Abteilung für Medizinische Mikrobiologie und InfektionsimmunologieAbschied vom Verwaltungsdirektor

Wir sind die Ärzte im Hintergrund


Berlin-Steglitz, Hindenburgdamm Ecke Krahmerstraße. Links steht ein bizarres Gebäude mit unzähligen Ecken, Spitzen und Rundungen. Steingewordene Vision der 70er Jahre. Wer sich nicht mit der Fassade zufrieden gibt, geht hinein, steigt ein paar Treppen und öffnet die Tür: Geschäftige Menschen in grünen Kitteln, es riecht nach Hefe und Bouillon - wir sind in der Abteilung für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsimmunologie. Ein wichtiges Fach. Weltweit sind Infektionen noch immer die häufigste Todesursache. Mehr als ein Drittel aller Menschen stirbt weltweit daran. Auch in Deutschland sterben jedes Jahr 100.000 Menschen an Lungenentzündung oder Blutvergiftung. Ist ein Erreger an einer Krankheit beteiligt? Sind es Pilze oder Bakterien ? Welche Eigenschaften haben sie? Wie kann man sie am besten bekämpfen? Das sind die Fragen an die Medizinische Mikrobiologie. Ihre Antworten unterstützen den Arzt am Krankenbett.

"Ein Infektionserreger dringt in den Körper ein und schafft dort einen Staat im Staate. Und diese Interaktion zwischen Wirt und Eindringling, dieses dynamische Wechselspiel, Infektion genannt, hat mich an der Mikrobiologie so fasziniert", sagt Prof. Helmut Hahn, Geschäftsführender Direktor des Instituts. Er ist seit 1977 in Berlin und damit einer der dienstältesten Professoren in der FU-Medizin. Hahn verteidigt den Bau, der nicht so unpraktisch ist, wie er von außen wirkt: "Das Gebäude ist optimal auf die Bedürfnisse von Forschung und Lehre zugeschnitten".
Neben den modernen Labors gibt es einen großen Hörsaal, Seminarräume und einen gut ausgestatteten Kurssaal. "Der war unsere Rettung in den Zeiten der Studentenflut. Da konnten wir bis zu 550 Studenten an einem Tag ausbilden - in drei Schichten", erzählt Hahn. Auch heute noch pauken hier jedes Jahr 1000 Studenten der Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie.
 In der täglichen Arbeit haben die 70 Mitarbeiter des Instituts mit ganz unterschiedlichen Krankheitserregern zu tun. Es sind alte Bekannte darunter, neue Gesichter, aber auch alte Bekannte mit ganz neuen Gesichtern. So hat der Zusammenbruch des Gesundheitswesens in der ehemaligen Sowjetunion zu einem explosionsartigen Anstieg der Diphtherie geführt. Diese fast vergessene Krankheit ist auf dem Weg nach Westen und obwohl es eine einfache und wirksame Impfung gibt, sind viele Menschen nicht geschützt. "Schutzimpfung ist die billigste und wirksamste Methode zur Verhütung von Infektionen", sagt Hahn, den die allgemeine Impfmüdigkeit fast wütend macht: "Ich persönlich halte den, der sich selbst nicht impfen läßt, für einen Dummkopf, und wenn er verhindert, daß seine Kinder geimpft werden, für einen Verbrecher". Benjamin Franklin hat gesagt: "Eine Unze Prävention ist soviel wert wie ein Pfund Therapie". Ein Satz, der immer noch gültig ist. Die Analyse von Infektionsprozessen und der Grundlagen für Impfstoffentwicklung sind deshalb wichtige Bestandteile der Forschung am Institut.
Zu den neuen Gesichtern in der Mikrobiologie gehören Mikroorganismen, an denen gesunde Menschen überhaupt nicht erkranken. "Sie werden wichtiger, weil immer mehr Patienten immungeschwächt sind. Einfach deshalb, weil sie immer älter werden, mit immer agressiveren Methoden behandelt werden und im Gegensatz zu früher am Leben bleiben", sagt Hahn. Die Fortschritte der Medizin schaffen so neue Arbeit für die Medizinische Mikrobiologie. Besonders betroffen sind AIDS-Patienten und Menschen, deren Immunsystem nach einer Organtransplantation gestört ist. Das Institut arbeitet an der Diagnose und Therapie solcher Erreger in der angewandten Forschung und in der Grundlagenforschung. Denn es gibt kaum Erfahrungen, auf die man zurückgreifen kann.
Andere Erreger hat man früher überhaupt nicht gekannt. So hat man sowohl die Magenschleimhautentzündung (Gastritis) als auch Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre (Ulcus) der Überproduktion von Magensäure in die Schuhe geschoben. Man gab den Patienten deshalb Säureblocker. Die Therapie war nicht sehr erfolgreich und die Rückfallrate hoch. Streß und seelische Ursachen mußten als Erklärung hinhalten, Magen- und Darmgeschwüre galten als typische Managerkrankheit. 1983 gab es eine Wende. Der Australier Barry Marschall konnte nachweisen, daß diese Krankheit durch Helicobacter pylori hervorgerufen werden. Er hatte dieses Bakterium aus entzündeten Magenschleimhäuten isoliert. Mit einem spektakulären Selbstversuch überzeugte er sich - und später die Skeptiker. Der völlig gesunde Marschall trank eine Lösung von Helicobacter pylori und bekam prompt eine klassische Gastritis. Als sie nach 10 Tagen noch nicht abgeklungen war, nahm er Antibiotika und war binnen weniger Tage geheilt. Fast alle Menschen mit Ulcus oder Gastritis sind mit Helicobacter pylori infiziert, aber nicht alle Menschen, die infiziert sind, werden krank. Warum treten zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika bei Helicobacter pylori auf und wie wird das Bakterium eigentlich übertragen? Eine vergleichende Untersuchung von Bakterien-Isolaten soll diese Fragen beantworten.
Zum Schluß noch ein Blick auf die alten Bekannten mit den neuen Gesichtern. Einer von ihnen heißt Escherichia coli - ein Darmbakterium, das wir alle in uns tragen. Normalerweise ist es nicht nur völlig harmlos, sondern sogar nützlich. Es treten aber neue Stämme auf, die uns krank machen oder sogar töten können. In der letzten Zeit haben insbesondere die EHEC-Keime von sich reden gemacht. Hahn beschreibt die ständig wechselnden Eigenschaften von Escherichia coli so: "Man kann dieses Bakterium mit einem Dandy vergleichen, der jedesmal zum Herrenausstatter geht, wenn etwas Neues auf den Markt kommt". So sichert die Evolution Arbeitsplätze in der Medizinischen Mikrobiologie. "Wir werden immer Arbeit haben. Es ist ein Schachspiel zwischen der Intelligenz des Menschen und den Mikroorganismen", sagt Hahn.

Bernhard Plümper


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