Sanierung und Umbau des Lesesaals der Universitätsbibliothek
Mit einem Tropfen fing es an

 

Wer derzeit den Lesesaal der Universitätsbibliothek betreten will, prallt an einer kleinen silbernen Baustellentür ab: Der Lesesaal wird saniert. Das Dach und die Seitenwände sind inzwischen abgebrochen worden. Acht Stahlträger ragen in den blauen Sommerhimmel. Der Terminplan für die Sanierung und den Umbau des Lesesaals der Universitätsbibliothek umfaßt 44 einzelne Arbeitsschritte. Noch vor dem Jahr 2000 soll der Lesesaal den Benutzerinnen und Benutzern in neuem Gewande wieder zur Verfügung stehen.

 

Zur Baugeschichte des Lesesaals


Die Universitätsbibliothek ist als Teil eines Gebäudeensembles geplant worden, das für die junge Universität sinnstiftend sein sollte: der Henry-Ford-Bau, der im Rahmen einer großzügigen Spende der Ford-Foundation errichtet werden konnte. Die Architekten Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller verfolgten bei diesem ersten Berliner Großbau der Nachkriegszeit auf kulturellem Sektor die Idee, für die in einem Villenvorort weit verstreut liegenden Seminare einen "kraftvollen Mittelpunkt” zu schaffen. Dabei sollte bewußt eine Durchdringung des Gesamtkomplexes mit der umgebenden Natur erfolgen, so daß sich Durchsichtigkeit und Helligkeit von selbst ergeben. Betrachtet man unter diesem Aspekt die in ihrer ursprünglichen Gestalt erhaltene repräsentative Eingangshalle des Henry-Ford-Baus, tritt der Leitgedanke der beiden Architekten deutlich vor Augen.

Der Lesesaal der Universitätsbibliothek wurde bei der Konzeption der Bibliothek Anfang der fünfziger Jahre in der damals herrschenden Bibliotheksbautradition als großer, eine Vielzahl von Leseplätzen anbietender Raum geplant. Der Lesesaal war für 390 Plätze konzipiert. Dies war eine großzügige Planung, die bei der Planung von 8000 Studierenden jedem 20. Studierenden einen Platz in der zentralen Bibliothek sicherte. Das Dach des Lesesaals wurde als Sheddach ausgeführt, wie es sich in den Industriebauten der damaligen Zeit findet. Unser Sheddach bestand aus einer Abfolge von vier Kreisvierteln, die durch schräg gestellte Oberlichter geschlossen wurden. Unter diese Dachkonstruktion wurde ein durchgehendes Gitterwerk aus Stahlprofilen gehängt, die eine geschlossene Glasfläche aufnahmen. Zwischen Glasdach und Sheddachkonstruktion wurden starke Lichtstrahler eingebaut, die durch eine automatische Steuerung der Beleuchtungsstärke für eine stets ausreichende Beleuchtung der Arbeitsplätze sorgten. Anfang der 70er Jahre wurde unter die Glasdecke eine zweite Decke aus durchsichtigen Plastikscheiben eingezogen, um die Belüftungsproblematik des Lesesaals durch eine veränderte Zu- und Abluftführung in den Griff zu bekommen.

Stahlträger ragen in den blauen Sommerhimmel

Foto: UB

 

Probleme der Dachkonstruktion


Die Dachkonstruktion mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Baumaterialien (Beton, Stahl, Holz und Glas) zeigte sich den Klimaschwankungen nicht gewachsen. Sie führten zu einem ständigen Reißen der die Dachkonstruktion verbindenden Nähte. In jedem Herbst wurden undichte Stellen festgestellt, die durch Abdichten notdürftig geschlossen wurden. Mit einem Tropfen fing es an, und bald reichten nur noch große Gefäße aus, um das in den Lesesaal eindringende Wasser aufzufangen. Mehrere große, griffbereit aufgestellte Wannen gehörten deshalb zur sonst nicht üblichen Ausstattung unseres Lesesaals.

Die ständige Durchfeuchtung der Dachkonstruktion führte dazu, daß im Januar 1998 beim Öffnen der Bibliothek ein größerer Teil der zweiten Abdeckung herabgebrochen war und diese Abdeckung sofort entfernt werden mußte. Die ständige Feuchtigkeit war mit dem bloßen Auge zu erkennen, denn auf der Oberseite waren großflächige kreisförmige Trocknungsflecken zu erkennen, die sich auch nicht mehr entfernen ließen. Spätestens jetzt war allen Verantwortlichen klar, daß bald etwas geschehen mußte, zumal die alte Belüftungsproblematik erneut in aller Schärfe auftrat.

Auch bei unserer Benutzerumfrage, die wir im Wintersemester 1994/1995 durchgeführt haben, bekam unser Lesesaalbereich wegen seiner Optik durchweg schlechte Noten. Weiterer Kritikpunkt waren fehlende Anschlußmöglichkeiten für moderne Geräte. Erstaunlich oft wurde die fehlende Ruhe im Lesesaal moniert, die das konzentrierte Arbeiten stört.

 

Vorschläge für eine Sanierung und Neuordnung


Bereits am 30.1.1996 wurden der Hochschulleitung in einem umfangreichen Schriftstück Gedanken zu einer Verbesserung der Situation vorgelegt. Verbunden mit der unvermeidlichen Sanierung des Lesesaaldaches wurden Überlegungen angestellt, wie mit der Renovierung des Daches zugleich die Benutzungsbedingungen für Benutzer- und Mitarbeiterinnen verbessert werden könnten, um auch diesen Bereich für die zukünftigen Anforderungen "fit" zu machen.

Dabei verfolgte die Leitung der UB bereits einen bescheideneren Ansatz: Anders als ursprünglich geplant sollte die Lesessaalfläche nicht verdoppelt werden, die Universitätsbibliothek wollte vielmehr die vorhandene Fläche nutzen, um die Umgestaltung und Neuordnung den geforderten Benutzer- und Mitarbeiterinnenwünschen anzupassen. Ursprünglich hatte die UB daran gedacht, ein weiteres Stockwerk auf den Lesesaal aufzusetzen, was Möglichkeiten zur Einrichtung von Gruppenarbeitsräumen, Benutzereinzelarbeitsplätzen und eines "Technikbereiches” geboten hätte.

Mit dem Vorschlag, nur die vorhandenen Flächen in eine Neugestaltung einzubeziehen, war aber die Bitte verbunden, bei der Renovierung und Neugliederung des Lesesaals den Raum mit seiner Galerie in seiner architektonischen Struktur zu erhalten.

 

Der Lesesaal der Universitätsbibliothek
vor der Renovierung
. Foto: UB

 

Dachsanierung


Um das Grundproblem des undichten Lesesaaldaches zu lösen, haben wir eine Totalsanierung des Daches (Abriß und Neubau) beantragt. Der Neubau sollte nicht in einer Rekonstruktion des Sheddaches mit abgehängter Glasdecke bestehen, sondern sollte zurück zu einer früheren Entwurfsplanung eines Tonnendaches in Form einer leicht wirkenden Glasdachkonstruktion führen. Ein solches leichtes Glasdach greift die ursprüngliche architektonische Konzeption von Sobotka und Müller nun auch für den Lesesaal der Bibliothek wieder auf. Bei dem neuen Glasdach war zu berücksichtigen, daß es nur 7 bis 8 Meter über den Arbeitsplätzen liegen würde, was im Sommer zur Mittagszeit eine unerwünschte Wärmeentwicklung bedeuten kann. Ein anderes Problem ist das Sauberhalten des Daches, bei dem zwar durch die gewölbte Form ein Teil des Schmutzes durch den Regen abgewaschen wird, wofür aber auch eine manuelle Reinigungsmöglichkeit vorgehalten werden muß. Das Wärmeproblem durch Sonneneinstrahlung werden wir durch den Einbau eines vorgespannten Mehrschicht-Sicherheitsglases aus insgesamt 4 Schichten erreichen, wobei auf eine der innenliegenden Schichten ein entsprechender Filter aufgebracht wird, der den Sonnenlichteinfall dämpft. Den Rest muß die neu konzipierte Klimatisierungsanlage leisten. Das Reinigungsproblem wird durch eine fahrbare Bühne gelöst, die sich über das gesamte Dach spannt.

 

Neukonzeption des Bereiches


Die funktionale Neuordnung ist ein nicht einfach zu lösendes Problem, das mit dem Gegensatzpaar "Tradition und Moderne” umschrieben werden kann. Wenn sich die bei uns vorhandene Form des großen Lesesaals überlebt hat, wie konnte mit der vorhandenen Baumasse Neues geschaffen werden? Auch wenn Laptop-Benutzer das nicht so sehen: die Benutzung dieser Geräte in der relativ ruhigen Arbeitsatmosphäre eines großen Lesesaals kann durch die leise klappernden Tastaturen und das beständige Summen der Festplatten für Umsitzende, die mit Papier und Bleistift arbeiten, eine unerwünschte Lärmquelle sein. In enger Zusammenarbeit mit dem für den Bau verantwortlichen Architekten Hans-Jürgen Juschkus und den Fachleuten der Bauabteilung haben wir deshalb eine Konzeption entwickelt, die beiden Benutzungsbedürfnissen gerecht werden soll. Sie besteht daraus, den vorhandenen Raum zu teilen und die geteilten Bereiche gegeneinander abzuschotten. Wir bilden so Zonen der Ruhe und der Unruhe. In der Zone der "Unruhe” sollen die modernen Technologien konzentriert werden, die sich gegenseitig und gemeinsam "stören”. In der Zone der Ruhe wird dagegen keine Einsatzmöglichkeit für moderne Technologie geboten werden, so daß dort die traditionelle Kommunikation zwischen Leser und Medium ungestört möglich sein wird. Der bisherige Zeitschriftenlesesaal wurde zur ruhigen Zone umgebaut. In diesem Bereich werden künftig weniger Leseplätze angeboten werden können, als in dem vorherigen großen Lesesaal. Wir gehen aber davon aus, daß die wissenschaftliche Arbeit unter gleichzeitiger Nutzung moderner Textverarbeitungs- und Kommunikationsmöglichkeiten einen immer größeren Stellenwert einnehmen wird.

Ungewöhnliche Bibliotheksausstattung: Gelbe und rote Wannen.

Foto: UB

Da mit dem gesonderten Zeitschriftenlesesaal zugleich auch die Einzelkabinen (Carrels) für die Benutzer aufgegeben werden, werden unter der Galerie neue abgeschlossene Räume mit Fenstern eingebaut, in die auch die beiden Blindenarbeitskabinen integriert werden. Eine weitere Neuerung ist die aus Sicherheitsgründen erforderliche Verlagerung der Eingangskontrolle in den Lesesaal hinein. Auch die Mitarbeiter/innenplätze werden innerhalb des Raumes neu untergebracht, da der bisherige Standort unter der Galerie aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Zugleich ist eine Neuplanung der Bestandsaufstellung erforderlich, da die Regale unter der Galerie nun wegfallen. Wegen der umfassenden Neugestaltung des Lesesaals war die Schließung des Hauptraumes ab Februar 1999 notwendig. Wir haben aber einen Notbetrieb in den hinteren Magazinbereichen eingerichtet, wo der gesamte Lesesaalbestand frei zugänglich aufgestellt wurde. Dafür mußte ein Teil des Zeitschriftenfreihandmagazins vorübergehend weichen.

Ulrich Naumann
Der Verfasser ist Leiter der Universitätsbibliothek