Forschungsschwerpunkt Entzündliche Erkrankungen

Therapeutisches Ziel:
Die "genetische Reparaturwerkstatt"


Die am Universitätsklinikum Benjamin Franklin eingerichteten Forschungsschwerpunkte (FSP) wurden aus vorhandenen Strukturen des Fachbereichs Humanmedizin mobilisiert: Sie umfassen die Gebiete Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumormedizin und entzündliche Erkrankungen. Alle Forschungsschwerpunkte zeichnen sich durch die Zusammenarbeit von Grundlagenforschern und Klinikern aus. Das Auswahlverfahren für die beteiligten Arbeitsgruppen stärkt die wissenschaftliche Selbstkontrolle und Selbstkritik am Fachbereich, denn die Gelder für die Großforschungsprojekte werden nach wissenschaftlichen Gütepunkten vergeben, die im Evaluierungsverfahren erzielt werden. Mit Professor Bertram Wiedenmann (s. Portrait), dem Sprecher des FSP "Entzündliche Erkrankungen" (s. auch KUS 5/97 (FSP Herz-Kreislauf-Erkrankungen) und KUS 6/97 (FSP Tumormedizin)), sprach Sylvia Zacharias.

? Welche Fragestellungen behandelt der FSP "Entzündliche Erkankungen" (EE)?

Generalthema sind hier die Immunprozesse bei entzündlichen Erkrankungen, speziell des Darmes, der Gelenke, der Nieren und des Herzens. Wie in den beiden anderen FSP (Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen) konzentriert sich die Forschung hier ebenfalls auf die molekularen Wissensgrundlagen der Zellbiologie.

? Ist nicht eine Entzündung ein normaler Ausdruck der Abwehr von Fremdstoffen oder pathogenen Eindringlingen? Wann also sprechen Sie von einer "entzündlichen Erkankung"?

Das Immunsystem verfügt über verschiedene Zellen. Lymphozyten, also weiße Blutkörperchen gehören auch dazu. Beim gesunden Immunsystem ist die Entzündung tatsächlich nichts anderes, als daß weiße Blutkörperchen - wie Truppen an die "Front" - reisen, sich sammeln und z.B. Bakterien angreifen. Dieser Vorgang kann jedoch krankhaft entgleisen und sich verselbständigen. Das Immunsystem unterscheidet dann - wie im Fall der Autoimmunerkrankungen - nicht mehr zwischen "selbst" und "fremd" und richtet die Waffe zur Feindabwehr gegen den eigenen Organismus. Der Schützling wird mit dem Feind verwechselt. Insofern geben so unterschiedliche Autoimmunerkrankungen wie Rheuma und Colitis ulcerosa (chronisch entzündliche Darmerkrankung) der Forschung die gleichen Rätsel auf.


Bei "Autoimmunerkrankungen" wie Rheuma und Colitis ulcerosa (chronisch entzündliche Darmerkrankung) richtet das Immunsystem die Waffe zur Feindabwehr gegen den eigenen Organismus, gegen das "Selbst".

? Ein gemeinsames Merkmal der Erkrankungen, die beim FSP im Zentrum stehen, scheinen Entzündungen an Schleimhautorganen (Darm, Gelenke) zu sein?

Ja, Beispiel Darmschleimhaut: Im Darm befinden sich, neben den Lymphorganen, die meisten Immunzellen des Körpers, denn er hat auch die immunologisch größte Aufgabe: die meisten Fremdstoffe zu "verdauen", unschädlich zu machen. Fällt in seinem eigenen Immunsystem auch nur ein einziges Element aus, schlägt dies sofort als Entzündung zu Buche, die weißen Blutkörperchen, die Immunsoldaten der "Reserve", treten in Aktion. Darum befassen sich allein drei FSP-Projekte mit der Immunologie der Magen-Darm-Schleimhaut.

? Um welche Fragestellungen handelt es sich im einzelnen?

Es geht um die Aufklärung der Rolle von einzelnen Gene bzw. von Genprodukten bei diesen Entzündungsprozessen. Besondere Rätsel geben die zellulären Adhäsionsmoleküle auf: Durch chemische Verbindungen wie Stickstoffmonoxyd (NO), das sich z.B. bei der Entzündung bildet, oder durch Oxidantien werden diese Moleküle wahrscheinlich so verändert, daß sie Störungen an der Schleimhautbarriere auslösen.

? In diesem FSP fällt eine intensive Kooperation verschiedener Fachgebiete auf?

Es gibt in der Tat mehr Disziplinen als Projekte, d.h.: In den zwölf Projekten des FSP treffen wir fünfzehn verschiedene Fachgebiete an. Zum Beispiel im Projekt "Barrierestörung bei Colitis ulcerosa": Klinische Pharmakologie, Innere Medizin, Gastroenterologie, Chirurgie und Pathologie. Insgesamt kommen vierzig Wissenschaftler aus Grundlagenmedizin, Vorklinik und Klinik in diesem FSP zusammen.

? Wie hat sich der Leser das vielzitierte "Zusammenspiel von Klinik und Grundlagenmedizin" im einzelnen vorzustellen?

Der Erkenntnisweg durchläuft fünf aufeinander aufbauende Hauptstationen: Gen bzw. Genprodukt - Zellkultur - Gewebeverband - Tiermodell - Humanversuch. Die Krankenversorgung kommt also an verschiedenen Stellen - durch Gen- und Gewebsproben, als letztes durch den Patienten selbst - ins Spiel.

? Vom Mikrokosmos "Gen" zum Makrokosmos "Tiermodell"?

Nicht nur, der Verfahrensaufbau ist eher dialektisch: vom stark vereinfachten Modell in der Kultur zu immer komplexeren Modellen - Tiermodell, "Patientenmodell". Umgekehrt fragen wir, inwieweit sich das Verhalten kleiner bzw. einzelner Faktoren aus Modellabläufen vorhersagen läßt.

? Können Sie verdeutlichen, was bei diesen Verfahrensschritten untersucht wird?

Um beispielsweise die pathologische Umbildung der Zellverbände und die Rolle einzelner Entzündungsfaktoren unter Realbedingungen verstehen zu lernen, müssen wir den Gewebeverband betrachten; dazu stehen uns Darmgewebeproben (Biopsie) von Patienten zur Verfügung.

? Und Tiermodelle...?

Hier arbeiten wir mit Modelltieren, das sind Spezialzüchtungen, an denen die pathogenen Vorgänge künstlich ausgelöst werden können. Indem wir beispielsweise bei der transgenen "K.o"- Maus das Interleukin-2-Gen knock-out schlagen,also ausschalten, können wir eine prompte Entzündungsreaktion hervorrufen.

? Sind Humanversuche, therapeutische und diagnostische Studien am Patienten nicht erst nach Abschluß von Tierversuchen sinnvoll und auch erlaubt?

In jedem Fall ist die Einwilligung des Patienten nötig, auch auf den Vorstufen, dort, wo es sich um Laborexperimente an "schmerzfreier Materie" wie Blut- oder Gewebsproben handelt. Zwar können wir menschliches Probenmaterial bei diagnostischen Eingriffen technisch leicht abzweigen, ohne ein zusätzliches Risiko zu setzen. Zusätzlich zur Genehmigung durch den Patienten ist aber auch in diesem Fall die vorherige Genehmigung der Ethikkommission notwendig. Ihr sind alle Studienprojekte vorzulegen.

? Wieviele Patienten werden voraussichtlich bei den Studien dieses FSP mitwirken?

Als Größenordnung hat man sich nicht mehr als ein halbes Dutzend vorzustellen. Denn es lassen sich am Klinikum nur wenige Patienten finden, die exakt in den Untersuchungsplan hineinpassen.

? Bezogen auf die Zahl der 2000 Gene, die der Steuerung der weißen Blutkörperchen dienen, gewinnt man hier den Eindruck einer Sysiphosarbeit?

Das bringt die hoch auflösende Perspektive der molekularen Medizin mit sich. Noch komplexer wird die Sache, wenn wir die Vielzahl genetischer Veränderungen ins Visier nehmen, die bei den einzelnen Krankheitsbildern im Spiel sind.

? Was ist das therapeutische Ziel des Gen-Forschungsansatzes?

Die Entwicklung von Medikamenten, durch die unser Körper in die Lage versetzt wird, seine "genetische Reparaturwerkstatt" aufzurüsten. Immerhin vollbringt dieses Wunderwerk, allen ökologischen Anfeindungen zum Trotz, über Jahrzehnte hinweg die weitgehend fehlerlose Runderneuerung der 90-100.000 Gene unseres Organismus.

Sylvia Zacharias


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