In Deutschland sind sie Popstars, in Mali singen sie das Lob der Mächtigen des Landes. Seit Anfang der 90er Jahren füllen Griot-Frauen wie Oumon Sangare, Kandia Kouyaté und Ami Koita auch deutsche Konzertsäle. Kraftvoll aber auch schneidend klingen ihre Stimmen, begleitet von Harfen- und Xylophonklängen. Rhythmus und Stimme ziehen das Publikum in den Bann. Jedoch: Die Bedeutung der Lieder, gesungen in einigen Landessprachen Malis , bleibt dem deutschen Publikum verschlossen. Auch die Ethnologin Dr. Dorothea Schulz, wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Ethnologie der FU, war hingerissen, als sie 1987 in einem Dorf in der westlichen Sahelzone Malis zum ersten Mal eine Griot-Sängerin hörte. Seither geht sie Inhalt und Bedeutung dieser Musik auf den Grund. Denn was da gesungen wird, ist Öffentlichkeitsarbeit auf malisch.
Daß die Sängerinnen bei uns so populär sind, liegt an der mitreißenden Musik und daran, daß die griot-Frauen sich in Deutschland als Inbegriff der stolzen, selbstbewußten Afrikanerin verkaufen konnten , meint Dorothea Schulz. Begonnen haben ihre Karrieren auf panafrikanischen Musikfestivals, wo z.B: Ami Koita mehrere Preise gewann. Andere, wie die Generation von Oumou Sangare, wurden von westlichen Musikern oder Wissenschaftlern in Afrika entdeckt und gefördert.
Ganz anders die Konzerte der Sängerinnen in Malis Städten: Männer, Frauen und kleine Mädchen aus dem Publikum drängen zur Bühne; manche werfen als Zeichen besonderer Anerkennung Kopftücher und das begeisterte Publikum wirft seinen Stars bündelweise Geldscheine zu Füssen.
"Die Geldgeschenke sind eine Geste des Dankes", so Dorothea Schulz. Der Dank gilt Lob- und Preisgesängen der Griots, mit denen sie während ihrer Konzerte wichtigen Persönlichkeiten im Publikum huldigen. Griots sind quasi die "PR-Manager" der angesehenen Bürger Malis. Sie sorgen für deren guten Ruf.
Diese Aufgabe hat eine lange Tradition, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Damals lebten die Griots Tür an Tür mit den mächtigsten Familien einer Dorfgemeinschaft, den freigeborenen Patronen. Gab es Ehezwistigkeiten oder Fehden zwischen Familien, vermittelten sie. Und bei festlichen Anlässen, wie Hochzeiten, sangen sie Loblieder auf ihre Patrone. Die ruhmreiche Vergangenheit der Familien wurde heraufbeschworen und gegebenenfalls noch etwas aufpoliert. Die Griots lobten die Männer für ihre Heldentaten als Kämpfer und priesen die Frauen für ihre Qualitäten als tapfere und geduldige Mütter und Ehefrauen. Die Patrone bedankten sich mit Vieh, Nahrungsmitteln oder sogar Sklaven.
Die heutigen Patrone gehören zur High Society Malis. Oft sind sie Politiker oder Geschäftsleute. Vor allem Frauen besuchen die Popkonzerte der Griot-Sängerinnen. Und ganz dem modernen Zeitgeist entsprechend heben Kandia Kouyate und ihre Kolleginnen in ihren Lobliedern auch die wirtschaftlichen Erfolge malischer Geschäftsfrauen aus dem Publikum hervor. Als Gegenleistung erwarten sie '"Zeichen der Liebe". Die Gepriesenen überreichen ihre Geldgeschenke meist nicht persönlich." erzählt Dorothea Schulz. Statt dessen strömen Verwandte und Freunde zur Bühne. Andere schliessen sich spontan an. Reichen die monetären Liebesbezeugungen der Patrone nicht aus, genügt meist eine leise Andeutung der Griots, dass sie aus dem Nähkästchen plaudern könnten. Eine tatsächliche Rufschädigung würde jedoch dem Berufsethos der Griots widersprechen und kommt selten vor.
Durch Auftritte in öffentlichen Konzerten, Radio und Fernsehen können die Griots den ruhmvollen Ruf ihrer Patrone besser denn je verbreiten. Beschenkt ein Patron die Sänger während eines Konzerts großzügig mit Geld, steigt sein Prestige noch mehr.
Was für deutschen Geschmack Protzerei ist, gehört im städtischen Mali bei einigen Leuten zum guten Ton. Ein guter Ruf ist in Mali eng mit Reichtum und Besitz verknüpft. Für viele Afrikaner sei diese Verknüpfung genauso selbstverständlich wie in Europa und den USA, berichtet Dorothea Schulz. Besucher eines Griot-Konzerts in Mali erklärten ihr einmal, daß die afrikanische Methode, einen guten Ruf zu erreichen doch einfach nur ehrlicher sei.
Monika Wimmer
Foto: Dorothea Schulz