Ursula Diefenbach habilitiert als erste Frau an der FU in anorganischer Chemie

Vorstoß in eine Männerdomäne



Foto: Eckertz-Popp

Bis vor kurzem gab es vier Frauen, die am Fachbereich Chemie der FU habilitiert haben. Auf dem Gebiet der anorganischen Chemie gab es bislang keine. Dr. Ursula Diefenbach ist nun die erste. Damit ist sie nicht nur an der FU, sondern in ganz Deutschland eine Besonderheit. Weniger als 20 Frauen haben bislang ihre Habilitationen in Anorganischer  und Analytischer Chemie abgeschlossen.
Schon früh interessierte sich Diefenbach für Naturwissenschaften: "Von klein auf habe ich mich nicht so für 'Mädchensachen' interessiert, sondern mehr für Natur, Technik und ähnliches", erinnert sie sich. Nach dem Abitur begann Diefenbach zunächst in Marburg, dann ab 1982 an der FU ein Lehramtsstudium mit den Fächern Chemie und Sport. Ihr Examen legte sie 1988 mit "Sehr gut" ab. Im Laufe ihres Studiums entwickelte sie neben ihrer Begeisterung für die Lehre auch Interesse an der Forschung. "Der Gedanke, einmal ein eigenes Projekt zu erforschen, hat mich fasziniert", erzählt sie. 1988 begann sie als Doktorandin bei Prof. Udo Engelhardt eigenständig im Bereich der  Phosphor-Stickstoff-Chemie zu arbeiten. Zweieinhalb Jahre später beendete sie ihre Promotion mit Auszeichnung. Im Anschluß ging Diefenbach als Postdoktorandin an die Pennsylvania State University/ USA, um einen neuen Forschungskreis kennenzulernen und auch der Sprache wegen. Ihr dortiger Arbeitskreisleiter, Prof. H.R. Allcock ermutigte die Wissenschaftlerin, ihre Forschungen zu vertiefen und eine Habilitation anzustreben. Zurück an der FU, als wissenschaftliche Mitarbeiterin, sichtete sie erst einmal in aller Stille ihr Forschungsvorhaben und machte erste Untersuchungen. 1993 reichte sie einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein, um einen Mitarbeiter bezahlen zu können. ,,Ich dachte allerdings, daß es sicherlich abgelehnt würde.`` Zu ihrer Überraschung meldete sich die DFG bei ihr, um mitzuteilen, daß die Gutachter einstimmig der Förderung ihres Projektes zugestimmt hätten. Um dies in einem größeren Rahmen tun zu können, legte man ihr die Beantragung eines Habilitationsstipendiums nahe, was bewilligt wurde. ,,Ob dies an meinem Thema lag, oder daran, daß ich vielleicht eine Art 'Quotenfrau' war, das weiß ich nicht", bemerkt sie bescheiden. Grund zur Bescheidenheit gibt es allerdings keinen: Im November letzten Jahres schloß die 37jährige ihre Habilitation zum Thema "Multifunktionelle Cyclo- und Polyphospazene: Synthese, Koordinationschemie, Eigenschaften" ab.
Ihr Forschungsgebiet sind  Polymere, ihre Herstellung und und die Untersuchung ihrer Eigenschaften. Polymere sind langkettige Moleküle, bei denen viele gleiche oder gleichartige Grundmoleküle miteinander verbunden werden, entstehen. Die von Diefenbach bearbeiteten anorganischen Polymere zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht aus Kohlenstoffmolekülen aufgebaut sind, sondern aus Phosphor- und Stickstoffatomen. "Ja, Phosphor und Stickstoff bin ich immer treu geblieben", lacht sie. Anorganische Polymere sind in der Herstellung zwar teurer als andere Polymere, dafür besitzen sie aber auch besondere Eigenschaften: Die wesentliche Eigenschaft  der von Diefenbach verwendeten Materialien besteht darin, daß sie an ihren Seitenarmen selektiv Schwermetallionensorten anbinden und teilweise gesteuert wieder abgeben können. Dies erweist sich zum Beispiel bei der Entwicklung und Herstellung von Ionenaustauschern  oder metallhaltigen Chemotherapeutika als entscheidendes Merkmal. Zur Untersuchung,  welche Reaktionen solch ein Polymer eingeht, müssen kleine Moleküle, die denselben Aufbau zeigen, hergestellt und hinsichtlich ihrer Struktur untersucht werden. Anhand von diesen Modellen lassen sich dann detallierte Aussagen über die bei der Metallaufnahme eines Polymers entstehenden Zentren treffen.
Mit ihrer Habilitation hat Diefenbach nicht nur einen grundlegenden Beitrag auch zur anwendungsbezogenen Forschung in der anorganischen Chemie vorgelegt, sondern auch einen Vorstoß in einen bislang eher männerdominierten Bereich der Chemie geleistet. Den Grund dafür, daß bislang nur so wenige Frauen in Deutschland auf diesem Gebiet habilitiert haben und nur verschwindend wenig Professuren mit Frauen besetzt sind, sieht sie in der Geschichte der Anorganischen und Analytischen Chemie: "Dieser Bereich ist der traditionsbewußteste Zweig der Chemie und ist deshalb auch überwiegend durch männliche Kollegen vertreten. Frauen haben es in diesem Bereich noch schwer, sich als Wissenschaftlerinnen zu profilieren." Diefenbach, die bis Mitte 1999 noch eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Analytische und Anorganische Chemie innehat,  will ihre Forschungen weiterführen - eventuell  in den USA.

Iris Kampf


[vorherige
[Inhalt]
[nächste