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Kritik der Zinskritik

 


 

 

Ernst Dorfner

Marktwirtschaft oder Geldwirtschaft? - Geld und Zins:

Mehr Rätsel als Antworten

Eine Auseinandersetzung mit Silvio Gesell und Helmut Creutz


 

 


Wer vor einigen Jahren in einer sozialökonomischen Diskussion das Wort ‘Zins’ auch nur erwähnte, galt bereits als Exote. Dies hat sich nun grundlegend geändert. Das Wort ‘Zins’ ist beinahe zu einem Trendwort geworden. Nicht zuletzt beigetragen zu diesem Sinneswandel haben neben der verstärkten Aktualität von Verschuldung und Sparpaketen auch die Bücher von Margrit Kennedy und Helmut Creutz.  Beide bauen auf Silvio Gesell und dessen Freiwirtschaftslehre auf.

Welchen tatsächlichen Beitrag Gesell und Creutz zur Klärung der Frage geleistet haben, was Geld und Zins ist, und vor allem, wie letzterer real bezahlt wird, soll hier kritisch untersucht werden.



Silvio Gesell[1]


Die Theorie

 

Silvio Gesell, der Theorievater der Freiwirtschaft, betrachtet so wie die neoklassische Schulwissenschaft unserer Wirtschaft als Tauschwirtschaft, in der Geld als Tausch(hilfs)mittel dient. Wörtlich: „Und den Absatz, den gegenseitigen Austausch der Arbeitserzeugnisse, vermittelt das Geld. Ohne Dazwischentreten des Geldes gelangt keine Ware mehr zum Verbraucher.“ (S. 118)

 Mit dieser Schulwissenschaft  vereint ihn, wenngleich nicht in dieser  Deutlichkeit ausgesprochen, der Glaube an die positive Wirkung von Angebot und Nachfrage, also der Marktkräfte, hinsichtlich einer optimalen Allokation der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mit ihren jeweiligen Einkommensarten Lohn und Gewinn. Langfristig könne damit die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit und der ‘volle Arbeitslohn’ gesichert werden, da mit dem ständigen Anwachsen und einem Überangebot an Realkapital der Gewinn gegen Null gehen müsse. Die Arbeiter selbst müßten dann nur mehr auf die Marktsignale reagieren und den ‘richtigen’ Arbeitsplatz wählen

 

Von der Schulwissenschaft trennt Gesell jedoch die Meinung, daß dieses Agieren der Marktkräfte durch das ‘Urmonopol’ Grund und Boden und das ‘Urmonopol’ Geld gestört wird. Da das Angebot von
Grund und Boden  nicht vermehrbar ist, können die Eigentümer von solchem ein arbeitsloses Einkommen
in Form der Grundrente beziehen. Und während die Neoklassik Geld als ‘neutral’, als einen Schleier über der realen Wirtschaft betrachtet, sieht Gesell darin einen gewaltigen Störfaktor, der das Erreichen des optimalen Gleichgewichtes, das soziale Gerechtigkeit und Krisenfreiheit sichert, verhindern kann.

 

Geld ist  für Gesell so wie für die Neoklassik ein „Tauschmittel“ (S.119), das in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft den Tausch zwischen den Anbietern verschiedener Waren und Leistungen ermöglicht bzw. erleichtert. Mittels Geld kann der Tauschprozeß in eine Verkaufshandlung und eine örtlich und zeitlich davon getrennte Kaufhandlung getrennt werden. Geld ist damit auch Wertaufbewahrungsmittel. Und so wie der Tauschprozeß erst abgeschlossen ist, wenn beide Anbieter ihre jeweiligen Waren gegen die anderen getauscht haben, so gilt es auch für die Warentransaktion in der Geldwirtschaft. Erst dann tritt Markträumung ein.  

Diese Markträumung kann aber dann nicht erfolgen, wenn ein Anbieter seine Waren zwar gegen Geld verkaufen kann, selbst aber dieses Geld nicht wieder dazu verwendet, etwas am Markt zu kaufen, sondern es zurückhält und auch nicht an andere verborgt. Und er kann dieses Geld zurückhalten, weil es im Gegensatz zu den Waren weder verrostet noch verfault, nicht unmodern wird, keine Lagerungs- und Durchhaltekosten verursacht. Kurz: Weil das Geld, so wie wir es haben, hortbar ist.

Es kommt zu einem Marktversagen, weil dem Angebot an Waren zuwenig Nachfrage gegenübersteht. Gesell wörtlich: „Wenn man Nachfrage und Angebot als obersten, als einzigen Preisrichter einsetzt, [...], so wird der Preis und alles, was auf ihn einwirkt, [...], zum Brennpunkt unseres Sinnens, und Dinge, die wir bis dahin als Nebensache betrachten, gewinnen mit einem Schlag ganz außergewöhnliche Bedeutung. Und als solchen Umstand erwähne ich die Tatsache, daß man dank der Beschaffenheit des herkömmlichen Geldes, die Nachfrage [...] ja sogar von einem Jahr auf das andere verschieben kann, ohne Verluste zu erleiden - während das Angebot durchwegs nicht um einen Tag zurückgehalten werden kann, ohne daß dem Besitzer Unkosten aller Art erwachsen.“ (S. 178) 

Dieser Tauschvorgang, den Gesell hier beschreibt, wird an anderer Stelle auch bildlich dargestellt: Eine Kiste Seide wird mit Hilfe des Geldes in ein Faß Hering getauscht. (S. 333) Dieses Bild läßt sich nun auch in Form einer Formel darstellen: WA-G-WB : Die Ware A wird mit Hilfe des Geldes in die Ware  B getauscht.

Dabei erkennt man nun auch, wo Gesell den Knackpunkt sieht: Weil Geld hortbar ist, kann es den Austausch verhindern bzw. eine besondere Abgabe, einen Tribut dafür verlangen, daß es diesen Austausch nicht behindert. Und es kann diesen Austausch verhindern, „weil das Gold (Geld, E.D.) nicht Schlüssel, sondern Riegel des Marktes (Warenau-tausch) ist.“ (S. 182)

 

Diese Abgabe, diesen Tribut nennt Gesell ‘Urzins’. Und er stellt in diesem Bild auch dar, daß dieser Urzins in Konkurrenz steht mit der Urwirtschaft, der reinen Tauschwirtschaft WA-WB ,  dem Wechsel, sowie dem (Lieferanten-)Kredit und damit auch nicht jene Höhe erreichen kann, die durch den Effizienzvorteil der Arbeitsteilung bewirkt wird. So stellt er fest: „Das Geld ist nicht absoluter Herrscher auf dem Markt. Es muß mit Wettbewerbern rechnen und kann deshalb seine Tributforderungen nicht beliebig hochschrauben.“ (S. 331)

Wiewohl Gesell feststellt, daß „auch der Zins eine volkswirtschaftliche Erscheinung (ist), auf die unser Grundgesetz (von Angebot und Nachfrage) anzuwenden ist“, (GW9, S. 353) kann der Zins nicht unter den Wert sinken, der durch den Urzins bestimmt wird. Und Gesell begründet dies so: „Wenn nun die Nachfrage die Freiheit, die sie genießt, sich zunutze macht und vom Markt fernbleibt?  Dann wirkt der Zwang, dem das Angebot unterliegt, dahin, daß das Angebot die Nachfrage aufsucht, ihr entgegeneilt, sie heranzulocken sucht durch Anbieten eines Vorteils. Das Angebot braucht die Nachfrage, und der Nachfrage ist diese Notlage des Angebots bekannt. Folglich wird die Nachfrage der Regel nach auch eine Sonderleistung zu fordern imstande sein für das Vorrecht, vom Markte fernbleiben zu können.“ (S. 182)

Dies wird mit einem Beispiel untermalt: „Nehmen wir an, Müller und Schmied, durch Raum und Zeit getrennt, wollen ihre Erzeugnisse, Mehl und Nägel, austauschen und brauchen zu dem Zweck das Geld, das Meyer verfügbar hat. Meyer kann den Tausch, wenn er will, vermitteln, er kann den Tausch aber auch verzögern, unterbinden, einfach verbieten, denn sein Geld läßt ihm die Freiheit, den Zeitpunkt für die Vermittlung des Tausches auszuwählen. Ist es da nicht selbstverständlich, daß Meyer sich diese Macht bezahlen läßt und daß Müller und Schmied in einen Abzug an ihre Forderungen für Mehl und Nägel einwilligen müssen? [...] Verweigern sie dem Geld ihre Abgabe, so zieht sich das Geld einfach vom Markt zurück, und Müller und Schmied müssen unverrichteter Sache ihre Habe mit schweren Unkosten wieder nachhause bringen.[...] Wir können also sagen: unser heutiges Geld vermittelt der Regel nach den Austausch der Waren nur unter Erhebung einer Abgabe.
Ist der Markt die Straße, auf der die Waren ausgetauscht werden, so ist das Geld der Schlagbaum, der nur nach Zahlung des Wegegeldes gehoben wird. Das Wegegeld, der Profit, der Zins oder wie man es nennen mag, ist die allgemeine Voraussetzung des Warenaustausches. Ohne Abgabe kein Tausch.“
(S. 183ff)   


Tauschwirtschaft oder Investitionswirtschaft?

 

Geht man nun aber auf dieses Beispiel näher ein, so stellt sich die Frage, wie denn Müller und Schmied den Abzug ihrer Forderung begleichen können. Zahlt Meyer beiden jeweils 100 für  Mehl und Nägel, so können diese Meyer umgekehrt das Mehl und die Nägel auch wieder nur um maximal 100 abkaufen. Meyer hat dann maximal wieder das zurück, was er ursprünglich ausgegeben hat. Wenn er etwas zusätzliches einheben kann, dann nicht Geld, sondern allein einen Teil der angebotenen Waren.

Nicht anders schaut es aus, wenn Meyer nun nicht als Kaufmann, sondern als Geldverleiher fungiert. Dabei stellt sich auch die Frage, wer denn überhaupt Geld leiht.[2] Müller oder Schmied, oder beide? Doch wer immer borgt, und wieviel auch geborgt wird: Es kann bestenfalls nur eben dieses Geborgte auch wieder zurückbezahlt werden. In Geld kann also kein Tribut geleistet werden, denn Müller und Schmied haben nur Waren und nur soviel Geld, wie sie von Meyer erhalten haben.

 

Das erkennt offensichtlich auch Gesell, ohne es aber so deutlich zu sagen. Jedenfalls schreibt er weiter: „Der genannte Tribut läßt sich jedoch nur durch den Verkauf der Waren erheben, und dazu ist die Erfüllung einer Bedingung erforderlich: in der Zeit, die zwischen Kauf und Verkauf der Ware liegt, darf  der Preis der betreffenden Ware nicht sinken. Der Verkaufspreis muß über dem Einkaufspreis stehen, denn im Unterschied beider Preise steckt der Tribut.“ [3](S. 184)

Hier nun widerspricht sich Gesell selbst, wenn er, der ursprünglich von einem Angebot ausgeht, das unaufhaltsam auf den Markt drängt und damit tendentiell immer größer ist als die Nachfrage, nun auf einmal „die Frage, ‘Woher der Zins kommt’ “ beantwortet mit den  „höchst naiv klingenden Worten: Weil das Angebot kleiner als die Nachfrage ist:“ (GW9, S. 353)

Und er unternimmt einen folgenschweren Schritt und Konsistenzbruch in seiner ursprünglichen Theorie, indem er von einer Tauschwirtschaft, die sich mit W-G-W darstellen läßt, zu einer Investitionswirtschaft wechselt, die Marx mit der  Formel G-W-G’ beschreibt. Oder auch mit dem Satz: „Kaufen, um teurer zu verkaufen“ (K. Marx, Das Kapital I, S. 162).

 

Soweit wir bisher feststellen konnten, können bei Gesell die einzelnen Produzenten so ohne weiteres ihre Waren produzieren. Mit diesem ihrem Angebot kommen sie, ja drängen sie ständig auf den Markt. Dieses Angebot möchten sie nun mit Hilfe des Geldes tauschen. Wer von den Marktteilnehmern aber hat nun überhaupt Geld? Irgend jemand muß es ja haben, damit der Austauschprozeß zu laufen beginnen kann.

Es geht also um die Erstausstattung von Geld, also um die Frage, wie Geld überhaupt in die Wirtschaft kommt.

Gesell umgeht die Frage, indem er, wie wir bereits gesehen haben, die Figur des Kaufmanns als Geldbesitzer ins Spiel bringt, der zwischen den Produzenten als Verkäufer und den Konsumenten als Käufer hineingeschoben wird. Wobei dieser Kaufmann, oder genauer, die Kaufleute, dieses Geld eben in genügender Menge haben oder es von den wahren Geldbesitzern borgen. Woher diese es wieder haben, wird nicht gefragt. Es ist einfach da. Wichtigste Figur ist daher
„der als Kaufmann auftretende Geldbesitzer, der Eigentümer des allgemeinen, unentbehrlichen Tauschmittels“ (S. 327)

Da aber nun die Warenerzeuger und Verbraucher durch Ort und Zeit voneinander getrennt sind, „ist die kaufmännische Vermittlung Notwendigkeit und Regel für den weitaus größten Teil der Warenerzeugung. Aus Rücksicht auf diesen Umstand können wir das Geld der Verbraucher überhaupt aus unserer Betrachtung ausschalten. Durch die Hände des Kaufmannes gehen alle Waren und geht alles Geld.“ (S. 327)

So kommen die Produzenten zu Geld durch Verkauf ihrer Waren an den Kaufmann. Jetzt haben die Kaufleute die Waren und die Produzenten das Geld. Und mit diesem Geld können die Produzenten  - nun als Konsumenten - auch wieder bei den Kaufleuten kaufen. Und sie tun dies nach Gesell auch ohne weiteres, so wie die Kaufleute, nun ihrerseits Warenbesitzer, von den neuen Geldbesitzern nicht zu Tributzahlungen gezwungen werden. Denn „der Verbraucher, von persönlichen Bedürfnissen getrieben, kann nicht warten, obschon sein Geld es ihm erlauben würde.“ (S.327)

Das aber bedeutet, daß maximal immer nur soviel Geld von Seiten der Konsumenten nachfragen kann, wie von den Kaufleuten für ihre Käufe ausgegeben wird. Je mehr Geld die Kaufleute zurückhalten, um so weniger können sie einnehmen. Sie können zwar ein Sinken der Zukaufspreise abwarten, indem sie gemeinsame Sache machen. Aber so wie sie die Waren zu gesunkenen Preisen kaufen, können sie diese auch nur zu  diesen in Gesamtheit gesunkenen Preisen wiederverkaufen. Sie können nie mehr einnehmen als sie ausgegeben haben, wenn in ihren Händen alles Geld ist und durch ihre Hände alles Geld geht. Die kollektive Nachfrage der anderen kann immer nur ihrem kollektiven Angebot entsprechen.


Woher kommt der Zins?

 

Nun werden aber von diesen Kaufleuten die Waren nicht nur gekauft und mit diesem Preis auch wiederverkauft. Vielmehr wird vom diesem Kaufmann
„die Ware mit Geld gekauft und, mit Urzins belastet, an den Konsumenten gegen Geld wieder verkauft. Und mit dem Verkauf der Ware ist das Geld wieder frei für den nächsten Beutezug. (S. 368)

Diese Feststellung macht nun aber selbst Gesell etwas stutzig. In einer Fußnote merkt er an: „Hier-nach müßte der Konsument regelmäßig mehr Geld ausgeben als er als Produzent einnimmt.“

Doch gleich gibt es zu dieser ganz entscheidenden Frage  eine ‘einfache’ Erklärung: „Dieses Mehr, aus dem Urzins bestehend,  verschafft sich der Produzent dadurch, daß er mehr Waren produziert und verkauft, als er kauft. Das Mehr, das so die Produzenten erzeugen, wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf gekauft, und zwar gerade mit dem Geld, das sie als Zins erheben. Mit den Handelsspesen verhält es sich ebenso.“ (GW6, S. 214, GW9, S. 368, GW11, S. 338, Fn[4]) [5]

Wir müssen somit noch weitergehend feststellen, daß die Kaufleute die Waren nicht nur in ihr Eigentum bringen und nicht fürchten, nun ihrerseits von den Produzenten als den neuen Geldbesitzern unter Druck gesetzt zu werden  - denn diese sind ja von den „ persönlichen Bedürfnissen getrieben“ - , sondern umgekehrt diese sogar noch dazu bringen können, ihnen die Waren mit einem Zuschlag wieder abzukaufen. Wobei hinsichtlich dieser persönlichen Bedürfnisse schon davon ausgegangen werden kann, daß nicht alle Produzenten als Konsumenten so an der physischen Existenzgrenze leben und alle Mittel hierfür wieder unmittelbar ausgeben müssen. Vielmehr wäre zu erwarten, daß etliche unter ihnen - vor allem die größeren Produzenten mit ihren bewußt kaufmännischen Entscheidungen - nun die Kaufleute mit ihren Waren in durchaus arge Nöte bringen könnten.

 

Weiters aber bedeutet obige Erklärung, daß die Geldbesitzer ihr Geld gerade nicht horten, sondern sogar mit zusätzlichem Geld einen Teil des Produktes der Produzenten kaufen, so daß für diese dann nur der Rest bleibt. Sie - die Produzenten, die Arbeiter - beziehen somit nicht den vollen Arbeitsertrag. Sie werden dadurch ausgebeutet, daß ihnen die Geldbesitzer, bei denen sich die Kaufleuten das Geld borgen, also dort Schulden machen,  mit zusätzlichem Geld einen Teil ihre Produktes wegkaufen. Dieses Geld fließt ihnen dann als Urzins zusammen mit der Schuldentilgung wieder zu. Dieser Urzins wird in der Höhe allerdings mit der Summe beschränkt, mit der die Kaufleute, die Geldbesitzer, die Kapitalisten, verbrauchen und für sich auch längerlebige Produkte anschaffen. 

Da nun alle Schulden getilgt sind und auch das Geld für den eigenen Verbrauch wieder zurückgeflossen ist,  besitzen die Geldbesitzer letztlich genau wieder diese Summe Geldes, die sie insgesamt hinausgegeben haben. So wie es damit aber zu keiner Schuldenakkumulation kommt, kommt es auch zu keiner Guthabenakkumulation.

So kann mit diesen Überlegungen zwar eine Theorie der Ausbeutung beschrieben werden, nicht aber eine Theorie der Geldakkumulation, des Wachsens der Geldvermögens nach der Zinseszinskurve.[6] Gesell stellt ja selbst fest: „Stammt das Geld, das die Kapitalisten zu verleihen haben, aus dem Verkehr, so stopfen sie mit dem Weiterverleihen dieses Geldes nur die Löcher, die sie beim Vereinnahmen des Geldes gegraben haben. [...] Je mehr Geld angeboten wird, um so größer sind die Löcher.“ (S. 332)

Stammt aber dann alles Geld im Verkehr von den Geldbesitzern, so kann ihnen nur dieses und nicht noch ein Mehr dazu zurückbezahlt werden.

 

Was die Geldbesitzer so nur beziehen können, ist ein Tribut in Warenform. Und was sie anhäufen können, ist Sachvermögen. Denn je größer ihre Nachfrage mit jenem Geld ist, das sie zusätzlich für sich ausgeben, um so größer wird der Teil der Produkte, den sie den Produzenten (Arbeitern) vorenthalten. Damit sollte deutlich sein, daß unter diesen Gegebenheiten eine immer  gleich groß bleibende Geldmenge bei ständig wachsendem Sachvermögen umläuft.

Diesen Tribut in Warenform können sie aber nur dann einstreifen, wenn sie immer wieder zusätzlich Geld ausgeben und gerade nicht horten, wie Gesell befürchtet.  Wenn sie dies aber tun, dann ist gerade das nicht erforderlich, was Gesell als seinen Änderungsvorschlag einbringt, nämlich die Umlaufsicherung von Geld



Zusammenfassung

 

Zusammenfassend müssen wir feststellen, daß Gesell mit seiner Analyse deshalb scheitert, weil er die Begründung und Bezahlung des Zinses aus jeweils einem anderen Paradigma herleitet: Erstere aus dem sehr plausiblen Modell einer Tauschwirtschaft W-G-W, dessen Realisierung, d.h. tatsächliche Bezahlung, aber aus einer Investitionswirtschaft G-W-G’. Dabei ist die
Begründung des Zinses einer Nachfrage in Geld geschuldet, die wegen dessen Hortbarkeit tendentiell immer kleiner ist als das Angebot an Waren, die
Bezahlung  des Zinses aber genau nur dann möglich wird, wenn sich das umgekehrt verhält: Nämlich dann, wenn die Nachfrage in Geld größer ist als das Angebot in Waren.
Das allerdings schließt sich gegenseitig aus und wäre bestenfalls allein bei einer Höhe des Urzinses von Null denkbar.

Die Zuteilung eines Tributes größer als Null für die Zurverfügungstellung von Geld  ist dagegen bestenfalls in Warenform denkbar. Dies ist allerdings nicht die Frage, auf die eine Antwort gesucht wird.

 

Andererseits ist Gesell recht nahe an Erkenntnisse herangekommen, wie sie in den Dreißiger Jahren  J. M. Keynes und seine Schüler vertreten haben und wie sie heute etwa von der ‘Binswanger-Schule’  vertreten werden.

So schreibt er: „In geschäftlichen Glanzzeiten (Hochkonjunkturen), wo der Durchschnitt der Warenpreise aufwärts strebt, wird sich die Erwartung der Kaufleute auch aller Regel nach erfüllen. Der genannte Preisunterschied oder Profit deckt dann die Unkosten des Kaufmanns und die Abgabe, die das Geld fordert. Bei einer rückwärts gerichteten Konjunktur (Preisverfall) ist die Erhebung der Abgabe jedoch zweifelhaft, oft sogar unmöglich. Der Zweifel aber genügt schon, um den Kaufmann zu veranlassen, vom Kauf  der Waren abzustehen. Welcher Kaufmann, Wucherspieler, Unternehmer wird sich zum Bankhaus begeben, dort einen Wechsel verkaufen, sich zur Zahlung von Zins verpflichten, wenn er befürchten muß, daß das, was er mit dem geborgten Geld zu kaufen gedenkt, im Preis sinkt, so daß er nicht einmal die Auslagen wiederzuerhalten hoffen kann.“ (S. 184)[7]

Was hier Gesell beschreibt, ist nur möglich, wenn die nachfragende Geldmenge steigt, so daß die Waren, die heute zu verkaufen sind, zu einem höheren Preis verkauft werden können, als sie gestern zugekauft wurden.

Damit aber sind wir bei der aktuellen Diskussion, die auch Helmut Creutz sehr beschäftigt, er jedoch eben diesen Zusammenhang nicht wahrhaben will.

 

 



[1]  Die bei den Zitaten angeführten Seitenzahlen beziehen sich, soweit nichts weiter vermerkt, auf  ‘Silvio Gesell Gesammelte Werke’ Bd. 11 (GW11), ansonst den jeweiligen Band (GW6 = Bd 6, GW9 = Bd 6). 

[2]   Hier zeigt sich das Dilemma des Modells der Tauschwirtschaft, in dem (angeblich) ursprünglich Ware gegen Ware getauscht wird und Geld erst nachträglich dazukommt. Es bereitet der Theorie Schwierigkeiten, zu zeigen, wie das Geld in den realen Bereich hineinkommt. Wer Creutz ließt, spürt ähnliches: Einmal geht es über verzinsliche Kredite, dann könnte es auch wieder verschenkt oder zugeteilt werden. (vgl. C1, S. 36)

[3]  Was Gesell dann  weiter schreibt,  zeigt, wie nahe er  Erkenntnissen etwa der ‘Binswanger-Schule’ war. Siehe dazu auch weiter unten Seite 5

[4]  Warum diese äußerst wichtige Feststellung nun aber mit der Zeit vom Haupttext in die Fußnote wandert, mag  neben einer mangelnden Einsicht auch mit einer Art Verdrängung zu tun haben.

[5]  Wiewohl Karl Marx von Gesell heftig attackiert wird, argumentiert er hier  ganz  in dessen Sinn. So liest man bei Marx: „Die Frage ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern: Wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd St. Wie kann nun die die ganze Kapitalistenklasse beständig  600 Pfd St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ (Karl Marx, Das Kapital II,   S. 330/331)  Seine Antwort begründet aber nur das, was er ‘einfache Reproduktion’ nennt, nicht aber die ‘Akkumulation’  oder ‘erweiterte Reproduktion’: „In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.“ (S. 335)

    Später schreibt dann Joan Robinson mit Bezug auf Michal Kalecky: „Die Arbeiterhaushalte geben ihre Lohntüte individuell aus; die Kapitalisten als Klasse erhalten das als Profit, was sie zusammengenommen für Investitionen und Konsum ausgeben.“ (Joan Robinson /John Eatwell,  S. 162) Denn „die Gewinnspanne beim Verkauf der Konsumgüter hindert die Arbeiter im Konsumgütersektor daran, ihr gesamtes eigenes Produkt zu kaufen und ermöglicht den Arbeitern im Investitionssektor (und den Kapitalisten, Anm.  E.D.), am Konsum teilzuhaben.“  (Joan Robinson, S. 99)

[6]  Damit aber gelingt es Gesell auch nicht darzustellen, wie „die Häuser, Schiffe, Fabriken, kurz das gesamte sogenannte Sachkapital den gleichen Zins einträgt, den das Geld dem Warenaustausch als Urzins aufbürden kann.“ (S. 339)

[7]   Bei Keynes lautet dies so: „Der Zustand des Vertrauens, wie er genannt wird, ist ein Faktor, dem die Geschäftsleute immer die tiefste und sorgfältigste Beachtung schenken.“  (J. M. Keynes,  S. 125)