Patientengeschichte

Naturheilkunde contra Bluthochdruck 

Bei ihrem letzten Urlaub in Ägypten traten bei Gerda Bauer* plötzlich schwere Sehstörungen auf. Sie konnte keine Entfernung mehr richtig einschätzen, stieß an Türen, lief gegen Tische. Wieder in Berlin, diagnostizierte ein Arzt eine hochdruckbedingte Verengung der Blutgefäße im Augenhintergrund der 51jährigen. Er behandelte sie mit blutdrucksenkenden Medikamenten. Prof. Oelkers, Stoffwechselexperte am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF), diagnostizierte weitere Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Die Cholesterin- und Harnsäurewerte der Patientin, die im Klimakterium ist, waren bedenklich hoch und kündeten von einem gestörten Stoffwechsel.
Motiviert durch eine QuiVive-Sendung wendete sich Gerda Bauer schließlich zur weiteren Behandlung an die Klinik für Naturheilkunde des UKBF. "Wir können auch komplizierte Hochdruckerkrankungen therapieren", erklärt ihr Arzt, der Naturheilkundler Dr. Rainer Stange. "Hypertoniepatienten bilden sogar eine unserer größten Patientengruppen." Das Behandlungskonzept in seiner Klinik folgt der Schulmedizin der 20er und 30er Jahre. Damals war es in Deutschland noch bzw. schon modern, Krankheit ganzheitlich zu begreifen. Diese "ganzheitliche Schulmedizin" bezieht alle Organebenen ein: also die Psyche wie die Konstitution, das Immunsystem und das vegetative Nervensystem ebenso wie die inneren Organe sowie Haut und Muskulatur.
Entsprechend vielseitig war das Therapieprogramm, das Stange für Gerda Bauer ausarbeitete. Zur Normalisierung des Stoffwechsels seiner Patientin wählte der Arzt eine Kombination aus drei verschiedenen Ansätzen. So wurde die Patientin auf eine vegetarische Diät gesetzt, um ihre Blutfette und Harnsäurewerte zu beeinflussen. Eine gezielte Bewegungstherapie sollte helfen, den hohen Blutdruck zu senken. Ergänzend kamen hydro-und balneotherapeutische Anwendungen zum Einsatz. Im einzelnen: Wassertreten und -güsse nach Kneipp, temperaturansteigende Armbäder nach Hauffe, Kohlendioxyd-(Sprudel-)Bäder und feuchtkalte Brustwickel nach Prießnitz. Auf diese Weise sollte der Blutdruck herabgesetzt sowie die vegetative Regeneration verbessert werden. Eine zuvor verschriebene konventionelle Hochdruckmedikation mit Betablockern wurde beibehalten.
 Bei Gerda Bauer waren auch unmißverständliche Anhaltspunkte für eine Lebenskrise erkennbar. Dazu Stange: "Die Patientin zählt rein körperlich nicht zu den Risikopersönlichkeiten, - sie ist weder übergewichtig noch raucht sie, dafür sorgte sie sich aber auffallend um ihren Blutdruck." Seine Diagnose: psychosomatischer `Weißkittel-Hochdruck'. Das heißt: Allein der Anblick des Meßgerätes trieben Puls und Blutdruck in die Höhe. Stange bot ihr daraufhin den Besuch eine Gesprächstherapie an, empfahl eine Maltherapie sowie den Besuch einer Feldenkrais- und einer Atemtherapiegruppe nach Ilse Middendorf.
 "Ich fand innerlich keine Ruhe, die Angst vor der Krankheit bestimmte mein Leben", erinnert sich Gerda Bauer. Als Angestellte einer Krankenversicherung verfügte sie über medizinisches Wissen, das ihre Angst vor einer Krankheit unterfütterte. Was aber war bei ihr unter der Hochdruckpanik verborgen? In Gesprächen mit der Klinik-Psychologin fand Gerda Bauer es heraus: "Mein Problem begann mit einer neuen Arbeitsstelle in Potsdam. Ich stellte fest, daß ich mit dem gut eingespielten, sehr jungen Team nicht mithalten konnte." Sie empfand sich als Versagerin und mit ihren fünfzig Jahren als zu alt. Bittere Erkenntnisse, die sie verdrängte. Erst in der Psychotherapie wurde ihr bewußt: "Ich habe mich selbst beschummelt, indem ich alles auf den Blutdruck schob."
Tatsächlich besserten sich während des 23-tägigen Aufenthaltes in der Klinik für Naturheilkunde die Meßwerte der Patientin: Blutdruck, Blutfette und Harnsäurespiegel gingen in den Normbereich zurück. Um diesen Erfolg zu halten, setzte sie die Arm- und Sprudelbäder fort. Der größte Heilerfolg jedoch ist für sie ein stabilerer Gemütszustand.
Und ihr `Sorgenkind', der Blutdruck? "Nicht mehr der Rede wert! Ich messe ihn jetzt regelmäßig selber", kommentiert sie. Sie sieht ihre jetzige Lebensphase als Chance und machte sich daran, sie zu gestalten: "Ich akzeptiere mein Alter. In Potsdam habe ich aufgehört. Sogar meine alte Stelle habe ich wieder. Und wenn mein Arbeitgeber mitmacht, gehe ich nach der Krankschreibung von acht auf sechs Arbeitsstunden herunter. Dann könnte ich öfter mit dem Fahrrad durch meinen geliebten Grunewald radeln!"
Sylvia Zacharias
Jede Desintegration des Gewohnten und jede Neuorganisation ist mit Angst verbunden. Angst erleben wir leiblich - unser Leib bekommt Angst, ist von der Angst ergriffen. Das mag auch der Grund dafür sein, daß viele Menschen im Prozeß einer Krise krank werden; sie leiden dann an ihrer körperlichen Krankheit, nicht mehr an der eigentlichen Krise, die durch diese Krankheit zugleich `maskiert' wird - die auslösenden Faktoren der Krise, die Krise als solche, der Sinn und die Entwicklungsmöglichkeiten darin, sind dann nur noch schwer angehbar.

Verena Kast, Psychotherapeutin


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