Patientengeschichte

Laserchirurgie rettet das Leben einer Schülerin


16. September 1997. Wie jeden Tag ist die Zehlendorfer Schülerin Marie Wieland* mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Schule. Dann passiert es: An einer Ampel wird sie von einem rechtsabbiegenden Lastwagen überfahren und gerät unter die Vorderachse. Wie durch ein Wunder ist das schwer verletzte Mädchen bis zur Einlieferung in die Notaufnahme des Universitätsklinikums Benjamin Franklin bei vollem Bewußtsein. Mit erschreckender Präzision schildert Marie, was nach dem Unfall in ihr vorging: Ich registrierte ohne Furcht, eher mit Erstaunen, daß ich meine Beine nicht bewegen konnte. Schmerzen hatte ich nicht, nur das Gefühl von Kälte."
Marie Wieland - hier mit ihrem Vater und der Krankengymnastin der Kinderchirurgie Regina Köhler am Tag ihrer Krankenhausentlassung - wurde von einem Lastwagen überfahren. Trotz erheblicher Verletzungen im Bauchraum konnte Marie sechs Monate später wieder in die Schule gehen.
Von der Notaufnahme des Klinikums wird die Zwölfjährige unverzüglich an den Kinderchirurgen Prof. Jürgen Waldschmidt überwiesen. Mehr als sechs Stunden kämpften er und seine beiden Assistenten um das Leben von Marie: "Ihre inneren Verletzungen waren so schlimm, daß wir dachten, sie würde es nicht schaffen. Leber und Milz, linke Lunge, Zwerchfell, Darm und Bauchspeicheldrüse waren ganz oder teilweise gerissen. Die Organe wurden aus ihrer normalen Lage geschoben und nach oben in den Brustkorb gedrückt." Zusätzlich war das Becken des schlanken Mädchens mehrfach gebrochen.
Nach der Bauchöffnung wurden  verheerende innere Blutungen offenbar. Sie behinderten die Sicht der Ärzte so stark, daß sie nicht erkennen konnten, wo sich die Wunden befanden. Voraussetzung für die Operation war es deshalb, den Bauch der Patientin vom Blut zu befreien, es mit den Händen herauszuschöpfen -  so wie man Fische aus dem Eimer herausholt", wie Waldschmidt es ausdrückt. Danach wurde der Bauchraum mit Wasser abgespült und die Blutungsquellen provisorisch zugedrückt.
Bei der Reparatur der Rupturen begannen die Kinderchirurgen bei den blutreichsten Organen, die entsprechend auch am meisten Blut verlieren: der Leber und der Milz. Wo die herkömmliche Chirurgenkunst versagt, kann hier die Lasertechnik - in diesem Fall mit einem Laser vom Typ Neodym-Yag - helfen", präzisiert der Kinderchirurg. Der Laser 'schweißt' die gerissenen Körperteile durch intensive Hitze regelrecht zusammen.
Nachdem die Verblutungsgefahr durch die Laserung von Leber und Milz gebannt werden konnte, fügten Waldschmidt und sein Team auch die zahlreichen verletzten Adern und Gewebestücke der anderen Organe aneinander. Eine wahre Sisyphosarbeit. Anschließend stabilisierte das Operationsteam der Unfallchirurgen die zertrümmerten Beckenknochen der jungen Patientin.
Der Erfolg der Laseroperation wurde bereits nach vier Tagen sichtbar: Maries Kreislauf und ihre Atmung blieben stabil, die Nieren funktionierten. Komplikationen, die danach auftreten können", so Waldschmidt, sind medizinisch zu bewältigen und führen nicht mehr direkt zum Tode". Um ihren vielen Wunden Ruhe zur Heilung zu geben, versetzten die Ärzte der operativen Intensivstation des Klinikums das Mädchen für dreißig Tage in einen künstlichen Tiefschlaf. Weitere neun lange Wochen mußte die Patientin in absoluter Ruheposition verbringen. In der ganzen Zeit kümmerten sich ihre berufstätigen Eltern aufopferungsvoll um sie und wechselten sich gegenseitig mit ihren Besuchen im Vier-Schicht-Betrieb" ab.
Marie erinnert sich, wie sie anfing, auf der Intensivstation laut zu singen, als sie aus dem Tiefschlaf geweckt und auf ihre eigene Atmung umgestellt wurde. Doch was sich in der Erzählweise des Mädchens relativ unbeschwert anhört, klingt in der Berichterstattung der Eltern wie eine streßbeladene Angstpartie. Vieles von dem, was medizinisch gesehen zu den unvermeidlichen Nebenwirkungen der Behandlung zu rechnen war, schrekkte die Eltern auf. Etwa als Marie auf die Normalstation verlegt wurde: Sie konnten sich kaum vorstellen, wie ihr Kind ohne die gewohnten Überwachungsgeräte gesund werden sollte. Auch der Entzug von Tiefschlafmedikameten, der für Marie mit häufigem Erbrechen verbunden war, besorgte sie sehr. Wir hätten durchaus eine ständige psychologische Betreuung benötigt", sagen beide im nachhinein.
Seit März geht Marie wieder in die Schule. Damit sie für den Schulweg kein Fahrrad mehr braucht, haben ihre Eltern sie umgeschult. Von zehn Kilo Körpergewicht, die sie seit dem Unfall verloren hatte, legte die Schülerin die Hälfte wieder zu.
Ist bei Marie mit Spätschäden zu rechnen"  Dazu Waldschmidt: "Von den inneren Organen wird alles wieder in Ordnung kommen, auch die Knochen sind tadellos zusammengeheilt. Es könnten sich allerdings Verwachsungen im Bauch bilden, wenn sie auch aufgrund der Laserung in der Regel wesentlich geringer ausfallen als bei konventioneller OP-Methodik." Durch die intensiven Blutungen nach dem Unfall entstand viel Fibrin, das Ausgangsmaterial für die Narben.
Heute, ein halbes Jahr nach dem Unglück, fallen Marie die Haare aus. Eine Spätfolge der Medikamente", sagt Waldschmidt, "aber die kommen wieder!" , tröstet er.
Maries Rat für Eltern: Bringt eurem Kind nur harmlose Baby-Kassetten mit. Zum Beispiel 'Bubu Siebenschläfer'. Man will im Krankenhaus wie ein Baby verhätschelt werden!"
Sylvia Zacharias

* Name geändert


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