Brief aus Dublin



Wer in Irlands Hauptstadt Dublin studieren möchte, der kann sich - ähnlich wie in Berlin - zwischen drei Universitäten entscheiden. Die zwei bedeutenden Universitäten Dublins sind das University College Dublin (UCD) und das Trinity College, während die Dublin City University ein eher peripheres Dasein weit ab im Norden der Stadt fristet. Das Verhältnis der beiden großen Universitäten UCD und Trinity ist immer schon von Konkurrenz geprägt gewesen. Das Trinity, von Elisabeth I 1592 gegründet, Heimat des berühmten "Book of Kells" und Studienstatt so vieler irischer Größen, wie z.B. Samuel Beckett und Mary Robinson, und die "Neugründung" UCD spiegeln die Diskrepanz der irischen Geschichte wieder: Das Trinity verkörpert das elitäre, protestantische, englische Irland der Kolonialzeit, das UCD hingegen das katholische Irland der Mittelklasse. Wer sich jetzt aber an paramilitärische Konflikte erinnert sieht, liegt falsch. Heute basiert diese Rivalität hauptsächlich darin, daß sich in regelmäßigen Abständen Vertreter der beiden Unis und ihrer "Dabatier-Societies" Rededuelle (colour debates) liefern, deren äußere Umstände durchaus Ähnlichkeiten mit Fußballspielen haben. Trinity Studenten behaupten gerne, eine Gemeinsamkeit aller UCD-Studenten sei, von Trinity abgelehnt worden zu sein. Das Trinity mag immer noch den Ruf und das Renommee einer der ganz großen Universitäten des angelsächsischen Raums haben - die Realität sieht teilweise anders aus. Obwohl die Studiengänge am Trinity ein ganzes Jahr länger dauern als an sonstigen Universitäten, nämlich vier statt drei Jahre, kann der wissenschaftliche Anspruch den hohen Vorgaben nicht immer gerecht werden. In der Medizin und in den Rechtswissenschaften beispielsweise ist das UCD heute wohl die beste Universität Irlands.

Von Christoph Herbort/ z.Zt. Dublin


Das UCD, die "University James Joyces" (gälisch: An Coláiste Ollscoile Baile Átha Cliath), an der ich studiere, sieht ganz anders aus, als man sich eine alte irische Universität vorstellt: Keine ehrwürdigen Gebäude aus vergangenen Jahrhunderten bestimmen das Bild des UCD,  sondern schlicht und ergreifend Beton. Die größte Universität Irlands ist eine einzige Bausünde, die von einem Wasserturm in Form eines überdimensionalen Golf-Tees überragt wird. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß das UCD gegen Ende der sechziger Jahre seinen Standort von der altehrwürdigen Earlsfort Terrace am Saint Stephen's Green hauptsächlich in den ca. 20 Busminuten südlich der Innenstadt gelegenen Nobelvorort "Dublin 4" nach Belfield verlegte. Einzig die medizinische Fakultät verblieb in den alten Gebäuden im Stadtzentrum, wo die Universität 1854 von einem Erzbischof und einem konvertierten Oxfordabsolventen als "Catholic University" gegründet wurde. Allerdings ist es nicht so, daß man sich hier nicht zu Hause fühlen kann. Über 1.500 der 15.000 Studenten leben auf dem Campus, und die kurzen Wege lassen halbstündige Busfahrten von Dahlem nach Lankwitz wie schlechte Träume einer vergangenen Zeit erscheinen. Der Verzicht auf architektonische Anmut fällt da leicht, wo zwischen Mensa, Bibliothek und Fakultät kaum zwei Minuten Fußweg liegen.

Im Durchschnitt ist der irische Student jünger als der deutsche. Einige Erstsemester ("Freshers") sind gerade erst 17 Jahre alt und offensichtlich das erste Mal von zu Hause fort. Dementsprechend genießen sie ihre neue Freiheit. Besonders die Campusbar unter der Woche von relativ jung erscheinenden Studenten bis zum Platzen gefüllt, am Wochenende, wenn fast alle irischen Studenten nach Hause fahren, fast gänzlich verlassen, wird zum Schauplatz der "Unabhängigkeitsfeierlichkeiten".
Das Studium - zumindest in den Geisteswissenschaften - ist verschulter als in Deutschland.  Jeder Student ist in einen festen Ablauf- und Kursplan eingebunden, innerhalb dessen es relativ wenige Wahlmöglichkeiten gibt. Man besucht hauptsächlich Vorlesungen, die dann in kleinen Tutorien aufgearbeitet werden. Die Notengebung basiert zum Teil auf Essays von 2.500 bis 4.000 Worten, von denen über das Jahr pro Kurs zwei bis drei geschrieben werden. Den Hauptteil der Abschlußnote machen aber die "exams" aus, die meist am Ende des Jahres im Mai/ Juni geschrieben werden, und die die Aufmerksamkeit deutlich von der Bar zu Bibliothek und Campus-Kirche wechseln lassen. Dies ist die Zeit, in der sich das UCD zum "größten Irrenhaus der Republik" verwandelt.
Als Erasmus-Student habe ich an der "Faculty of Arts" allerdings fast paradiesische Freiheiten. Ich kann Vorlesungen quer durch alle Fachbereiche und Studienjahre belegen. Zwar muß ich bei den Kursen, in denen ich Leistungsnachweise erwerben will, auch die Regularien einhalten, die ein irischer Student beachten muß, aber das ist dann auch schon fast alles. Ansonsten steht einem "studium generale" frei nach Lust und Laune nichts im Weg. Die Kurse in neuerer irischer bzw. britischer Geschichte und in Englisch, die ich in Deutschland angerechnet bekommen möchte, machen nur etwa die Hälfte meiner Wochenstunden aus. Daneben besuche ich Kurse in mittelalterlicher Geschichte und über irische und internationale Politik. So kann ich mich auch in Fragen der Allgemeinbildung und des Hintergrundwissens interdisziplinär weiterbilden, wozu mir in diesem Ausmaß in Deutschland ganz sicher nicht die Zeit bliebe. Hierbei ist es von großem Vorteil, daß die "Faculty of Arts" fast jedes geisteswissenschaftliche Fach unter einem Dach beherbergt, so daß die Abstimmung untereinander ungleich größer ist als zwischen Fachbereichen in Deutschland.
Neben einem breiten Kursangebot findet man an der UCD aber auch ein großes Freizeitangebot: Das soziale Leben spielt sich bei weitem nicht nur in der Campus-Bar ab. Unzählige Clubs und Societies bieten Freizeitgestaltung für jeden. Egal ob Sport, Politik, Kultur, Religion oder sonst irgend etwas - es gibt fast nichts, was es nicht gibt. Wer zu Beginn des Studienjahrs in der "Freshers' Week" ein paar Pfund investiert und den richtigen Societies beitritt, wird sich über Langeweile kaum beklagen müssen. Ein eigenes Sport- und Fitnesszentrum bietet außerdem die Möglichkeit, nach geistiger Arbeit auch den Körper zu trainieren.

Abseits der Universität bietet auch Dublin ein vielfältiges Angebot für jeden Geschmack. Erleichternd kommt hinzu, daß sich vieles in der Innenstadt konzentriert, die sich angenehm zu Fuß erschließen läßt. So sind es vom georgianischen Dublin aus der Zeit des britischen Empires zur Szene in Temple Bar nur wenige Schritte. Da etwa ein Drittel aller (Republik-) Iren in Dublin leben, ist die Hauptstadt so ziemlich Zentrum für alles. Gerade auf dem Kultursektor bekommt man hier alles geboten. Vom renonmmierten Abbey Theatre (gegründet von W. B. Yeats) bis hin zu unzähligen kleinen Off-Bühnen; von der National Concert Hall über Pop-Konzerte im Olympia Theatre bis zur allabendlichen Folkmusik in unzähligen Pubs. Kunstgalerien jeder Art und Größe gibt es genauso zahlreich wie Museen, die vor allem das reiche Gebiet der irischen Geschichte und Literatur vermitteln wollen.
Wer sich entschließt, am UCD zu studieren, wird eins nicht finden: das Irland aus den Reiseprospekten und Touristenführern. Was man aber hier geboten bekommt, ist ein studentisches Leben, das mit dem deutschen sehr wenig gemein hat, aber den Horizont deutlich erweitern kann. Es lohnt sich!


Christoph Herbort studiert seit 1995 an der FU Publizistik, Anglistik und Neuere Geschichte. Seit September 1997 verbringt er ein Studienjahr an der Faculty of Arts am University College Dublin und belegt dort die Fächer Geschichte, Englisch und Politik.


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