FU|Nachrichten extra

Am 2. Juni 1999 fiel an der Freien Universität Berlin die Entscheidung
Der Wahltag


Die Freie Universität hat einen neuen Präsidenten: Prof. Dr. Peter Gaehtgens. Mit 36 Stimmen setzte sich der bisherige Erste Vizepräsident klar gegen die Mitbewerberin für das Präsidentenamt, Prof. Dr. Gesine Schwan, durch, die 23 Stimmen erhielt. Erster Vizepräsident wird Prof. Dr. Dieter Lenzen, der 35 Stimmen bekam. Auf seinen Mitbewerber, Prof. Dr. Kuhbier, entfielen 24 Stimmen.

 

 

Der 2. Juni ist ein heißer Tag. Auf den Campuswiesen machen die Studierenden Pause – nichts deutet darauf hin, daß es ein wichtiger Tag für die Freie Universität ist. Um 14.30 Uhr ist auch dem Audimax noch nicht anzumerken, was in einer halben Stunde hier beginnen soll: Ein neuer Präsident wird gewählt – oder eine neue Präsidentin.

Dann kommt die Presse. Die ersten Kameras werden auf den Stativen ausgerichtet, einige Fernsehkameras aufgebaut und nach möglichen Interviewpartnern Ausschau gehalten.

Die ersten Sitzreihen des Audimax sind den Mitgliedern des erweiterten Akademischen Senats vorbehalten, die sich legitimieren müssen, um eine "Sperre" passieren und ihre grünen Stimmzettel entgegennehmen zu dürfen.

Kurz vor drei entsteht plötzlich Gedränge. AS-Mitglieder stehen Schlange, um zu ihren Plätzen zu gelangen. Kameraleute und Fotografen schieben sich an ihnen vorbei – immer an der engsten Stelle. Nach und nach trifft auch die –spärliche – universitäre Öffentlichkeit ein.

Als alle AS-Mitglieder und die Kandidatinnen und Kandidaten für Präsidentenamt und Vizepräsidentenamt anwesend sind, beginnt um 15 Uhr c.t. zunächst unter Vorsitz des Vizepräsidenten Prof. Dr. Werner Väth die Sitzung des Erweiterten Akademischen Senats der FU.

Fragen zur Anwesenheit der Presse werden schnell geklärt. Etwas länger dauern die Diskussionen zu Anträgen zur Tagesordnung und zur Geschäftsordnung. Gegen 16 Uhr wird gemäß Tagesordnung der Vorsitzende des erweiterten AS gewählt. Die Wahl fällt auf Prof. Heintzen, der den Ablauf der weiteren Sitzung vorstellt. Seinem Vorschlag, den Kandidaten für das Präsidentenamt je 45 Minuten – inklusive Vorstellung und Aussprache – zuzubilligen, den Kandidaten für das Amt des Ersten Vizepräsidenten je 30 Minuten, wird nach kurzer Diskussion entsprochen. Die Reihenfolge wird per Los bzw. Münzwurf bestimmt. Prof. Dr. Gesine Schwan gewinnt; sie tritt als erste ans Rednerpult. Zunächst erinnert sie daran, welche Bedeutung der 2. Juni für die Geschichte der FU hat, erinnert an den Tod des Studenten Benno Ohnesorg und die darauffolgenden Ereignisse, die die FU erschütterten. "Aber inzwischen sind die Gräben in der Folge von ’68 zugeschüttet", sagt sie und bezeugt an dieser Stelle ihrem Gegner, dem amtierenden Präsidenten, Prof. Dr. Peter Gaehtgens, Respekt und dankt ihm für seine gute Repräsentation der Freien Universität im Jubiläumsjahr 1998. Gesine Schwan möchte an die freiheitlichen Traditionen der FU anknüpfen, für sie ein wichtiger Punkt zur Motivation der Universitätsmitglieder bei den anstehenden Reformen. Bei der Vorstellung ihres Vizepräsidententeams betont sie dessen Interdisziplinarität und erklärt: "Wir wollen keine Oberdekane sein", der Schwerpunkt läge vielmehr auf der inhaltlichen Arbeit. Drei Projekte stellt sie für das kommende Wintersemester vor: die Entwicklung von Kriterien für Zielvereinbarungen zwischen Universität und politischem Senat sowie zwischen Unileitung und den Fachbereichen, Leitlinien zur Reform der Zentralen Universitätsverwaltung sowie eine Curriculumreform zur Einführung neuer Studienabschlüsse wie Bachelor und Master. Als weitere Pläne nennt sie "einen lange gehegten Wunsch", die Gründung einer "Stiftung Freie Universität" als Mittel der Zusatzfinanzierung, den Umzug zentraler Bereiche der FU in das ehemalige Headquarter, verlängerte Öffnungszeiten für die Bibliotheken und nicht zuletzt eine "ästhetische Verbesserung" der FU. Auch um die Nutzung des Studentenhauses wolle sie sich intensiv kümmern, antwortet sie einem studentischen AS-Mitglied. Auf Fragen nach der Realisierung der schwierigen Vorhaben ist ein Bestandteil der Antwort immer: mit intensiven Gesprächen unter Einbeziehung aller Beteiligten. "Sie können damit rechnen, daß wir die Aufgaben mit Klarheit und mit Ehrlichkeit angehen werden", sagte Gesine Schwan.

Gegen 17 Uhr betritt Peter Gaehtgens als "zweiter Kandidat" das Audimax. "Die Neuerung der Universität ist in vollem Gange, ein Kurswechsel wäre gefährlich", betont Gaehtgens in seiner Vorstellung und läßt die Reformen der vergangenen beiden Jahre Revue passieren: So sei die Erprobungsklausel schnell umgesetzt worden, die Neuordnung der Fachbereiche gelungen, der Einstieg in die Verwaltungsreform ebenfalls. Auch mit der inhaltlichen Abstimmung mit den anderen Berliner Universitäten könne man zufrieden sein. Gaehtgens erinnerte daran, daß trotz des massiven Sparzwanges durch die soeben abgeschlossenen Hochschulverträge Planungssicherheit gegeben sei. Die "Freie Universität braucht den Wettbewerb nicht zu fürchten." Auf dem Feld der Forschung und Lehre würde bereits Hervorragendes geleistet, so daß die Freie Universität ihrer Rolle als eine internationale Hauptstadtuniversität voll gerecht werde. Der bisherige Erste Vizepräsident nannte dann eine Reihe von Punkten, die ihm besonders am Herzen lägen. Als Präsident wolle er sich für den inhaltlichen Dialog über Fachbereichsgrenzen hinaus einsetzen. Außerdem müsse eine gezielte Berufungspolitik betrieben werden, die die vorhandenen Stärken der Freien Universität ausbaue. Gaehtgens versprach, sich besonders für bessere Berufschancen für den befristeten akademischen Mittelbau einzusetzen und vertrat die Ansicht, daß das "lebenslange Lernen" an der Freien Universität stärker Berücksichtigung finden müsse. Wie seine Vorrednerin versicherte auch Gaehtgens "Entscheidungsprozesse dorthin zu verlagern, wo sie getroffen werden". Dabei ließ der Mediziner keinen Zweifel, daß es der Bereitschaft aller bedürfe, damit die Freie Universität dauerhaft die ihr zukommende wichtige Rolle in der Stadt und der Gesellschaft spiele. Die anschließende Befragung meisterte Gaehtgens mit souveräner Lockerheit. Befragt, ob denn im September 2002 sein Stellvertreter, Prof. Dieter Lenzen, Präsident würde, da Gaehtgens dann 65 Jahre alt wäre, beantwortete Gaehtgens spontan mit dem Satz: "Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber ich sehe, sie haben gut gerechnet."

Nachdem Prof. Heintzen Gaehtgens dafür gedankt hatte, daß er "sich dem erweiterten Akademischen Senat zur Verfügung gestellt habe", fand die Wahl statt. Die Spannung stieg, als mit Getöse die beiden Wahlkabinen aufgestellt wurden und sich eine Schlange vor dem Tisch des zentralen Wahlvorstands bildete. Bei der Auszählung der grünen Stimmzettel wurde bald ersichtlich, daß ein Häufchen deutlich höher als das andere war. Dann verkündete Jens Rabe das Ergebnis, nicht ohne die Aufmerksamkeit der Anwesenden dadurch zu steigern, daß er zunächst die ungültig abgegebenen Stimmen bekannt gab. Mit 36 Stimmen für Peter Gaehtgens, 23 Stimmen für seine Mitbewerberin um das Präsidentenamt, Gesine Schwan, war das Ergebnis klar: Peter Gaehtgens ist neuer Präsident der Freien Universität.

Im Anschluß an die Wahl des Präsidenten fand die Wahl des Ersten Vizepräsidenten statt: Auch hier konnte sich das Gaehtgens-Team durchsetzen. Bei 60 anwesenden Mitgliedern des erweiterten Akademischen Senats erhielt der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Dieter Lenzen 35 Stimmen, sein Mitbewerber Prof. Dr. Kuhbier bekam 24 Stimmen, eine Stimme war ungültig.
"Durch die Studierenden gewinnt die Universität erst ihren Sinn" – so lautete der letzte Satz der Wahlrede Gaehtgens. Ein gutes Motto für die kommenden Jahre seiner Präsidentschaft.

Felicitas von Aretin/Susanne Weiss

Fotos: Kundel-Saro