Suchtberatung

"Bei Abhängigkeit geht's um Ehrlichkeit"


Zehn Prozent der Belegschaft in deutschen Großbetrieben sind Schätzungen zufolge alkoholkrank, die Hälfte davon offenkundig, die andere Hälfte unerkannt. In Klinikbetrieben besteht darüber hinaus insbesondere das Problem der Medikamentenabhängigkeit. Für Elke Krempkow, Suchtbeauftragte am FU-Klinikum Benjamin Franklin "ist diese Sucht allerdings ein kaum greifbares Problem, da sie heimlich gelebt wird". Deshalb widmet sich die Beratungsstelle für Suchterkrankungen in erster Linie dem Suchtstoff Alkohol.Neben Elke Krempkow arbeiten hier Manfred Engler und Roswitha Dzuba. Alle drei sind ausgebildete Suchtkrankenhelfer und haben eine Hospitation in einer Fachklinik hinter sich. Die Suchtbeauftragte Elke Krempkow, die 1990 im Auftrag des Klinikums die Beratungsstelle für Suchterkrankungen gründete, ist von ihrem Posten in der psychiatrischen Krisenambulanz für die Beratungsarbeit freigestellt.

Elke Krempkow definiert Alkoholabhängigkeit als "allmählich gesteigerte, negative Veränderung im Sozialverhalten, im Arbeitsverhalten, im Trinkverhalten und in der körperlichen Verfassung." Kurz: als eine seelische und körperliche Veränderung mit Kontrollverlust. Eine griffige Diagnostik - etwa anhand einer Checkliste - stehe in der Suchtberatung für den Alkoholiker nicht zur Verfügung", so Krempkow. Und: "Am Klinikum Benjamin Franklin ist das Thema Sucht lange ein großes Tabu gewesen."

Doch die Bilanz der ersten sechs Jahre ihrer Beratungsstelle weist auf die große Dringlichkeit eines Handlungsprogramms: "Die Zahl der persönlichen Beratungsgespräche erhöhte sich von 10 auf 120 pro Jahr und die Zahl der Telefonberatungen von 50 auf 500."

"Bei Abhängigkeit geht"s um Ehrlichkeit!", stellt Krempkow lapidar fest. Das Schlimme an einer Sucht sei, daß das ganze Leben um Abhängigkeit und Vertuschung kreist: Unehrlichkeit stellt dabei eine Art Begleiterkrankung dar, die es einerseits dem Betroffenen schwer macht, sich seine Hilfsbedürftigkeit einzugestehen, die es andererseits aber auch der Umwelt schwer macht, dem Abhängigen Hilfe angedeihen zu lassen. Für Krempkow sind die Kollegen auch mitverantwortlich. Denn sie leisten keine wirkliche Hilfe, wenn sie einem Abhängigen aus Scham oder Mitleid - also an sich "edlen Motiven - Rückendeckung geben und für ihn einspringen, wenn dieser "blau" macht. Im Gegenteil: jegliche Konfliktvermeidung verlängert die Krankheit. Deshalb wünscht sich die Suchtbeauftragte "mehr Eigeninitiative im sozialen Umfeld des Suchtkranken, bei Kollegen - und vor allem seitens des Vorgesetzten".

Aus der Sicht des Arbeitgebers gibt es klare Fakten, die für eine gezielte Suchtbekämpfung sprechen: Alkoholismus geht einher mit Leistungsabfall, Kurzerkrankungen (besonders am Wochenanfang), wiederholtem Kurzurlaub, erhöhtem Krankenstand - und steigenden Fehlerquoten. Denn im Krankenhaus ist die Gefahr besonders groß, Patienten zu schädigen, etwa durch Verwechslung von Laborproben oder am Arbeitsplatz im OP.

Aus siebenjähriger Beratungserfahrung, aus geduldigen Verhandlungen und aus aufwendiger Aufklärungsarbeit hat die Beratungsstelle für Suchterkrankungen ein Handlungskonzept erarbeitet, das helfen soll, die Alkoholabhängigkeit systematisch in den Griff zu bekommen.

Das Konzept, das ab Sommer 1997 greifen soll, entspricht in seinen Grundzügen der Suchtbekämpfung in anderen Großbetrieben der Bundesrepublik und erfüllt eine betriebliche "Fürsorgepflicht". Es staffelt die Maßnahmen zur Anbahnung einer Therapie nach fünf Intensitätsgraden: Zunächst findet ein "Vieraugen"-Gespräch zwischen Betroffenem und Vorgesetztem statt. Ein Gespräch zwischen Suchtberater und Betroffenem schließt sich an. Dabei führt der Vorgesetzte Protokoll. Der dritte Schritt ist ein Zielsetzungsgespräch unter Beteiligung der Personalabteilung (1. Abmahnung). Unter Umständen folgt ein zweites Zielsetzungsgespräch mit verschiedenen Auflagen (2. Abmahnung). Bei Nichteinhaltung der Auflagen und der Abstinenz greift die fünfte Stufe: Kündigung bzw. Auflösungsvertrag.

Wie die Suchtberaterin betont, macht sie dem Betroffenen grundsätzlich deutlich, "daß sein Arbeitgeber hinter ihm steht, wenn er bereit ist, Hilfe anzunehmen. Auch eine direkte Kündigung muß der Abhängigkeitskranke nicht befürchten." Elke Krempkow und ihre Mitstreiter führen die Vorgespräche, beteiligen sich an den Zielsetzungsgesprächen und vermitteln Therapieplätze, beispielsweise in der "Esche", also in der Ambulanz für Abhängige in der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Freien Universität in der Eschenallee 3.

Wer sich einmal für eine Behandlung entschieden hat, erfährt fortdauernde Betreuung durch die Beratungsstelle bis hinein in die Nachsorge. "Oberstes Gebot bei unserer Arbeit ist eine angstfreie Atmosphäre", versichert Elke Krempkow. Sie hält es mit den Anonymen Alkoholikern, die sagen: "Es ist keine Schande, krank zu sein. Es ist nur eine Schande, nichts dagegen zu tun."

Sylvia Zacharias

Das Büro der Beratungsstelle für Suchterkrankungen ist erreichbar unter der Runummer 8445-4168 (Anrufbeantworter).


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