Patientengeschichte

Antikörper-Präparat gegen Metastasen


"Mit den Voraussetzungen, die ich habe, lebe ich von einem Tag in den anderen", sagt Ursula Mohr*. Die Konzentration auf die Gegenwart hilft der vital wirkenden 52jährigen mit ihrer schweren Erkrankung, einem metastasierenden Brustkrebs, fertig zu werden. Jeweils freitags erhält Ursula Mohr mit drei weiteren Patientinnen von Professor Gerhard Schaller und Dr. Nikola Bangemann ihre wöchentliche Infusion mit Antikörpern.

Dieses spezielle Präparat wurde von einer US-Arzneimittelfirma entwickelt, um gezielt die körpereigene Immunabwehr zu mobilisieren. Seit zwei Jahren wird es weltweit an Patientinnen mit Brustkrebs auf seine Wirksamkeit getestet. Die Frauenklinik der Freien Universität am Klinikum Benjamin Franklin ist eines der drei ausgewählten Studienzentren in Deutschland.

An der Studie können ausschließlich Frauen teilnehmen, deren Tumor auf den Antikörper anspricht, das heißt, wenn ein spezifischer Antikörper-Rezeptor - HER 2/-neu genannt - an den Tumorzellen nachweisbar wird. Nur bei sechs von fünfzig Patientinnen, die Schaller und seine Arbeitsgruppe daraufhin untersuchten, konnte HER 2/-neu gefunden werden.


Der Gynäkologe Prof. Dr. Gerhard Schaller mit drei seiner vier Patientinnen, die an einer weltweit durchgeführten Pharmastudie teilnehmen. Sie untersucht eine neues Antikörper-Präparat zur Behandlung von Brustkrebs .

Ursula Mohr wurde in den letzten 24 Monaten schon zweimal von Ärzten aufgegeben. Schaller über sie: "Sie ist meine tapferste Probandin." Er hat die Krankengeschichte seiner Patientin lückenlos im Kopf: Bei Ursula Mohr wurde durch eine Vorsorgeuntersuchung ein Tumor in der rechten Brust diagnostiziert. Er wurde umgehend operativ entfernt. Die Lymphknoten dieser Brust waren ebenfalls befallen und mußten herausoperiert werden. Das war im Januar 1996. Trotz anschließender Chemotherapie war die Patientin nach eigenen Worten im Sommer "vom Scheitel bis zur Sohle mit Tochtergeschwülsten durchsetzt", also auch in so lebenswichtigen Organen wie der Leber und Lunge und sogar in der Wirbelsäule. Gegen die drohende Querschnittslähmung wurde sofort eine Strahlentherapie eingesetzt. In dieser Zeit erfuhr die Krebspatientin, daß sie alle Auswahlkriterien für die Pharmastudie erfüllte. Prof. Schaller erörterte mit ihr das Für und Wider einer Teilnahme. "Ich sah, daß ich gar keine andere Chance hatte", sagt sie unumwunden.

Nach der Aufnahme in die Studie mußte Ursula Mohr als erstes randomisiert werden. Das heißt, sie wurde einer Fall-Nummer zugeordnet und anonymisiert. Danach erhielt sie die für sie bestimmte Medikation, ebenfalls incognito. Denn bei dieser als Doppelblind-Studie bezeichneten Testmethodik bilden die Forscher grundsätzlich zwei Gruppen: Eine Gruppe erhält die im Testverfahren befindliche Rezeptur, in diesem Fall das Präparat aus HER 2/-neu-Antikörpern plus Chemotherapie. Die andere Gruppe wird mit der Standardtherapie behandelt, also mit Chemotherapie und einer Scheinarznei, dem sogenannten Placebo. Arzt und Patientin wissen auf diese Weise nicht, wer welches Präparat einnimmt. Dieses aufwendige Verfahren wird gewählt, um beim statistisch-wissenschaftlichen Nachweis der Überlegenheit einer neuen Behandlungsform die Gefahr einer Manipulation des Ergebnisses von vornherein auszuschließen.

Bei Ursula Mohr stellte sich der Erfolg noch vor Beendigung der Testmedikation ein. Knochen, Leber und Lunge waren frei von Metastasen. Sie benötigte zur Atmung keinen Sauerstoff mehr, bekam wieder Luft. Auch psychisch konnte sie aufatmen: "Was meinen Sie, was das für ein Erlebnis ist: Befund stabil!" Schaller und seine Kollegen hatten "die Auflösung so großer Metastasen noch nie gesehen". Nach dem Abschluß der weltweit angelegten Versuchssreihe im Februar "97 kam es zur "Entblindung". Das Pharmaunternehmen gab die Zuordnung der Patientinnen zu den beiden Untersuchungsgruppen bekannt. Nun stand fest: Ursula Mohr war mit dem neuen HER 2/-neu-Antikörper behandelt worden.

Ingrid Eller dagegen befand sich in der Kontrollgruppe, erhielt zur Behandlung ihres in die Leber streuenden Brustkarzinoms also lediglich die bei der Chemotherapie eingesetzten Zytostatika. Nachdem sich ihre Metastasen fast vollständig zurückgebildet hatten, formierten sie sich einige Wochen später von neuem. Schaller therapierte daraufhin auch Ingrid Eller mit der neuen Substanz, denn für den Fall eines weiteren Fortschreitens der Erkrankung legt das Studiendesign von vornherein fest, daß die Patientinnen der Kontrollgruppe ebenfalls Antikörper erhalten. Heute ist die 40jährige Patientin bereits zwölf Monate frei von Metastasen - bei diesem Krankheitsbild eine lange Zeit.

Der Abschluß der internationalen Arzneimittelstudie ist für Anfang 1998 projektiert. Bestätigt sich das gute Resultat von Schallers vier Einzelfällen, könnte der Antikörper bereits im Frühjahr von den Arzneimittelbehörden zugelassen werden. Schaller ist schon heute überzeugt, daß "dieses Präparat die Chemotherapie sinnvoll ergänzen und dort, wo diese ineffektiv bleibt, eine nebenwirkungsarme Alternative dazu sein könnte".

Als Bonus für ihre Beteiligung an der Pharmastudie können Schallers Patientinnen auf unbegrenzte Dauer mit dem neuen Mittel weiterversorgt werden - ein bei solchen Studien üblicher Standard.

Sylvia Zacharias

* Patientinnen-Namen von der Redaktion geändert.


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