Patientengeschichte

Wenn Schmerzen zum ständigen Begleiter werden



Als Rainer Thurau in der linken Schulter und im Oberarm Schmerzen verspürte, ahnte er noch nicht, welchen Leidensweg er vor sich hatte. Da er gerade eine Wohnung renovierte, glaubte er an einen Muskelkater und versuchte sich mit Massagen, warmen Bädern und Rotlichtbestrahlungen Linderung zu verschaffen. Doch die Schmerzen wurden immer stärker. Der 41jährige Elektroinstallationsmeister suchte einen Unfallarzt auf, der ihm eine Salbe gegen Verspannungen verschrieb. Als der Schmerz trotzdem anhielt, sich sogar noch verstärkte und sich kleine Bläschen auf seinem Arm bildeten, überwies ihn sein Arzt an eine Dermatologin. Deren prompte Diagnose: Gürtelrose. Die Ärztin verordnete eine Zinksalbe und Vitamin B-Tabletten. Die Bläschen heilten schnell ab, während der Schmerz blieb. "Es war einfach unerträglich," sagt Rainer Thurau. "Ich hätte zwar Gewichte stemmen können, ohne daß sich die Schmerzen verstärkten, aber kleine ruckelnde Bewegungen, wie im Auto oder im Bus, machten mich fast wahnsinnig."

Schmerzen bis zur Arbeitsunfähigkeit: Über Monate quälten Rainer Thurau (41) kaum ertragbare Schmerzen. Erst die gezielte Schmerztherapie, durchgeführt von Dr. Andreas Kopf und Dr. Ursula Eller, brauchte Linderung in kleinen Schritten (Foto: Kerstin Müller).
Fortan diktierte der Schmerz den Tagesablauf des sonst so aktiven Mannes, alle vier bis sechs Stunden nahm er eine Schmerztablette. "Nachts wurde ich wach, weil der Schmerz so stark war," erinnert sich Thurau. Also verlegte er sich darauf, bis spät in die Nacht wach zu bleiben, dann noch einmal eine Tablette einzunehmen, um so dem Schmerz wenigstens einige wenige Stunden Schlaf  abzutrotzen. Aber in den frühen Morgenstunden meldete sich der Schmerz wieder und entließ einen müden und zermürbten Menschen in den neuen Tag. An Arbeit war zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr zu denken: "Ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Nervenkostüm war so angegriffen, daß mich jede Kleinigkeit aufregte."
Als besonders bedrückend beschreibt Thurau seine Hilflosigkeit. Was sollte er tun, um den bohrenden Schmerz loszuwerden? Nichts ließ der passionierte Sportler unversucht. Aber weder autogenes Training noch das Besprechen der Gürtelrose brachten Linderung.
Die Dermatologin wies Thurau schließlich auf die Schmerzambulanz des Universitätsklinikums Benjamin Franklin hin. Dort nahmen sich die Anästhesisten Dr. Andreas Kopf und Dr. Ursula Eller seines Problems an. Zunächst erhielt Thurau im Abstand von jeweils drei bis vier Tagen Spritzen in den Nervenknoten, der den Oberkörper und die linke Gesichtshälfte versorgt. "Das injizierte örtliche Betäubungsmittel sollte die Nervenenden beruhigen, die durch die Gürtelrose angegriffen wurden". erläutert Dr. Eller.
Gleichzeitig trug der Patient mehrmals täglich eine Salbe aus den Wirkstoffen der Pfefferschote auf. Langsam regte sich in ihm wieder die Hoffnung,den Schmerz besiegen zu können, denn jede Sitzung brachte spürbare Besserung. Dennoch schlugen erste Versuche, wieder seiner Arbeit nachzugehen, fehl. "Durch die Schmerzen konnte ich mich morgens nicht so schnell bewegen, wie ich es vor der Krankheit gewohnt war." Mit seinem Arbeitgeber kam Thurau überein, erst die vollständige Genesung abzuwarten, bis er seinen Dienst wieder aufnahm.
Nach den Spritzen gingen die Ärzte zu einer Amantadin-Infusion über, deren Wirkstoffe die Schmerzbahnungsvorgänge am Rückenmark rückgängig machen. Thurau schätzt, daß seine Schmerzen heute bereits um 90 Prozent reduziert werden konnten. Mittlerweile kommt er mit der Salbe, die die Nerven unempfindlich machen soll, und der gelegentlichen Einnahme von Schmerztabletten aus. Doch immer noch verstärken sich die Schmerzen bei körperlicher Belastung oder seelischer Anspannung.
Die behandelnden Ärzte räumen ihrem Patienten gute Chancen ein, daß sein Schmerz nicht chronisch wird. Mit 41 Jahren gilt Rainer Thurau als junger Patient, dem dieses Schicksal erspart bleiben könnte. Im seinem Fall behandeln die Anästhesisten monodisziplinär, da die Schmerzen noch als akut einzustufen sind. Patienten, bei denen der Schmerz bereits chronisch geworden ist, werden interdisziplinär, also gemeinsam mit Medizinern aus den Fachrichtungen Psychosomatik, Neurologie sowie Neurochirurgie behandelt.
Eine Gürtelrose kann Rainer Thurau immer wieder bekommen. Er blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Obwohl er froh über das erreichte Ergebnis ist, hat ihn die Krankheit verändert. Er ist empfindlicher geworden, horcht in seinen Körper hinein, auf der Suche nach Signalen. Und ein angstvoller Gedanke kommt immer wieder: "Was ist, wenn ich wieder arbeiten gehe, auf der Leiter stehe und plötzlich ist der Schmerz wieder da?"
Marion Knappe
 


Ihre Meinung: 

[Inhalt]  [nächste Seite]