurths beweist dieser Brief eindeutig, dass Gesell Nationalist ist. Er muss einfach Nationalist sein! Wo kommen wir sonst hin! Vielleicht zur Freiwitschaftslehre? Davor behüte uns die heilige Jutta!

Eugenik gleich Rassismus

Da Frau Ditfurth keine wirklichen Beweise für ihren Rassismus- und Antisemitismus-Vorwurf gegen Gesell hervorzaubern kann, aber diesen dennoch erhebt, wollen wir versuchen, andere Quellen zu finden, die sie zu diesen Vorwürfen veranlasst haben könnten. Da sie in diesem Zusammenhang gerne aus Gesells Abgebautem Staat zitiert, vermute ich sie dort. Dort wird eine utopische Frauenkommune geschildert, die Frau Ditfurth (S. 111) eine "rassistische" nennt. In der Tat finden wir in dieser Spätschrift mit dem provozierenden Untertitel Leben und Treiben in einem gesetz- und sittenlosen hochstrebenden Kulturvolk Begriffe wie "Wahlzucht", "Hochzucht", "Aufartung", "reine" und "physiokratische Mutterschaft" und "eugenische Lösung", angesichts der späteren NS-Geschichte schon peinlich, auch wenn sie vor der NS-Zeit geschrieben worden sind. Doch was hat das mit Rassismus zu tun? Frau Ditfurth kann offenbar die Begriffe nicht richtig definieren und daher auch zwei nicht auseinanderhalten, die ledigleich eines gemeinsam haben: dass sie aus der Biologie stammen. Bei Gesells "physiokratischer Mutterschaft" haben wir es mit Eugenik zu tun. Eugenik heisst zu Deutsch Erbgesundheitslehre, eine Lehre, die der Förderung gesunder und/oder leistungsfähiger und der Zurückdrängung krankhafter und/oder untüchtiger Erblinien dient. Rassismus hingegen bedeutet, dass behauptet wird, es gäbe "minderwertige" und "höherwertige" Ethnien und dass es daher erlaubt sei, eine Ethnie - in der Regel die eigene - zu bevorzugen und gegebenenfalls andere zu benachteiligen, zu unterdrücken und auszubeuten oder gar auszurotten. Zweifelsohne ist Gesell ein Eugeniker, aber damit noch kein Rassist.

Es ist nicht weit her mit der Ditfurth von ihrem (ihrer) oben genannten Rezensenten (Rezensentin) unterstellen Fähigkeit zu "differenzierter Kritik". Andererseits erwartet sie, dass kein "ungerechtfertigter Hitler-Stalin-Vergleich" (S. 175) gezogen wird. Wie sensibel plötzlich, wenn es um Stalin geht! Zwischen Hitler und Stalin möchte sie differenzieren. Vielleicht so: Stalin war ein Gott, Hitler nur ein Führer? Oder nicht so schlimm wie Hitler? Oder noch schlimmer? Aber doch wohl nicht völlig anders, oder? Sie wünscht von anderen eine "gerechtfertigte" Unterscheidung von Hitler und Stalin. Gar nicht so einfach. Sie selbst kann noch nicht einmal - sehr viel einfacher - unterscheiden zwischen Rassismus und Eugenik oder auch nur zwischen Rassisten und Kosmopoliten. Oder will sie nicht? Um Gesell als Rassisten diffamieren zu können? Dabei könnte sie ihn doch einfach als Eugeniker verurteilen - vorausgesetzt allerdings, Eugenik ist tatsächlich etwas verwerfliches. Dazu wäre die Frage zu beantworten, ob Eugenik noch etwas anderes bedeuten könnte als Erbgesundheitslehre und insbesondere, ob das, was die Nazis und Rassisten darunter verstanden haben, verallgemeinert werden kann.

"Eugenik" ist ein weites Feld und ein in der sozialistischen Bewegung gängiger und unterschiedlich benutzter Begriff gewesen. Der Anarcho-Historiker Max Nettlau zum Beispiel verwendet ihn in seinem Buch Eugenik der Anarchie als sozialen und kulturhistorischen Begriff. Korrekt und gemeinhin - so auch bei Gesell - wird er jedoch als ein biologischer verstanden. In diesem Sinne finden wir z. B. eine ausführliche Auseinandersetzung und bedingte Befürwortung bestimmter biologisch begründeter Gesundheitslehren und Praktiken bei der Feministin und Vertreterin der freien Liebe und der Kinderrechte, Ellen Key, die Anfang dieses Jahrhunderts von dem libertären Zionisten Martin Buber verlegt worden ist [13]. Die Schrift von 1926: Das Jahrhundert des Kindes (S. Fischer Verlag), widmet Key "ALLEN ELTERN, DIE HOFFEN, IM NEUEN JAHRHUNDERT DEN NEUEN MENSCHEN ZU BILDEN". Diese Aufgabe sieht sie - anders als die auf Erziehung (gleich Dressur) fixierten Marxisten - im Zusammenhang mit der Eugenik: der "Veredelung der menschlichen Rasse" durch die bewusste Förderung positiver Anlagen. Dabei geht es nicht - wie es die NS-Rassisten und auch die Sozialdemokraten in Schweden [13a] später interpretiert haben - um eine bestimmte Rasse: die "arische", sondern um die "menschliche Rasse", also die gesamte menschliche Spezies. Sie meint, "der Mensch so, wie er nun ist, [sei] nur ein Übergang zwischen dem Tier und dem Übermenschen". Ähnlich argumentiert auch Konrad Lorenz: der heutige Mensch befinde sich in seiner naturgeschichtlichen Entwicklung zwischen dem Affen und seinen humanistischen Ansprüchen. Da es im Schutze der menschlichen Kultur keinen natürlichen Ausleseprozess mehr gibt, der zur "Höherentwicklung" der Spezies führt, und "wenn die Art sich nicht [durch die fast ausschlisslich negativen Mutationen] verschlechtern soll", sei es laut Key die Aufgabe der Eltern, diesen natürlichen Evolutionsprozess durch bewusstes Handeln zu ersetzen: zur "Hervorbringung starker und genialer Persönlichkeiten". Das muss aber nicht heissen, dass Geisteskranke, Schwachsinnige und sozial "Auffällige" zwangssterilisiert werden, wie das die Sozialdemokraten seit 1935 in Schweden praktiziert haben, und dass psychisch gestörte und erbkranke Menschen oder rassisch "Minderwertige" getötet werden, wie das die Nazis gemacht haben. Wohl aber kann das heissen, dass sich zum Beispiel Menschen mit Erbkrankheiten aus freiem Entschluss nicht selber fortpflanzen, sondern Kinder adoptieren. Gibt es nicht genug auf der Welt, die auf Eltern warten? [13b]

Die Absicht, die Eugenik für rassistische Zwecke zu missbrauchen und allein auf die "arische" oder "nordische Rasse" zu beziehen, gab es allerdings schon im vorigem Jahrhundert. Damit ist jedoch Eugenik nicht per Definition Rassismus. Kann der barbarische Missbrauch der Eugenik durch Rassisten also ein ausreichender Grund sein, auf Eugenik hysterisch zu reagieren? Geht es hier vielleicht um etwas anderes: um einen Widerspruch der Eugenik als einer biologischen Wissenschaft zu einer pseudo-marxistischen Ideologie, die allein auf den Einfluss der Gesellschaft setzt? Vulgärmarxisten behaupten, der Mensch käme tabula rasa, ohne naturgegebene Anlagen auf die Welt, folglich könne er beliebig erzogen, das heisst hingezogen werden, wo Ideologen ihn hinhaben wollen: herandressiert zum "Neuen Menschen" [14]. Weil eine derart einseitige Behauptung nur schwer zu beweisen ist, könnte eine Diskussion über Eugenik und damit auch über angeborene Eigenschaften des Menschen [14a] dieses heilige Dogma in Frage stellen. Oder handelt es sich einfach nur um eine konservativ-irrationale Abwehrreaktion gegen den neuen und ungewöhlichen Gedanken, es könnten "geniale" Persönlichkeiten herangezüchtet werden, wie das in Rot-China bereits von Staats wegen versucht [14b] und auch in den kapitalistischen Ländern über Samenbanken und bald auch per Gentechnik praktiziert wird? - Mal ehrlich, wünschen sich die Kritiker der Eugenik nicht auch klammheimlich kleine Einsteine als Kinder?

GenossInnen, Schafft die Küchenmesser ab!

Vielleicht wittert Frau Ditfurth, sensibilisiert durch die NS-Vergangenheit, den braunen Terror, wenn sie das Wort Eugenik hört. Haben nicht die Tschetniks mosle-mische Frauen mit Messern "geschlachtet", wie sie stolz berichten? Gehen wir deswegen gleich auf den Horrortrip, wenn ein Küchenmesser benutzt wird, nur weil andere damit schon Menschen getötet haben? Kommt es nicht auch darauf an, wer ein Messer benutzt und wozu? Oder geht es nur darum, Gesell mit allen Mitteln in Misskredit zu bringen? Vielleicht, weil Ditfurth und ihren marxistischen Genossen Gesells Geld- und Zinstheorie - die Gesell wichtiger war als die Eugenik - ein Dorn im Auge ist und sie diese nicht widerlegen können? Das werden sie zwar bestreiten, doch "inhaltliche Kritik" an Gesell, wie es Dithfurth fordert, wollen sie nicht vor Gesellianern üben (S. 113), die doch eigentlich besonders kompetent dafür sind. Vielleicht, weil sie dann alt aussehen würden? Was eignet sich da besser, um Gesell und seine Freunde niederzumachen, als eine Verleumdungskampagne im Zusammenhang mit Gesells Eugenik-Kiste? Wie schön kann man das doch in einen Zusammenhang mit den Nazis bringen! Kommt bei Leuten gut an, die - was Ditfurth Franz Alt vorwirft - alles mit den "Augen des Bauches .. sehen" (S. 14).

Gesell hat sich, obwohl gegen Abtreibung, bereits zu einer Zeit gegen ein staatlich verordnetes Abtreibungsverbot ausgesprochen, als Frauen noch für eine Abtreibung hingerichtet werden konnten. Warum schweigt Frau Ditfurth dazu? Weil eine Polemik gegen Gesells Forderungen nach Freigabe der Abtreibung bei Linken, Liberalen und Feministinnen nicht gut ankommen würde? Wie steht es jedoch mit der Abtreibung von geistig und körperlich geschädigten Föten, was Gesell keineswegs fordert? Hier stimmen viele ein großes Geschrei an: Das ist Eugenik! Ist es auch. Doch wenn das Abtreiben kranker Föten als Eugenik zu verurteilen ist, wieso ist dann das Abtreiben gesunder Föten zu rechtfertigen? Weil es keine Eugenik ist?

Ist es überhaupt zu rechtfertigen, werdendes Leben an der Entfaltung zu hindern? In bestimmten Situationen durchaus. Eine unreflektierte Bejahung der Abtreibung hingegen dürfte wohl kaum als eine ausgeprägt lebensbejahende Position zu bezeichnen sein, wie sie Albert Schweitzer mit seinem Grundsatz Leben fördern und Leben erhalten vertritt und wovon Schweitzer auch Tiere nicht ausschliessen will. Gesell hat jede Abtreibung als Eugenik verstanden. Er meint, auf diese Weise würden gegebenenfalls - ich würde sagen, wenn z. B. ein Auto, zumindest der Zweitwagen, einem Kind vorgezogen wird - die Gene kinderfeindlicher und liebloser Menschen biologisch selektiert werden. Ob diese höchst fragwüdrige These richtig oder falsch ist, muss mit Fakten belegt werden. Und auch das garantiert nicht die absolute Wahrheit.

Die "rassistische" Frauenkommune

Gesells Eugenikvorstellungen verursachen in den Ohren biologisch ungebildeter Idealisten einen befremdlichen Sound [15]. Doch das gilt auch für die Ohren sexuell verklemmter Moralisten, wenn sich Gesell zu Ehe, Sexualität und freier Liebe äussert. Diese Äusserungen klingen eher nach Sprüchen aus der Zeit der "sexuellen Revolution" um ´68 und nicht aus der Zeit von ´33 bis ´45. In Der abgebaute Staat schildert Gesell die Fahrt eines Reisenden durch das "Land der Physiokraten". Er lässt dort eine junge Frau sagen: "Hier ist niemand verheiratet, weder Mann noch Frau" und "Hier hat man die Frauen nicht. Und man hat auch keine Männer."[16] Berta erklärt dem Reisenden beim Besuch einer utopischen Frauenkommune das Ziel der "physiokratischen Mutterschaft": kräftige, gesunde, geistreiche und schöne Kinder, deshalb habe sie sieben Kinder von sieben verschiedenen Männern. Ist das verwerflich? Befremdlich klingt, wenn sie erklärt, dass sie, um "der Aufartung der Menschheit" noch nützlicher sein zu können, wünscht, ihre begrenzte Möglichkeit der Männerauswahl "zu einem Weltwahlkreis erweitern zu können" [16a].

Eine "rassistische Frauenkommune", wie Ditfurth behauptet, wenn es um die ganze Menschheit geht? Darauf kommt es ihr doch an, wenn sie den "Speziezimus" propagiert (S. 159; siehe Kapitel Die Homo-sapiens-Patriotin). Und soll es den dortigen Frauen verboten werden, diese "fixe Idee" (Stirner) der "Aufartung" der ganzen Spezies Mensch auszuleben? Frau Ditfurth plädiert doch für die "Selbstbestimmung und allseitige Entfaltung jedes Menschen" (S. 20).

Aber Stirner sagt doch: "Aus fixen Ideen entstehen die Verbrechen." Recht hat er. Wenn fixe Ideen vergesellschaftet (Moral) oder verstaatlicht (Gesetz) werden. Gesell wollte, dass die Eugenik das alleinige Eigentum der Eignerin ihrer Selbst ist: der Frau. Der Bauch gehört ihr, und nur ihr allein! Das mag man (Mann!) als egozentrisch, unsozial oder wider die Natur kritisieren, aber das war Gesells Position.

Mit Hitlers Zielen "deutscher Mutterschaft" hatte die physiokratische Mutterschaft wohl kaum etwas zu tun, oder? Hitler wollte eine Jugend, hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, bestialisch wie Raubtiere und von "arischem" Geblüt, am besten blond. Dennoch nennt Ditfurth die physiokratische Frauenkommune "rassistisch". Ähnlich schepperte auch ihr Lautsprecher Bierl bei seinem Vortrag über Gesell auf der berühmten Gaspistolen-Party im Berliner Anarchotreff El Locco (siehe Kapitel Die "inhaltliche" Diskussion der roten Kader). Dort behauptete er, auch die internationalen Paarungsfreuden und Fortpflanzungspraktiken in der physiokratischen Frauenkommune seien "Rassismus". Was ist dann das Vögeln mit dem Volksgenossen? Etwa die "internationale Solidarität"? Das, was Bierl "Rassismus" nennt, nannten die Nazis "Rassenschande". Was für eine verdrehte Welt!

Nach dieser El-Locco-Veranstaltung meinte eine Studentin bei einem Glas Bier, sie sei selbst Eugenikerin: sie würde sich nämlich für ihre Liebschaften immer die schönsten und nettesten Männer auswählen. Welche Frau (bitte melden!) versucht das nicht und wünscht sich, wenn sie Mutter werden will, statt von einem zwar reichen, aber dummen, hässlichen und womöglich noch gewalttätigen "Ernährer", lieber von einem zwar armen, aber schönen, netten und intelligenten Mann, den sie liebt, ein Kind - wenn sie es sich denn materiell leisten kann! Das wollte ihr Gesell mit einer finanziellen Absicherung bei einer Mutterschaft mittels eines existenzsichernden Kindergeldes ermöglichen: mit der aus der Bodenrente finanzierten "Mutterrente". Damit wollte Gesell auch der in seiner Zeit verbreiteten Zwangszeugung geistig und körperlich behinderter Kinder durch männliche Alkoholiker in den Elendsvierteln der Grossstädten einen Riegel vorschieben. Es soll in der Feministinnenszene allerdings Frauen geben - wahrscheinlich kinderlose -, die verwechseln die Mutterrente mit Hitlers "Mutterkreuz".

Gesells "Neuer Mensch" - ein Werk der Mütter!

Im Abgebauten Staat beschreibt Gesell Weg und Ziel seiner "Aufzucht" des Menschengeschlechts, zu der er niemanden zwingen will: "Wir wollen nicht umgeben sein von Ärzten, Apothekern und Quacksalbern. Wir wollen keine hohlbrüstigen Jünglinge, keine bleichsüchtigen Mädchen um uns sehen. Wir wollen Geist, Gesundheit, Schönheit, Kraft und die Lebenssfreude, die für alle aus solcher Zucht erwächst, und die allein unserem Dasein einen vernünftigen, paradiesischen Zweck gibt. Wir empfehlen aber auch, nicht mit spartanischen Mitteln hier einzugreifen, wir wollen der Zeit Zeit lassen, das Ihrige zu tun. Was eine 1000-jährige Fehlzucht verpfuschte, das mag ein weiteres Jahrtausend wieder gut machen. Die Härte aller Naturgesetze verwandelt die Zeit, die jene für ihre Ziele brauchen, in Milde, und auch wir wollen diese Milde walten lassen. Es genügt uns, wenn wir wissen, dass die Ursache der Degeneration beseitigt ist, dass wir uns wieder auf ansteigender Bahn befinden... Wir wollen nicht nur in der Freiheit leben, in der Freiheit geboren sein, sondern bereits in der Freiheit, d. h. in der Liebe, gezeugt werden. Der Freiheit und Unabhängigkeit unserer Mütter, der sicheren Führung ihrer Triebe, nicht aber Gesetzen und Rechenexempeln wollen wir unser Dasein verdanken. Die Stallzucht hat aus dem Urstier das Monstrum geschaffen, das wir auf den Ausstellungen prämiieren. Dieselbe Stallzucht [in den patriarchalischen, feudalen und kapitalistischen Ausbeutergesellschaften] hat aus unseren Urvätern das Geschlecht zuwege gebracht, das jeder von uns im Spiegel voll Wehmut und hoffnungsloser Bekümmernis betrachten kann." [16b]

Damit ist auch Ditfurths Frage: "Wer entscheidet, wer Väter ´hoher physischer und psychischer Qualität´ sind?" (S. 111), beantwortet: Die Frauen, und zwar mittels der "sicheren Führung ihrer Triebe", der Triebe der Liebe, der psychischen Instanz "Es" hätten wir ´68-er gesagt. Ob die Führung durch die "Libido" (Freud) oder Liebe, die bekanntlich blind macht, wirklich so treffsicher ist, mag zu bezweifeln sein, auf jeden Fall überlässt Gesell die Entscheidung den direkt betroffenen potentiellen Müttern. Bei ihm ist auch nirgends die Rede von Tötung oder auch nur Sterilisation "unwerten Lebens", wie das bis heute in vielen demokratischen Ländern praktiziert worden ist. Seine Eugenik beschränkt sich auf die von Frauen bestimmte "Zuchtwahl". Die Frauen suchen sich nach eigenem Wunsch und unabhängig von Geld, Ehe, Moral, elterlicher, staatlicher oder patriarchalischer Gewalt den Mann aus, von dem sie ihre Kinder haben wollen. Zu einer fundierten Kritik an Gesells Eugenik-Vorstellungen gehört mehr als die Gleichsetzung von Eugenik mit Rassismus und Faschismus und eine billige Polemik gegen eine Position, die vielleicht nicht Ditfurth, die es auf Verleumdung abgesehen hat, aber vielen anderen Kritikern offensichtlich unbekannt ist.

Im Physiokrat 6 und 10 / 1913 hat Gesell seine Überlegungen zur Eugenik differenziert dargestellt. Hier widerspricht er auch ausdrücklich der Behauptung, "dass die Degenerationserscheinungen in irgend einem Zusammenhang mit der Schonung der Schwachen steht". Ebenso sei der Krieg kein Mittel positiver, wohl aber negativer Selektion. Nur da, "wo die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ausgeschlossen ist" und "wo das Weib in der wirtschaftlichen Ordnung Schutz findet", sind "die Bedingungen für eine natürliche, gesunde Entwicklung des Menschengeschlechts durch die Zuchtwahl gegeben" [17]. In diesem Text können Gesells spezifischen Eugenik-Vorstellungen und -Praktilken mit anderen verglichen und dann kritisiert werden.

Erstaunlich, dass sich Ditfurth darüber beschwert, dass "rationales Denken ... heute denunziert" (S. 14) werde, hat sie damit doch selber Schwierigkeiten. Ihr mangelt es offenbar an der Fähigkeit, Fakten wahrzunehmen wie sie sind und voneinander zu unterscheiden, eine unerlässliche Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten und zu Kritik- und Urteilsfähigkeit. Aber vielleicht sind Wissenschaftlichkeit und sachgerechtes oder gar gerechtes Urteilen nicht ihr Anspruch. Hat nicht Lenin schon gesagt, im Interesse der Revolution darf gelogen werden? Auch für Ditfurth und ihren Haufen geht es um Politik, und da ist intellektuelle Redlichkeit nicht gefragt. Politik ist ein schmutziges Geschäft, wusste schon Machiavelli, und dass Politiker lügen, um Macht und Einfluss zu erringen, ist allgemein bekannt. Was sollen sie auch machen? Die Wahrheit kommt bei den "Massen" schlecht an, wie 1990 der SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine erfahren musste [17a]. Und Lügen werden geglaubt, wenn sie nur oft genug wiederholt werden, wusste vor Dirtfurth schon Goebbels. Insbesondere, wenn sie mit Versprechungen verbunden sind: kommunistisches Paradies, "blühende Landschaften" (Kohl). Kurzum und frei nach Tucholsky: "Politiker sind Lügner".

Auch Ditfurth und ihre "AntifaschistInnen" sind gute, erfolgreiche PolitikerInnen, werde ich doch in Kreuzberg auf Grund ihrer intensiven Aufklärungsarbeit schon mit "Heil Hitler" begrüsst! Eine beachtliche politische Leistung, wie diese Töchter und Söhne aus jener bourgeoisen Klasse, die grösstenteils Hitler gewählt oder mit Hitler symphatisiert hat, den proletarischen Sohn eines linken Antifaschisten, der im KZ gesessen hat und dort ums Leben gekommen ist, linken Kids als Nazi und Hitler-Anhänger verkaufen! Wirklich beeindruckend. Eine Pogromhetze gegen einen Anarchisten [17b], die der Streichers gegen die Juden kaum nachsteht, oder?

Frau Ditfurth ist zwar eine exzelente Politikerin, jedoch eine miserable Feministin, hat sie doch anzuprangern versäumt, dass Gesell nicht nur ein Faschist, Rassist und Antisemit, sondern auch ein ziemlicher Macho war. Hatte er es doch - als Eugeniker der Praxis - mit den verschiedensten Frauen getrieben und mit ihnen zehn schöne Kinder gezeugt. Was auch von einer ausgeprägten Kinderfeindlichkeit zeugt! (War er gar Päderast?)

Gesells "Demokratie-" und "Massenfeindlichkeit"

Frau Ditfurth liegt auch schon mal richtig - fast! Diese Leninistin, deren Genossen penetrant von Demokratie schwatzen, aber die wohl totalitärsten Regieme installierten, meint, Gesell sei "ein erklärter Antidemokrat" (S. 114). Horst Bume, sicher-lich ein Mitglied des Jutta Ditfurth Fan Clubs, deutete im Schwarzen Faden (131 / 1984) zart eine Massenfeindlichkeit bei dem "Faschisten" (Blume) Gesell an. Als Beleg dienen ihnen zwei bis drei Zeilen aus Gesells Natürlicher Wirtschaftsordnung. Wie kann man auch antidemokratisch und massenfeindlich sein? Als gute Sozialisten und Kommunisten sind Ditfurth, Blume und Genossen "Demokraten" und lieben die "Massen". Die Massen, an denen gewiss auch das Sensibelchen Peter Handke seine Freude hat. Jene Massen von Männern, die den patriotischen Aufrufen des Wende-Kommunisten Milosevic für ein Gross-Serbien tapfer Folge leisteten und in heldenhafter Pflichterfüllung und mit der Kalaschnikow in den Fäusten und den Ständern in den Hosen Bosnien von zehntausenden moslemischen Kindern, Frauen und Männer desin-fizierten. Sehr liebenswert auch schon jene Massen, von denen Ernest Borneman (der die Kommune ZEG "verteidigte"; S. 64) zu berichten weiss: die proletarischen Massen, die sich im alten Rom an den Qualen und dem Brüllen der zerfetzten, zerrissenen brennenden und sterbenden Sklaven, Kriegsgefangenen, Frauen und Kindern bei den "Spielen" in der Arena des Kolosseums ergötzten [18]. Echt geil! Oder jene revolutio-nären Massen, die Tiberius und Marc Aurel fast gestürzt hätten, als sie diese unterhaltsamen Spiele für die bedauernswerten land- und arbeitslosen Massen Roms aufgeben wollten [19]. Was hatten die auch sonst! Glotze und Bild-Zeitung gab´s damals noch nicht. Und jene Masse von Demokraten, die Sulla in das Amt des Prätors wählte, weil er ihr versprach, für diese lustigen Spielchen Tiere in Afrika zu beschaffen [20]. Oder die Massen aus jüngerer römischen Geschichte: die Massen der Kleinbürger, die Mussolini vergötterten, jenen Duce, der das Prügelsymbol dieses althumanistischen Roms, das Rutenbündel, zum Symbol des Faschismus erkor. Und nicht zu vergessen die braven "arischen" Massen, die Hitler und Goebbbels zujubelten, als sie zum Sturm gegen die asiatischen Untermenschen bliesen. Fürwahr: Massen zum abknutschen.

Auch Hitler hielt sich was darauf zugute, von den Massen demokratisch gewählt worden zu sein (die "Intelligenzbestie" Goebbels nannte die Wähler "30 Millionen Idioten"). Im Gegensatz zu den Verherrlichern der Massen, den Faschisten, Nazionalsozialisten, Kommunisten und manchen Neo-Anarchos, ist Gesell in der Tat massenfeindlich. Das heisst jedoch nicht unbedingt, dass er auch, wie die Faschisten, Nationalsozialisten und Kommunisten, antidemokratisch ist. Er hält zwar die Demokratie für ein Übel, aber gegenüber allen anderen bislang praktizierten Herrschaftsformen immer noch für das kleinste und propagiert seine Idee von Anarchie: die "Akratie". Ditfurth wie Blume sollten wissen, dass auch die anarchistischen Klassiker nicht viel von Demokratie hielten, ist sie doch ein Herrschaftssystem: eben Volks-Herrschaft. Anarchisten wollen Selbstbestimmung der Individuen und die Autonomie freier Vereinigungen und nicht die Herrschaft einer Mehrheit über eine Minderheit, schon gar nicht die Herschaft faschistoider [21] Massen. Um der Herrschaft dieser Massen vorzubeugen, fordert Proudhon - wie Gesell - als unumgängliche Grundlage einer humanen und freiheitlichen Demokratie die Lösung der sozialen Frage und darüber hinaus ein föderalistisches Gesellschaftssystem.[21a] Entsprechend der allgemein verbreiteten Definition von Links und Rechts wäre Gesell also links der Demokraten einzuordnen.

Anarchistischer Tradition entsprechend, zieht Gesell das Individualrecht dem Völker-, Staats- und Massenrecht vor. Im Zusammenhang mit dem Recht aller Menschen auf den Grund und Boden des ganzen Planeten schreibt Gesell (hier, im Gegensatz zu Ditfurth, ausführlich zitiert): "Ich aber sage: die Rechte der Völker, das Massenrecht, sind schon zu gross, viel zu gross. Die Rechte der Massen können niemals eng genug begrenzt werden. - Dafür müssen aber die Rechte der Menschheit umsomehr erweitert werden. Wenn die Völker schon ihre jetzigen Rechte missbrauchen, wieviel mehr Missbrauch werden sie mit den erweiterten Rechten treiben. Nein, hier betreten wir Holzwege - die Rechte der Völker müssen beschränkt und, soweit es um die Staatshoheit der Völker über den von ihnen besetzten Boden handelt, sogar restlos abgeschafft werden. Völkerrecht ist Krieg - Menschenrecht ist Frieden. Die Entwicklung des Völkerrechts nennt man Fortschritt. Das ist nicht richtig, es widerspricht der Geschichte. Zuerst war das Gewaltrecht, das Massenrecht, das sogenannte Völkerrecht. Aus ihm entwickelte sich langsam das Menschenrecht, das Recht des einzelnen Menschen. Der Fortschritt geht also vom Massenrecht zum Recht des Einzelmenschen. / Die Völker sind im Vergleich zu ihren Bestandteilen immer minderwertig. Der Mensch gewinnt nicht, wo er die Verantwortung für alles Tun und Lassen auf die Masse abwälzt: in der Gemeinschaft handelt der Mensch schäbiger als einzeln. Swift sagte schon: ich habe immer die Staaten und Gemeinden gehasst - meine Liebe geht auf den Einzelmenschen." [22]

Wir wissen, welche Verbrechen Einzelne im Schutz der Gemeinschaft, der Masse und des Staates während der NS-Zeit, schon 1915 in Armenien und jüngst in Bosnien und Ruanda begangen haben. Allerdings übersieht Gesell, dass der Charakter der Masse auch etwas damit zu tun hat, wie der Charakter der einzelnen Individuen beschaffen ist, aus der sich die Masse zusammensetzt. Das hat Wilhelm Reich in Massenpsychologie des Faschismus dargelegt. Er orientiert sich dabei an Freuds Einteilung der menschlichen Psyche in Ich, Es und Über-Ich [23]. Vereinfacht gesagt, repräsentiert das Ich die Intelligenz, das Es die naturgegebenen Triebe und Instinkte und das Über-Ich die gesellschaftlich vermittelte Ideologie und Moral. Im Über-Ich befindet sich also alles, was Reich der "emotionellen Pest" des "faschistoiden", das heisst des autoritär und autoritätshörig geprägten Individuums, zurechnet: Ehre, Treue und Gehorsam, religiöse, nationalistische, völkische und rassistische Wahnvorstellungen, den Hexen- und Beschneidungswahn, Sadismus, Masochismus usw. Diese emotionelle Pest ist nach Reich das Erbe des Patriarchats und wird in den patriarchalischen Sozialisationsprozessen, insbesondere durch Erziehung gleich Dressur, geprägt [23a]. Sie dient den Interessen der Herrschenden als Neigung der Individuen zu "freiwilliger", Über-Ich bestimmter Unterwerfung unter die Vaterfiguren der Gesellschaft und ihre Ideologien.

Diese "faschistoiden" Massen-Individuen lassen sich von den Herrschenden leicht manipulieren und zu allen Verbrechen verleiten. Bezeichnend für die Autoritätshörigkeit und Unterwürfigkeit der Massenmenschen der Textauszug einer Rede des treuesten Knappen Hitlers, Rudolf Hess: "Mit Stolz sehen wir: Einer bleibt von aller Kritik ausgeschlossen, das ist der Führer. Das kommt daher, dass jeder fühlt und weiss: Er hat immer recht, und er wird immer recht haben. [In einem SED-Hit heist es: "Die Partei hat immer Recht"] In der kritiklosen Treue, in der Hingabe an den Führer, die nach dem Warum im Einzelfalle nicht fragt, in der stillschweigenden Ausführung seiner Befehle liegt unser aller Nationalsozialismus verankert. Wir glauben daran, dass der Führer einer höheren Berufung zur Gestaltung deutschen Schicksals folgt. An diesem Glauben gibt es keine Kritik." [24]

Die roten Diener der Massen

Der antiautoritäre Gesell war allerdings nicht in dem Sinne massenfeindlich wie die Zyniker und Massenverächter Lenin, Trotzki, Stalin, Hitler, Goebbels und Mussolini. Diese Vaterfiguren haben die Massen beschworen und vorgegeben, ihnen zu dienen (Mao: "Dem Volke dienen"), sie in Wirklichkeit aber manipuliert und verheizt und sie gegebenenfalls nach jenen Methoden massakriert, wie es der bolschewistische Volkskommissar für Justiz, Krylenko, seinen Henkersknechten empfahl: "Wir dürfen nicht nur die Schuldigen hinrichten. Die Hinrichtung der Unschuldigen wird die Masse noch weit mehr beeindrucken" [25]. Da ist doch alles klar: mit "barbarischen Methoden ... gegen die Barbarei" (Lenin; siehe oben).

Ditfurth wirft Esoterikern, Tierschützern, Gesellianern und vielen anderen "menschenverachtende Positionen" (S. 75) und sogar "Menschenhass" (S. 11 u. 172) vor. Nicht Esoteriker, Tierschützer und Gesell, sondern Lenin und Trotzki haben jene Massen, deren Individuen gemeinsam in freier Übereinstimmung für ihre Emanzipation von Unterdrückung und Ausbeutung kämpften, die Arbeiter und Matrosen von Kronstadt [26] und die Bauern der Machno-Bewegung [26a], massakriert und noch die Toten diffamiert. Sicherlich: nicht aus Menschenhass, aber aus Menschenverachtung und "nur" auf Grund "historischer Notwendigkeit". Gesell hat den "Massen" der Münchener Rätebewegung als Volksbeauftragter für Finanzen gedient, bis die Kom-munisten den anarchistisch dominierten Rat der Volksbeauftragten wegputschten, damals noch mit (relativ) "friedlichen Mitteln" [27]. Ihre Genossen in der frühen Sowjetunion haben die dortige Massenbewegung der freiheitlichen Bauern- und Arbeiterräte im Blut ertränkt [27a]. Aber was soll´s, "entschlossene Menschenliebe ist niemals blutscheu" (Thomas Mann).

Von diesen roten Massenmördern, die sich anmassen, über Leichen gehen zu dürfen, weil sie mit letzter "wissenschaftlicher" Sicherheit "wissen", damit der Menschheit und dem Weltgeist zu dienen wie jene Hexenverfolger, die glaubten, Frauen lebendig verbrennen zu dürfen, weil das gottgefällig sei und dem Seelenheil dieser "Hexen" diene, hebt sich jener Mensch, den Ditfurth und ihre Hexenjäger zu einem Wegbereiter in die Barbarein stempeln wollen, auf das Angenehmste ab. Robert Anton Wilson zum Beispiel zeichnet eine anderes Bild von Gesell: "Der einzige utopische Ökonom, den ich je mochte, war Silvio Gesell. Selbstverständlich war Gesell ein Geschäftsmann und kein Akademiker oder Ideologe, also hatte er gesunden Menschenverstand... / Ich weiss nicht, ob diese [freiwirtschaftliche] Utopie in der Praxis genauso reibungslos wie in der Theorie funktionieren würde, aber meine Bewunderung für Gesell hat einen anderen Grund. Er [der sich für eine zentrale Boden- und Währungsverwaltung einsetzte und von Kommunen nicht viel hielt] setzt auch voraus, dass die Regierung interne Kolonien oder utopische Gemeinschaften zulassen und unterstützen sollte, wo Menschen mit rivalisierenden wirtschaftlichen Vorstellungen sich zusammenschliessen könnten, um die Tragfähigkeit ihrere eigenen Idealvorstellungen zu beweisen. / Er sagt sogar, dass wenn eine dieser Kolonien sich als besonders erfolgreich herausstellen sollte, deren Ideen anstelle seiner eigenen eingesetzt werden sollten. / Ich kann mir diese tollen Ideen nur dadurch erklären, dass Gesell sich nicht für unfehlbar hielt. Kein Wunder, dass so wenige Menschen je etwas von Gesell gehört haben. Er besass nicht den Fanatismus, der anscheinend erforderlich ist, um eine utopische Bewegung auf breiter Front in Bewegung zu setzen." [28]

Max Stirner

Richtig ist es - und auch sehr erfreulich -, dass sich Gesell gerne auf Max Stirner beruft [29], den Dirfurth für "Egokult" verantwortlich macht. Mag sein, dass manche Stirner-Fans in dieser Hinsicht Stirner ebenso missverstehen wie Ditfurth. Eine Behauptung zum ablachen ist es jedoch, Stirners "individualistisches Freiheitskonzept" als "offen für Mystik... bis hin zu faschistischen Konsequenzen" (S. 114) zu bezeichnen. Genau das Gegenteil ist der Fall (wieder einmal).

In Der Einzige und sein Eigentum bestätigt Stirner Gesells Skepsis gegenüber den Massen und Reichs Forderung nach psychologischer Stärkung des Individuums: seines Ichs. Wie Reich lehnt Stirner die Zwangsmoral ab. Stirner sagt: "Ich kenne kein ´Gebot der Liebe´." Während Reich jedoch das Es, den "biologischen Kern" der Psyche, von Moral und Selbstunterdrückung befreien und damit das Ich stärken will gegen religiöse, nationalistische und rassistische Ideologien, Wahnvorstellungen, Fanatismus etc., will Stirner den "Einzigen" auch von den Marionettenfäden der Natur, ihren zwanghaften Trieben und Instinkten, dem Es, freistellen. Dennoch weiss Stirner durchaus menschliche Emotionen zu schätzen. Im Einzigen schreibt er: "Sehe ich den Geliebten leiden, so leide ich mit, und es lässt mir keine Ruhe, bis ich alles versucht habe, um ihn zu trösten und aufzuheitern; sehe ich ihn froh, so werde auch ich über seine Freude froh. Daraus folgt nicht, dass mir dieselbe Sache Leiden oder Freude verursacht, die in ihm diese Wirkung hervorruft, wie schon jeder körperliche Schmerz beweist, den ich nicht wie er fühle: ihn schmerzt der Zahn; mich schmerzt sein Schmerz. / Weil ich aber die kummervollen Falten auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um meinetwillen, küsse ich sie weg". [30]

Stirner liebt also nicht aus religiöser oder gesellschaftlicher Pflicht, sondern als "Egoist", auf Grund seiner eigenen Neigungen: "weil die Liebe mich glücklich macht, ich liebe, weil mir das Lieben natürlich ist, weil mir`s gefällt" [30a]. Und dafür entscheidet er sich als "Eigner" seiner selbst, frei von biologischen und vor allem gesellschaftlichen Zwängen.

Im Falle der der naturgegebenen Liebe fallen die Bedürfnisse und Interessen des Menschen als "Einziger" mit denen der von ihm geliebten Menschen zusammen: der Widerspruch Altruismus und Egoismus ist "aufgehoben", sie gehen ineinander auf. Mit anderen "Einzigen" oder "Freien" kann er sich in frei gewählten "Vereinigungen" zu bewusst eigennützigen (nicht selbstsüchtigen, wie Gesell vermerkt) Zwecken zusammentun, um seine "egoistischen" Bedürfnisse und Interessen und damit auch die der anderen "Egoisten" zu befriedigen. Diesen "Eigner" grenzt er ab von dem "Exemplar", das in der "Gemeinschaft" durch natürliche Blutsbande (Familie, Sippe, Horde, Stamm etc.) und dem "(Mit-)Glied", das in der "Gesellschaft" (einschliesslich Staat und Kirche) durch Ideologien etc. "gebunden" ist [30b]. Stirner betrachtet den natürlichen "Bund" skeptisch und verabscheut den gesellschaftlichen und staatlichen "Bund". Er nimmt Gesells und Reichs Kritik des faschistoiden Massenmenschens vorweg. Und er ist der radikalste Kritiker jeden Glaubens, jeder Ideologie, jeden Wahndenkens, jeden Mystizismus´, jeden "Sparrens" (Stirner) in den Köpfen der Menschen.

Das ist vielleicht der Grund, weswegen dieser Antifaschist par excellence so verhasst ist bei den Marx-Pfaffen und ihren Schäfchen. Sie wollen sich nicht mit rationaler Argumentation ihren atheistischen Glauben an Marxens teleologisches, wenn nicht gar chiliastisches Weltbild - die Geschichte sei zweckmässig und auf ein Ziel gerichtet: den Kommunismus, ein Endzeitreich der Gückseligen - madig machen lassen. Vielleicht noch nicht einmal den Glauben an Lenins und Stalins "roten Faschismus" (Genosse Rühle).

Eine "antisemitische Wirtschaftstheorie"

Frau Ditfurth behauptet, Gesells "Wirtschaftstheorie" sei eine "rechtsextreme, antisemitische, prokapitalistische" (S. 107). Vielleicht ein bisschen viel auf einmal. Vergessen wir mal das Rechtsextreme. Das Antisemitische reizt zwar das Zwerchfell, weckt aber auch Neugierde: Was soll an dieser und überhaupt an einer Wirtschaftstheorie "antisemitisch" sein? Die geniale Ditfurth weiss es! Den Antisemitismus leitet sie aus Gesells Zins-Kritik ab. Sie schreibt "Geden [der Gesell gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigt] fällt auf das eine oder andere philosemitische Zitat Gesells herein, wenn er ausblendet, dass eine zentrale Forderung, den Kapitalismus von der ´Zinsknechtschaft´ zu befreien, objektiv auf Zustimmung durch die mehrheitlich antisemitische deutsche Gesellschaft zielt. Um antisemitische Einstellungen für seine Theorie zu aktivieren, braucht Gesell selbst keine antisemitische Propaganda zu schreiben" (S. 83).

Aha. Doch woher weiss Frau Ditfurth eigentlich, dass die Forderung nach der Befreiung der Marktwirtschaft (nicht des "Kapitalismus", Frau Ditfurth!) vom Zins auf die Zustimmung der "mehrheitlich" antisemitischen Gesellschaft "zielt"? Woher weiss sie, dass die Gesellschaft "mehrheitlich" antisemitisch ist? Und was heisst hier, Gesell würde "objektiv" darauf zielen? Soll das heissen, das Zielen auf die Antisemiten sei von Gesell subjektiv nicht beabsichtigt?

So argumentiert ihr Genosse Robert Kurz. Er ist besonders schlau: er differenziert. Er wirft Gesell in seiner ausgewalzten Polemik Politische Ökonomie des Antisemitismus - Die Verkleinbürgerlichung der Postmoderne und die Wiederkehr der Geldutopie von Silvio Gesell in der Ost-Berliner Zeitschrift Sklaven zwar keinen "subjektiven", wohl aber einen "objektiven" Antisemitismus vor. Er schreibt: "Keineswegs geht es darum, Silvio Gesell gegen jede historische Wahrheit zum Hitler-Anhänger und Nationalsozialisten zu stempeln. Das Problem lieg auf einer anderen Ebene. ´Politische Ökonomie des Antisemitismus´ meint, dass es einen strukturellen und historischen Zusammenhang zwischen der verkürzten Kritik des zinstragenden Kapitals und dem Antisemitismus gibt. Ideologisch handelt es sich um die beiden Seiten derselben Medaille, wobei der offene Antisemitismus sozusagen die ´Kopfseite´ bildet. Das bedeutet, dass nicht jeder tausch- und verteilungsbornierte Ökonom und Zinskritiker immer offener Antisemit sein muss, dass aber umgekehrt jeder Antisemit stets die ideologisch verkürzte Kritik des zinstragenden Kapitals als ´ökonomisches´ Legitimationsmuster benutzt." [31] - Na, bitte! Da kann man/frau mal sehen: es lässt sich aus einer Wirtschaftstheorie tatsächlich eine antisemitische machen!

Frau Ditfurth ist da weniger zimperlich, sie erspart sich intellektuelle Verrenkungen. Ist halt nicht ihre Art, feine Unterschiede zu machen. Nicht nur Gesells Theorie ist "antisemitisch", auch ihr Theoretiker selbst ist - obwohl er "keine antisemitische Propaganda" betreibt, wie sie (S. 83) kleinlaut zugeben muss - ein "Antisemit": "objektiv" wie "subjektiv". Denn was belegen ihre Formulierungen sonst: "dem antisemitischen Eugeniker Silvio Gesell" (S. 16), "dem "Antisemiten und prokapitalistischen mittelständischen Unternehmer Gesell" (S. 115) und "den Eugeniker und Antisemiten Gesell" (S. 124)?

Warum dieser Hass gegen Gesell? Weil seine Zinsanalyse - identisch mit denjenigen des Anarchisten P. J. Proudhon und des renommierten "bürgerlichen" Ökonomen J. M. Keynes - vielleicht richtig sein könnte und die Marx´sche Mehrwert- und Produktionstheorie dann aus den Angeln heben würde? Nach dieser Zinstheorie wäre, um Wirtschaftskrisen und die Ausbeutung durch den "Profit" zu überwinden, die Vergesellschaftung der (vermehrbaren) Produktionsmittel überflüssig und der Kommunismus zumindest zur Überwindung dieser Probleme nicht notwendig.

Da die Marxpfaffen, die alles Elend dieser Welt aus der "Warenproduktion" ableiten, wegen ihrer ideologischen Befangenheit nicht Willens und daher auch nicht in der Lage sind, Gesells Zinskritik zu verstehen und sachlich zu widerlegen, müssen sie nach anderen, unsachlichen Mitteln greifen, um diese Theorie von der politischen Bühne zu fegen. Was liegt da näherer, als die Forderung nach einer Senkung des Zinses auf durchschnittlich Null mit der Propagandaphrase der Nazis nach der "Brechung der Zinsknechtschaft" in Zusammenhang zu bringen, um bei naiven Gemütern den Eindruck zu erwecken, die Gesellianer seien Faschisten? Da die Nationalsozialisten zudem Antisemiten waren - dieses vor allem auch wegen des Vorwurfs, die Juden seien an den Problemen der kapitalistischen Zins- und Kreditwirtschaft schuld - fällt es ihnen leicht, unbedarfte Menschen ausserdem glauben zu lassen, Gesell und seine Anhänger seien Antisemiten.

Der Holocaust-Beitrag der Demokraten und Kommunisten

Gesell ist - ebenso wie Proudhon und Keynes - nicht nur Zinstheoretiker, sondern auch Monetarist, aber besonderer Art: im Gegensatz zu den prokapitalistischen neoliberalen Monetaristen ein antikapitalistischer. Proudhon, Gesell und Keynes haben die These der klassischen Liberalen - die auch Marx vertritt - widerlegt, das Geld sei lediglich ein "Schleier" über der Produktion. Gesell verlangte die Ablösung der Goldwährung durch eine Papier- und Festwährung und "Durchhaltekosten" (Keynes) für Geld, um die Probleme Inflation und Deflation überwinden zu können. Nicht nur die "Zinsknechtschaft" (das könnte heute, wegen der gigantischen Zinseszins-Akkumulation, auf uns zukommen!), vor allem die Währungspfuscherei ruinierte die Weimarer Republik. Am Ende der Geldentwertung 1923 mussten Arbeiter und Kleinbürger für 1 US-Dollar einen Koffer voll Papier zum Nennwert von 4,2 Billionen Mark hinblättern - eine Totalenteignung ihrer hart und teils lebenslang bei damals geringem Einkommen erarbeiteten Ersparnisse. Die nur sechs Jahre später folgende Deflationskriese brachte bis 1933 sechs Millionen Arbeitslose und stiess Millionen Arbeiter und Gewerbetreibende ins Elend, in den Ruin und in die Arme Hitlers oder in den Selbstmord. Das von allen Parteien von links bis rechts (ausser den Gesellianern, einigen Gewerkschaftlern und den Nazis) ignorierte Währungsproblem trug ganz wesentlich zur Machtübernahme Hitlers [31a] und damit zur Ausrottung der Juden in Europa bei.

Auch wenn Marx mit dem Zins-Problem nichts am Hut hatte, ist bei ihm der Geldzins als solcher dennoch ein Mehrwert-Anteil [32]. Doch nach der Logik von Kurz und Ditfurth darf die Ausbeutung der Menschen durch den Mehrwertanteil Zins nicht angetastet werde, denn das würde dem Antisemitismus Vorschub leistet. Also, Leute, lasst Euch weiterhin ausbeuten. Zahlt kräftig Mehrwert in Form von Zinsen an die Kapitalisten, wie das auch die Arbeiter im "realen Sozialismus" mussten, deren Betriebe von den Kommunisten bei den Banken im kapitalistischen Ausland hoch verschuldet worden waren. Die unersättliche Kapitalistin Susanne Quandt, die bereits 1990 täglich 650.000 Mark an Zinsen kassierte (durch die Zinseszinsakkumulation dürften das heute über 1 Million sein), [32a] wird es Euch danken. Den Zins zu bekämpfen überlassen wir den Antisemiten. Wenn das ein libertärer Sozialist macht, fördert er ebenso den Antisemitismus wie ein Nationalsozialist und ist nach der Logik von Kurz ein "objektiver" Antisemit und nach der von Ditfurth ein "subjektiver" und ausserdem ein Faschist. Absurd? Aber, aber! Wer das nicht versteht, sollte bedenken, dass wir es bei marxistischer Argumentation nicht immer mit Logik, immer aber mit "Dialektik" zu tun haben. Bei der kann sich einer drehen und wenden wie er will, sein Arsch bleibt immer hinten.

Doch bei aller Skurrilität marxistischer Logik können wir getröstet sein, denn die Marxisten befinden sich, wie sie uns immer wieder beteuern, im Besitz der absoluten Wahrheit. Mit ihrer Produktionstheorie und Planwirtschafts-Ideologie lassen sich, wie wir wissen, alle Probleme lösen, da kann nichts schief gehen. Die Reformvorschläge Gesells kann man da getrost als "spiessbürgerliche Geldutopie" (Kurz) abhaken. Ihr fragt vielleicht, liebe Leserinnen und Leser: Was ist, wenn nun doch was dran ist an Gesells Zinstheorie? Wenn sie, vielleicht nicht die alleinige, aber auch eine, vielleicht sogar die gewichtigere Erklärung liefert für Krisen und Ausbeutung als Marxens Überproduktions- und Mehrwerttheorie? Wenn letztere vielleicht gar falsch sind? Muss dann doch auf eine "antisemitische" Theorie zurückgegriffen werden? Nur keine Panik: der Papst kann irren, nicht ein Marxist.

Eine "prokapitalistischen Wirtschaftstheorie"

Als gelernte Marxistin weiss die Genossin Ditfurth, dass Gesells Freiwirtschaftslehre nicht nur "antisemitisch", sondern auch "prokapitalistisch" (S. 17, 107 u. 115) ist. Als stramme Dogmatikerin fehlt ihr die Phantasie, sich vorstellen zu können, dass es noch andere Theorien geben könnte, die zumindest den Anspruch haben, antikapitalistisch zu sein. Und mehr als diesen Anspruch hat jene Lehre, an der unsere (laut Klappentext) "undogmatische Linke" klebt wie eine Fliege am Fliegenfänger, sowieso nicht. Um beweisen zu können, dass eine Wirtschaftstheorie "prokapitalistisch" ist, müsste erst einmal geklärt werden, was Linke, die viel vom Kapitalismus quatschen, meist jedoch nicht wissen: was Kapital eigentlich ist. Hier eine kleine Lektion aus der Sicht der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, wie auch speziell Proudhons, Gesells und Keynes´. (Wem Wirtschaftstheorie zuwider ist, kann dieses und das folgende Kapitel überschlagen, sollte aber nicht über seine Ohnmacht gegenüber Sozialabbau, Arbeits-losigkeit und Wirtschaftswachstum jammern, weil er von Ökonomie nichts versteht.)

Es wird unterschieden zwischen Geld und Sachkapital. Das Sach- oder Realkapital ist ein durch menschliche Arbeit geschaffenes und daher vermehrbares Wirtschaftsgut (Maschinen, Mietshäuser, Biertresen usw.), das eine Rente, ein arbeitsfreies Einkommen auf dem Markt abwirft. Diese Kapitalrente, auch Rendite oder Kapitalzins genannt, erhält der Eigentümer des Kapitals. Den nennen wir einen Kapitalisten.

Das Geld ist einerseits Tauschmittel und Wertmassstab und - wenn Inflation vermieden werden soll - ein nicht beliebig vermehrbares Gut. Das Problem ist, dass es andererseits auch Wertaufbewahrungsmittel ist und als solches die Zirkulation verlässt, wenn es nicht unverzüglich in Investitionen fliesst. Dann wird der Austausch von Gütern und Dienstleistungen unterbrochen und es entstehen Nachfragelücken und Arbeitslosigkeit.

Als Wertaufbewahrungsmittel (Ersparnis) ist es Geldkapital, wenn es dem Sparer eine Rente einbringt: den Geldzins, auch einfach Zins genannt. Den Geldzins zahlt der Kreditnehmer dem Geldbesitzer, wenn er dessen Ersparnis leiht. Der Kreditzins (Bruttozins) setzt sich zusammen aus dem ursprünglichen Zins: der Geldrente (Gesell: "Urzins"), und den Kreditverwaltungskosten, der Risikoprämie und gegebenenfalls dem Inflationsausgleich.

Der ursprüngliche (eigentliche) Zins resultiert nach Proudhon und Gesell aus der Vormachtstellung des Geldes vor den Waren: Vom Boden abgesehen, unterliegen alle Wirtschaftsgüter "Durchhaltekosten" (Keynes), einem "Schwund" (Gesell), das Geld einer festen Währung jedoch nicht. Dann kann es aus der Zirkulation herausgezogen und gehortet werden, ohne dass das Kosten, eben Durchaltekosten für Geldhortung verursacht. Ein wichtiges Motiv, Geld zu horten, ist laut Keynes, um damit zu spekulieren. Dazu eignet es sich deshalb besonders gut, weil man - anders als mit allen anderen Gütern - mit Geld überall und jederzeit alles gekaufen kann, was günstig angeboten wird, also weltweit sein Schnäppchen machen kann. Diesen Liquiditätsvorteil angesammelten Geldes lässt sich sein Eigentümer vergüten, wenn er die "Liquidität" dieser Ersparnis verleiht: mit einer "Liquiditäts(verzichts)prämie" (Keynes). Das ist der ursprüngliche Geldzins: die Geldrente. Dieser "Urzins" (Gesell) macht aus dem Tauschmittel Geld Kapital: Finanzkapital. Den Eigentümer von Finanzkapital nennen wir einen Finanzkapitalisten. Den Kreditzins (Bruttozins) finanziert der Unternehmer aus dem Kapital-Gewinn: dem Kapitalzins. (Marx sub-summiert den Geld- und Kapitalzins unreflektiert unter den Begriff "Profit".)

Im Unterschied zum Sachkapital, ist der Boden (Bodenflächen, Bodenschätze und Naturkräfte) ein nicht-vermehrbares, durch die Natur geschaffenes Wirtschaftsgut, das ebenfalls eine Rente abwirft, die ebenfalls dem Eigentümer, dem Grundrentner, zufliesst: die Grundrente oder der Bodenzins. Der Eigentümer eines schuldenfreien Grundstücks mit Gebäude ist sowohl Grundrentner als auch Kapitalist. Neben dem Geld- und Kapitalzines (Marx: "Profit"), ist die Grundrente (Marx: "Differenzialrente" [33]) der dritte Mehrwert-Anteil.

Der vierte Wirtschaftsfaktor ist die menschliche Arbeitskraft. Im Gegensatz zu den leistungs- und arbeitslosen Renten aus Geld, Kapital und Boden, ist der Lohn der Arbeit ein Arbeits-Ertrag, ein Ertrag aus Leistung. Der Lohn wird unterteilt in Lohn für unselbständige und selbständige Arbeiter. Zu den unselbständigen Arbeitern zählen alle angestellten Arbeiter, nicht nur die Arbeiter und Angestellten ("Lohnarbeiter") im üblichen Sinne, sondern auch die "lohnabhängigen" Unternehmer: die Manager. Die nicht angestellten, "selbständigen" Arbeiter werden "freie" Unternehmer genannt. Beide erhalten den Unternehmerlohn [33a].

Vom Profit (Geld- und Kapitalzins) und der Grundrente (Bodenzins) ist also der Unternehmerlohn, den der Unternehmer und Manager für geleistete Arbeit erhält, zu unterscheiden. Er wird - wie der Lohn seiner Angestellten - durch die Zinsen verkürzt, zum Teil im Produktionsbereich. Einen erheblicheren Teil des Geld-, Kapital- und Bodenzinses zahlen die selbständigen und unselbständigen Arbeiter, die "Produzenten" (Marx), jedoch im Konsumtionsbereicht, weil dort die Preise der Waren mit Zinsen belastet sind, die sie kaufen, etwa mit 30% im Durchschnitt. Im Mietpreis einer nicht preisgebundenen Wohnung macht der (Brutto-)Zinsanteil sogar bis zu 80% aus. Bei einem Mietpreis von 1.000 bis 2.000 Mark ist das ein erheblicher Anteil am Nettolohn, etwa 800 bis 1.600 Mark im Monat [33b].

Sind die Produzenten auch Eigentümer von Kapital, dann sind sie gleichzeitig Kapitalisten; sind sie Eigentümer von Boden, dann gleichzeitig Grundrentner. Sie besitzen dann das Privileg, einen Teil ihrer Lohnkürzungen durch die Zinsen aus den Zinsen ihres Eigentums zurückzuerhalten. Eine eindeutige Zuordnung der einzelnen Menschen zu einer Klasse ist in diesem Falle nicht möglich.

Im Unterschied zu Geld und Boden, lässt sich das Sachkapital beliebig produzieren und vermehren. Das heisst in der Theorie von Proudhon, Gesell und Keynes, dass die Zinsen des Sachkapitals über die Konkurrenz auf dem Markt auf Null fallen könnten, wenn entsprechend viel Kapital dem Markt zur Verfügung gestellt wird. Sie gehen dann in die Löhne der Produzenten (in die Arbeiter- und Unternehmerlöhne) ein beziehungsweise reduzieren die Preise der Produkte um den Kapitalzins. Dazu müssten allerdings die Kreditzinsen gegen Null fallen, damit die Unternehmer investieren können, bis der Zustand der "Vollinvestition" (Keynes) erreicht ist. Vollinvestition heisst, es besteht ein Gleichgewicht zwischen dem Bedürfnis nach Gütern und Dienstleistungen einerseits und Freizeit andererseits. Der Kapitalzins kann jedoch nicht auf Null fallen, weil, wie Keynes sagt, der Geldzins unelastisch ist: er fällt nicht unter die 2,5- bis 3-Prozent-Marke. Das bedeutet, dass in einer Konjunkturphase durch die Vermehrung der Produktionsmittel die elastischen Kapitalzinsen zwar fallen, aber nicht weiterinvestiert wird, wenn der Kapitalzins unter diese unnachgiebige Geldzins-Marke zu fallen droht; das würde dem Unternehmer Verluste einbringen. Es kommt zu volkswirtschaftlicher Stagnation. Die Entwicklung zur Vollinvestition mit noch niedrigeren Renditen wird gestoppt. Das heisst, dass der Kapitalzins langfristig nicht auf Null fallen kann, der "Profit" wird gewissermassen "verewigt". Das ist sehr verkürzt die Theorie der Grenzleistungsfähigkeit des (vermehrbaren Sach-)Kapitals, der Konjunkturkrisen und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, wie sie überein-stimmend von Proudhon, Gesells und Keynes vertreten wird.

In der Zinswirtschaft besteht ausserdem das Problem, dass Zinsgewinne immer wieder gegen Zins angelegt werden. Das führt zu einem exponentiellen Anwachsen der grossen Vermögen und bei geringem oder Null-Wachstum der Volkswirtschaft - weil dann das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend wächst - zu einer Einkommensumverteilung zu Gunsten der Reichen und zu Ungunsten der Armen. Das zwingt zu Wirtschaftswachstum, wenn einerseits die Zinswirtschaft erhalten bleiben und es andererseits nicht zu einer allgemeinen Verelendung breiter Volksschichten kommt soll. Für dieses Doppelziel riskieren die Herrschenden die Ökokatastrophe [33c].

Vollbeschäftigung ohne Wachstum und Mehrwert

Was kann getan werden, damit bis zum Zustand der Vollinvestition, dann aber nicht weiter investiert wird und dennoch Vollbeschäftigung erhalten bleibt? Gesell fordert und Keynes empfiehlt, das Geld mit "Durchhaltekosten" [34] zu belasten: mit einen "Negativzins" für Bar- und gegebenenfalls Buchgeld, um den "positiven" Zins zu kompensieren und den Urzins langfristig und durchschnittlich auf Null zu drücken. Dann wäre - "sagen wir innerhalb von fünfundzwanzig Jahren oder weniger" [34a] - ein "quasistatischer" Zustand erreicht: es gibt kaum noch quantiaives, nur noch qualitatives Wirtschaftswachstum[34b]. Keynes ist also kein "Wachstumsfetischist", wie viele einschliesslich Kurz behaupten. Nichtsdestotrotz herrscht Vollbeschäftigung, und zwar auf niedrigem Arbeitsstundenniveau. Denn die Reallöhne sind hoch, weil der Kapitalzins in die Löhne eingegangen ist. Werfen die vermehrbaren Produktions- und Gebrauchsgüter keinen Kapitalzins mehr ab, dann sind sie entkapitalisiert: kein Kapital mehr, nur noch Ge- und Verbrauchsgüter der Produzenten und Konsumenten: der Arbeiter, Unternehmer, Mieter, Biertrinker und so weiter. Nicht nur der Geldrentner, auch der Kapitalrentner ist eines "sanften Todes" (Keynes[34c]) gestorben, der Kapitalismus überwunden - wenn denn diese Keynes´sche Theorie, die mit der Gesell´schen identisch ist, richtig ist. Für Leute, die Marktwirtschaft mit Kapitalismus verwechseln, ist diese Theorie allerdings schwer verständlich.

Und der Boden? Kapital ist vermehrbar, folglich steigt die Kapitalrente pro Kapitaleinheit nicht ins Unermessliche. Boden ist jedoch nicht vermehrbar, und da mit dem Wachsen der Bevölkerung und des gesellschaftlichen Reichtums die Nachfrage nach der gleichbleibenden Bodenfläche steigt, steigt auch die Grundrente pro Quadratmeter. Sie kann jedoch durch Vergesellschaftung und Verpachtung des Bodens oder mittels einer Bodenwertsteuer abgeschöpft werden [34d]. Gesell wollte den Boden einem "Mutterbund" zueignen, damit die Produzenten die Grundrente, "die wir heute an die Rentner verschenken, ... in unsere Hände [bekommen], um sie unter die Mütter und Kinder zu verteilen, so dass von da an keine Frau aus wirtschaftlichen Gründen den ihr widerwärtigen Mann bei sich noch dulden muss" [34e].

Dieses gewissermassen "proudhonistische" Konzept zur Überwindung des Kapitalismus passt weder der Marxistin Ditfuth noch dem Über-Marxisten Robert Kurz in den Kram, lässt es doch den teuflischen Markt und die "Warenproduktion" ungeschoren. In seinem Sklaven-Artikel schreibt Kurz: "Proudhon bleibt es unbegreiflich, dass diese besondere Macht des Geldes, seine Schlüsselstellung auf dem Markt, kein ´Fehler´ und keine ´Anmasssung´ ist ..., sondern vielmehr überhaupt aus der Notwendigkeit eines warenproduzierenden Systems herrührt, sich durch ein allge-meines équiavalent darzustellen und zu vermitteln" [35]. Eben! Das ist das Problem! Kurz´ Rechtfertigung des Geldzinses ist in seiner Schlichtheit genial und eine fabel-hafte Widerlegung der Proudhon´schen, Gesell´schen und Keynes´schen Zinstheorie. Was spricht jedoch dagegen, die Vormachtstellung des Geldes, wie sie sich "aus der Notwendigkeite eines warenproduzierenden Systems" ergibt, zu kompensieren, um die ausbeuterischen und Krisen verursachenden Zinsen zu senken? Das tut doch - ausser den Finanzkapitalisten - niemanden weh! Es geht um anderes. Es geht Kurz nicht dar-um, den Kapitalismus zu überwinden, sondern den Kommunismus zu verwirklichen. Dann wäre nämlich das verhasste "warenproduzierende System" und die "Anarchie des Marktes" erledigt. Allein darum ging es auch seinem Meister Marx. Wie andere "Meisterdenker", verurteilt Marx die Anarchie des kapitalistischen Marktes, aber "nicht weil sie kapitalistisch wäre", vermutet Andre´ Glucksmann, "sondern weil sie eine Anarchie ist" [35a].

Wenn Gesell die Befreiung der Marktwirtschaft vom Geld- und Kapitalzins - das heisst: vom "Profit" (Marx)! - fordert, ist er dann "prokapitalistisch", wie Ditfurth behauptet? Sein Unterschied zu Marxens vorgeblichem Antikapitalismus besteht in einer anderen Kapitalanalyse und daher auch in einer anderen Methode, den Kapitalismus zu überwinden. Es ist keine vom "wissenschaftlichen Sozialismus" geforderte wissenschaftliche Leistung Ditfurths, Gesell als prokapitalistisch zu definieren. Zumindest hat er den Anspruch, die Produktions- und Konsumtionsgüter (z.B. Wohnungen) zu entkapitalisieren, ist also zu mindest subjektiv ein Antikapitalist. Ob er jedoch objektiv kein Antikapitalist ist, seine Theorie also falsch, gar "prokapitalistisch" ist, muss Ditfurth erst beweisen. Und die Praxis, die - von einigen kleinen, aber gelungenen Schwundgeld-Experiment abgesehen [35b] - im grossen Rahmen noch aussteht.

Von Marx wissen wir es. Er ist lediglich subjektiv Antikapitalist. Seine Kapitalanalyse und sein produktionstheoretischer Ansatz zur Überwindung des Kapitalismus wurden nicht nur theoretisch, sie sind auch durch die Praxis seiner Anhänger objektiv widerlegt worden. Wie kann eine Theorie gründlicher widerlegt werden, als durch die Praxis?

Bereits in den 10-er Jahren hatte der Marxist Hilferding in seinem Buch Das Finanzkapital aufgezeigt, dass Ausbeutung und Krisen auch durch das Geldkapital verursacht werden. Doch anders als Gesell, konzentrierte er seine Analyse auf die Banken und vernachlässigte die Probleme, die sich aus der Natur des Geldes selbst ergeben. Aber immerhin bemühte er sich um eine Weiterentwicklung der Marx´schen Wirtschaftstheorie durch die Einbeziehung des Kreditwesens und der Macht der Banken. Die vorgeblich aus der "undogmatischen Linken" der 70-er Jahre kommende Ditfurth hält jedoch an einem mehr als 100 Jahre alten Dogma der marxistischen Wirtschaftstheorie unverrückbar fest, das besagt, dass Ausbeutung und Krisen durch den Markt und die Produktionsverhältnisse verursacht werden, während das Geld nur wie ein "Schleier" über der Produktion liegt. Aus dieser konservativen Position heraus wirft sie auch Kurz vor, er sähe "gern riesige Mengen spekulativen Finanzkapitals um die Welt wandern" (S 81). Wie Frau Ditfurth, ignoriert jedoch auch Kurz das Zinsproblem [36], Frau Ditfurth ausserdem das in Banken organisierte Finanzkapital. Sie ist über die zwei Jahrhunderte alte Geldschleier-Ideologie der Klassiker nicht hinausgekommen.

Das "Knochengeld", die Neoliberalen, Boockchin und Bloch

Weil Ditfurth nichts von Zins und Kapital versteht, kann sie auch behaupten, dass bei der Künstlerveranstaltung mit dem "Knochengeld" am Prenzlauer Berg in Berlin 1993 "weder Produktionsbedingungen noch Profit ... auch nur andeutungsweise in Frage gestellt" (S. 107) wurden. Genau dieser "Profit", der sich nach Marx aus dem Geld- und Kapitalzins zusammensetzt [32], wird mit Gesells "Knochengeld" - also letztendlich auch mit der Knochengeld-Aktion am Prenzberg - in Frage gestellt. Lediglich die unmenschlichen Produktionsverhältnisse bleiben bei Gesell unerwähnt, weil sie nach seiner Theorie im Wesentlichen eine Folgeerscheinung der Zinswirtschaft sind.

Frau Ditfurth behauptet desweiteren: "Das praktisch brauchbare an der Gesell´schen Lehre haben neoliberale Kapitalismustheoretiker längst abgeschrieben" (S. 115 f.). Das einzige, was sie "abgeschrieben" haben, ist Gesells Einsicht, dass das Geld eben kein "Schleier" ist, der über den Produktionsverhältnissen wabert, wie noch die Klassiker einschliesslich Marx glaubten. Desweiteren waren die Klassiker einschliesslich Marx der Ansicht, der Geldzins habe keine Bedeutung für die Konjunkturkrisen und die Entstehung des "Profits". Immerhin geben die Neoklassiker beziehungsweise Neoliberalen zu, dass - in Annäherung an die Lehren von Proudhon, Gesell und Keynes - der Geldzins von gewisser Bedeutung ist für Konjunktur und Beschäftigung; das ignorieren die Marxisten jedoch immer noch. Die Neoliberalen möchten allerdings lieber die Löhne kürzen, statt die Zinsen senken, während die Marxisten höhere Löhne fordern, aber ebenfalls, ohne den heiligen Zins anzutasten; beides funktioniert nicht. Wie die Marxisten ignorieren auch die Neoliberalen immer noch den Geldzins als Ausbeutungsfaktor. Und anders als ihre Altvorderen, die Klassiker, ignorieren die Neoliberalen ausserdem die Grundrente als parasitäres Einkommen. Das wirklich "brauchbare", worauf es den Nicht-Klassikern Proudhon, Gesell und Keynes ankommt und was noch zu tun übrigbleibt, ist die Überwindung des positiven Geldzinses und die Umverteilung der Grundrente. Als dogmatische Marxistin kann Ditfurth das nicht registrieren und auseinanderhalten. Daher kann sie auch nicht begreifen, wie eng die marxistische und die neoliberale Zinsideologie miteinander verkleister sind. Deshalb nennt Keynes Marx einen "Klassiker".

Ditfurth zitiert den US-amerikanischen Anarchisten Boockchin, dass "unsere ökologischen Probleme ihre Wurzel in der Gesellschaft und in sozialen Problemen haben" (S. 132). Auch hier werden wichtige Zusammenhänge nicht begriffen. Die Ökologieprobleme haben im Wesentlichen mit ökonomischen Problemen zu tun, insbesondere mit den Zinseszins bedingten Wachstumszwängen. Auch das haben nicht die Neoliberalen, die trotz Ökokrise immer noch Wirtschaftswachstum, oder die Marxisten, die trotz realsozialistischer Pleite immer noch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die "Planwirtschaft" fordern, aufgezeigt, sondern die liberalsozialen und libertären Gesellianer, insbesondere Helmut Creutz in Das Geldsyndrom.

Proudhon und Gesell versprachen nicht das Paradies auf Erden, schon gar nicht die Lösung unserer heutigen Umweltprobleme. Lediglich Vollbeschäftigung und den "vollen Arbeitsertrag" - zwei alte und heute wieder aktuelle sozialistische Forderungen. Ganz klar, dass das den anspruchsvollen Kommunisten nicht reicht. Für Ernst Bloch z. B. ist Gesells Freiwirtschaft ein "zwerghaft-komisches Gebilde", das sich zudem noch "an den bedenklichsten Utopisten anschliesst, an Proudhon" [37]. Der - natürlich unbedenkliche - Utopist Bloch hat vollkommen recht: Proudhon ist es wert, bedacht zu werden. Er ist nicht nur der Vorläufer der antikapitalistischen Lehren Gesells und Keynes´, sondern auch ein aktueller Theoretiker eines modernen libertären Föderalismus [21]. Und gemessen an der gigantischen Utopie des Propheten Marx, wirkt der bescheidene sozialökonomische Anspruch des "mittelständischen Unternehmers" Gesell (wenn wir einmal von seinem Traum vom "Neuen Menschen" absehen, den er mit dem "Mutterbund" erschaffen wollte) in der Tat mickrig, führt aber nicht in den ganz und gar nicht "zwerghaft-komischen" Gulag. Eine krisenfreie Wirtschaft ohne Ausbeutung und quantitatives Wachstum sind immerhin die Basis für die Entwicklung und Befriedigung höherer Bedürfnisse. Das hat die fast ununterbrochene Vollbeschäftigungsperiode der 50-er und 60-er Jahre gezeigt. Sie war die Voraussetzung für eine nicht zu verachtende "Kulturevolution" in den 60-er Jahren. Bleiben wir also auf dem Teppich, vielleicht erreichen wir dann mehr.

Eine famose Alternative zur Freiwirtschaft

Bis heute ist es Ditfurth, Kurz und anderen Schlaubergern nicht gelungen zu widerlegen, dass die Freiwirtschaftslehre den bescheidenen tausch-sozialistischen Ansprüchen Proudhons, Gesells und Keynes´ nicht genügt. Aber das brauchen sie auch gar nicht, können sie dieser "spiessbürgerlichen Geldutopie" (Kurz) doch ihre famose Utopie des "Kommunismus" entgegenhalten. Sie glauben an den kommunistischen Traum wie andere an den amerikanischen, der ebenfalls immer einer bleiben wird. Sie können nicht einmal genau bestimmen, wie ihr Traum mit der "Aufhebung" des Privateigentums an den Produktionsmitteln und des "warenproduzierenden Systems" (Kurz) Wirklichkeit werden soll [38], ohne im gehabten Fiasko zu verenden. Genosse Kurz, der Marx links überholen will, "peilt" (im 3. Teil seiner Sklaven-Arbeit) "über den Daumen" an, wo es langgehen "könnte": "es gilt, den etatistischen (staatsutopisch verkürzten) Marxismus mit der anarchistischen Radikalkritik des Staates anzureichern und umgekehrt den warenförmig-individualistischen (geldutopisch verkürzten) Anarchismus mit der Marxschen Radikalkritik der fetischistischen Warenform." Es sei jedoch "eine gesellschaftliche Transformation über das unhaltbar werdende Markt-Staat-Syndrom der totalen Warenform hinaus nur als eine Vielfalt von Ansätzen von ganz verschiedenen Ebenen denkbar: in der unmittelbaren Reichweite etwa neue nichtmarktvermittelte Formen genossenschaftlicher Produktion und selbstverwalteter Dienste; in der mittelbaren Reichweite der zentralen Industriesektoren die Entwicklung einer nichtetatistischen neuen Planungsdebatte (etwa mit Hilfe kybernetischer und ´chaostheoretischer´ Modelle) jenseits von Nationalstaat und Nationalökonomie. Wesentlich dabei wäre, das Vergesellschaftungs- und Produktionskraftniveau der Moderne nicht einfach fahrenzulassen, sondern vielmehr seine Potenz und Erscheinungsformen nach sinnlichen und ästhetischen nicht-warenförmigen Kriterien auszusortieren. All dies liegt freilich schon jenseits einer Auseinandersetzung mit der Gesellianischen schwachen Geldutopie." - Das war´s? Das war´s.

Dass dieser wie der Morgenschiss regelmässig wiederkehrende Traum von der "Aufhebung" der "Warenproduktion" (Kurz), der nichts anderes ist als der "schwache" Aufguss eines Alptraums, bemerkenswerterweise vor allem von West-Linken geträumt wird, hat wohl damit zu tun, dass diese Traumtänzer nie den Versuch seiner Realisierung am eigenen Leib verspürt haben. (Das Sein bestimmt halt das Bewustsein.) Da sie jedoch nichts anderes als die aufgewärmten marxistischen Phrasen, die kaum noch jemand ernst nimmt, gegen Gesells "Irrlehre" vorzubringen haben, bleibt diesen Marx-Apologeten, so lange ihnen Maos "Gewehrläufe" fehlen, nichts anderes übrig, als mit Verbalinjurien aus allen Rohren gegen die gut gepanzerten Reformvorschläge Gesells zu ballern. Noch gezielter als Ditfurths Stosstrupp feuert Kurz seine Dumdumgeschosse daneben. Er spricht von der "sozialbastlerischen Heimwerker-Mentalität" der "alternativen Ökonomieklempner" und einem "Patentrezept" (´ne kleine Steigerung: "famoses Patentrezept"), von einer "skurrilen Weltverbesserungs-Sekte" mit dem "Heiligtum der Gesellianischen Geldspiesser" und ihrem "Apostel" (gemeint ist wohl Gesell, der Arme), von einer "Spiessbürger-Utopie" mit dem "bornierten Gesichtspunkt" der "Arbeits-, Waren- und Geldspiesser", die "schnell noch ein paar ökologische Gesichtspunkte in ihre arbeits- und warenselige Spiesserutopie hineinjubeln wollen". So allein im 1. Teil seines Sklaven-Pamphlets. Das steigert sich dann im 2. Teil zu herzigen Sprüchen an die Adresse der "neomittelständischen Halsbabschneider" und des "geldgierigen Konsumidioten und marktschreierischen Rosstäuschers, der sich für einen ´tüchtigen Produzenten´ hält", diesen "behäbig grunzenden fetten Metzgermeister, der noch gemütlich samstags im Wurstkessel badet" und "sich an der ´ehrlichen Arbeit´ in seiner jämmerlichen Klitsche für eine ´ehrliche Mark´ und für ´gutes Geld´ festklammert" (wie Marxisten an Charly). Wie sagte doch ein vielzitierter Geheimrat? "Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt" (Goethe: Tasso [39]).

Die "inhaltliche" Diskussion der roten Kader

Die "undogmatische Linke" Ditfurth fordert von anderen, was sie und ihre Genossen selbst nicht leisten: "inhaltliche" (S. 113) Diskussion. Sie beschwert sich, dass im West-Berliner A-Kurier ein "tatsachenfreier" Beitrag aus dem telegraph 5 / 1993 (Ex-DDR-Untergrundblatt aus der Ost-Berliner Umweltbibliothek) zur "Gaspistolenaffäre" im El Locco anlässlich des Gesell-Vortrags von Bierl nachgedruckt worden sei, "in dem mit keinem einzigen Wort auf Peter Bierls inhaltliche Kritik an Gesell eingegangen worden ist" (S. 113). Wo zu auch, war dazu doch Gelegenheit anlässlich dieser Veranstaltung unter Beteiligung eines guten Gesell-Kenners. Zwei DIN-A-4-Seiten Notizen hatte ich mir zu Bierls unqualifizierten Absonderungen gemacht. Doch Bierl hat gekniffen. Er diskutiert nicht mit "Rassisten" und "Faschisten".

Frau Ditfurth meint, mit Gesell könne "mensch sich auch auseinandersetzen, ohne dass AnhängerInnen der Gesellschen Ideologie ein Forum geboten wird" (S. 105). Wie das, wenn - ausser einigen Gesellianern - niemand da ist, der fundierte Kenntnisse über Gesell und die Freiwirtschaftslehre hat, wie die vielen dümmlichen Hetzartikeln gegen Gesell und seine Lehre beweisen? Was ist sachlich gegen eine Selbstdarstellung der Gesellianer einzuwenden? Und wieso "Forum" für Gesellianer, wenn doch Ditfurth und ihre Paladine mit allem Recht haben und daher auf solchen Foren die beste Gelegenheit hätten, das vor vielen Menschen zu beweisen? Weil ihnen die Argumente fehlen? Weil im relativ liberalen Rechtsstaat keine Schauprozesse veranstaltet werden können? Wie kommen denn die von Marxisten beschworenen dialektischen Prozesse - These, Antithese, Synthese - anders zustande als durch Argumente und Gegenargumente? Erich Mühsam und Rudolf Rocker hatten jedenfalls keinen Schiss, sich 1930 in zwei öffentlichen Diskussionen in Berlin dem Nationalsozialisten Otto Strasser zu stellen. Und auch Strasser fürchtete sich nicht vor den sicherlich guten Argumenten dieser Anarchisten [40]. Bierl, Ditfurth und Genossen sind eben keine Dialektiker, sie sind Propagandisten, und das von der primitivsten Sorte.

Und sie sind geil auf Macht. Sie wollen alles unter ihre Fuchtel bringen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht, wie die El-Locco-Veranstaltung in Berlin gezeigt hat. Bolschewistischer Tradition folgend, gestehen sie ihren Angeklagen noch nicht einmal das zu, was die "bürgerliche Klassenjustiz" gemeinhin zuzulassen gezwungen ist: dass sich auch der schlimmste Angeklagte selbst oder über seinen Verteidiger vor den Anklägern und in aller Öffentlichkeit zu den ihm vorgeworfenen "Schandtaten" äussern kann und nicht, wie es Bierl und seine Mannen diktierten und auch der NS-Richter Freisler und die Bolschewisten in ihren Schauprozessen praktiziert haben: vor einem ausgewählten Kreis. Bierls Spezialität: nicht vor seinem Kreis und nicht vor ihm, dem Ankläger! Vielleicht befürchten Bierl und Ditfurth, dass sie unter freien und fairen Diskussionsbedingungen mangels Fakten und Argumenten ihre Klientel nicht mehr indoktrinieren können. Statt dessen zog Bierl im El Locco in der richtigen Einschätzung, durch ihre seit mehr als einem Jahrzehnt betriebenen Hetzkampagne gegen Gesellianer bereits genügend Linke eingefangen zu haben, eine "demokratische" Abstimmung durch. Sein Vorschlag: die Diskussionsteilnehmer teilen sich in eine Bierl- und eine Schmitt-Gruppe. So wurde die Zuhörerschaft gespalten und Bierls Jünger vor dem schlechten Einfluss des "Rassisten" und "Antisemiten" Klaus Schmitt geschützt. Doch Schmitt besass die Unverschämtheit darauf zu bestehen, allen von Bierl falsch informierten Teilnehmern Rede und Antwort zu stehen. Mit Gewalt daran gehindert, "zückte" er die Gaspistole! Schrecklich. Aber immerhin hat er das erreicht, was er dann wenigstens erreichen wollte: allgemeine Aufmerksamkeit und Diskussion in linken Kreisen über die Methoden dieser rot gefärbten Nazis.

Ähnliche Methoden wie Bierl hatten bereits die allein seligmachenden Marxisten-Leninisten in den Räten der jungen Sowjetunion mit Erfolg praktiziert: Gegner wurden per Abstimmung, zu der notfalls Mehrheiten herangekarrt wurden, "demokratisch" ausgeschaltet; wenn das nicht half, durch den Terror der Tscheka. Wir 68-er haben den volksherrschaftlichen Mehrheits-Quatsch verachtet, und Minderheiten konnten ungehindert reden - ihre Argumente zählten. Das war jedoch vorbei, als Anfang der 70-er Jahre, etwa zu der Zeit, als (laut Text auf dem Einband ihres Buches und S. 100) auch Ditfurth in der linken Szene auftauchte, die autoritären marxistisch-leninistischen, stalinistischen und maoistischen Parteisekten aus den Ritzen des "Schweinesystems" krochen [40a]. Damals ging´s los mit dem, was normalerweise im Abfalleimer verschwindet: mit jener Nachgeburt der Studenten- und Jugendrevolte der 60-er Jahre, zu der offenbar auch Jutta Ditfurth gehört. Ist schon was drann, wenn Wau Holland vom Chaos Computer Club in Hamburg meint: "Platthirne wie Jutta & Co. sind das stinkende Aas der linken Geschichte" [41].

Mit geradezu rührender Naivität und bezeichnendem Vokabular versucht die besorgte Mamma Platthirn ihren Junggenossen ein Diskussionsverbot mit Gesellianern zu erteilen: Klaus Schmitt habe "im Infoladen Bambule ungestört Propaganda ... machen dürfen" (S. 75). Er hat "dürfen"! Die Anarchos, die mich einladen wollen, müssen wohl erst im Politbüro der Kommisarin Ditfurth um Genehmigung ersuchen. Zumindest hätte doch "gestört" werden müssen, Gewalt nicht ausgeschlossen, wie von ihrem Knappen Manfred Zieran 1997 auf dem Benno-Ohnesorg-Kongress in der TU Berlin praktiziert [41a]. Alles nach dem Motto: Wer reden darf, bestimme ich. Da können sich die GenossInnen doch ein Beispiel nehmen an den Rollkommandos der SA. Und "Propaganda"! Ein anderer Begriff für Vermittlung von Informationen und Theorien fällt dieser Miniaturbolschewikin wohl nicht ein.

Die radikale antiautoritäre Linke, obwohl auch eine "hedonistische", hat in den 60-er Jahren grossen Wert auf Rationalität und Wahrhaftigkeit gelegt und alles "hinterfragt" und "durchdiskutiert", ohne Berührungsängste gegenüber Inhalten und Personen. Doch offenbar sind Linksextremisten - vielleicht, weil sie eben nicht radikal sind: keine Menschen, die den Problemen an die Wurzel gehen - ebenso unfähig, sich inhaltlich mit ihren Gegnern auseinanderzusetzen wie Rechtsextremisten. Diese Taktik der Rede- und Diskussionsverbote ist (um es mal im Stalinistenjargon zu sagen) "schädlich". Wir 68-er haben mit Vergnügen unsere Gegner vorgeführt! Und das ist nützlich, wie der linksliberale Journalist Erich Kuby gezeigt hat. Mitte der 60-er Jahre zog er - ohne Berührungsängste gegenüber "Faschisten" - gemeinsam mit dem damaligen NPD-Häuptling Adolf v. Thadden durch die westdeutschen Universitäten. In Streitgesprächen versuchten die Beiden ihre studentischen Hörer von ihrer jeweiligen Position zu überzeugen. Ich habe mit Erstaunen erlebt, wie im gut besetzten Audimax der Technischen Universität in Berlin anfänglich v. Thadden sehr viel Beifall erhielt, dass sich das Blatt jedoch bald wendete. Am Schluss der Veranstaltung galt der Beifall nur noch Kuby. Dank der besseren Argumente und nicht des Gebrülls einer rot-braunen Primatenhorde.

Sicherlich, es gibt Menschen, die haben kein Interesse an Diskussionen, Priviligierte wie z. B. Grossgrundbesitzer in Asien und Lateinamerika. Sie verstehen in der Tat nur die Sprache, die sie selber sprechen: die der Gewalt. Das ist jedoch auch die Sprache linker Extremisten, wenn sie nichts zu sagen haben. So z. B., wenn Ditfurths Spezi Bierl, in Ermangelung von Fakten und Argumenten, seinen Genossen eine Diskussion mit der Faust empfiehlt. Er beklagt sich in der von seiner Genossin Ditfurth herausgegebenen ÖkoLinX (Jan./Febr. 1994), dass "niemand ihm [Klaus Schmitt] für seine rassistischen Positionen aufs Maul haut". Ja, warum eigentlich nicht? Vielleicht, weil er keine rassistischen Positionen hat?

"Aufs Maul hauen"! So grölen sie, wenn die Argumente fehlen, die Fanatiker der SA, des Islams, der Inquisition und die Kohorten Ditfurths. "Vergast sie, es sind Artfremde!", "Steinigt sie, es sind Gottlose!", "Verbrennt sie, es sind Hexen!", "Erschiesst sie, es sind Faschisten, Rassisten, Konterrevolutionäre und Volksfeinde!" Wo und wann haben diese Herrschaften von mir auch nur einen einzigen rassistischen oder antisemitsichen Spruch gelesen oder auch nur gehört [41b]? Wie den Rassisten und Antisemiten fehlen auch Ditfurth, Bierl und Konsorten die Beweise für ihre Vorwürfe. Aber die brauchen sie auch nicht, geht es doch um Grösseres als um intellektuelle Redlichkeit: es geht um die "Befreiung" der Menschheit durch den Kommunismus. Da ist jedes Mittel recht, auch Lüge, Verleumdung, Zensur und Meinungsterror, gege-benenfalls auch physische Gewalt. Das muss man/frau doch einsehen! Auch Rosa Luxemburg, von wegen: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden."

Im letzten Satz seiner Verratenen Revolution heisst es bei Leo Trotzki: "Trieb-feder des Fortschritts ist die Wahrheit, nicht die Lüge." Und was ist die "Wahrheit"? Der Marxismus! Alles andere ist "Lüge", und die darf bekämpft werden. Um des "Fortschritts" Willen mit allen Mitteln. Auch mit den Mitteln der Lüge und Gewalt. Das ist die Dialektik "roter Faschisten".

Die Gutmenschen und die Bösewichtel

Frau Ditfurth sammelt Rassisten und Faschisten wie andere Briefmarken oder Bierdeckel. Im 5. Kapital ihres genialen Werkes führt Sauberfrau eine kleine Auswahl dieser und ähnlich ruchloser Kreaturen vor: "Ob Franz Alt, Günter Bartsch, Max Otto Bruker, Peter Caddy, Fritjof Capra, Bill Davall, Dave Foreman, Margrit Kennedey [Geld ohne Zinsen und Inflation], Gottfried Müller, Silvio Gesell, Jan Ringenwald, Barbara Rütting, Peter Singer, Klaus Schmitt [ich fühle mich geschmeichelt!], David Spanger, George Sessions, George Trevelyan oder der Dalai Lama [Mann! zu diesem illustren Kreis gehöre ich?]: darin sind sie sich alle einig, in der einen oder anderen Form sind Menschen oder ein Teil von ihnen) das Krebsgeschwür der lebendigen ´Gaia´" (S. 123). (Etwa nicht die grössten Kahlfresser auf diesem kleinen Planeten?)

In ihrem letzten Kapitel kommen noch einige verstockte Frevler am Heiligen Geist des Marxismus-Leninismus hinzu: Bernd Kramer, Bernhard Heldt, Georg Otto und wieder einmal (welch ein Kreuz!) Helmut Creutz (S. 179). Als der erfolgreichste Autor und Referent (Creutz: "mehr als 500 Vortragsveranstaltungen") zur Zinsproblematik wird Creutz als "einer der penetrantesten Gesell-Jubler" (S. 100) besonders intensiv gehasst. In seinem bereits mehrfach wiederaufgelegten 463-Seiten-Buch Das Geldsyndrom taucht der Name Gesell allerdings nur viermal auf, genausooft wie der von Marx und nur halb so oft wie der von Keynes. Da sich zudem aus keinem einzigen Satz seiner vielen Bücher, Aufsätze und Vorträge ein "rechter" Strick drehen lässt, wird das dazu notwendige Material aus dem Nichts gezaubert, toleriert doch die liberale "Klassenjustiz" den Schöpfungsakt dieser Seilerhandwerker als "freie Mei-nungsäusserung". So kann Ditfurth unbehelligt behauptet, Creutz sei "Mitglied der [in Hamburg einst tatsächlich ziemlich] rechtsextremen FSU" (S. 100) gewesen. Ein gewisser Robert Nappert behauptet, er hätte dort seine "politische Karriere" gemacht. Ein Johannes Weigel befördert ihn sogar zu einem Funktionäre der Freisozialen Union. Und wie sie "recherchieren", diese "Antifaschisten"! Einer schreibt vom anderen ab, Nappert z. B. von Bierl und Ditfurth [41c]. Tatsache ist, dass Helmut Creutz allenfalls vorgeworfen werden kann, dass er Mitbegründer der Alternativen Liste und der GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen war.

Weigel kann sogar hellsehen! Obwohl er nach eigenen Aussagen nie einen Vortrag von Creutz gehört hat, weiss er in einem Flugblatt - unter Missbrauch des Asta-Namens der Uni Hannover - zu berichten, dass von Creutz Inhalte "voller Sozialdarwinismus, Eugenik, Biologismus und patriarchalischer Herrschaftssicherung verkauft" werden. Jeder, der seine Schriften kennt, weiss, dass er fast ausschliesslich über die sozialökonomische Nachkriegsentwicklung berichtet. Lediglich seine Bücher Gehen oder kaputtgehen. Ein Betriebstagebuch, herausgegeben vom Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und von der IG-Metall an ihre Betriebsobleute verteilt, und Haken krümmt man beizeiten. Schultagebuch eines Vaters, mit einem Vorwort von Hans A. Pestalozzi, behandeln andere Themen, letzteres kritisch die repressive Erziehung in Familie und Schule.

Mit Creutz etc. ist die Liste der Gulag-Anwärter keineswegs vollständig. Neben Ernest Bornemann (Das Patriarchat) und vielen weiteren Bösewichtern ist auch mehrfach Otto Strasser (der von Glück sagen kann, dass er nicht mehr lebt) registriert. Verweilen wir eine Augenblick bei bei diesem Dissidenten der NSDAP (oder soll ich sagen: Renegaten des Hitlerschen National-Sozialismus?). Ditfurth schreibt, ich hätte aus den bereits erwähnten gemeinsamen Veranstaltungen der Anarchisten Rudolf Rocker und Erich Mühsam mit dem Ex-NSDAP-Mitglied Otto Strasser [40] eine "inhaltliche Übereinstimmung" (S. 109) der Anarchisten mit Strasser behauptet. Oh Mann, oh Mann, hier verdreht Frau Ditfurth schon wieder den Tatbestand! Was Rocker und Mühsam von diesem Nationalrevolutionär trennt, habe ich in der Contraste vom Mai ´93 so formuliert: "Die Anarchos sind Kosmopoliten, die ´nationalen Sozialisten´ Nationalisten; die einen gegen, die anderen für den Staat; die einen antiautoritär und föderalistisch, die anderen autoritär und zentralistisch." Das Autoritäre, Zentralistische und Staatsbejahende haben nicht die Anarchisten, sondern die Marxis-ten mit den Nationalsozialisten gemeinsam. Haben das die "Antifas" (übrigens ein stalinistischer Begriff!) um Ditfurth nun endlich kapiert? Wohl kaum.

Und sie werden auch kaum kapieren, dass ich auch wirtschaftstheoretisch nichts mit den Gebrüdern Strasser gemein habe, wie mir anderswo unterstellt wird, wohl aber die Marxisten. Oder ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel kein klassisch linkes Ziel und die Verstaatlichung der Produktionsmittel keine typisch marxistische Praxis? Sollen wir die Forderung nach der "Nationalisierung" des gesamten Bodens als antimarxistisch bezeichnen? Und wo ist die Forderung einzuordnen, sämtliche "Erwerbsgesellschaften" mit 20 und mehr "Arbeitnehmern" in Aktiengesellschaften umzwandeln und 49% der Aktien der "nicht lebenswichtigen" und 51% der "lebenswichtigen Gesellschaften" dem "Reich" (30%), der "Belegschaft" (10%), den "Landschaften" (5 bzw. 6%) und den "Gemeinden" (4 bzw. 5%) zuzueignen [42]? Diese 1925 von den Gebrüdern Strasser aufgestellten Programmpunkte hätten gravie-rende Eingriffsmöglichkeiten des Staates, aber auch Mitbestimmung der Arbeiter (mehr, als im "realen Sozialismus" realisiert war), und Länder und Gemeinden in den Unternehmen und eine Beteiligung an den Kapitalrenditen (die im "realen Sozialis-mus" gar nicht erst erwirtschaftet worden sind) bedeutet. Kein linkes Programm?

Dieses von dem antisozialistischen Hitler verworfene Strasser-Programm ist jedoch kein freiwirtschaftliches. Bei den Strassers wird die Nationalisierung des gesamten Grund und Bodens gefordert, bei Gesell hingegen die Zueignung des Bodens an einen "Mutterbund". Die Gesellianer lehnen eine Verstaatlichung der Produk-tionsmittel ab; sie bevorzugen privates Eigentum an den Wirtschaftsgütern und akzeptieren dezentrales genossenschaftliches und kommunistisches Gemeineigentum auf der Basis freier Vereinbarungen - ihnen geht es vorrangig um die Entkapitalisierung allen Kapitals. Nur der Markt soll bei Otto und Gregor Strasser - wie auch bei den Gesellianern - ungeschoren blieben. Das verleiht ihrem zwar wenig realistischen, auf die Produktionssphäre fixierten Programm - aber anders als dem "realsozialistischen" - immerhin eine gewisse Realitätsbezogenheit, da der Wettbewerb erhalten bleibt. Doch wie bei den Marxisten, wird auch bei den Gebrüdern Strasser das Geldproblem übergangen. Damit hat sich der von Hitler bevorzugte Nazi Gottfried Feder beschäftigt, wenn auch höchst unzureichend, wie der Gesellianer Uhlemayr bereits 1923 aufgezeigt hatte [43]. Auch die unzureichende Geldanalyse von Marx [44] hebt sich nicht sehr viel positiver von dem primitiven Geldverständnis Feders ab (den Hitler, an die Macht gekommen, flugs zu Gunsten Hjalmar Schachts fallen liess). Gerade die Geldtheorie trennt die freiwirtschaftliche ebenso von der marxistischen wie von der nationalsozialistischen. Wenn es nach der verqueren Gleichsetzungslogik Ditfurths geht, müsste auf Grund gewisser ökonomischer Gemeinsamkeiten zwischen Marx und den Gebrüdern Strasser nicht Gesell, sondern Marx ein Faschist sein.

Über eines, das Otto Strasser von Marx und vielen marxistischen Intellektuellen trennt, berichtet Wilhelm Reich: dass Strasser (den er einen "klugen, ehrlich gesinnten ... Revolutionär" nennt) in Diskussionen mit Marxisten diese wegen ihrer Unkenntnis der menschlichen Psyche kritisierte. Sie würden den Menschen lediglich als ein rationales Wesen betrachten, das man nüchtern und sachlich aufklären könne, und "Seele und Geist" leugnen. Sie versäumten es daher, in ihre politische Praxis die "soziale Wirkung des Mystizismus" auf die Massen mit einzubeziehen [45].

Dieses Versäumnis kann man Frau Ditfurth kaum vorwerfen. Obwohl sie andere des Mystizismus und Irrationalismus bezichtigt (S. 131 f.), spielt sie selbst auf der Klaviatur menschlicher Irrationalität, wenn sie - was bei jungen, unerfahrenen Menschen emotional gut ankommt - mit ihrer vorgeblichen Autorität als gestandene Antifaschistin ihre politischen Gegner als Faschisten und Rassisten verteufelt. Sie geht damit über das hinaus, was Strasser an Irrationalität fordert: sie bewegt sich auf der Ebene von Goebbels und Streicher: sie verhält sich im Sinne Reichs wie eine "faschistoide" Demagogin. Psychologisch bemerkenswert aber auch, wen und wie viele Menschen Ditfurth als "Faschisten", "Öko-Faschisten", "Rassisten" und "Antisemiten" bezeichnet. In der Psychoanalyse kennt man die Begriffe Projektion und Paranoia. Der erste Begriff bedeutet das Hinausverlegen psychischer Innenvorgänge - zum Beispiel faschistoider im eigenen Kopf - in die Aussenwelt und andere Menschen; der zweite bedeutet das Vorhandensein von querolatorischen Neigungen, Sektierertum, fixen Ideen und Wahnvorstellungen, die in Verfolgungswahn ausarten können. - Frau Ditfurth paranoid?

Wer sind nun die Guten? Die finden wir in Ditfurths 4. Kapitel: die "linken Grünen, MarxistInnen, MarxistInnen-LeninistInnen, AnarchistInnen, Antiautoritäre usw." (S. 100). Ein feiner Haufen. Hier liegt der Hund begraben, der linke! Mal abgesehen davon, dass manche intelligente Marxisten behaupten, dass schon Marx und Lenin nicht viel miteinander gemein haben, wie passen dann eigentlich LeninistInnen und AnarchistInnen zusammen? Wie Feuer und Wasser. War es doch Lenin, der die ukra-inische Bauern-Rätebewegung des Anarchististen Machno zusammenschiessen liess; ebenso die von den Bolschewiken als Anarchisten diffamierte Rätekommune der Arbeiter und Matrosen in Kronstadt 1921 von dem linken Trotzki. Und wie finden Figuren wie Stalin und Pol Pot mit Landauer und Mühsam gemeinsam Platz in einer linken Kiste? Oder Schublade? Die würde reichen für die traurigen Reste der heutigen Linken.

Wer ist "links"?

Das ist die Schwäche der antiautoritären Linken einschliesslich der Junganarchos: sich als "Linke" zu verstehen. Auch Gesell bezeichnete sich als "linken Flügelmann der politischen Parteien" [46]. Vor einigen Jahren habe ich diesen Begriff noch inhaltlich definiert und damit zu verteidigen versucht, links sein bedeute die Verteidigung der in dem Arbeiterlied Die Internationale besungenen Menschenrechte [46a] und - bei Beachtung dieser Menschenrechte - den Kapitalismus und das Bodenunrecht zu überwinden. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird links jedoch als ein historischer Begriff verstanden, und die Geschichte der Linken - zumindestens die der roten Linken - ist ebenso mit Leichen gepflastert wie die der Rechten - mit unschuldigen, wohl bemerkt![37a] Und das Versprechen, Kapitalismus und Entfremdung zu überwinden, haben die roten Linken nie eingelöst. Die Selbstbezeichnung als Linker, der zudem noch hinter jeder roten Fahne (auch Hitlers Fahne war rot!) und sogar hinter Stalin-Transparenten herlatscht, führt nicht nur dazu, dass die Linken von jenen "Massen", die sie für sich gewinnen wollen, immer wieder mit den roten Killern, die selbst in Castros Kuba Anarchisten einknasten und hinrichten, in einen Topf geworfen werden. Für Konkret-Herausgeber Röhl sind Anarchisten sowieso "Faschisten" [46b].

Sich als Linke zu verstehen, verleitet Anarchisten und libertäre Sozialisten ausserdem dazu, ihre potentiellen Scharfrichter für "Genossen" zu halten und an einer linken Ideologie zu kleben, die kaum etwas gemein hat mit der Anarchie und einem libertären Sozialismus, aber viel mit Staat, Zentralismus, Totalitarismus und Gulag. Die einzigen Roten, die ich mag, sind die Indianer..., Pardon, Indigenas.[46c]

Diese guten Menschen, deren Herzen so sehr an dem Titel Linker und an der roten Fahne hängen (ging mir auch mal so), sollten vielleicht einmal die richtigen Texte von Marx lesen und ihren Kopf dort ebenso kritisch gebrauchen, wie sie das angeblich bei Gesell tun. Schliesslich ist der Kopf - wie manche Bauchmenschen zu glauben scheinen - nicht allein dazu da, damit es nicht in den Hals reinregnet. In Marxens Kommunistischen Manifest - gewiss keine belanglose Schrift - steht geschrieben: "Das Proletariat wird ... alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats .. zentralisieren...", "Zentralisation des Kredits in den Händen des Staates durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschliesslichem Monopol", "Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staates", "Vermehrung der Nationalfabriken ... nach einem gemeinschaftlichen Plan", "Gleicher Arbeitszwang für alle, Einrichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau" [47]. Und natürlich sind Markt und Konkurrenz abzuschaffen, bewirken sie doch die "Anarchie" der kapitalistischen Produktionsverhältnisse [48]. Wie ein "proletarischer" Staat im Sinne des Manifests der kommunistischen Partei und mit einem verkümmerten und um den Wettbewerb amputierten Markt in der Praxis aussieht, konnte 70 Jahre in der sog. Sowjetunion beobachtet werden. Mit Anarchie hatte dieser Staat - weniger als jeder andere - nichts gemein. Oder?

Ditfurth beschwert sich darüber, dass Gesellianer Marx mit Stalin verwechseln (S. 124). Gibt es dafür keinen Anlass? Wenn Ditfurth Gesell einen Antisemiten schimpft, weil er sich von den Antisemiten distanziert, muss sie Marx allerdings für einen Antistalinisten halten, war Marx doch für den "Arbeitszwang", den Stalin im "Archipel Gulag" [37a] realisiert hatte. Marx ging in der Forderung nach einer "industriellen Armee, besonders für den Ackerbau", noch über die "Errungenschaften" Stalins hinaus. Das so ziemlich einzige, wovon sich Marx von Stalin, Lenin und Trotzki - letzterer ein Propagandist der "Militarisierung der Arbeit" - unterscheidet, ist, dass er von der Übernahme des Staatsapparats durch das Proletariat träumte. Doch diese Utopie ist voll in die Hose gegangen. Was Alt-Anarchisten vorausgesehen haben.

In einem Manuskript (vermutlich aus den 80-er Jahren) mit dem Titel Konstruktiver Anarchismus und Ökosozialismus schreibt Rolf Cantzen (S. 11), wegen der "unbekümmerten Denkmethoden" sei "der Anarchismus im herkömmlichen Links-Rechts-Schema nicht unterzubringen". Stimmt. Dessen sollten sich die Junganarchos bewusst werden: zur Linken im Sinne der Geschichte und der Umgangssprache gehören die Anarchisten nicht. Diese Erkenntnis könnte dazu beitragen, sich endlich von falschen Freunden zu trennen und mehr Erfolg bei den "Massen" zu haben.

Die Logik der falschen Gleichsetzung

Wenn ich Ditfurths "Schmöker" durchforste, frage ich mich, was sie veranlasst haben könnte, mit diesem zügellosen Hass gegen ein Heer von Andersdenkenden zu Felde zu ziehen. Vielleicht richtet er sich gar nicht gegen Faschisten, Rassisten und Antisemiten, die Ditfurth & Co. überall ausgemacht zu haben glauben. Vielleicht liegt er darin begründet, dass sie nach der gigantischen Pleite des "realen Sozialismus" ohnmächtig zusehen müssen, wie ihnen ihre roten Felle davonschwimmen und sich auch die letzten sozial engagierten bis sozialrevolutionären Menschen von der kommunistischen Weltbeglückungsideologie verabschieden [49]. Und wenn sich statt dessen immer mehr Menschen dem erdrückenden Angebot neuer (oft sicherlich auch suspekter) Ideen zuwenden, dann sind Neid und Hass auf diese zum Teil höchst erfolgreiche Konkurrenz sicherlich nur schwer zu zügeln. Da ist es kaum überraschend, wenn eine gläubige Marxistin wie Jutta Ditfurth in Panik gerät und blind um sich schlägt. Und wenn dann auch noch der grosse Keynes meint, dass Gesells Hauptwerk Die natürliche Wirtschaftsordnung "die Aufstellung eines anti-marxistischen Sozialismus" beschreibt und verkündet: "Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird" [49a], dann bekommen dieser libertäre Sozialist und seine Vertreter eben besondes viele Tiefschläge ab. Oder glaubt Ditfurth etwa selber alles, was sie da an Phantastereien über ihre Konkurrenten hinausposaunt? Müsste sie dann nicht geistig behindert sein? Glaubt sie das vernünftigerweise nicht, ist sie dann nicht eine Lügnerin? Oder gibt es noch andere Gründe für ihr Verhalten? Wir wollen mal sehen.

Fragen wir zunächst: Warum diese Diffamierung zahlloser Andersdenkender unterschiedlichster Couleur mit der immer gleichen Unterstellung, sie seien Faschisten, Rassisten und/oder Antisemiten? Weil alle eines gemeinsam haben: dass sie Gegner des Marxismus und Kommunismus sind? Aber müssen sie deswegen auch dieselben, notwendigerweise identisch miteinander sein? Wenn jemand "Mädel" statt "Mädchen" sagt, dann wird das leicht mit Nationalsozialismus assoziiert, denn das war ein gebräuchlicher Ausdruck der Nazis. Etwas anderes ist es jedoch, wenn behauptet wird, Leute, die dieses Wort gebrauchen, seien Nazis. Diese Gleichsetzung nichtidentischer Verhaltensweisen, Begriffe, Dinge und Personen ist weit verbreitet - auch bei Linken. Hier werden - meist zu propagandistischen Zwecken - Analogien mit Identitäten verwechselt und auf Grund weniger Gemeinsamkeiten auf totale Identität geschlossen.

Der Psychoanalytiker Joseph Gabel, selbst Marxist, wenn auch der Gruppe der "freien Marxisten" um die Zeitschrift Arguments zuzurechnen [50], analysiert diese Praxis am Beispiel des - hört! hört! - "kommunistischen Denkens" (Gabel). Er meint, den Kommunisten gehe es bei ihrem Kampf gegen den Kapitalismus um mehr als um lediglich: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Denn die, die gegen "uns" sind, können durchaus den verschiedensten politischen Lagern angehören, sogar kapitalismusfeindlich sein. Den Kommunisten gehe es um Gleichsetzung. Sie sagen: "Wer nicht für uns ist, ist gleichwertig", denn "es gibt nur uns und die Masse der Reaktionäre" und die "Reaktionäre" sind alle gleich: eben Reaktionäre, und Reaktionäre sind Faschisten [51]. Gabel liefert eine Reihe von Beispielen, wie Kommunisten auf diese Weise Faschisten "produziert" haben. So zitiert er dem Sinne nach einen kommunistischen Redner: "De Gaulle ist gegen den Kommunismus, Hitler war es auch, also ist de Gaulle gleich Hitler."

Wie man einem Artikel von Wolfgang Kessler in Publik-Forum (11 / 1997) entnehmen kann, bedient sich auch der West-PDSler Peter Kratz, Betreiber des "Bonner Instituts für Faschismusforschung und Antifaschistische Aktion", dieser bei Faschisten jedweder Couleur beliebten Methode: "Schon der NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg beschäftigte sich mit dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart. Auch Bischof Jacques Gaillot beschäftigt sich mit Meister Eckart - also steht Gaillot, so Kratz, an der Seite des Faschisten Rosenberg. Ein anderes Beispiel: Die Theologen Eugen Drewermann und Hans Küng stellen - auch in Publik-Forum - die Frage, ob jede Form von Sterbehilfe in jedem Fall immer dogmatisch abzulehnen sei - und schon sieht sie Kratz an der Seite der nationalsozialistischen Euthanasie-Verfechter."

Es mag überraschen, dieses Denken - das, wie Gabel schreibt, "eine sonderbar verarmte Auffassung von der menschlichen Realität ausdrückt" - bei marxistisch orientierten Kommunisten vorzufinden, da marxistisches mit dialektischem Denken assoziiert wird. Dieses kommunistische Denken ist jedoch dem dialektischen völlig entgegengesetzt - ein "paradox wirkendes und einigermassen erheiterndes Ergebnis" [51a]. Diese Denkmethode der falschen Gleichsetzung erklärt, warum nicht nur bürgerliche Intellektuelle und Linksliberale, sondern auch kritische und dialektisch geschulte Marxisten z. B. auf Stalins absurde Anschuldigungen gegen Trotzki als Agent der Nazis und auf die Moskauer Schauprozesse gegen die bolschewistische Elite hereingefallen sind.

Zur Zeit des Kalten Krieges wurde diese Methode auch im bürgerlichen Lager eifrig praktiziert: Kommunisten engagieren sich für soziale Probleme; wer das ebnfalls macht, ist Kommunist. Das hatte zur Folge, dass z. B. jede soziale und demokratische Revolte gegen Diktaturen in der Karibik ohne nennenswerten Widerstand in der öffentlichen Meinung von den US-Ledernacken niedergemetzelt werden konnte [52].

Dieser Logik der "falschen Identität" (Gabel) folgt auch Ditfurth, wenn auch in feinsinniger Unterscheidung der Dreieinigkeit "Faschisten", "Rassisten" und "Antise-miten". Aber auch, wenn sie die absurde Behauptung aufstellt, Menschen, die die Existenz von Rassen feststellen, seien "rassistisch" (S. 42) - aber keine Rassisten? Nun ist die Bedeutung des Adjektivs rassistisch nicht völlig identisch mit der des Substantivs Rassist, aber rassistisch zu sein ist das Kriterium eines Rassisten. Dieser feine Unterschied ist also allenfalls juristisch relevant. Auch die von ihr breit behandelten Esoteriker, die dem Mystizismus frönen würden, schrammen nur ganz knapp daran vorbei, als - weil Esoterik und Mystizismus auch bei den Nazis zu finden waren - Faschisten bezeichnet zu werden. Sie firmieren als "ideologische und organisatorische Wurzel des NS-Faschismus" (S. 11) und als Wegbereiter des kommenden Faschismus (S. 12). Wenn dem so sein sollte, dann sind allerdings auch jene Kommunisten, die laut Gabel die "reichlich esoterische [!] ´dialektische Methode´" [52a] der falschen Identifizierung anwenden, Steigbügelhalter des "Faschismus": des roten, stalinistischen.

Doch ohne pingelige Differenzierungen, ohne hinreichende Daten und ebenso schlicht wie ihre französischen Genossen, betreiben Dirtfurth, Bierl, Blume, Elger, Nappert, Weigel, Kratz & Co. diese falsche Gleichsetzung vieler Personen, die ihnen offenbar besonders am Herzen liegen, mit Faschisten, Rassisten und Antisemiten. Der Anarchisten Silvio Gesell ist ihr liebster Pappkamerad: Gesell ist Eugeniker, die Nazis haben die Eugenik zu rassistischen Zwecken missbraucht, also ist Gesell Rassist. Gesell will die "Brechung der Zinsknechtschaft", das haben die NS-Faschisten auch behauptet, also ist Gesell Faschist. Auch Antisemiten sind gegen den Zins, also ist Gesell auch Antisemit. Sebstverständlich sind auch die Juden, Christen und Moslems Faschisten und Antisemiten, verurteilen ihre Religionen doch das Zinsnehmen. Sicherlich auch Prof. Harry Nick, Mitglied er Berliner PDS (säubert die Partei von Renegaten!), empfiehlt er doch wärmstens, die Zinsanalysen von Helmut Creutz zu studieren. Und nicht zuletzt alle Linken, die sich mit dem Schlachtruf grüssen: "Der Kampf geht weiter!" - taten das die Nazis doch auch [53]! Umgekehrt sind natürlich jene Neonazis Anarchisten, die heute den einst beliebten Anarchospruch aus der 883 verwenden: "Macht kaputt, was Euch kaputt macht." (Schon aufgefallen? Ich bin Militarist, weil ich den Begriff Pappkamerad benutze!) Preisfrage: Wer kann mit dieser Methode nicht als Faschist, Rassist und/oder Antisemit abgestempelt werden?

Frau Ditfurth verwendet diese plumpe Methode der Gleichsetzung nicht identischer Begriffe inflationistisch. Bei ihr bleibt kaum jemand übrig, der kein Faschist, Rassist und/oder Antisemit ist oder mit diesen in hautnahe Verbindung gebracht werden kann. Gabel ist der Auffassung, dass Menschen, die mit dieser Methode arbeiten, von einem "falschem Bewusstsein" gesteuert werden, das auch als "schizophrenes Denken" bezeichnet werden könne [53a]. - Frau Ditfurth schizophren?

Eine Frage: Warum rasiert sich der Ex-Bartträger Scharping jetzt jeden Morgen? Weil Hitler einen Bart trug! Alles klar? Na, bitte. Und noch einen Rat, Männer, wenn Ihr keine Machos sein wollt: Benutzt nie das Wort Mädchen. Das ist die machistische Verniedlichungsform für Mädel!

Der Mechanismus der selektiven Wahrnehmung

Ein anderes Phänomen, das zu "falschem Bewusstsein" führt, aber auf einer "gesunden" psychologischen Grundlage zu beruhen scheint, ist uns ebenfalls aus der Lebenspraxis vertraut: alles zu ignorieren, was uns nicht "in den Kram passt", aber alles zu glauben, was in´s Konzept passt. Ein Phänomen, das wir deshalb auch nur bei den Anderen beobachten. Der DDR-Dichter Stephan Hermlin ist da eine Ausnahme. In einem Gespräch mit F. J. Raddatz in der Zeit (14. 4 1995) gesteht er selbstkritisch, dass er zwar von Stalins "Barbarei" etwas "geahnt", sie aber bis zu Chruschtschows Enthüllungen 1956 "weggedrängt" habe. Er führt das auf ein inneres moralisches und politisches "Filtersystem" zurück, dem er als kämpfender Kommunist unterworfen war. Nach den neuesten Forschungen des Psychologen Hendrik M. Emrich vom Max-Plank-Institut in München lassen sich Struktur und Ablauf dieses Systems als "selektive Wahrnehmung" folgendermassen beschreiben:

1. "Die ´sensorische Komponente´ [Augen, Ohren etc.] liefert [dem Gehirn] die reinen Sinnesdaten..."

2. "Die ´konstruktivistische Komponente´, die auch die ´Phantasie-Komponente´ genannt werden kann, stellt - und zwar bereits im voraus - Mutmaßungen über die zu erwartenden Eindrücke an: Lange bevor etwa das Licht die Netzhaut trifft, hat das Gehirn sich schon eine ´Warnehmungs-Hypothese´ zurechtgelegt."

3. "Die dritte Komponente, die ´Zensur´, befindet über die endgültige Freigabe einer bestimmte Sinneswahrnehmung an das Bewußtsein. Alles, was den in lebenslangen Erfahrungen gewonnenen Kriterien der Zensur zuwiderläuft, wird schon im Ansatz verworfen" (zit. in GEO 3/1990) - herausgefiltert.

Wenn wir einmal Frau Ditfurth zugute halten, sie würde nicht, wie Goebbels, bewusst lügen, was könnte dann in ihrem Köpfchen vorsichgehen, wenn wir ihr diesen Wahrnehmungsmechanismus unterstellen?

1. Die sensorische Komponente beliefert zwar Ditfurths Gehirn mit Abbildungen der empirischen Wirklichkeit, aber...

2. ...auf Grund ihrer ersten politische Erfahrungen, die sie in den 70-er Jahren in ihrem linken Milieu gemacht hat, vielleicht auch in marxistisch-leninistischen Bibelstunden, hat ihr Gehirn "Phantasie-Komponenten" entwickelt, die sie veranlassen, die Wirklichkeit entsprechend marxistisch-leninistischer Hypothesen wahrzunehmen.

3. Diese marxistisch-leninistischen Hypothesen bewirken die "Zensur". Wie ein feines Sieb - ein "Filtersystem" (Hermlin) - lassen sie nur durch und im "Hirnkasten" (Marx) ankommen, was ins vorgefasste Bild passt. Alles, was diesen marxistisch-leninistischen Wahrnehmungs-Hypothesen zuwiderläuft, wird aussortiert und verdrängt. Es spielt also für Ditfurths Beurteilung einer anderen Ideologie, Theorie oder Wirklichkeit gar keine Rolle, ob und in wieweit sie logisch und/oder empirisch richtig oder falsch ist, sondern lediglich, ob sie die marxistisch-leninistischen Vorurteile bestätigt oder nicht. Sind "Beweise" notwendig, aber keine entsprechenden empirische Daten zur Bestätigung der Hypothesen vorhanden, dann werden sie erfunden. Entsprechen vorhandene Daten nicht diesen Hypothesen, werden nicht die Hypothesen aufgegeben, sondern die Daten entsprechend zurechtgebogen. Notfalls werden sogar Tatbestände ins Gegenteil verkehrt, um sie den Hypothesen anzupassend. So werden aus Hypothesen, d. h. aus unbewiesenen Annahmen, gewünschte "Wahrheiten" produziert.

So könnte das Gehirn einer (wie die Stalinisten sagen) "ideologisch gefestigten" Kommunistin arbeiten, die sich - auf Grund dieses Wahrnehmungs-Mechanismus - selbst für eine "undogmatische Linke" hält. Nein? Von den Hirnen intelligenter Faschisten und Rassisten würden wir das doch bejahen, oder? Für die Hirne rechtsextremistischer Dumpfbacken lässt sich allerdings ein deftigeres Modell finden. Nach der Psychoanalyse Wilhelm Reichs, des besten Schüler Freuds, wie es heisst, wird die sinnliche und rationale Wahrnehmung der Wirklichkeit von der "emotionalen Pest" des "faschistoiden Charakters" getrübt und bestimmt. Durch eine lustfeindliche und autoritäre Erziehung und moralische, religiöse und/oder ideologische Indoktrination in Familie, Schule, Kirche, Partei, Militär etc. entsteht das "Über-Ich" als Angst erzeugender, irrationaler "Charakterpanzer", der sich um das "Ich", den Verstand, den Intellekt, und das "Es", die Sinnlichkeit, den Eros, legt und beide deformiert und kontrolliert wie ein fremder, in die eigene Psyche eingegangener Polizist. "Das unfreie Individuum introjiziert seine Herren und deren Befehle in seinen eigenen psychischen Apparat" (Herbert Marcuse). Dieser durch Sitte, Moral, Religion und Ideologie der Gesellschaft oder Subkultur (zum Beispiel religiöse oder politische Sekten) fremdbestimmte und programmierte "Über-Ich"-Angstpanzer selektiert, was gedacht und getan werden darf. Unbefangenes, selbständiges, sachgerechtes und kritisches - nicht querulatorisches! - Denken ("Ich-Stärke") und freundliches, lebensbejahendes Verhalten sind nicht mehr möglich, denn unbewust wird das Ausbleiben von Belohnung (liebevolle Zuwendung) oder gar Strafe (Liebesentzug, Prügel) befürchtet. Das "Es", der Eros verkümmert, das "Ich", der Intellekt verblödet. Nicht radikales, den Problemen an die Wurzel gehendes Denken, sondern extremistische Gefühle und Einstellungen - eben die "emotionale Pest" - bestimmen das Denken und Handeln. Dieser "autoritäre" oder "faschistoide Charakter" trägt Konflikte nicht intellektuell und verbal, sondern mit der Faust aus. Vielleicht könnte dieses Modell auf Peter Bierl zutreffen.

Ein Beispiel: Die selektive Wahrnehmung der Keynes´schen Theorie

Dieses psychologische Problem der selektiven Wahrnehmung finden wir nicht nur bei Ditfurth und bei Rassisten und Faschisten, wenn auch meist nicht so ausgeprägt; ist halt eine Frage der Intensität und Dauer der "Gehirnwäsche". Ein interessantes Beispiel einer Wahrnehmungsverengung und -verschiebung könnte die Interpretation der Keynes´schen Beschäftigungstheorie als eine etatistische statt monetäre durch die Sozialdemokraten sein. In seinem schmalen Band John Maynard Keynes schreibt der Sozialdemokrat und Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel: "Es ist schwer zu ergründen, was zum Sieg des Keynes´schen Fiskalismus, der in seinem Gesamtwerk einen eher bescheidenen Platz einnimmt, über den von ihm geprägten und im Zentrum seines Schaffens stehenden Monetarismus geführt hat" [54]. Vielleicht lag es daran, dass die Sozialdemokraten geistesgeschichtlich von dem Etatisten Marx herkommen, der das Geld- und Zinsproblem ignoriert und den Geld- und Zinstheoretiker Proudhon bekämpft hat. Als die Sozis nach dem Zweiten Weltkrieg von Marx, für die Lösung damaliger Probleme unbrauchbar, auf Keynes umstiegen, konnten sie dennoch die Keynes´sche Beschäftigungstheorie nur durch die marxistisch-staatsinterventionistische Brille wahrnehmen [55]. Dabei verweist schon der Titel von Keynes´ Hauptwerk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes auf eine Zins- und Geldtheorie. Diesem Titel entsprechend, legt auch der Inhalt dieses Buches - wie schon der Doktorant Dadley D. Dillard bei Erscheinen des Keynes´schen Werkes Mitte der 30-er Jahre erkannte [55a] - eine Interpretation im Sinne der Proudhon´schen und Gesell´schen Geld-, Zins- und Konjunkturtheorie nahe.

Auch ich bin als Exemplar dieser leicht bescheuerten Spezies Homo sapiens sapiens nicht ganz frei von Wahrnehmungsvorlieben. Wenn ich Keynes im Sinne Proudhons und Gesells interpretiere, so spielt gewiss auch meine Vorliebe für ihre Theorien eine Rolle. Andererseits hat es mir der Blick durch die Brille Proudhons und Gesells erleichtert, Keynes als einen Nachfolger dieser anarchistischen Geld- und Zinstheoretiker wahrzunehmen. Die Frage ist nur, ob mir meine Phantasiekomponente Freiwirtschaft, die mich zur Wahrnehmungshypothese Keynes gleich Proudhon und Gesell führte, keinen Steich gespielt hat. Doch das kann und muss mit wissenschaftlichen Methoden überprüft werden. Erstaunlich nur, dass Frau Ditfurth, die als Tochter eines renommierten (von mir gerne gelesenen) Wissenschaftlers doch gelernt haben dürfte, Texte richtig zu lesen, deren Inhalte nicht nur einseitig oder verzerrt interpretiert, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt. Vielleicht sollte sie doch einmal einen Psychiater konsultieren.

"Right or wrong, my country"

Es gibt noch einen weiteren Grund, der zur selektiven Wahrnehmung führt und verführt und der angesichts der heutigen Waffentechnik für das Überleben der Spezies Homo sapiens sapiens lebensbedrohlich ist. Robert Anton Wilson wundert sich, dass die Rechten wie die Linken zwar ausserordentlich scharfsinnig ihre Gegner kritisierten, auf dem rechten beziehungsweise linken Auge jedoch blind seien, wenn es um ihre eigenen Parteigänger gehe. Diese parteiische Wahrnehmung hat auch eine wichtige Rolle bei der Verdrängung der Stalin´schen Verbrechen durch den Kommunisten Hermlin gespielt, wie aus dem genannten Zeit-Interview hervorgeht. Ob wir etwas für richtig oder falsch halten, ist offenbar auch eine Standortfrage: Aus welcher Sippe, Partei, Klasse, Interessengruppe, aus welchem Stall heraus wird die Wirklichkeit wahrgenommen? Die "richtige" Wahrnehmung ergibt sich aus der Perspektive des Standorts, und dieser ist die Gemeinschaft und ihre Ideologie.

Wer kennt das nicht, dieses angenehme, wärmende Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören: das Wir-Gefühl? Und glaubt man, eine eigene Meinung zu haben, und ist sie noch so blöd, wenn sie von den Angehörigen der eigenen Gemeinschaft bestätigt wird, dann hält man sie für richtig. Selbst der grösste Stuss wird kaum noch in Frage gestellt. Stösst man mit dieser absolut korrekten Meinung jedoch bei Fremden auf Widerspruch und kommen mit ihr bei diesen nicht durch, welch eine Sehnsucht verspüren wir dann, Heim zu kehren in den Kreis der Gleichgesinnten, um bei ihnen Trost und intellektuelle Selbstbestätigung zu finden. Mal ehrlich, liebe Leserinnen und Leser: noch nie erlebt?

Für das Überleben einer prähistorischen Urhorde war dieser psychische Mechanismus sicherlich einmal sehr nützlich und ist offenbar eine Erbschaft der Jahrmillionen menschlicher Naturgeschichte. In der Evolution setzten sich jene Horden am erfolgreichsten durch, deren Exemplare mit entsprechendem Erbgut ausgestattet waren. Dazu gehörte auch die Neigung zu solidarischem und altruistischem Verhalten, und für das Funktionieren gemeinsamen Handelns ist wiederum der Meinungskonformismus sehr nützlich. Da die prähistorischen Kleingruppen aus Affenmenschen und Menschen bestanden, die eng miteinander verwandt waren, trug die natürliche Neigung zur "gegenseitigen Hilfe" (Kropotkin) im Verwandschaftsbereich, der "Nepotismus" [56], dazu bei, dass sich die entsprechenden Gene in diesen Gemeinschaften fortpflanzten und fortentwickelten. Folglich war diese Sippe erfolgreich im Überlebenskampf in der Natur und gegenüber anderen Sippen und konnte sich besonders zahlreich vermehren und ausbreiten. Da für den bald sprachbegabten Menschen auch die Neigung zu gruppenkonformem Denken, zum Entwickeln von Gruppenideologien und der Neigung, an diese Ideologien zu glauben, für die Urhorde und bald auch für entferter verwandte Stammesangehörige vorteilhaft gewesen sein dürfte, dürfte auch diese tiefenpsychologisch verankerte Neigung ein Produkt der Evolution sein.

Diese offenbar angeborene Neigung zum Gruppenkonformismus verstärkt nicht nur die oben beschriebene Wahrnehmungszensur; er führt auch zu gruppenkonformem Denken und Verhalten gegenüber "fremden" Horden und Stämmen und gegenüber fremden Gruppen und Ethnien im gesellschaftlichen und internationalen Bereich und gegenüber "fremden" Spezies. Wenn die "Fremden" dann noch als gefährliche Feinde der Gemeinschaft ausgemacht werden, verstärkt das dieses Wir-Gefühl noch erheblich und lässt ein Wir-Bewusstsein entstehen. Beides schweisst eine Gemeinschaft zusammen und macht sie stark. ("Fünf Finger sind eine Faust", heisst der Titel eines antiautoritären Kinderbuches.) Deshalb werden "Feinde" auch gerne von politischen oder wirtschaftlichen Interessengruppen mittels Ideologien produziert: die Franzosen als "Erbfeinde", die Juden als "Fäulniserreger im Volkleben", linke Kritiker des Marxismus als "Renegaten" und "Faschisten", kommunistische Kritiker des Stalinismus als "Konterrevolutionäre" und "Agenten Hitlers", "... der Bourgeosie" oder was auch immer.

Mit dieser Produktion von "Feinden" nutzen diese Interessengruppen eine Erfahrung, die die menschliche Spezies über Generationen hin mit Fremden gemacht hat und die sich in das phylogenetische Gedächtnis der Menschen als ein angeborenes, irrationales, un- oder vorbewusstes, jederzeit aktivierbares Misstrauen gegenüber dem vermeintlich oder wirklich Fremden eingegraben haben könnte: die reale geschichtliche Erfahrung, dass fremde Völker von alters her bis zum heutigen Tag immer wieder andere Völker überfallen, ihnen Land geraubt, sie vertrieben oder unterworfen und versklavt und manchmal auch ausgerottet haben, wie z. B. die Europäer die Indianer, die Jungtürken die Armenier, die Nazi-Deutschen die Juden und Zigeuner.

Was die Sozio- und Evolutionsbiologie nahelegt, bestätig der Psychoanalytiker Gabel: "Jede, wenn auch sehr ´objektive´ Zugehörigkeit zu einer nationalen, religiösen oder politischen Gemeinschaft, bringt einen gewissen Grad an Undurchlässigkeit der Erfahrung gegenüber mit sich: ´Right or wrong, my country´ sagen die Engländer" [56a]. Also ein borniertes, "egozentrisches" (Gabel) und brutales, aber durchaus "humanes", das heisst der menschlichen Natur entssprechendes Denken, dem Gabel auch "eine Verwandschaft mit den kindlichen Denkformen" [56b] nachsagt. Daher hatte Heinrich Himmler auch keine Schwierigkeiten, seine deutschen Schergen von solch infantilem britischem Denken zu "überzeugen": "Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gelten: Ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und zu sonst niemand ... Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das intesesssiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen ... Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur soweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird."[56c] Ich befürchte, auch Frau Ditfurth hat ihren "Panzergraben": den Kommunismus.

Die "fremde" Spezies als Ersatz-Jude?

"Wir sind ein Volk, eine Gemeinschaft, eine Familie, Herta BSC!", rufen sie, aber auch: "wir sind Menschen, das andere sind Tiere". Das kann sich auch auf andere, fremde oder als Feinde angesehene Menschen beziehen: "Ratten und Schmeissfliegen", wie der bayerische Volksverhetzer und CSU-Politiker Franz Josef Strauß einst ungestraft die Linken nannte. "(Volks-)Schädlinge", die zur Ausrottung freigegeben sind.

Für Frau Ditfurth eine Unmöglichkeit: kein Mensch ist ein Tier, und kein Mensch darf ausgerottet werden! Doch nach welchen Kriterien ist ein Mensch ein Mensch? Ist Strauß oder gar Himmler ein Mensch? Für Frau Ditfurth schon. Mensch ist jeder, den Menschen wie sie als Mensch definieren. Sie pflegt den Marx´schen: den "wirklichen Humanismus" (S. 127), das Wir-Gefühl und Wir-Bewusstsein als "Mensch", nicht als lebendes Wesen, wenn sie gegen Peter Singer, die Tierschützer und Peter Piwitt, der "Menschenrechte für Menschenaffen" (S. 127) fordert, polemisiert. Und jeder Mensch ist einer von uns, egal, um welches Exemplar es sich im konkreten Fall handelt: Hitler oder Gandhi, Heinrich Himmler oder Albert Schweizer - "Mensch und Mensch sind gleichwertig" (S. 125). Nur den "Menschen" gilt unsere Solidarität. Tiere nennt Frau Ditfurth "blöde Viecher" (S. 69).

Wie "blöd" sind denn die "Viecher"? Und wie gross muss die Intelligenz sein, um noch als Mensch durchzugehen oder den Menschen gleichwertig zu sein? Eine Gorilla-Frau namens Koko hat bei unterschiedlichen Intelligenztests Intelligenzquotienten von 71 bis 91,7 und in einer mehrjährigen Testreihe einen Durchschnitts-IQ von immerhin 80,3 erreicht.[57] Einen IQ, den viele geistig behinderte Menschen nicht erreichen. Sind das keine Menschen?

Oder ist das Menschsein an der biologischen Abstammungsgeschichte festzumachen? Ist der Homo erectus, der noch vor 30.000 Jahren auf Java lebte, kein Mensch? Erst unser Vetter, der Neandertaler? Oder schon unsere Urururgrossmutter Lucy aus dem Geschlecht der Australopitecinen aus dem "Mensch-Tier-Übergangsfeld"? Wo fängt dort das Menschsein an? Beim Orang Utan, einem "lebendem Fossil" [57a] der Hominiden aus diesem Feld?

Aber es gibt doch das wissenschaftlich objektive Merkmal der genetischen Differenz. Der Homo sapiens sapiens unterscheidet sich vom nächstverwandten "Tier", dem Schimpansen, genetisch um 1,6% [57b]. Das reicht zur Abgrenzung? Wie klein muss der genetische Unterschied Lucys zum Homo sapiens sein, um noch als Mensch durchzugehen und nicht barbarischen Experimenten ausgesetzt zu werden? So klein, wie zwischen einem gesunden und einem erbkranken Menschen? Ist der nicht grösser?

Was ist, wenn wir die Forschungsergebnisse der Molekularbiologen ernst nehmen? Dann gehört der Homo sapiens zur Gattung der Schimpansen, ist der "dritte Schimpanse" [57c] neben dem gemeinen und Zwergschimpansen, dem Bonobos! Wird dann zwischen den drei Schimpansen-Spezies einerseits und den übrigen Menschenaffen einschliesslich dem Orang-Utan und den Hominiden andererseits abgegrenzt? Die DNS-Differenz des Schimpansen zum Gorilla beträgt immerhin 2,3% und zum zum Orang Utan sogar 3,6% [57d].

Aber vielleicht gibt es qualitative Unterschiede zwischen Mensch und Menschenaffen, die sich aus diesem quantitativen 1,6%-Unterschied ergeben und eine Abgrenzug rechtfertigen. Der Mensch kann denken. Hat W. Köhler schon vor mehr als einem dreiviertel Jahrhundert bei Schimpansen festgestellt [58]. Der Mensch kann sprechen. Schimpansen, Gorillas und Orang Utans können die menschliche Sprache verstehen lernen, und sie können lernen, sich in einer Taubstummensprache mit Menschen und ihresgleichen zu verständigen.[58a] Der Mensch zeigt (manchmal) Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Schimpansen und Gorillas auch [58b]. In Neuseeland sprang ein Schimpanse ins Wasser, um seinen Ertrinken mimenden Betreuer aus einem Schwimmbecken zu "retten" [58c]. Und Schimpansen führen sogar Kriege [58d]! Ist das nicht alles all´ zu menschlich?

Ditfurths Chefideologe Marx sagt: "Man kann die Menschen durch das Bewusstsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist" [59]. (Die "körperliche Organisation", die weitgehend mit der der Affen identisch ist, insbesondere die "Organisation" der Hände, für Engels die entscheidende Voraussetzung zur "Menschwerdung des Affen"!). Also das Kriterium Arbeitsfähigkeit ist entscheidend? Der Mensch unterscheidet sich vom Tier, weil er Werkzeug herstellen und gebrauchen kann, hiess es vor Köhlers Experimenten. Beides, wissen wir heute, können Menschenaffen auch - und nicht nur die! Und wenn durch die Automation die Arbeit abgeschafft ist, ist auch der arbeitslose Mensch kein Mensch mehr? Jedenfalls nicht der schwachsinnige Mensch, der keine Arbeitsfähigkeit besitzt - nach dieser Theorie.

Ditfurth unterscheidet nach "immanenten Werten" (S. 127). Aha! Und welches sind diese innewohnenden Werte? Ditfurth sagt, Menschen "können Technologie und Wissenschaft entwickeln, sich mit Malerei, Musik und Theater die gesellschaftlichen Verhältnisse aneignen, sie können Widerstand leisten und ihre Umwelt durch Arbeit verändern und ihren humanen Bedürfnissen anpassen" (S. 128). "Widerstand leisten"! Als ob das Tiere nicht auch könnten. Auch, Pardon! Ditfurth meint, nicht als Revoluzzer wie sie. Da hat sie Recht. Gorillas sind aber sehr geschickte Ausbrecher! Nein, nein, Mensch ist nur, wer sich mit malen, musizieren und Theater spielen "die gesellschaftliche Verhältnisse aneignen kann".

Wer Anspruch auf Menschenrechte hat, entscheidet also das Leistungsprinzip, und zwar ein sehr hochgestecktes (das viele Menschen kaum erfüllen). Das rechtfertigt, Menschenaffen lebenslänglich einzuknasten, in Isolationshaft, und barbarischen Experimente auszusetzen? Wohl etwas dünn. Immerhin können Schimpansen "Gemälde" produzieren, die schon mal von schlauen "Kunstkennern" der Spezies Homo sapiens sapiens als Kunstwerke für viel Geld gekauft worden sind. Sogar Kapuzineraffen können - auf dem Niveau eines jungen Menschenkindes - spontan und spielerisch aus einem Lehmklumpen primitive Figuren formen und mit Blättern verzieren [59b]. Was ist mit jenen Exemplaren der Spezies Homo sapiens sapiens, die so schwachsinnig geboren werden, dass sie das alles nicht können, noch nicht einmal das Leistungsniveau eines Kapuzineraffen erreichen? Keine Menschen? Damit kommt Frau Ditfurt aber arg in die Nähe dessen, was Peter Singer von ihresgleichen unterstellt wird.

Nein, nein und noch mal nein. Mensch ist Mensch und nur Menschen "sind gleichwertig". Die Nicht-Menschen - Lucy? - sind zweit- oder gar drittrangig? Sie dürfen jedenfalls nicht mit dem "Menschen" auf die gleiche Stufe oder gar über ihn gestellt werden. Der KZ-Arzt Mengele hielt Zigeunerkinder für Tiere und machte mit ihnen barbarische Zwillingsversuche, nähte zum Beispiel die Blutbahnen zwei kleiner Mädchen zusammen. Sie schrien nachts in der Schlafbaracke so entsetzlich, dass ihre Mutter sie tötete. Frau Ditfurth steht Mengele näher als ein mit uns zu 98,4% genetisch verwandter, freundlicher Schimpanse, der ebenso Schmerz empfinden kann wie diese beiden Menschenkinder. Das zählt nicht. Dieser freundliche Schimpanse steht unterhalb der Rangordnung eines umenschlichen Sadisten aus der Spezies Homo sapiens sapiens. Mit ihm dürfen die Mengeles, zum Wohle der Menschheit beziehungsweise des deutschen Menschen, Versuche machen. Warum nicht an den Mengeles? Da sie "Menschen" sind, wissen sie doch, was sie tun. Nein, "Menschen" allein sind davor zu schützen, nicht die "blöden Viecher". Denn sie sind für Frau Ditfurth - wie bis vor kurzem noch nach dem bürgerlichen Recht und wie einst auch die Sklaven nach dem Recht des imperialistischen Römischen Reiches - eine "Sache". Tiere werden von Frau Ditfurth "verdinglicht", wie es im marxistischen Sprachgebrauch heisst.

Die, wie ich vermute, marxistisch geschulte Materialistin Ditfurth unterscheidet subjektiv und idealistisch nach ihrem "humanistischen", das heisst menschlichen Wir-Bewusstsein; als Exemplar des Homo sapiens aus der Perspektive des Homo sapiens, also nicht materialistisch-wissenschaftlich, sondern parteiisch. Eine Ideologie wird als Begründung herangezogen, um die Menschenaffen als minderwertig abstempeln und das Prädikat "Mensch" und somit Menschenrechte verweigern zu können. Ähnlich, ebenfalls mit "wissenschaftlichen" Beweisen untermauert, argumentieren Rassisten. Und Mengele ist fein raus. Er ist "einer von uns": ein "Mensch". Genetisch, zu 100%, der Schimpanse nur zu 98,4%. Und Mengele kann Wagner verstehen, vielleicht sogar spielen. Das reicht. Mit ihm üben wir "Solidarität". Ein freundlicher Schimpanse, Gorilla oder Orang Utan ist nur ein "blödes", zotteliges und ungepflegtes "Tier", das kein Musikverständnis hat. Sie sind halt genetisch die kosmische Dimension von 1,6% von "uns" entfernt. Diese Einsicht: welch eine Evolutuion des menschlichen Geistes! Das "menschliche" Wir-Gefühl transformiert zum Wir-Bewussstsein und eskaliert zum Korps-Geist als Endpunkt der "geistigen" Entwicklung des Homo sapiens sapiens.

Muss überhaupt abgegrenzt werden? Und wozu? Wie wäre es, einfach nur zu handeln? Ohne philosophische, moralische und "wissenschaftliche" Verrenkungen schlicht und einfach nach dem Lust-Unlust-Prinzip? So weit wie möglich allen Lebewesen, die Schmerz empfinden können, vor Schmerzen zu bewahren, und die Lust empfinden können, ein lustvolles Leben zu gewährleisten? Wäre das nicht ein "wirklich" humanistischer Auftrag des mit Bewusstsein ausgestatteten Lebewesens Mensch? Aber, sagten "Wissenschaftler" noch vor wenigen Jahren, es kann (bitte nicht lachen!) "streng wissenschaftlich" gar nicht festgestellt werden, ob Tiere Schmerz und Freude empfinden: sie könnten uns das nicht mitteilen, da sie keine Sprache hätten. Haben Säuglinge auch nicht. Nach diesem "wissenschaftlichen" Kriterium lässt sich allerdings auch nicht des Gegenteil beweisen. Konrad Lorenz ist da anderer Meinung. Menschliche Instinkte und Gefühle spüren das. Doch die strengen "Wissenschaftler" fordern Befragung oder technische Messgeräte. Ein anderes "Argument" eines Verhaltensforschers: Tierschutz sei nur dann angebracht, wenn Menschen wegen des Leidens der Tiere ebenfalls leiden würden. Soll das heissen: wenn es keinen Erwachsenen stört, können Kinder geschlagen und zu Tode geprügelt werden? Immerhin alltägliche Praxis - weil es kaum jemanden stört.

Das trifft den Punkt. Wie die Nachbarn von geschundenen Kindern und diese "Wissenschaftler", hat auch Frau Ditfurth kein Interesse an Fremden, jedenfalls nicht an Spezies-Fremden. Der Zeiger ihrer Mitgefühle für Artfremde..., Pardon, für Speziesfremde schlägt nicht oder kaum aus, also besteht auch kein Bedürfnis, im Sinne Stirners das Mit-Leiden durch Vermeidung und Bekämpfung des Leidens anderer Wesen zu dämpfen. Der objektive Tatbestand des Leidens zählt sowieso nicht. Aber Frau Ditfurth legt doch ein Bekenntnis ab zum Tierschutz! Ziemlich lau in knapp einer halben Zeile innerhalb ihrer auf zwei Dutzend Seiten ausgedehnten Polemik gegen die Tierschützer. Tierschutz ist "wichtig" (S. 14), sagt sie. Notwendig ist schon zu viel gesagt.

Wie sollte dieser "wichtige" Tierschutz denn aussehen? Wie er von ihren kommunistischen Gesinnungsgenossen im "real existierenden Sozialismus" der sog. DDR praktiziert worden ist? Dort gab´s mal eine traurige Posse um den konterrevolutionären Hund von Mühlheim. Der hatte sich auf ein "volkseigenes" Werksgelände verirrt, wurde vom aufmerksamen Betriebsschutzleiter, der einen infamen Angriff des Klassenfeindes vermutete, halb tot geknüppelt und noch lebend in eine Grube mit glühender Asche geworfen. (Halt Abfall.) Auf Druck des mitempfindenden Proletariats des Betriebes wurde diesem Klassenkämpfer der Prozess gemacht: wegen Tierquälerei. Doch die aufmerksame Avantgarde des Proletariats im Politbüro unter Führung des Marxisten-Leninisten Walter Ulbricht witterte dahinter "Tendenzen des Trotzkismus und Sozialdemokratismus" und "feindliche Anschläge auf einen bewährten Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit" seitens jugoslawischer und amerikanischer Agenten. Die Weisen des Politbüros liessen das klassenfeindliche Urteil von einem Jahr Knast für den klassenbewussten Ausmerzers dieses faschistischen Elements aufheben und den Richter - einen als "Arbeiterfeind bekannten LPD-Richter" (LPD = Liberale Partei Deutschland) - verhaften. Die Mühlheimer Stasi - die nichts von diesen konterrevolutionären Umtrieben bemerkt hatte - wurde gerügt, "keine Lehren aus dem Slansky-Prozess [berüchtigter stalinistischer Prozess gegen den Prager KP-Generalsekretär Slansky wegen "Verschwörung" gegen den Sozialismus] und den faschis-tischen Provokationen vom 17. Juni 1953 [Arbeiteraufstand in der sog. DDR] gezogen" zu haben [59b].

Ditfurth, die Homo-sapiens-Patriotin

Können wir ausschliessen, dass es irgendwo in der unvorstellbaren Weite unserer Galaxie mit 100 Milliarden Sonnensystemen, vom Kosmos mit vielleicht 100 Miliarden Galaxien ganz abgesehen, hochentwickeltes Leben gibt? "Allein in der Milch-strasse könnte es ... eine Millionen Welten geben, die von völlig andersartigen und weit fortgeschritteneren intelligenten Wesen bewohnt sind", schreibt der Kosmologe Carl Sagan [60]. Wie weit würde Frau Ditfurths Kinnlade herunterklappen, wenn plötzlich grüne Männchen vor ihr ständen, die vielleicht viel "menschlicher" sind als die Menschen? Angesichts unserer intellektuellen und emotionalen Beschränktheit und barbarischen Geschichte ist es doch vorstellbar, dass wir nicht die "Krone der Schöpfung" sind, wie wir in naiver Selbstüberschätzung glauben. Wird sie sich dann - entsprechend ihrer menschlichen Einsichtsfähigkeit, ihrer Ideologie und angesichts dieser "höher" entwickelten Wesen - herabstufen zu einem Untermenschen, sich gar zu den "Viechern" zählen? Darf dann - auf Grund dieses historischen Ereignisses und der objektiven, wissenschaftlichen Erkenntnisse der Genetik etc. - mit ihr experimentiert werden wie mit Affen und Mäusen? Oder schreit Frau Ditfurth dann gemeinsam mit den Mengeles: "Nieder mit den Übermenschen! - Hoch die planetarische Solidarität der Erdlinge!"?

Genau das wäre die Parole ihres "Speziezismus", schreibt sie doch, dass "die Interessen der Wesen einer anderen Spezies zum Vorteil der eigenen zu vernachlässigen" sind (S.159). Wozu dann noch das Geschwafel von "immanenten Werten" etc., wenn es allein um die Zugehörigkeit zu einer Spezies und ihre Interessen geht? In diesem Sinne ist auch ein geistig unterbelichteter SS-Mann nicht davor zurückgeschreckt, einen ihm geistig weit überlegenen jüdischen Intellektuellen zu vergasen. Eine Gemeinschaft, Rasse oder Spezies kann doch sein wie sie will, mit oder ohne "immanente Werte" etc., Hauptsache, sie ist die "eigene" (Ditfurth), die deutsche, die arische, die Menschheit! Argumentieren so nicht auch die Grossgrundbesitzer in Lateinamerika zum Vorteil der eigenen Klasse, und die Patrioten, Völkischen und Rassisten zum Vorteil ihrer Nation, ihres Volkes, ihrer Rasse, und wenn dabei "10.000 russische Weiber vor Entkräftung umfallen"?

Frau Ditfurth eine Menscheitspatriotin? Oder eine Rassistin auf anderer, höherer Ebene? Ihr Speziezismus eine "moralisch höhere" Form des vulgären, inhumanen Rassenzentrismus und -egoismus? Eben Spezies-Zentrismus und Spezies-Egoismus. Aus der ethnischen und biologischen Klassifizierungssystematik Gattung, Spezies, Rasse, Volk, Stamm, Sippe wählt Ditfurth das ihr genehme aus: nicht eine Rasse, ein Volk, einen Stamm aus der Spezies Homo sapiens, sondern die Spezies Homo sapiens aus der Gattung der Schimpamsen: ihren Homo sapiens! Die Spezies aus der Gattung, die ihr in den Kram passt. Wo liegt da der grundsätzliche Unterschied zwischen Rassismus und Speziezismus? Allein darin, dass sich der Rassismus Hitlers gegen Lebewesen anderer Rassen der selben Spezies richtet und der Speziezismus Ditfurths gegen Lebewesen anderer Spezies der selben Gattung. Wir wollen nur hoffen, die "höheren" Lebewesen im Kosmos sind weit genug entfernt, um uns nie zu erreichen - oder wirkliche Menschen.

Das archaische Wir-Gefühl und das intellektuelle Wir-Bewusstsein des geselligen und sozialen Tieres Homo sapiens sapiens (des wissenden Wissers!) verstärkt die oben beschriebene Funktion der Zensur bei der Wahrnehmung von Fakten wie auch der "Anderen", der "Fremden", der "Tiere" als fühlende Wesen. Gegen diese irrationale Neigung, nur das wahrzunehmen, was "uns" betrifft und Gruppenkonform ist, sind auch Linke nicht gefeit, sind sie doch auch Exemplare dieser Spezies und pflegen zudem - wie die Rechten - ihre naturgegebene Neigung zur "Geselligkeit" (Friedrich Engels) mit dem "Kumpan" (Konrad Lorenz) oder "Genossen" (die Nazis: "Volksgenossen"). Deshalb haben viele Linke zum Beispiel Schwierigkeiten wahrzunehmen, dass ihr zum grossserbischen Sozialisten - also zum Nationalsozialisten! - mutierter Ex-"Selbstverwaltungs"-Kommunist Milosevic ein Kriegsverbrecher und Massenmörder ist. Wie merkwürdig still die "Antifas" doch waren, als ihre sozialistischen und kommunistischen Genossen die ethnischen "Säuberungen" der faschisti-schen Tschetniks in Bosnien unterstützten! Welch Kontrast zu ihrer Aufgeregtheit über jeden Furz der Gringos und über den angeblichen "Rassismus" und "Antisemitismus" des Kosmopoliten Gesell!

Parteiisch-selektiv reagierte auch eine Leserin auf den Kronstadt-Artikel in der jungen Welt, als sie dort von den Verbrechen der Bolschewisten an den aufständischen Matrosen und Arbeitern der Kronstädter Kommune erfuhr: "Ich weiss schon lange, dass oft die Linke mehr zum Geschichtsrevisionismus beigetragen hat als die Rechte. Und nun habt auch Ihr Euch in den Kreis begeben, der die antikommunistischen Lügen dieser ´Kronstadt-Legende´ verbreitet" [60a]. Furchtbar! Sie bietet jedoch keine Beweise, nicht einmal glaubhafte Quellen an, die diese "Auschwitzlüge" über das Kronstadt-Massaker belegen. Sie wirft lediglich mit Propagandaphrasen aus der vulgärmarxistischen Klippschule um sich: "Geschichtsrevisionismus", "antikommunis-tische Lügen", "Kronstadt-Legende". Trotz Ermangelung eigener Gegenbeweise ist für sie alles gelogen, was ihre Genossen verbrochen haben. Sie glaubt das also nur. Aber warum glaubt sie nicht das Gegenteil? Kann nicht auch alles gelogen sein, was die roten Mörder an den Kronstädtern verbrochen haben? Die sind doch motiviert zu lügen! Oder lügen Täter nicht? Lügen nur die Opfer und jene, die sich für sie einsetzen? Ist alles gelogen, weil wir glauben, dass unsere Horde so etwas nicht tut? So glaubten auch viele der Väter und Grossväter der Linken nach dem Zweiten Welt-krieg an die Unschuld ihres geliebten Führers und anderer deutscher Täter, als deren Verbrechen nicht mehr zu vertuschen waren. Die Einsicht in die Wahrheit würde ein unangenehmes Gefühl vermitteln, das Gefühl des schlechten Gewissens aus Mitschuld und vor allem das des Ausgestossenseins aus der Gemeinschaft. Also muss alles, was ihren Deutschen und ihren Führern beziehungsweise ihren Bolschewiken vorgewor-fen wird, gelogen sein.

Wenn es um die eigene, womöglich noch geliebte Sippschaft geht, werden zudem nicht nur die eigenen Täter freigesprochen, sondern obendrein noch jene Ankläger, die mit den Fingern in dieser Wunde der Gemeinschaft bohren, als "Nestbeschmutzer" diffamiert. Dann können die beleidigten Hordenmenschen nicht einmal mehr die Begriffe Nest-Beschmutzer und Nest-Reiniger richtig zuordnen. So stark ist der Gemeinschaftskitt und die Angst vor dem schlechten Gewissen, dass sie die Begriffe vertauschen: nicht die Täter, die wirklich ins Nest geschissen haben, sondern die Entsorger, die den Dreck beseitigen wollen, sind die Nestbeschmutzer - und die Opfer! Selbst, wenn sie sich zu den richtigen Einsichten durchringen, haben sie eher Mitleid mit den Tätern, sind es doch die Ihrigen, als mit den Opfern, sind es doch die Fremden. Und sie haben viele Rechtfertigungen parat für die Taten ihrer Täter. Darin unterscheidet sich unsere linke Briefschreiberin nicht im Geringsten von den Deutschen nach ´45.

Hannah Ahrendt hat recht, wenn sie von der "Banalität des Bösen" spricht, ist dieses Verhalten doch ganz "normal" und sogar "natürlich", wie die Geschichte menschlichen Verhaltens und auch eine Analyse des doch eigentlich sympathischen Wir-Gefühls zeigen. Und es ist auch ganz normal und natürlich, wenn die meisten Exemplare des Homo sapiens sapiens beleidigt und empört sind, wenn Ahrendt das offen ausplaudert, spricht sie doch von ihnen. Frau Ditfurth wird diese schwer zu widerlegende Selbsteinschätzung der eigenen Spezies wahrscheinlich mit der Phrase abzuwehren versuchen, das sei eine "menschenverachtende Position" oder gar "Menschenhass", liebt sie doch ihre Spezies. Oder doch nur einen Teil davon? Zum Beispiel ihre "Antifas", insbesondere ihren Spezi Bierl.

Sublimierte Ausstossreaktionen kommunistischer "Kleinbürger"

Als tierliebendes Kind waren die Hühner für mich die einzigen Tiere, die ich nicht mochte: mir war aufgefallen, dass ihr Verhalten sehr menschlich ist. Kam ein neues Huhn in den Hühnerstall meiner Mutter, wurde es "ausgestoßen": tagelang gehackt. Es ist eben fremd. Verhaltensforscher haben beobachtet, dass Vögel selbst bekannte Artgenossen hacken, wenn sie plözlich ungewöhnlich aussehen, z. B., wenn ihnen eine Feder schief aus dem Federkleid herausragt. Ich wurde in den 50-er Jahren von Passanten angepöbelt, weil ich einen Bart trug, eine junge Frau noch in den 60-er Jahren wegen ihrer langen Haare. Ähnliche Reaktionnen hat Jane Goodell bei Schimpansen beobachtet. Sie "diskriminieren" Gruppenangehörige, wenn sie sich, an Kinderlähmung erkrankt, aussergewöhnlich bewegen [60b].

Äussert sich bei Frau Ditfurth und ihren Sturmtrupp vielleicht auch eine besonders archaische, aus der Abstammungsgeschichte des Menschen überlieferte Reptilienreaktion, wenn sie auf Personen - zwar nicht mit herausragenden Federn, wohl aber mit neuen und für sie fremden Ideen - einhacken, um sie aus ihrem linken Stall zu vertreiben? Vielleicht ähnlich "intellektuell" motiviert, wie bei jenen rechten Skinheads, die noch einen Rest von Grosshirn besitzen, um aus Vorurteilen und aus dem R-Komplex rund um das Stammhirn eine faschistoide Ideologie zusammenmixen zu können? Als gut erzogene Bürgerkinder sind ihre archaischen "Ausstossreaktionen" (K. Lorenz) kulturell "sublimiert" (S. Freud): auf linke Konkurrenten mit aussergewöhnlichen Ideen bezogen, gewissermassen auf die Träger regenbogenfarbener Federn, die aus dem blutrotem Sumpf der linken Gackerszene herausragen, und nicht auf Bärte, lange Haare, ungewöhnliche Hautfarbe oder körperliche Gebrechen. Und sie laufen meist verbal ab, selten so gewalttätig wie in der TUB gegen Langer. Eher, wenn der Hass gegen Schmitt kaum noch zu zügeln ist, mittels Aufforderung zum Gebrauch der Faust, wie Bierl in Ditfurths ÖkoLinX. Denn als gut erzogene Kleinbürgerpfeife mit sublimierten Trieben macht sich dieser Bläser zur Treibjagd kaum selbst die Finger dreckig.

Viel mehr können diese Möchtegernbolschewiken in einer relativ liberalen und rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft auch gar nicht tun. Doch was würden sie machen, wenn sie könnten? Wenn sie die Macht hätten, im Besitz des Staatsapparats wären? (Als "Avantgarde der Arbeiterklasse"!) Würden sie dann nicht "die Sau rauslassen"? Vielleicht nicht so chaotisch wie die Skins, aber ordnungsgemäss wie die Nazis?

Der serbische Halbjude mit einschlägiger Erfahrung, Aleksander Tisma (Kapo) meint: "Nach meinem Weltgefühl ist der Mensch ein sehr niedriges Wesen. Und jede Manifestation seiner Niedrigkeit ist ein neues Detail, das uns das Bild vom Menschen vervollständigt" (taz 22. 10. 1997, S. 17). Er widerspricht damit der Einschätzung des von manchen Linken als Faschist bezeichneten Verhaltensforschers Eibl-Eibesfeldt, der einst in einem Interview in der FR behauptete, der Mensch sei "ein von Natur aus freundliches Wesen". Damit kann er nur Frau Ditfurth gemeint haben.

Bin ich objektiv? - Ein kleiner Selbsttest

Was uns die Psychologen und Biologen umständlich-wissenschaftlich zu erklären versucht, sind alte Volksweisheiten: dass "Liebe blind macht", dass "nicht sein kann, was nicht sein darf", dass es erstaunlich viele Leute gibt, die "ein Brett vor dem Kopf" haben, bei denen schnell "die Klappe runtergeht", die vom "Wunschdenken" geleitet, "voreingenommen", "auf einem Auge blind" und "vergesslich" sind und nur wahr haben wollen, was ihnen "in den Kram passt". Natürlich sind nur die anderen blind, vergesslich, borniert und geistig behindert. Aber seien wir ehrlich (wenigstens gegen uns selbst, die anderen müssen´s ja nicht erfahren), besitzen wir nicht alle, wenn auch nicht so ausgeprägt wie Frau Ditfurth und trotz aller (relativen) Intelligenz, eine Art angeborener Neigung zur Dummheit? (Wir wissen doch: Klugheit und Intelligenz sind nicht dasselbe.) Stammesgeschichtlich gesehen, hat ein derart funktionierender psychischer Apparat, wie ich ihn zu beschreiben versucht habe, sicherlich einmal selbst-, gruppen- und arterhaltende Funktionen gehabt. Mit ihm konnten sich unsere Vorfahren in Millionen von Jahren in den relativ statischen Gesellschaften einerseits auf die Richtigkeit einmal erworbener und von Autoritäten vermittelter Erfahrungen einigermaßen verlassen und ersparten sich dabei andererseit die aufwendigen Bemühungen, immer wieder jedes praktische Handeln objektiv und kritische hinterfragen zu müssen. Das wäre sehr ineffizient gewesen. Mit diesem Apparat konnten sich unsere Vorfahren offenbar optimal durchwuseln, denn sonst gäbe es ihn (und uns) ja heute nicht. In der heutigen, sich rasant verändernden Welt wirkt dieser Apparat oft (oder meist?) disfunktional und sogar gefährlich, z. B. als Apparat zur Produktion von Ideologien mit Absolutheits- und Herrschaftsanspruch. Man sollte meinen, daß Leute, die Bücher schreiben wie Ditfurth, die zudem noch den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu wecken suchen, sich von derartigen archaischen Triebstrukturen absetzen könnten.

Können wir das denn, liebe Leserinnen und Leser? Wie weit Ihr selbst dieser Neigung zu irrationaler und subjektiver Wahrnehmung und entsprechender Urteilsfindung unterliegt, könnt Ihr unverzüglich überprüfen. Ich möchte Euch einmal empfehlen zu erraten, welche der folgenden Zitate welchen Autoren zugeordnet werden könnten. Dem "Antisemiten" Gesell? Dem NS-Zins-Brecher Gottfried Feder? Dem ehemaligen SA-Funktionär Otto Strasser? Dem antisemitischen NS-Hetzblatt Der Stürmer beziehungsweise seinem Herausgeber Julius Streicher? Oder etwa dem werten Genossen Karl Marx? Nach anschliessender Kenntnisnahme der tatsächlichen Autoren solltet Ihr Euch fragen, 1. ob Ihr "das gedacht hättet"; 2. wenn nicht, warum nicht; 3. ob Ihr diese Zitate als Fakten akzeptieren oder 4. überprüfen wollt und 5. ob Ihr mich vielleicht für einen Nestbeschmutzer haltet. Also, los gehts:

1. "Welches ist der wirkliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfniss, der Eigennutz. / Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. / Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld."

2. "Der Kapitalist weiss, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehen oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittene Juden sind, und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen."

3. "Der Jude weiss, dass das Aufnehmen von Anleihen gleichbedeutend mit Schuldenmachen ist. Er weiss, dass er, der Jude, das Anleihegeld nur gibt, weil er dafür guten Zins erhält. Er weiss, dass durch die Übernahme der Goldanleihe der amerikanischen Juden das deutsche Volk in ewige Zinsknechtschaft gebracht wird."

4. "So finden wir, dass hinter jedem Tyrannen ein Jude, wie hinter jedem Papst ein Jesuit steht. Wahrlich, die Gelüste der Unterdrücker wären hoffnungslos, die Möglichkeiten von Kriegen unvorstellbar, gäbe es nicht eine Armee von Jesuiten, das Denken zu drosseln, und eine Handvoll Juden, die Taschen zu plündern."

5. "Die Juden sind die Fäulniserreger im Volksleben."

6. Wer benutzte folgendes Vokabular in Bezug auf Juden: das "Jüdchen", der "Itzig", "das Vieh", "wasserpolackischer Jude", "ein pfiffig aussehendes Jüdel"; behauptet, die Juden "vermehren sich wie Filzläuse"; und berichtet über einen Badeort: "Viele Juden und Flöhe hierselbst"?

7. "Es ist kein Zufall, dass der Christusverräter Judas heisst und dass dieser in der Vorstellung der Menschen und in der bildlichen Darstellung immer in der Fratze eines Juden erscheint. Der Hässlichkeit des Wesens, der Niedrigkeit der Seele entsprechen die teuflischen Züge des Gesichtes und der disharmonische Aufbau des Körpers." "Die Juden sind unser Unglück!" "Wenn aber irgendwo in Deutschland einmal ein Jude die Fresse verhauen bekommt, geht ein gewaltiger Sturm durch die ´deutsche´ Presse."

8. Der Autor folgender Zeilen wisse, dass die "Kopfbildung und der Haarwuchs" eines bestimmten Juden "von den Negern abstammt", und freut sich: "Der jüdische Nigger ... hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren." Desweiteren versichert dieser Schreiber, dass er das neu erschienene Buch dieses "jüdischen Niggers", dessen "Zudringlichkeit ... niggerhaft" sei, nur lesen werde, wenn es "nicht nach Knoblauch duftet". Und dieser "Lazarus, der Aussätzige, ist .. der Urtyp des Juden ...".

9. "Sie gehen hier von einer rassenmäßigen Betrachtung aus, die ich von Grund auf für falsch halte. / Nach meiner Ansicht ist die Rasse nur das ursprüngliche Rohmaterial. Beim deutschen Volk z. B. waren es vier bis fünf verschiedene Rassen, die als Baumaterial dienten."

Nun, von wem stammen diese Zitate? Fangen wir mit den Nazis an: Das Zitat unter 3. ist aus Julius Streichers Stürmer (1924), das erste und dritte Zitat unter 7. ebenfalls Der Stürmer (14 / 1932), das zweite unter 7. steht in jeder von mir in Augenschein genommenen Ausgabe unten auf der ersten Seite des Stürmers. Das Zitat unter 5. ist von dem NS-Zinsideologen Gottfried Feder.[61] Das Zitat unter 9. ist von dem Nationalsozialisten Otto Strasser aus einem Streitgespräch mit Hitler 1930 [62]. Alle anderen Zitate sind von dem berühmten Kommunisten und Humanisten Karl Heinrich Marx, das unter 1. aus Zur Judenfrage [63], das unter 2. aus dem Kapital [64], das unter 4. aus einem anonym veröffentlichten englischsprachigen Zeitungsartikel [65]. Die Zitate unter 6. und 8. sind aus Briefen an Engels [66]. Mit "Itzig", "jüdischer Nigger" und "Lazarus, der Aussätzige" ist Marxens Konkurrent gemeint: der Gründer des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalle. Aber auch andere, zum Beispiel seinen jüdischen Verleger Duncker, belegt er mit antisemitischem Vokabular.

Diese entzückenden Sprüche ihres grossen Meisters bilden offenbar die "marxistisch-humanistische" Vorlage für jenen Stil, den sich die Marx-Jünger Kurz und Ditfurth zu eigen gemacht haben, wenn Ditfurth den "prokapitalistischen, rassistischen Mittelständler Gesell" als "antisemitischen Eugeniker" denunziert und Kurz verhasste "Kleinbürger" als "behäbig grunzende fette Metzgermeister" anpöbelt. Es ist schon peinlich, dass sich ausgerechnet ein Obernazi, Otto Strasser, gegen den Rassismus wendet, während das linke "Jüdel" Marx in dem Zitat unter 4. eine wichtige Aussage aus dem NS-Film "Jud Süss" (ein Begriff, den laut Silberner [67] Marx ebenfalls verwendet) vorwegnimmt: ein Jude verschafft einem Fürsten einen Kredit. Interessanterweise wettert Marx auch ebenso wie Hitler gegen Jesuiten und "Freimaurerei" [68].

(Haben sie auch gut aufgepasst, die Ditfurths?: "das linke ´Jüdel´ Marx"! Nun haben sie es doch endlich schwarz auf weiss, dass Klaus Schmitt ein Antisemit ist!)

Zeigt mir, wo die Antisemiten sind!

Um zu klären, wer ein Antisemit ist, müssen wir wissen, was Antisemitismus ist. Silberner zitiert den Brockhaus (von 1966), wo Antisemitismus schlicht als "Abneigung oder Feindseligkeit gegen Juden" definiert wird. Wichtig ist zu unterscheiden, ob es sich um einen kulturhistorisch oder biologisch begründeten Antisemitismus handelt. Deshalb wichtig, weil es aus der Perspektive der biologistisch orientierten Rassisten nahe liegt, die "Judenfrage" durch "ethnische Säuberung", das heisst durch Vertreibung oder Ermordung der Juden zu "lösen". Vom historisch und kulturell begründeten Antisemitismus wird "nur" Erziehung oder - etwas anspruchsvoller - die Veränderung der ökonomischen Bedingungen und gesellschaftlichen Verhältnisse gefordert. Dieser nicht rassistisch begründete Antisemitismus ist daher zumindest kein Rassismus.

Bei Julius Streicher wie auch bei Gottfried Feder geht es bei der "Judenfrage" nicht um ein gesellschaftlich und historisch bedingtes Phänomen, sondern um ein biologisches: um die "Rasse", und zwar speziell um die jüdische bzw. semitische. Sie ignorieren den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund, der zu den Geldgeschäften der Juden und zum "Schacher" geführt hat. Im Mittelalter war den Christen das Zinsnehmen verboten, den Juden nicht. Ausserdem war den Juden die Ausübung vieler gesellschaftlich und moralisch akzeptierter Berufe untersagt. Diese soziale Diskriminierung zwang sie also, in jenen Gewerben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die ihnen erlaubt und bei Christen verpönt waren. Dazu gehörte auch der Geldverleih gegen Zins. Das dürfte dazu geführt haben, dass zwar nur eine kleine Minderheit der Juden, aber überpropotional viele der Ethnie bzw. religiösen Gemeinschaft im einträglichen und Neid erregenden Geldgeschäft tätig waren. Zudem führten Zins und Zinswucher viele der meist christlichen Kreditnehmer in die Schuld- und Zinsknechtschaft, die nicht dem Geldsystem, sondern den Juden persönlich angelastet wurden. Der angebliche Verrat an (dem Juden!) Jesus und andere wahnhafte Beschuldigungen der Juden tat ihr Übriges. Dieser historische und gesellschaftliche Hintergrund wird von den biologisch orientierten Antisemiten nicht wahrgenommen. Das Finanzgebaren einer kleinen Minderheit von Juden als eine biologische Anlage der Semiten (zu denen auch die Araber gehören) zu interpretieren, ist jedoch absurd. Wie wollen die Antisemiten das beweisen? Durch genetische Tests? Die gesellschaftliche Lebenspraxis der riesigen Mehrheit der Juden in aller Welt beweisst das Gegenteil.

Ebenso absurd ist Feders Behauptung, die Juden seien die "Erfinder des Kreditwesens" [69]. Das lässt sich historisch widerlegen. Die ersten, die das Kreditsystem im ausgehenden Mittelalter in Deutschland zur Blüte brachten und sich gewaltig an Zins und Wucherzins bereicherten, waren die Christen und "Arier" Welser und Fugger. Die berüchtigsten Finanzkapitalisten zu Gesells Zeit waren die Christen und "Arier" Morgan und Rockefeller in den USA. Und nicht über einen jüdichen Bankier, sondern über Morgan wurde kritisch von einem Gesellianer berichtet [70]. Doch Beweise fruchten nicht bei Leuten, die nur sehen, was sie sehen wollen. Zu dieser leider weit verbreiteten Kategorie von Menschen zählen sowohl die Rassisten und Antisemiten, als auch Ditfurth & Co.

Wie sieht es bei Marx aus? Obwohl für Marx die "Judenfrage" zweifellos eine historische und gesellschaftliche Frage ist, zeigt er mit seinen feindseligen und wenig zimperlichen Bemerkungen zum Judentum ("Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher" etc.), dass er nach dem Brockhaus-Verständnis Antisemit ist. Das könnten wir - bei äusserstem Wohlwollen - noch als eine mehr oder weniger legitime Kulturkritik durchgehen lassen. Mit seiner gehässigen, rassistischen Kennzeichnung eines "jüdischen Niggers" durch "Kopfbildung und Haarwuchs" und der Degradierung von Juden zum "Vieh" zeigt er jedoch, dass er darüber hinaus - vorsichtig formuliert - auch nicht frei ist von rassisch motiviertem Antisemitismus und von Rassismus schlechthin. Er benutzt ähnliche und ebenso ekelhafte Formulierungen wie Julius Streichers Stürmer: "teuflische Züge", "in der Fratze des Juden" etc. und übertrifft damit manche Nazis. Und wie bei den Nazis, werden auch bei Marx, der sonst Gesellschaften in Klassen gliedert, alle Juden., auch die armen - also die ganze jüdische Ethnie - als Kapitalisten und Ausbeuter diffamiert (Silberner [71]). Damit wird - wie bei den Nazis - suggeriert, die Juden seien als Angehörige der "semitischen Rasse" ausnahmslos die eigentlichen Kapitalisten und Ausbeuter. Jeder andere als Marx wäre bedenkenlos als Rassist und Antisemit bezeichnet worden. Bemerkenswert, wie die Marxistin und stramme Kämpferin gegen Rassismus und Antisemitismus, Jutta Ditfurth, die in jedem Nicht-Marxisten Rassimus und Antisemitismus wittern, diesen Gestank bei ihrem "Chefideologen" Marx nicht wahrnimmt! (Immerhin hätten Marxens Hasstiraden Witz, meint Silberner, den wir bei Streicher und Ditfurth vermissen müssen.)

Wenn Gesell die damals verbreitete, aber einseitige [71a] Behauptung kolportiert: "Die Juden beschäftigen sich nun mit Vorliebe mit Geldgeschäften" (siehe S. 7), dann begründet er dieses Verhalten nicht biologisch-rassistisch; es resultiert eben aus den sozialökonomischen Bedingungen, unter denen die Juden zu leben gezwungen waren. Wie Marx, benutzt auch Gesell an dieser Stelle das Wort "Schacher", aber nicht in einem feindseligen, im Gegenteil: in einem solidarischen Zusammenhang. Er diffamiert die Juden nicht wegen des "Schachers" wie Marx, nicht einzelne Juden und nicht die jüdischen Gläubigen oder die ganze jüdische Kultur oder gar "Rasse". Und er benutzt das Wort "Adler", wo es nahegelegen hätte, von "Geiern" zu sprechen. Marx hätte sich diese Gelegenheit wohl kaum entgehen lassen. Gesell wirft ihnen auch nicht die "Zinsknechtschaft" vor wie die Nazis. Er nennt die "Vorrechte", die der Geldinhaber geniesst, nicht eine Angelegenheit der jüdischen "Rasse" oder auch nur Kultur, sondern (kursiv bei Gesell:) "eine Folge einer ungerechten Einrichtung": des "Münzwesens". Geht´s noch deutlicher? Und er nennt "das Geld eine öffentliche Einrichtung", der sich "jeder, wenn er dazu befähigt ist", bedienen kann. Aus dem selben Grund wirft er das Zinsnehmen auch nicht den christlichen oder "arischen" Bankiers oder Finanzkapitalisten vor. Folgerichtig fordert Gesell auch nicht die Veränderung der Menschen durch Erziehung oder Genmanipulation, oder die Zerstörung der jüdischen Kultur oder die Verteibung oder physische Vernichtung der Juden, um das Zinsproblem zu lösen, sondern die Veränderung des heutigen Geldsystems.

Dennoch und in Umkehr klarer Tatbestände nennen Ditfurth und ihre Fuzzis Gesell einen Antisemiten! Haben sie irgendwo auch nur eine einzige diskriminierende Äusserung gegen Juden - gegen die ganze Ethnie, gegen eine jüdische Gruppe oder einzelne Juden - (oder irgend eine andere Ethnie) bei Gesell gefunden? Oder gar ein antisemitisches Gossenvokabular, wie es Streicher, Feder und der Spassvogel Marx zu benutzen pflegten? Nur das Gegenteil hätten sie finden können - wenn sie denn gewollt hätten! - zum Beispiel, dass Gesell den Juden "grosse geistige Fähigkeiten" bescheinigt. Aber vielleicht ist das Rassismus. Dann aber ein freundlicher und kein feindseliger, also ein philosemitischer. Doch Philosemitismus ist das Gegenteil von Antisemitismus. Und wenn man Philosemitismus unbedingt als eine Art umgekehrten Rassismus bezeichnen will, dann ist das kein Rassismus, wie er oben definiert worden ist. Er ist eben nicht feindselig, sondern freundlich, bewundernd, wäre dann eine Art "Philorassismus", aber ohne Bevorzugung einer Rasse.

Gesell hat sich - offenbar als einer der wenigen Sozialisten! - schon im vorigen Jahrhundert vom Antisemitismus distanziert, als noch viele namhafte Sozialisten, darunter Proudhon und Bakunin, nicht frei von antisemitischen Tendenzen waren [72]. Die Übel des Zins erpressenden und Krisen verursachenden Geldsystems den Juden in die Schuhe zu schieben, die "Judenhetzerei", hielt Gesell, wie wir am Anfang dieser Abhandlung gelesen haben und was nur Böswillige, Schwachsinnige oder ideologisch total Verklemmte übersehen können, für "eine kolossale Ungerechtigkeit". Doch weder Gesells eindeutige und ausdrückliche Distanzierung von den Antisemiten, noch sein ökonomisches Lösungskonzept des Zinsproblems und des "Schachers" sind für Ditfurth ein Beweis gegen den Antisemitismus-Vorwurf. Er muss eben Antisemit sein, aus politischer und "revolutionärer" Notwendigkeit, und damit basta. Das mag amüsant sein, ist aber auch bedauerlich, fallen doch viele junge und unerfahrene, auch libertäre und antiautoritäre Linke auf diese unfundierten Hetztiraden dieser leninistisch-stalinistischen Fundamentalistin herein, im Vertrauen, dass eine Genosssin ihre eigenen Genossinen und Genossen nicht belügen würde. So erreicht sie genau das, was sie erreichen will: diese naiven Linken ignorieren Gesells libertäre Wirtschaftstheorie - zu ihrem eigenen Nachteil: sie vergeben sich wichtige Einsichten in ökonomische Zusammenhänge. Aber sie desertieren nicht von der roten Fahnen. Ich muss gestehen, auch ich alter Esel habe linke Texte bisher noch viel zu vertrauensselig gelesen. Wie kann man auch vermuten, dass es Subjekte - zudem noch linke - gibt, die so plump und ungeniert aus schwarz weiss und aus weiss schwarz machen? Ich bin jetzt vorsichtiger - dank Ditfurth.

Wer sind nun die tatsächlichen Antisemiten? Nach allgemeinem Verständnis nicht Gesell, wie Ditfurth behauptet, sondern hier Streicher, Feder und Marx, wie die Fakten belegen. Und die im Stile Marx´ und Streichers vorgetragene Hetze Ditfurths gegen Gesell darf man wohl - egal wie man zu seinen Theorien steht - ebenfalls "eine kolossale Ungerechtigkeit" nennen. Nach Ditfurths Gleichsetzung von Antisemiten mit Faschisten müsste der Antisemit Marx auch ein Faschist sein. Und nicht nur das: Marxens Antisemitismus unterstellt sie dem Kosmopoliten Gesell! Man stelle sich einmal vor, Gesell, Otani, Franz Alt oder wer auch immer hätte sich nur einen einzigen von Marxens schrillen Sprüchen - "Jüdche", "Itzig", "Vieh", "jüdischer Nigger" - erlaubt! Aber vielleicht wären sie dann nach Ditfurths "Dialektik" schon wieder Philosemiten.

Der feine Duft des Marxismus

Frau Ditfurth beklagt, die neuen Rechten "empfehlen ... den Bioregionalismus, nicht den Marxismus" (S. 138). Wie hübsch sie das doch sagt. Frage: Was sollen die denn sonst empfehlen nach den Millionen Opfern des Kommunismus und der gigantischen ökonomischen Pleite der Marxisten? Waren es nicht die marxistisch orientierten Kommunisten, die den Sozialismus und Kommunismus diskreditiert und die Menschen immer wieder in die Arme der Rechten getrieben haben? In der UdSSR hat das kommunistische Experiment allein in den 19 Jahren von 1934 bis ´53 vorsichtig gerechnet 15 Millionen Menschen das Leben gekostet. Andere Autoren sprechen davon, dass in den 18 Jahren von 1935 bis ´53 sogar 35 Millionen ums Leben gekommen sind. Für Rot-China wird mit 44,5 bis 72 Millionen Toten gerechnet, und in dem ursprünglich rund 8 Millionen Einwohner zählendem Kambodscha sind in 4 Jahren 1,3 bis 2,3 Millionen verhungert und erschlagen, erschossen und zu Tode gefoltert worden [37a]. Hinzu kommen die Toten der okkupierten Satelitenländer. Diese Dimensionen hat nicht einmal der braune Massenmörder Hitler erreicht.

In ihrer Jungen Freiheit 40 / 1995 haben diese Rechten lieber einen sachgerechten Artikel über Gesell und das Wörgler Schwundgeld-Experiment gebracht [73]. Wäre das nicht auch was Lesenswertes für Ditfuths ÖkoLinX-LeserInnen? Es ist niemand weniger als die von den Nazis zum Tode verurteilte Sozialistin und Schriftstellerin Luise Rinser (Gefängnistagebuch, Den Wolf umarmen), die sich sehr positiv über dieses Experiment äussert und "allen" den - in der Tat! - guten Rat gibt, "sich mit der Wirtschaftslehre von Silvio Gesell zu beschäftigen" [74]. Doch Ditfurth und Genossen überlassen lieber alles Neue und Interessante - ins Besondere zur Zins- und Währungsfrage - den Rechten, die das gerne aufgreifen und damit den Linken schon 1933 die "Massen" weggeschnappt haben. Nur vom Marxismus wollen die Rechten nichts wissen, und die wissen auch - besser als viele Linke und manche Junganarchos - warum. So sehr es den neuen Rechten an Wahrnehmungsvermögen bezüglich des Nationalsozialismus fehlt (auf dem rechten Auge blind), haben sie doch eine feine Nase für den Duft des Marx´schen Kommunismus. Er duftet zwar nicht nach Knoblauch, jedoch nach Blut.

Über diese realisierte "Sackgassen-" und "Wahnidee"[75] urteilt der einst begeisterte und dennoch aus der sog. DDR zwangsausgebürgerte Liedermacher und Ex-Kommunist Wolf Biermann heute so: "Es sind die kommunistischen Ideale selbst, egal wie miserabel sie verwirklicht wurden, die mir als ein mörderischer Irrtum erscheinen. Die Verheissung einer globalen Idylle ist schon das Verbrechen. Wir waren blutige Narren und wollten mit Marx, Engels, Lenin und Stalin das Paradies auf dieser Erde herabzwingen, und das erwies sich als der direkte Weg in die allerschlimmste Hölle" [76]. (Vielleicht doch das "Reich des Bösen"?) Diese Ideale des kommunistischen Paradieses versuchen die übriggebliebenen Narren Ditfurth und Genossen zu retten, und dazu sind ihnen auch alle Mittel ihrer geistigen Opas recht.

Abschliessend sollte vielleicht noch vermerkt werden, dass alles, was ich über die menschliche Intelligenz gesagt habe, in den Wind geschossen ist, werden doch die, die sich über ihre eigene Beschränktheit Gedanken machen und ihre Vorurteile gegen Gesell und andere revidieren sollten, um sich fit zu machen für eine gescheite, "inhaltliche" und konstruktive Kritik, diesen Text sowieso nicht lesen. Warum nicht? Nun, das habe ich ja gerade dargelegt. Die Anderen wissen sowieso, was Sache ist. (Oder glauben es wenigstens zu wissen.)

 

Anmerkungen:

1 Auf dieser Demo wollten mir drei Demonstranten dieses schöne Plakat entreissen. Ebenso versuchte ich mit der Gaspistole die Manipulation einer Diskussion nach einem Hetzvortrag Peter Bierls gegen Gesell durch diesen Miniaturbolschewiken zu verhindern. Darüber polemisierte eine Anke Lehmann in der ÖkoLinX 16 / 1994 unter dem Titel: Klaus Schmitt zückt die Pistole. Die 5. Kolonne der ´Neuen Rechten´ in der Berliner Anarcho-Szene. Gesellianer versuchen Veranstaltung im El Loco zu stören. Siehe dazu das Kapitel: Die "inhaltliche" Diskussion der roten Kader.

1a Über meine Person und das Berliner Untergrundblatt 883 siehe Tilman Müller: Einst kommt der Tag der Rache. Trans Atlantik 2 / 1985, S. 36 - 41

2 Jetzt auch im Internet: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/schmitt

2a Bartschs Text über Gesells Physiokraten und seine Beziehungen zu den Anarchisten Mühsam und Landauer in der Weimarer Republik ist ins Japanische übersetzt und wird seit 1995 von der Gesell Kenkyuukai (Gesell Research Society), c/o Eiichi Morino, 3-321 Koyasudohri, Kanagawa-ku, Yokohama, 221 Japan herausgegeben.

3 Peter Elger: Die Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung Silvio Gesells bis Ende der Weimarer Republik, Diplomarbeit von 1978, Marburg. - Weitere kritische und ablehnende Artikel in Direkte Aktion 41 / 1983; Grasswurzelrevolution 140; Bündnis 9000 5 / 1993 (mit einem Artikel von W. Kessler aus publikforum und meiner Antwort mit einigen von der Redaktion hineingefummelten Fehlern); Die Beute 4 / 1995; Sklaven 16, 17 u. 18 / 1996 (von Robert Kurz) - Wertneutrale und positive Artikel zu Gesells Geld- u. Zinstheorie und Schwundgeld seit 1983: agit 883 90 / 1983; Alpenanzeiger Apr. / Mai / Juni 1984; RZ 11 / 1989; taz 27. 3. u. 17. 4. 1990; Anarchistischer Taschenkalender 1990; Maischrei 1. 5. 1990; Sapperlot 2 / 1991; die Andere 31 / 1992; Contraste Sept. 1988, Okt. 1989, Jan. u. Juli / August 1990 u. Okt. 1992 (Artikel aus die andere); Bündnis 2000, 4 / 1992; Die Zeit 37 / 1993; Espero 1 / 1994; Junge Freiheit 40 / 1995; telegraph 4 / 1995; betrifft: AES 6 / 1965; Spiegel-Spezial 5 / 1996; Sklaven 2 / 1994, 8 u. 9 / 1995, 20 u. 21 / 1996 (meine Antwort auf Art. von R. Kurz), 35 / 1997 - Speziell über das "Knochengeld" der Künstler vom Prenzlauer Berg in Ost-Berlin unter anderem in: Bild 8. 11. 1993, Die Zeit 10. 12. 1993 (von Helmut Höge, ehemaliger Mitarbeiter des West-Berliner Spontiblattes Hundert Blumen); Die Woche 11. 11. 1993; Freitag 12. 11. 1993; Neue Zeit 12. 11. 1993; Berliner Zeitung 12. 11. 1993; Contraste Dez. 1993; taz 12. 6., 14. 6. u. 4. 7. 1991, 11. 9., 11. 11, 12. 11., 13. 11., 23. 11. (Mathias Bröckers vom Berliner Hanfladen) u. 3. 12. 1993, 14. 2. 1994. - WDR-Sendung über Gesell am 20. 8. 1991 - Weitere Antworten auf die Hetzkampagne einiger Linker gegen Gesell und die Gesellianer: Andre´ Siegenthaler (Hg. / Anarchist): Wie Silvio Gesell zum Faschisten gemacht wurde. Eine Dokumentation der Gruppe Freiheit ist kein kleinbürgerliches Vorurteil, Schweiz (1994); Tristan Abromeit (Grüner): Hasstiraden und Herabsetzungen Andersdenkender sind keine Aufklärung, Anmerkungen zu J. Ditfurths Vortrag am 27. 1. 1997 in Hannover; Die Jagd auf "Ökofaschisten", ein Offener Brief mit Anlagen, 27. 11. 1996; Rechtstendenzen in der Freiwirtschaft, im Modell Natürliche Wirtschaftsordnung? (in Arbeit) und anderes Material von Abromeit im El Locco, Berlin und im Freiwirtsschaftlichem Archiv, 26316 Varel, Steenkamp 7; Werner Onken / Günter Bartsch: Natürliche Wirtschaftsordnung unter dem Hakenkreuz, Fachverlag für Sozialökonomie (1997).

4 Klaus Schmitt (Hg.): Silvio Gesell - "Marx" der Anarchisten? (1989), S. 194 ff.

5 Hugo Godschalk: Die geldlose Wirtschaft. 1986. Rolf G. Heinze u. Claus Offe (Hg.): Formen der Eigenarbeit. Theorie, Empirie, Vorschläge (1990); Siegfried Fröhlich: Extramarkt, Capital 9 / 1982; ders.: Geschäftsidee, Capital 10 / 1983. Auch im Tauschring-Bereich werden die Gesellianer diffamiert, und zwar in einem Bericht in Der Spiegel 46 / 1997, S. 93 f.

5a Wenn auch aus guten Gründen Otto Rühle von "braunem" und "rotem Faschismus" und Wilhelm Reich von "faschistischem Charakter" sprechen, dürfen sie jedoch nicht undifferenziert und inflationistisch gebraucht und jeder unliebsamen Peron oder politischen Bewegung aufgedrückt werden, wie das z. B. die "Antifas" machen (siehe das Kapitel Die Logik deer falschen Gleichsetzung). Eine Gleichsetzung des Faschismus mit den Nationalsozialismus käme fast einer Verharmlosung des NS-Regimes gleich. Bei allen politischen und ökonomischen Gemeinsamkeiten faschistischer, nationalsozialistischer und bolschewistischer Regime und der "faschistoiden" Charakterstruktur ihrer Vertreter und Bevölkerungen, sind auch ideologische und politische Differenzen zu beachten. Der deutsche Nationalsozialismus war z. B. nach dem Führerprinzip organisiert und extrem rassistisch und antisemitisch orientiert. Der eigentliche, der italienischen Faschismus propagierte ursprünglich die Ständeordnung und war - im Gegensatz zu Ditfurths Behauptung, Faschismus sei "ohne Rassismus nicht denkbar" (S. 21) - nicht generell rassistisch oder antisemitisch. Dort gab es keine Vernichtungslager, viele Juden waren in Führungspositionen der faschistischen Bewegung. 1936 verurteilte ein Deligierter des faschistischen Italiens auf der XIV. Internationale des PEN-Kongresses in Buenos Aires die Bücherverbrennungen im Nazi-Deutschland (Overesch / Saal: Das III. Reich 1933 - 1939, S. 302). Siehe auch Uwe Timm: Was ist eigentlich Faschismus? Edition Anares & Espero (1997).

6 Ost-Berliner Linke bringen eine weitaus grössere Sensibilität für den leninistischen "Faschismus" auf als die West-Linken. Das muss wohl an den Erfahrungen mit dem "realen Sozialismus" liegen. Kein Wunder, dass ein wichtiger Anführer der 68-er-Revolte: Bernd Rabehl, und ihr hervorragenster: Rudi Dutschke, aus dem Osten kamen.

6a Robert Wistrich: Wer war was im 3. Reich? (1987) S. 265

7 Dazu sehr empfehlenswert: Edmund Silberner: Kommunisten zur Judenfrage. Zur Geschichte von Theorie und Praxis des Kommunismus (1983)

8 Nervus Rerum. Buenos Aires (1891), in: S. Gesell: Gesammelte Werke Bd. 1 (1990), S. 140. - Nebenbei gesagt, viele Gegner der gegenwärtigen Rechtschreibereform möchten - vom schweizerischen "ss" abgesehen - sicherlich zurück zu dieser Schreibweise, kann man doch mit ihr die Kinder an den Staatsschulen noch mehr quälen, als mit der 1901 reformierten und bis ´98 geltenden.

9 S. Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld. (1920), Ges. Werke Bd. 11 (1991) S. 62 f.

9a AaO., S. 225 f.

10 Hans Mohr: Der prinzipielle Konflikt zwischen Biologie und Marxismus. In: Gerhard Szczesny (Hg.): Marxismus - ernst genommen (1975)

11 S. Gesell, aaO., S. 70

12 Die Freiwirtschaft durch Freiland und Freigeld 20 / 1925, S. 431 f.

13 Z. B. 1909 ihre Schrift Die Frauenbewegung in Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien

13a taz 28. 8. 1997, S. 9; taz 11. 9. 1997, S. 8; Berliner Zeitung 28. 8. 1997, S. 4 u. 6; Der Spiegel 36 / 1997, S. 152 f.

13b Ein Interview mit Peter Singer in der taz vom 11. / 12. 5. 1996, S. 13, über den Begriff "subjektives Lebensinteresse", den utiliristischen Glücksbegriff und den Vorwurf, seine Thesen stünden in der Tradition nationalsozialistischen Denkens.

14 Interessanterweise waren es vor allem kapitalistisch Orientierte und dogmatische Partei-Kommunisten und nicht Anarchisten (Klaus-B.Vollmar: Landkommunen in Nordamerika. 1975, S. 42 f.), die in die Kommunen des Behavioristen Skinner gingen. Dieser Verhaltensforscher will durch Konditionierung, also Dressur: Lohn und Strafe, so etwas wie einen "Neuen Menschen": den an die gegebenen sozialen Verhältnisse perfekt angepassten, schaffen. Das führt zur Entfremdung des Menschen von seinen Anlagen, auch den sozialen, denn diese Verhältnisse können im Belieben der Herrschenden, auch der kommunistischen, liegen.

14a Erich Fromm bestreitet, dass Marx diese Position vertreten hat (Das Menschenbild bei Marx, 1972, S. 24) und verweist auf MEGA (ohne Erscheinungsjahr), I. Abt., Bd. 5, S. 596

14b Retorten-Kommunismus. VR China will mit Hilfe von Samenbanken "wissenschaftlichen" Nachwuchs züchten. taz 11. 3. 1986, S. 6; Chinas neue Rasse. taz 28. 10. 1994, S. 1

15 Über Genforschungs-Hysterie und Euthanasie: Claus Koch: Das Individuum als Bio-Kapitalist. taz 25. / 26. 10. 1997, S. 12. - Ders.: Das Ende der Natürlichkeit - Streitschrift über Biotechnik und Biomoral. 1994

16 S. Gesell: Der abgebaute Staat (1927), Ges. Werke Bd. 16 (1995), S. 326

16a AaO., S. 328

16b AaO., S. 265f.

17 S. Gesell: Die Auslese durch das Christentum, den Krieg und den physiokratischen Frieden. Der Physiokrat 6 u. 10 / 1913. Auch in: S. Gesell, Ges. Werke Bd. 7 (1990), S. 199 ff. u. 216 ff.; die Zitate: S. 204, zu Krieg und "Zweikampf": S. 205 ff.

17a Im Wahlkampf hatte Lafontaine den Wählern die hohen, tatsächlich eingetroffenen Wiedervereinigungskosten vorgerechnet und die Wahl verloren, währen sein Konkurrent Kohl den Steuerzahlern vorlog, es würde keine Steuererhöhungen geben und die Wahl gewonnen.

17b Wenn ich mich als Anarchisten bezeichne, soll das nicht heissen, dass ich alle, die sich als Anarchos fühlen, z. B. die Ignoranten vom Schwarzen Faden und der Direkte Aktion, für meine Genossen halte. Alter Landserspruch: "Kammeraden? Die sind in Russland geblieben!"

18 Ernest Borneman: Das Patriarchat. Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems. (1979) S. 461 ff. Siehe auch S. 457: Hinrichtung von 225 Kriegsgefangenen "zur höchsten Freude des Volkes"

19 AaO., S. 464

20 AaO., S. 466

21 "Faschistoid", ein unglücklicher Begriff, der von der "Neuen Linken" der 68-Revolte speziell auf Angehörige der Generation des Hitler-Regimes angewendet wurde, entsprechend der psychoanalytischen Definition zu Recht, wie ich meine. Er wurde aus dem Begriff Faschismus, aus dem "autoritären Charakter", wie ihn die Frankfurter Schule definiert, und aus Wilhelm Reichs Analyse des "faschistischen Charakters" abgeleitet. Er assoziiert jedoch eine unkorrekte Gleichsetzung von Faschismus und Nationalsozialismus; s. Anm. 5a.

21a Karl Hahn: Föderalismus. Die demokratische Alternative. Eine Untersuchung zu P.-J. Proudhons sozial-republikanisch-föderalistischem Freiheitsbegriff (1975)

22 S. Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung, aaO., S. 62

23 Sigmund Freud: Abriss der Psychoanalyse, 1. Kap.: Der psychische Apparat

23a Alice Miller: Am Anfang war Erziehung (1983)

24 Zit. bei A. Miller: Am Anfang war Erziehung (1983), S. 91

25 junge Welt 5. / 6. 4. 1997, S. 7, Sp. 3

26 Klaus Gietinger: Die Kommune von Kronstadt. Serie in der Wochenendausgabe der jungen Welt vom 4. 5. bis zum 18. 5. 1997. - Weitere Kronstadt-Literatur: Fritz Kool u. Erwin Oberländer (Hg.) Arbeiterdemokratie und Parteidiktatur Bd. 1: Opposition innerhalb der Partei. Bd. 2: Kronstadt. dtv (1972); Johannes Agnoli, Cajo Brendel u. Ida Mett: Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und Bauern. Die Kommune von Kronstadt, Karin Kramer Verlag (1974); Victor Karelin: Aufstand der Matrosen. Bericht über eine verratene Revolution. Kronstadt 1921, Herder (1972), ein ausgezeichnetes, historisch korrektes Jugendbuch!; der aufstand der kronstädter matrosen. dokumentation zum 50. jahrestag, Broschüre mit einem Vorwort von Fritz Teufel. an-achia verlag wetzlar (1971)

26a Peter Arschinow: Die Geschichte der Machnow-Bewegung 1918 - 21, Karin Kramer Verlag Berlin

27 Gerhard Schmolze (Hg.): Revolution und Räterepublik in München 1918/19. dtv (1969); Hansjörg Viesel (Hg.): Literaten an der Wand. Die Münchener Räterepublik und ihre Schriftsteller, Büchergilde Gutenberg (1980)

27a Oskar Anweiler: Die Rätebewegung in Russland 1905 - 1921 (1958); Isaak Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution, Karin Kramer Verlag (1981)

28 Robert A. Wilson: Ist Gott eine Droge oder haben wir sie nur falsch verstanden, S. 158 f.

29 Nicht ganz zu recht, wie Hans Sveistrup meint. Siehe Sveistrup: Stirners drei Egoismen. Wider Karl Marx, Othmar Spann und die Fysiokraten, Verlag der Mackay-Gesellschaft

30 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum (1928), S. 265

30a AaO., 265

30b Günter Bartsch: Stirners Anti-Philosopie, Edition AurorA (1992); H. Sveistrup, aaO.; ders.: Max Stirner als Soziologe

31 R. Kurz: Politische Ökonomie des Antisemitismus, 2. Teil, Sklaven 17 / 1995, S. 31, Sp. 2

31a Gerhard Ziemer: Inflation und Deflation zerstören die Demokratie (1971); Max Leuchtenberg (J. Schumann): Woran Weimar scheiterte; und Uwe Timm: Was ist Faschismus? (1997)

32 Der Mehrwert setzt sich aus dem "Profit" und der Grundrente ("Differenzialrente") zusammen. Der Profit besteht nach Marx aus dem Profit-Anteil, den der Unternehmer behält, und dem Zins-Anteil, den er an den Geldgeber abgibt. Die Grundrente (den Bodenzins) erhält der Eigentümer von Grund und Boden und von Bodenschätzen und -kräften (Wasserfälle etc.). (Karl Marx: Das Kapital III, MEW [1968] Bd. 25, S. 840 u. 841).

32a Bild-Zeitung vom 27. 7. 1990, dokumentiert bei Helmut Creutz: Das Geldsyndrom. Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft (1993), S. 250. - Zur Zinseszinsakkumulation siehe Creutz, aaO., S. 67 ff.

33 K. Marx: aaO., S. 627 - 821

33a Auch nach Marx ist der eigentumslose Unternehmer "Arbeiter" und erhält "im Gegensatz zum Zins ... sein[en] Unternehmergewinn"; er "erscheint ... als Funktionär ... , als einfacher Träger des Arbeitsprozesses.., als ... Lohnarbeiter", ist jedoch auch Handlanger des Kapitals - aber welcher Lohnarbeiter, Konsument und Kreditnehmer ist das nicht? (AaO, S. 393 u. 395)

33b Siehe dazu H. Creutz: Das Geldsyndrom (1997) und ders.: Bauen, Wohnen, Mieten (1987)

33c Von diesem Problem ist in der Titelgeschichte Die Rechen reicher, die Armen ärmer im Spiegel 40 / 1997 typischerweise nichts zu lesen.

34 John Maynard Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1955), S. 196

34a AaO., S. 274

34b AaO., S. 185

34c AaO., S. 317

34d Martin Pfannschmidt: Vergessener Faktor Boden. Marktgerechte Bodenbewertung und Raumordnung, mit einem Vorwort von Gustav Bohnsack und einem Beitrag von K. J. Kristensen zur dänischen Bodenwertsteuer; M. Pfannschmidt: Die Bodenrente in Raumwirtschaft und Raumpolitik

34e S. Gesell: Die Auslese durch das Christentum..., Ges. Werke Bd. 7, S. 224

35 R. Kurz, aaO., 1. Teil, Sklaven 16 / 1995, S. 12, Sp. 2

35a Andre´ Glucksmann: Die Meisterdenker (1978), S. 197

35b W. Onken: Ein vergessenes Kapitel in der Wirtschaftsgeschichte. Z. f. Soz.ök. 57-58 / 1983

36 R. Kurz, aaO. Nr. 16, S. 13, Sp. 2. bis S. 14, Sp. 1

37 Ernst Bloch: Freiheit und Ordnung. Abriss der Sozialutopie. 1947, S. 181

37a Siehe Besprechung des "Schwarzbuches" Le live noir du communisme (1997, in Deutschland 1998) von 11 linken französischen Historikern in Der Spiegel 48 / 1997, S. 212 f. u. Die Zeit 48 / 21. 11. 1997, S. 17 ff.

38 Das hatte schon der Linksmarxist und Rätekommunist Karl Korsch 1912 in Die Tat beklagt; K. Korsch: Die sozialistische Formel für die Organisation der Volkswirtschaft, in: K. Korsch: Politische Texte, Räteverlag Wiener Neustadt

39 Meine Antwort auf Kurz´ Artikel: Eine geniale Analyse, Sklaven 20-21 / 1996, S. 60 ff.

40 Ein wertvoller Versuch, Fanal 3 / Dez. 1930, S. 71 f.; Freunde oder Gegner?, Fanal 4 / Jan. 1931, S. 95 f.

40a Von dieser Entwicklung der antiautoritären und parteienfeindlichen Revolte zur Gründung dogmatischer Miniaturparteien waren selbst manche mit uns sympathisierende Bullen angeekelt. Als wir Anfang der 70-er Jahre das leerstehende Bethanien-Krankenhaus (zu dem auch das "Georg-von-Rauch-Haus" gehört) in Berlin-Kreuzberg besetzen wollten, fragte uns ein junger Polizeibeamter, was wir den jetzt für eine Scheisse machen würden. "Was machen wir denn für eine Scheisse?" "Na, die Parteiengründungen! Das habt ihr doch alles mal bekämpft." "Ja, richtig, das ist Scheiss. Aber wie kommt denn ihr darauf?" "Wir waren doch auch immer dabei. Wir haben auch was gelernt."

41 Aus einem Leserbrief tief gekränkter, offenbar linker StudentenvertreterInnen der Humboldt- und Technischen Universität in Berlin, die bedauern, dass das nun im Internet "weltweit von Alaska bis Japan lesbar" sei (taz 13. 6. 1997). - E-Mail von Wau Holland: wau@ccc.de

41a Dort wurde das ehemaliges Mitglied der Kummune 1, Rainer Langhans, weil "esoterischer Faschist", von Ditfurth und ihren Genossen gewaltsam am Reden gehindert, und Zieran versuchte, auf Günter Langer, einen der Moderatoren der Veranstaltung, einzuprügeln, weil dieser "Personen, die ihn mit ´blankem Hass in den Augen´ vom Podium vertreiben, nicht mehr als ´Genossin´ bezeichnen könne". Eine Prügelei wurde durch das Eingreifen von Johann von Rauch (Bruder des erschosse-nen Georg von Rauch) und Bommi Baumann (beide Ex-Mitglieder der Stadtguerilla "2. Juni") verhindert (Contraste Juni 1997). Daraufhin wurde die Veranstaltung vorzeitig abgebrochen - ein wahrer Sieg des antifaschistischen Kampfes! Der am 2. Juni 1967 friedlich gegen den Schah-Besuch demonstrierende christliche Student Benno Ohnesorg wurde am Boden liegend von dem Beamten der Politischen Polizei Kurras nach SS- und Tscheka-Methode mit Genickschuss liquidiert. Kurras wurde von der Berliner Justiz von diesem Verbrechen zwei mal freigesprochen - ein Sieg des freiheitlich-demokratischen Rechts-Staates!

41b Waren sie dabei, als ich in meinem Stammcafe bei unserer "schwarzen" Serviererin Clementina für meine "kurdische" Freundin Bella einen "Negerkuss" bestellte? Bella konnte sich vor Lachen nicht mehr einkriegen, als ich wegen Clementinas Belehrung, die "Mohrenköpfe" hiessen heute "Schokoküsse" (oder "Dickmänner"?), rot wurde, als hätte ich in feiner Gesellschaft einen fahren lassen.

41c Nappert bringt Creutz in den Antifaschistischen Nachrichten 20 / 1997, S. 10, mit rechten Gruppen in Verbindung. Dabei beruft er sich als Beweis für seine falsche Nachricht "auf folgende Quellen": Peter Bierls Artikel Der Rechte Rand der Anarchie in ÖkoLinX und Jutta Ditfurths "sehr lesenswertes Buch" Ganz entspannt in die Barbarei.

42 Otto Strasser: Mein Kampf. Eine politische Autobiographie. Mit einem Vorwort von Gerhard Zwerenz. Heinrich Heine Verlag (1969) S. 213f., Dokumentation. - Siehe auch Theodor Reents: Solidarismus und freisoziale Bewegung. Zum 70. Geburtstag Dr. Otto Strassers. Freisoziale Presse 9. 9. 1967, S. 5 f.

43 Benedikt Uhlemayr: Das Wirtschaftsprogramm der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei, Die Freiwirtschaft 6 u. 7 / 1923; Uhlemayr, der das NS-Wirtschaftsprogramm fundiert kritisiert, wurde 1923 in Nürnberg auf einer Veranstaltung von Julius Streichers SA-Horde zusammengeprügelt und schwer verletzt.

44 Dieter Suhr: Der Kapitalismus als monetäres Syndrom. Aufklärung eines Widerspruchs in der Marxschen Politischen Ökonomie, (1988)

45 W. Reich: Massenpsychologie..., S. 28

46 Der Physiokrat 1 / 1913

46a Was ist Links? Contraste 61 / 1989

46b Klaus Rainer Röhl: Anarchismus führt zum Faschismus. Konkret 12 / 1970

46c Vor Jahren wollten die Kreuzberger Linken mit den Ost-Berliner Linken eine gemeinsame 1.-Mai-Demo zum Prenzlauer Berg machen. Die Prenzlberger Linken verlangten, dass ohne Stalin-Transpalrente demonstriert wird, andernfalls würden sie die West-Linken an der Grenze, wo einst die Mauer stand, daran hindern, nach Ost-Berlin zu kommen, notfalls mit Gewalt. Unfähig, sich von den Stalinisten zu trennen, latschten die tapferen Autonomen lieber im Getto Kreuzberg hinter Stalin-Plakaten her.

47 K. Marx: Das Manifest der kommunistischen Partei. In: Karl Marx: Die Frühschriften. Hg.: S. Landshut, 1971, S. 547f. - Siehe auch: K. Marx: Der kommunistische Katechismus

48 Siehe Sachregister der Kapital-Bände unter "Anarchie der kapitalistischenProduktion"

49 Andre Glucksmann, aaO.; Bernd Rabehl: Marxismus heute. Toter Hund oder des Pudels Kern? (1986); Francois Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert. 1996

49a J. M. Keynes: Allgemeine Theorie, S. 302

50 Ausser Gabel gehören zu ihnen Th. W. Adorno, Karl Korsch, Wilhelm Reich, Georg Lukacs, Kostas Axelos, Edgar Morin, P. Fougeyrollas, J. Duvignaud, Georg Lapassade (Die Unfertigkeit des Menschen) u. Robert Paris (Einleitung von Petru Dumitriu zu Joseph Gabel:: Formen der Entfremdung. Aufsätze zum falschen Bewusstsein. Fischer doppelpunkt 11).

51 Joseph Gabel: Psychologie der kommunistischen Denkens. AaO., S. 64 f.

51a AaO., S. 68

52 Carlos Widmann: Der grosse Knüppel Onkel Sams. Ein Überblick über die nordamerikanischeen Interventionen in Mittelamerika seit mehr als 100 Jahren. Süddeutsche Zeitung, 28. 5. 1965

52a J. Gabel, aaO., S. 58, Fussn.

53 Der Stürmer 48 / 1938, S. 2, Sp. 3

53a J. Gabel, aaO., S. 79 ff.

54 Wilhelm Hankel: John Meynard Keynes (1986), S. 84

55 Folgerichtig haben die Sozialdemokraten nach dem Zweiten Weltkrieg die Gesell´sche Radikal-Soziale Freiheitspartei (RSF) bekämpft, statt sich mit ihr zu verbünden. Besondere Sorge bereitete ihnen die damaligen Wahlerfolge ihres Konkurrenten. Eine vom Vorstandes der SPD (Hannover, Odeonstr. 15 / 16) herausgegeben Denkschrift Nr. 25 berichtete, dass die RSF bei Gemeindewahlen z. B. in Nordrhein-Westfalen zwischen 0,8 und 29,98 % der Stimmen und z. B. in Wuppertal 5 und in Wermelskirchen 6 Sitze im Gemeinderat erhielt. Im den Gemeindeparlamenten Kreis Osterode war sie mit 13 Sitzen vertreten, in Sebexen hatte sie mit 6 Vertretern gegenüber 5 SPD-Abgeordneten sogar die absolute Mehheit (RSF - Radikalsoziale Freiheitspartei und eine Stellungsnahme zu der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells. Sopade-Informationsdienst, ohne Erscheinungsjahr, S. 3).

55a Dudley D. Dillard: Proudhon, Gesell and Keynes. An Investigation of some "Anti-Marxian-Socialist" Antecendents of Keynes´ General Theory of Employment, Interest and Money. University of California (1940), Angela Hackbarth Verlag, St. Georgen (1997). Siehe auch Dieter Suhr: Geld ohne Mehrwert. Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten (1983)

56 Siehe dazu Christian Vogel: Gibt es eine natürliche Moral? In: Heinrich Meier (Hg.): Die Herausforderung der Evolutionsbiologie (1988) S. 204 ff.

56a J. Gabel, aaO., S. 84

56b A. Miller, aaO., S. 88

56c J. Gabel, aaO., S. 69

57 Francine Patterson und Wendy Gordon: Zur Verteidigung des Personenstatus von Gorillas, in: Paola Cavalieri u. Peter Singer (Hg.): Menschenrechte für die Grossen Mensvchenaffen (1996) S. 99 u. 97

57a R. Lewin: Is the Orangutan a living fossil? Science Bd. 222 / 1983, zit. bei: H. Lyn White Miles: Die Sprache und der Orang-Utan, aaO., S. 75

57b AaO., S. 146. - Nach Josep H. Reichholf beträgt die Differenz sogar nur 1,2% (Das Rätsel der Menschwerdung, 1. Aufl. 1993)

57c Jared Diamond: Der dritte Schimpanse (1991), aaO. S. 136 ff.

57d Die DNS-Differenz des Gorillas zum Menschen wie zum Schimpansen beträgt 2,3% und die des Orang Utan zum Gorilla und Schimpansen 3,6% (J. Diamond, aaO, S. 147 ff.), ist also grösser, als die des Schimpansen zum Menschen.

58 W. Köhler: Intelligenzprüfungen an Menschenaffen (1921)

58a S. Fouts, D. H. Fouts, H. L. W. Miles, F. Patterson und W. Gordon, aaO. S. 49 ff.

58b Frens de Waal: Der gute Affe (1997)

58c Tsp. 30. 12. 1967 unter: Neues aus aller Welt

58d Jane Goodell: Ein Herz für Schimpansen (1991) S. 119 ff.

59 MEGA, I. Abt., Bd. 5, S. 10; Zit. bei E. Fromm: Das Menschenbild bei Marx (1972) S. 24 f.

59a Berliner Zeitung vom 4. 11. 1992. Damals erschien die Geschichte auch im Spiegel. Diese Art des "Tierschutzes" im "realen Sozialismus" ist offenbar kein Ausnahmefall. In der taz (7. 11. 1997, S. 13) schildert eine "verdiente" LPG-Vorsitzende, dass sie auf Weisung von SED-Oberbonzen wegen "ideologischer Unklarheiten" nicht mehr als ZK-Kandidatin aufgestellt worden war. Sie hatte sich dagegen ausgesprochen, dass Rinder in Offen-Ställen überwintern sollten: "ich war der Meinung, die Tiere frieren".

59b Der Spiegel 38 / 1997, S. 189

60 Carl Sagan: Unser Kosmos (1982) S. 282. Siehe auch die Titelgeschichte: Was lebt im All? von Henning Engeln in GEO 1 / 1998, S. 82 - 102

60a jW 28. 5. 1997

60b Jane van Lawick-Goodall: Wilde Schimpansen (1975), S. 184 ff.

61 Gottfried Feder: Der Deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage. Mit einem Geleitwort Hitlers. 1932, S. 49, Randnotiz

62 O. Strasser, aaO., S. 56

63 K. Marx: Zur Judenfrage, MEGA (1927 - 35) I / 1, S. 601, oder MEGA (1982) I / 2, S. 164

64 Ders.: Das Kapital IV / 1, Hamburg 1867 - 94, S. 117

65 The Russian Loan. NYDT 4. 1. 1856, S. 4, zit. bei Silberner, aaO. (Anm. 6), S. 33

66 Die Quellen sind nicht in der gleichen Reihenfolge wie die Zitate im Text angegeben:

Zur 6. Frage: MEGA II, S. 392 (Brief vom 24. 5. 1859); S. 393 (25. 5. 1859); S. 469 (9. 2. 1860); III (1930), S. 20 (10. 5. 1861); .S. 82 u. 83 (30. 7. 1862); S. 233 (11. 2. 1865); E. Silberner, aaO. S. 31

Zur 8. Frage: MEGA II (1930), S. 259 (Brief vom 22. 12. 1857); III (1930), S. 82 u. 84 (30. 7. 1862); IV S. 490 / 25. 8. 1879

67 E. Silberner, aaO., S. 38

68 AaO, S. 31 ff.

69 G. Feder, aa.O., S. OOO., S. 51, Randnotiz

70 Fritz Schwarz: Morgan - der ungekrönte König der Welt (1927)

71 E. Silberner, aaO., S. 34

71a Es gab überproportional viele jüdische Literaten und Sozialisten in Deutschland!

72 E. Silberner: Sozialisten zur Judenfrage. Ein Beitrag zur Geschichte des Sozialismus von Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1914 (1962) S. 56 ff. u. 270 ff.

73 F. Schwarz: Das Experiment von Wörgl. Alex von Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld. Ständisches Leben 6 / 1933, Abruck in K. Schmitt: Silvio Gesell...

74 Interview in der Zeitschrift "Info3". Sozialberichte aus der anthroposophischen Arbeit 7-8 / 1985

75 Der Moskauer Historiker Jurij Afanasjew in einem Spiegel-Gespräch, Der Spiegel 14 / 1990. S. auch K. Schmitt: Kommunismus: "Sackgassen- und Wahnidee"? Contraste 72 u. 73 / Sept. 1990

76 In einem Essay im Spiegel 2 / 1996, S. 16, Sp. 2

 

 


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