Zoologie
Aliens in der Getreidewelt

 

In Johannes Steidles Arbeitszimmer hängt ein Plakat. Es zeigt in Lebensgröße eines der Monster aus dem Film "Alien". Das ist keine Dekoration, sondern ein Sinnbild für das Arbeitsgebiet des Biologen: Im Film "Alien" legen Außerirdische ihre Eier in nichtsahnende Menschen. Nach einer Zeit schlüpft aus dem Wirt eines der ekligen Wesen aus, vom Menschen bleibt nur die tote Hülle zurück. Nicht anders verhält sich das Forschungsobjekt des FU-Biologen Dr. Johannes Steidle vom Institut für Zoologie: Die Erzwespe, Lariophagus distiguendus. Sie legt, einem winzigen "Alien" ähnlich, ihre Eier in die Larven des Kornkäfers. Nach zwanzig Tagen schlüpft daraus eine neue Wespe - auf Kosten der Kornkäferlarve, die dabei ihr Leben lassen muß. Die Erzwespe ist ein Parasitoid, der sich auf Kosten anderer vermehrt - ein Schmarotzertum, das sich der Mensch zunutze machen könnte. Denn beim Schutz von Getreidevorräten vor Schädlingen werden bislang nur giftige Chemikalien eingesetzt. Ökologisch unbedenklicher Vorratsschutz in Getreidesilos durch eine Miniwespe? Eine denkbare Lösung für ein immer noch aktuelles Problem: Pro Jahr werden weltweit 10-20% aller Vorräte durch Schädlinge vernichtet.

Bald einsatzbereit im ökologischen Vorratsschutz? Die Erzwespe, Lariophagus distiguendus, auf einem vom Kornkäfer befallenen Weizenkorn. Als Parasitoid legt sie ihre Eier in die Larven des Kornkäfers, die daran zugrunde gehen

Bildnachweis: Johannes Steidle

Während im Ackerbau schon seit längerem Parasitoide zum Pflanzenschutz eingesetzt werden, z.B. Schlupfwespen im Kampf gegen Schädlinge wie den Maiszünzeler, werden Nützlinge wie die Erzwespe zum Schutz von Vorräten derzeit noch im Labor untersucht, um ihre Einsatzfähigkeit zu testen. Denn bevor es der Kornkäferlarve an den Kragen geht, hat die Erzwespe eine für uns Menschen unvorstellbare Sisyphusarbeit verrichtet: Aus einer riesigen Menge an Körnern hat der nur millimetergroße Hautflügler zielsicher diejenigen herausfinden müssen, die vom Kornkäfer befallen sind und auf die sie ihre Eier ablegen kann. Die Arbeitsgruppe von Johannes Steidle untersucht Mechanismen, nach denen sich die Wespen dabei orientieren. "Man stelle sich einen riesigen Wald vor, und irgendwo auf einem Ast sitzen zwei Raupen. Und die gilt es zu finden", beschreibt Johannes Steidle das Problem der Wirtsfindung. Die Wissenschaftler suchen dabei nach chemischen Substanzen, die den Tieren den richtigen Weg zeigen. Diese Stoffe werden Kairomane genannt, und sie sind nicht zu verwechseln mit den Pheromonen. die lediglich der Verständigung von Insekten einer Art untereinander dienen. "Bei Kairomanen könnte man eher von ‘Infochemikalien’ sprechen", sagt Steidle. Und nach ersten Untersuchungen haben die Forscher bereits eine Vermutung: Die Wespe Lariophagus ist lernfähig. In der Eiablage erfahrene Tiere finden ihre Wirte schneller als junge und noch unerfahrene Erzwespen.

Doch zunächst betrachten wir den Schädling: Johannes Steidle holt eine Schale voller Weizenkörner, über das Getreide wimmeln kleine braune Käfer. Wahrscheinlich stammt der Kornkäfer aus Mesopotamien, wo die Menschen zum ersten Mal Ackerbau betrieben haben. "Der Kornkäfer kommt zusammen mit dem Menschen schon seit biblischen Zeiten vor. Er wurde schon in den Pyramiden in Grabbeigaben entdeckt", erzählt der Wissenschaftler. "Außerdem gilt der Schädling als das einzige bekannte Insekt, das noch nie im Freiland gefunden wurde." Mit geübtem Blick greift er mit der Pinzette ein äußerlich unversehrtes Korn aus dem Haufen heraus und schneidet es auf: "Man findet hier drin die dicke Larve" und zeigt den "Bewohner" des Korns unter dem Mikroskop - bei Licht betrachtet scheint sich die weiße Larve sichtlich unwohl zu fühlen. Doch woran erkennt Steidle von außen solch ein befallenes Korn? Hier habe er das gleiche Problem wie die Wespe, meint er, wenn man allerdings genau hinsieht, dann deuten winzige Kotspuren auf den Befall hin. Und auf dieses mehlige Pulver konzentrieren sich die Wissenschaftler bei der Suche nach den für die Erzwespe attraktiven Chemikalien. Dazu wird das Pulver extrahiert und auf seine chemischen Bestandteile mittels eines Gaschromatographen untersucht. Erste Untersuchungen bestätigen, daß vor allem der Kot der Kornkäferlarve die Wespe anlockt. Aber auch im Großen, d.h. in einem Getreidesilo voll von Abermillionen von Körnern, können die Kornkäfer den Menschen auf sich aufmerksam machen, wenngleich er nicht den feinen Geruchssinn einer Erzwespe besitzt: In Vorratslagern bilden sich sogenannte "hot spots", Gruppen von befallenen Körnern. Hier herrschen ein höherer CO2-Gehalt sowie erhöhte Temperaturen, so daß die "hot spots" mittels eines Infrarotsensors detektiert werden können. "Die Kornkäfer machen es sich richtig gemütlich", lacht Johannes Steidle, man könne sogar von außen mit einem Mikrofon dem Knispeln der Insekten in einem Kornhaufen lauschen. Vorratslager werden deshalb abgedeckt und mit Methylbromid oder Phosphortabletten begast, eine äußerst giftige Methode zum Abtöten der Schädlinge.

Betrachtet man Lariophagus, die im Institut für Zoologie in Petrischalen und Einmachgläsern lebt, mit bloßem Auge, dann ist sie nicht größer als eine Blattlaus. Erst unter dem Mikroskop erkennt man, daß die Erzwespe der gemeinen Gartenwespe sehr ähnlich sieht - es fehlen lediglich die gelben Streifen. Und während ihre große Wespenschwester im Sommer zur Plage einer Kaffeetafel werden kann, soll die Erzwespe sich nach den Vorstellungen der Forscher eines Tages im Getreidesilo nützlich machen. Dazu testeten sie, wie gut die Tiere Gerüche "lernen" können, die für sie attraktiv bei der Wirtsfindung und Eiablage sind. "So könnte man den Wespen andere Wirte schmackhaft machen, die sie sonst nicht finden könnten", erklärt Steidle. Die Wissenschaftler legten den Wespen dafür befallene Körner vor, die sie mit Furfurylesterheptanoat, einem künstlichen Duftstoff, behandelt hatten. Und tatsächlich verinnerlichten die Insekten die Geruchserfahrung und legten anschließend bevorzugt ihre Eier auf mit dem Duftstoff behandelte Proben. Wahrscheinlich, so die Biologen, leiten zunächst flüchtige Substanzen den Parasitoiden in die Nähe befallener Körner. Eine andere Sorte von Chemikalien zeigt der Erzwespe dann, ob ein Korn die Eiablage lohnt, d.h. ob es tatsächlich befallen ist. Diese Substanzen, wie Tocopherole und Cholesterole, sind nichtflüchtig. Die Wespe erkennt sie auf dem Korn durch Kontakt mit den Fühlern.

Allerdings nutzt die Erzwespe nicht allein den Kornkäfer als Wirt, sie legt ihre Eier auch in die Larven des Bohnenkäfers, der Hülsenfrüchte befällt. Doch wie erkennt sie zwei systematisch völlig verschiedene Wirte? Hier muß es ähnliche Prinzipien der chemischen Erkennung geben. Johannes Steidle vermutet: "Es handelt sich wohl um einen Mechanismus aus Gemeinsamkeiten und Lernen." Das heißt, die grundlegende "Informationschemie" ist bei beiden Käfern für den Parasitoiden gleich. Je nach Umgebung lernen die Erzwespen dann jeweils ihren Wirt schnell und sicher zu finden. Wie fein der Spürsinn der Erzwespe dabei ist, hat der Wissenschaftler bereits in einem Versuchssilo mit Weizen getestet: Er versenkte 200 befallene Körner in vier Meter Tiefe und ließ dann die Wespen ausschwärmen. Und auf Lariophagus war Verlaß: Nach kurzer Zeit hatte sie als "Alien" im Getreidesilo alle Körner zur Eiablage wiedergefunden - und sich dabei durch sage und schreibe 600 Millionen Körner vorgearbeitet.

Steffi Barbirz