Alexander von Humboldt Stipendium:
Dr. Letitia Vezzosi erforscht die Selbstbezüglichkeit in der Sprache

Tiefenschicht der kleinen Worte

Geschlechtszuweisungen kehren sich um in der Dichtung der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson: "‘Sie selbst’ wird plötzlich zu ‘er selbst’ in Dickinsons Sprache", erklärt Dr. Letizia Vezzosi, "und zwar immer dann, wenn eine weibliche Figur ihre Macht erkennt und verinnerlicht: Für Dickinson ist alles männlich, was sich seiner Eigenständigkeit bewußt ist". Die italienische Wissenschaftlerin ist derzeit Humboldt-Stipendiatin am Institut für Englische Philologie der FU. Dabei ist die Literatur des frühen Feminismus von Dickinson (1830-1886) nicht ihr Hauptthema. Vezzosi ist Linguistin und deshalb interessieren sie "Intensifikatoren": Das sind selbstreflexive Partikel wie das Selbst von "er selbst" oder das Eigen von "mein eigen(es)". Innerhalb des Forschungsprojektes "Intensifikatoren und Reflexivität" von Prof. Ekkehart König untersucht Vezzosi, wie sich der deutsche und englische Ausdruck der Selbstbezüglichkeit vom italienischen Äquivalent "stesso" oder "proprio" unterscheidet. Fest steht jedenfalls, daß sich in der Tiefenschicht dieser kleinen Worte der Unterschied zwischen romanischen und germanischen Sprachen verbirgt. Wo genau diese Differenz liegt, will Vezzosi erforschen.
Vezzosis Projekt wird durch eine zwölfmonatige Förderung für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung unterstützt: "Das Gute beim Humboldt-Stipendium ist: Es gibt keine ‘dead-line’", meint Vezzosi. Ihre Ergebnisse zu den besitzanzeigenden und selbstreflexiven Gewohnheiten in der italienischen Sprache kann sie so ohne Zeitdruck bearbeiten und erst dann vorlegen, wenn sie es für richtig hält. "Das ist für die Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit sehr wichtig", erklärt sie mit Nachdruck. Vezzosi, die in Florenz studiert hat, forschte bereits, gefördert durch Stipendien und Projekte, an mehreren, renommierten Universitäten, darunter Cambridge und Perugia. Seit 1993 veröffentlicht sie wissenschaftliche Studien zu linguistischen Themen.
Die gebürtige Florentinerin kennt Berlin und die FU schon von einem DAAD-Stipendium, das sie vor drei Jahren nach Deutschland führte. Hier lernte sie ihren jetzigen Betreuer Prof. König kennen, der damals ein literaturwissenschaftlich-linguistisches Seminar zu Emily Dickinson leitete. Es zog Vezzosi nach dem Abschluß ihres Studiums der Germanistischen Philologie – dazu gehören altgermanische Sprachen sowie Lateinisch und Griechisch – und ihrer Promotion in Italien wieder nach Berlin.
Der jungen Wissenschaftlerin gefällt das Leben in Deutschland: "Wunderbar! Ich könnte hier bleiben!" Vezzosi strahlt und fügt verschmitzt hinzu: "Nur das Essen ist in Italien besser." Die Unternehmungen in Berlin machen ihr Spaß, das Forschen an der FU, das Joggen, zu dem sie sich in Italien nicht aufschwingen kann. "Im Italienischen gibt es nicht einmal das Wort "Spazierengehen", erklärt die Sprachwissenschaftlerin amüsiert, "kein Verb, das auch nur annähernd diese Bedeutung hat."
Wenn Vezzosi nach Italien zurückkehrt, will sie ihre Forschungsergebnisse aus Deutschland weiterführen und ihre Studie zur Typologie der italienischen "Intensifikatoren" publizieren.

Irmelin Ehrig

Foto: privat