Neu an der FU - Prof. Dr. L. H. Wieler besetzt die Professur für Mikrobiologie und Tierseuchenlehre an der FU
Unter gefährlichen Viechern

Sie sind nicht zu unterschätzen, die kleinen Viecher, mit denen sich Prof. Dr. Lothar H. Wieler befaßt: Die routinemäßigen Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit den Erregern erscheinen jedoch bei näherem Hinsehen auch dem Laien als kaum abschreckend. Man zieht Handschuhe und Schutzkleidung an und arbeitet in Räumen, in denen wenig Luftzug herrscht. Wenn Laborinfektionen auch keine Rolle spielen, so ist doch allen Mitarbeitern bewußt, daß man mit aufregend gefährlichen krankmachenden Bakterien arbeitet.

Zu seinem Beruf kam Wieler, Professor für Mikrobiologie und Tierseuchenlehre am Fachbereich Veterinärmedizin der FU, eher zufällig. Fünf Studiengänge weckten nach dem Abitur sein Interesse: Luft- und Raumfahrttechnik, Bierbrauereiwesen, Landschafts-archi-tektur, Maschinenbau und Veterinärmedizin. "Ich wurde aber nur für einen zugelassen", erzählt Wieler, "und das war die Tiermedizin." Da erscheint es wie eine Ironie des Schicksals, daß die halbe Familien-chronik der Wielers generationenweise aus Veterinärmedizinern besteht: Großvater, Vater, Onkel. Der heutige Professor sieht sich deshalb in guter Tradition. "Ich bedauere es im Nachhinein überhaupt nicht, bei der Veterinärmedizin gelandet zu sein, im Gegenteil." Seine besondere Vorliebe für Mikroben wurde erst spät im klinischen Abschnitt des Studiums geweckt. Als er nach Abschluß seines Physikums an der FU nach München wechselte, weil ihm "die Stadt so gut gefiel", lernte er in einer Vorlesung seinen späteren Doktorvater kennen. Dieser verstand es, seine Studierenden für die kleinen bakteriologischen ´Viecher` zu begeistern. Die großen hat Wieler sowieso nie sonderlich spannend gefunden - sie sind ja auch vergleichsweise weniger gefährlich. Wieler setzte seine Berufsvorstellungen zielstrebig um. Seinen Wehrdienst absolvierte er im Institut für Mikrobiologie an der Sanitätsakademie der Bundeswehr, wo er nach Dienstschluß seine mikrobiologische Doktorarbeit bearbeitete. Noch während er an seiner Dissertation über immuno-logische Parameter bakterieller Infektionen arbeitete, erhielt er 1987 im Rahmen eines Forschungsprojektes eine Stelle in der Pathologie der Universität Ulm. Dabei kam Wieler mit seinem späteren Forschungsgebiet, der Brücke zwischen humaner und veterinärer Infektionsmedizin in Berührung: den Infektionen zwischen Mensch und Tier, den Zoonosen. 1991 wurde Wieler als Experte für bakterielle Zoonosen Berater bei der World Health Organization (WHO). 1996 beschäftigte sich der Habilitand mit gezielten Manipulationen bakterieller Gene, gefördert durch ein Stipendium der National Institutes of Health (NIH) an der University of Maryland in Baltimore. Ende desselben Jahres wurde er in Gießen habilitiert, wo die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft ihn 1997 mit einem Nachwuchspreis auszeichnete.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Wieler dem Durchfallerreger "Enterohämorrhagische E. coli". "Die sind außerordentlich variantenreich und deshalb sehr spannend", charakterisiert der Wissenschaftler seine Versuchsmikroben. Sie können Gifte bilden, die bei Schweinen ins Gehirn gelangen und dort nicht selten tödlich wirken. Oft führt die starke Vermehrung der kleinen Bösewichte - innerhalb von zwanzig Minuten können sie sich verdoppeln! - zu einer seuchen-artigen Verbreitung der Krankheit. In Zukunft wird sich Wieler zudem mit Campy-lobacter-Bakterien befassen, die u.a. durch kontaminiertes Hühnerfleisch auf den Menschen über-tragen werden können - natürlich nicht durch gekochtes. "Aus hygienischer Sicht sollte man viele Nahrungsmittel erhitzen. So gehaltvoll und diätetisch Naturkost auch ist, Lebensmittel wie Rohmilch, Rohfleisch oder sonstige Rohkost können eben den Nachteil einer Kontamina-tion mit Krankheitserregern aufweisen." Aus der Perspektive Wielers hat die "Ökowelle" dahingehend jedenfalls auch ihre Tücken. Einen weiteren Schwerpunkt der Forschungs-akti-vitäten werden die ökonomisch bedeutsamen bakteriellen Lungeninfektionen der Nutztiere darstellen.

Andererseits hat Wieler ein großes Interesse an einer Ökologie-bewußten Tiermedizin: "Eine ganz große Aufgabe in der Tiermedizin ist es nach meiner Ansicht, die Anwendung von Antibiotika auf ganz bestimmte Bereiche zu begrenzen und auch gesetzliche Vorgaben für den Einsatz dieser Medikamente aufzustellen." Das hat verschiedene Gründe: Zum einen nimmt durch eine zu häufige und ungezielte Gabe von Antibiotika die Anzahl resistenter Bakterienstämme zu. Deshalb gehört für Wieler der richtige Umgang mit Antibiotika zu den wichtig-sten Dingen, die er seinen Studierenden vermitteln möchte. Aber es gibt noch einen zweiten Grund, der Wieler bei Antibiotika zur "Vorsicht" mahnt. Diese Medikamente töten nicht nur die pathogenen Erreger, sondern auch eine Vielzahl der für den Wirtsorganismus dringend benötigten Bakterien. "Antibiotika greifen damit in Ökosysteme ein, die wir größtenteils noch gar nicht wirklich verstehen", gibt der Wissenschaftler zu Bedenken. Überhaupt liegt ihm die Ausbildung der Studierenden sehr am Herzen. Wieler ist sich sicher, daß in Zukunft im Fachbereich Veterinärmedizin durch eine vermehrte interdiszipli-näre Zusammenarbeit die Qualität der Lehre noch besser wird, so daß die Tiermedizin, die einer der facettenreichsten Studiengänge überhaupt ist, für die Studierenden noch interessanter werden wird.

Nachdem er bereits im Wintersemester 1997/98 die Vakanzprofessur übernommen hatte, ist Wieler seit dem 1. Dezember 1998 wieder in Berlin, diesmal mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Helen. Die Universität hat den jungen Papa, der im Februar die Geburt seiner 2. Tochter Hannah, "die erste echte Berlinerin in der Familie", feiern konnte, allerdings zur Zeit in Beschlag genommen. Denn die Fusion von Humboldt- und FU-Veterinärmedizin ist immer noch nicht vollständig umgesetzt, das Institut muß umziehen, und auch innerhalb der Mikrobiologie und Tierseuchenlehre gibt es noch viel zu tun. "Eine Veränderung ist immer gut", glaubt Wieler und schaut sich, von Bücherstapeln und Kisten umgeben, zufrieden um im frisch renovierten - noch `schädlingsfreien´ - Labor, welches ihm temporär als Büro dient.

Irmelin Ehrig