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FU-N 5/2000
Die Seite Drei

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Pflanzenkultouren
mit Rosemarie Gebauer

Über 50 Führungen und vier Lesungen werden angeboten zu:

Literatur und Botanik
Pflanzen der mediterranen Kulturgeschichte
Botanik und Literatur im Spiegel
der Jahreszeiten
Lesungen
Botanische Erlebnisse
Noahs Botanikschätze

Die Spaziergänge kosten 110,- – 150,- DM pro Stunde (ab 2 Stunden), dazu kommt der Eintritt in den Botanischen Garten (DM 8,– für die Einzelkarte, Ermäßigung für Gruppen); musikalische Begleitung kostet extra.

Es gibt eine Broschüre mit einer Kurzbeschreibung zu jedem Spaziergang.

Rosemarie Gebauer:
Telefon und Fax:
3990 86 24

E-Mail...

(In Ergänzung dazu führt Rosemarie Gebauer auch durch die gemalte Botanik: "Blumenstück" und "Früchtestück" in der Gemäldegalerie)

   

Rosemarie Gebauers Pflanzenkultouren
durch den Botanischen Garten
Götter, Dichter, Schokolade

von Susanne Weiss

Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Thal.
Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den Töchtern.
Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen,
so ist mein Freund unter den Söhnen.
Ich sitze unter dem Schatten,
des ich begehre, und seine Frucht ist
meiner Kehle süß.
Er führet mich in den Weinkeller,
und die Liebe ist sein Panier über mir.
Erquicket mich mit Blumen und labet mich mit Äpfeln,
denn ich bin krank vor Liebe.

Das Hohelied Salomos 2,1-5

So schmelzend schön kann die Bibel sein, schön wie der Apfel, Symbol für Liebe und Nahrung, herüber gerettet aus den Schatzkammern Aphrodites, der Schaumgeborenen, schön wie ein gedichtetes mohnumschäumtes Feld an einem hitzeflirrenden Sommertag, dass einem vor Glück und Duft das Herz brechen will, schön wie die "Göttin mit strahlenden Augen" Athene, die der Welt den tausendjährigen immerfruchtenden Ölbaum schenkte, lebendig wie der Feigenbaum, den Demeter für den Phytalos aus dem Boden stampfte – Symbol für die schöne Sünde ist die süße Frucht, Zeichen der Keuschheit das Blatt – in einem anderen Paradies. Und spritzig wie der Wein, der den Dionysos mitsamt seinem lärmenden Gefolge in den heiligen Rausch trieb.

Der Feigenbaum hat Knoten genommen, die Weinstöcke haben Blüten gewonnen, und geben ihren Geruch. Stehe auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!

Rosemarie Gebauers trans-botanische Pflanzentouren durch den Botanischen Garten gehen durch Zeiten, Bedeutungen und Weltgegenden; sie widmen sich der Pflanze auf dem Stengel, beginnend beim studierten Fach der Biologin – morphologisch, systematisch, auch pflanzengeografisch – verlassen es bald gekonnt und gelehrt, um zu erzählen von "der größten Metapher des Menschengeschlechts" (Rudolf Borchardt) mit Dichterworten zu allen Jahreszeiten, mit Goethe und seiner spekulativen Botanik zumal, mit biblischen Pflanzen und denen des Koran, mit der Geschichte Tülbends vom Hofe Süleymans des Prächtigen, die vor 400 Jahren die Niederlande fast in den Ruin getrieben hätte, mit Weizen, Gerste und allerlei Süßkram – und mit Erica und Victoria aus Mooren und Sümpfen. Für Gebauer sind die Pflanzen der Kitt, der Herz und Verstand zusammen hält, der die Trennung von Leib und Seele aufhebt, die dem Menschen nicht gut getan hat, der Forschungsgegegenstand gewordenen Blume – wie der Natur überhaupt – auch nicht. Der Duft betörte nicht mehr, sondern war sekundärer Pfanzenstoff geworden, der in Osmophoren produziert wird. Die Lust verduftet, und Theobroma wird Mitglied der Familie der Sterculiaceae, der Stinkbäume. Dabei ist es die Grundlage der süßesten Verführung seit dem Hohen Lied Salomos.

Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränke mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen.

Rosemarie Gebauer macht ihre "Pflanzenkultouren" seit 1996 mit wachsendem Erfolg. "Die Leute lieben Geschichten, und man kann ihnen die wissenschaftliche Botanik näher bringen, wenn man sie mit der Alltagskultur verbindet." Oder mit der Dichtung.

Ich wandle unter Blumen
Und blühe selber mit;
Ich wandle wie im Traume,
Und schwanke bei jedem Schritt.

O, halt mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
Fall ich dir sonst zu Füßen
Und der Garten ist voller Leut.

Heinrich Heine

Denn die Dichter sagen, was die Wissenschaftler verschweigen, der "scharlachne Mohn" ist mehr als Papaver rhoeas, dem Holunderbusch, Sambucus nigra, "beeren schwarze Tränen traurig vom Geäst". Wer aber nicht mit Bertolt Brecht und Herrmann Hesse auf Bäume klettern will oder küssen das Gesicht der Anemone, geht mit der Droste ins Moor und lernt nebenbei, warum Moorleichen länger leben. Den Fluchtweg in ein anderes Dasein zeigt uns auch Daphne, die Nymphe, die sich vor den Nachstellungen des Apoll in Lorbeer verwandelte.

Kaum war geendet das Flehn;
und gelähmt erstarrten die Glieder.
Zarter Bast umwindet die wallende Weiche des Busens;
Grün schon wachsen die Haare zu Laub, und die Arme zu Ästen;
Auch der so flüchtige Fuß
klebt jetzt am trägen Gewurzel (...)
Jetzo sagte der Gott: Da du mein
als Gattin nicht sein kannst,
Wenigstens sei als Baum du die Meinige! Immer umwind' uns Du das Haar,
und die Leier, und du den Köcher,
o Lorbeer! (...)

Nachzulesen im "göttlichen Buch des Ovid", den Metamorphosen, nachzulesen hier auch die Geschichte von Adonis, der so schön war, dass sich Göttinnen um ihn stritten und Götter eifersüchtig wurden, und von Narcissus, der an unerfüllbarer Selbstliebe starb bei der Betrachtung seines Spiegelbildes. – Selber staunt er sich an; unbewegt in einerlei Stellung / Haftet er wie ein Gebild aus parsischem Marmor gemeißelt. – Strafe der Artemis für seinen Hochmut. Statt des Leichnams des Verwirrten fand man ein "gelblich Blümlein", aus dem im Altertum ein beruhigendes Öl gewonnen wurde. Das narkóein "starr machen" der Griechen ist der Ursprung des Namens der Narzisse – und der Narkose.

Die Götter stritten: Um Nymphen und Jünglinge und um Stadt und Land. Die "Göttin mit strahlenden Augen" Athene gewann Attika mit einem – wie das olympische Kabinett befand – kostbareren Geschenk an die Stadt und den Landkreis als Poseidon, ihr Kontrahent. So kam der Ölbaum in die Welt, die wichtigste Kulturpflanze der Mittelmeerländer. Der Ölbaum machte die Stadt Athen reich und schmückte ihre Göttin. Gebauers irdischer Spaziergang durch die mediterrane Pflanzenwelt führt auch zum Ölbaum – Demeters "süße Feige aus Attika" darf allein auftreten, zusammen mit ihrem Philosykos, dem Feigenfreund und der überaus komplizierten Biologie ihres Fruchtstandes. Auch gegessen wird später.
Die göttlichen Pflanzen der Antike fanden den Weg vom Olymp in die Heiligen Bücher der abrahamitischen Religionen, wo sie "Gemeinsamkeiten aufzeigen und Verstehen möglich machen", ist Rosemarie Gebauer überzeugt.

Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen. –
Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Cyperblumen mit Narden.
Narde und Safran, Kalmus und Zimmet, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Würzen.

Weizen, Gerste Ölbaum, Feige, Wein, Granatapfel und Dattelpalme sind prominent in der Hebräischen Bibel und im Neuen Testament. Wohl 130 Pflanzen kennt die Bibel, essbare und kleidsame und solche, die sich in duftenden Rauch auflösen. Aus Palmwedeln wurden Häuser, aus Tannenholz Schiffe gemacht – aus anderen Pflanzen Gleichnisse. Die kostbarsten Handelsgüter waren Öle und Spezereien.
"Verehrt die Dattelpalme. Sie ist Eure Tante", steht nicht in der Bibel. Es war Mohammed, der den Seinen Ehrfurcht vor der wichtigsten Nutzpflanze der arabischen Länder beibringen wollte. Die Dattelpalme spendete fast alles, was man zum Leben brauchte: Material zum Hausbau, Wedel für den Hausputz, Futter für Kamele und Leckerbissen für die Menschen.

Die göttliche Tante Dattelpalme war Allahs Geschenk, die einzige "Götterspeise" kraft Namens aber ist Theobroma cacao. Karl von Linné, im 18. Jahrhundert zuständig für die weltliche Ordnung im Pflanzenreich, gab ihr diesen Namen – eine Referenz an ihren Gebrauch in der aztekischen Heimat. Hier zu Lande ist sie der Grundstoff der "Sünde" verwöhnter Damen und der sündenfreien Fastenspeise der Schweizer Mönche, die ihrem Bischof zur Erlaubnis eine ungesüßte Variante vorgelegt hatten: der Schokolade.

Nutzpflanzen eignen sich naturgemäß besonders gut, um zusammenzuführen, was zusammen gehört, nämlich Aufklärung mit Genuss. So wie die Götter ihre Füllhörner ausschütten, so besingen auch die Dichter ihr Obst (Ja, jetzt kommt Fontane!). Schön wohl ein gedichteter Veilchenduft, der während einer Literaturstunde im Botanischen Garten atembar wird – doch dem einen oder anderen schmecken kandierte Veilchen besser als das schönste Gedicht, besonders, wenn sie eine Schokoladentorte zieren. Wie aber kommt die Schokolade in die Torte? Der Kakaobaum (Theobroma cacao ) hat Früchte vom Aussehen und von der Größe eines Footballs. Sie enthalten 30-50 weißliche Samen mit 30-53% Fett, 15% Eiweiß, 8% Stärke, 7% Gerbstoffe und die Alkaloide Theobromin (1-2%) und Koffein (0,2 - 0,3%). ... Den Rest der Geschichte gibt's in Gebauers Schokoladenseminar, den Kakaobaum in einem Gewächshaus des Botanischen Gartens.

Schokolade in
Originalfassung.
Kakao am Baum.

Zur Schokoladentorte nimmt man inzwischen auch in Sachsen Kaffee – als Getränk. Sächsischer "Blümchenkaffee" ist eine Klasse für sich. Der erste sächsische Kaffeeversuch war allerdings eine Bohnensuppe. Coffea arabica kommt wohl aus dem Jemen. Die genaue Herkunft bleibt etwas im Dunkeln. Anregend hingegen ist die Geschichte vom langen Weg des "Türkentranks" aus den Fürstenhäusern auf die Frühstückstische der kleinen Leute und in die Kaffeehäuser – das erste deutsche eröffnete 1677 in Hamburg. Stätten geistiger Anregung waren das, kultivierter Geselligkeit – auch für Frauen – und politischer Meinungsbildung für Künstler, Politiker, Geschäftsleute und Journalisten, "Brutstätten" des Widerstands für manche Regierung – dann wurde ausgehoben.
Kultivierte Geselligkeit – und allenfalls kolonialpolitisch brisant – ist auch die teatime der Engländer. Botanisch gesehen ist der Tee ist eine Kamelie, Camellia sinensis, Spross einer großen Familie. Tee ist vergeistigter Genuss, ist Philosophie und Hochkultur – und die Geschichte der Ostfriesen, die in Deutschland den meisten Tee verbrauchen, seit ihnen ein eifernder Pfaffe vor ein paar Hundert Jahren das Biertrinken unter Androhung von Höllenstrafen ausgetrieben hatte. Apropos Bier: "Von Gin, Bier und Feigenschnaps" handelt die Alkoholführung – "was für Männer", sagt Gebauer, "die hören da immer genau zu". Hier verrät sie, dass sogar der Teufel ein Gärtner war, denn der hat bekanntlich den Schnaps gemacht. Vielleicht verrät sie ja auch die Ingredienzen eines Tranks der Zauberin Kirke aus Homers Odyssee, der Männer in Schweine verwandelt – rein pflanzlich, versteht sich.