Wer digitales Geld in Händen hält, kommt zu der Einsicht: auch im Cyberspace:

Ohne Moos nichts los


Es ist bezeichnend für die heutige Umwälzung der produktiven Infrastruktur, die unter dem Stichwort Informationsgesellschaft stattfindet, daß die sozialen Effekte der neu eingeführten Technologien häufig ausgeblendet oder einfach zu spät erkannt werden. So auch mit der in jüngster Zeit vielerorts diskutierten Einführung des "digitalen Geldes".

Bis heute ist digitales Geld eher die Spielwiese von Kryptographen als seriöses Betätigungsfeld von Politologen und Ökonomen gewesen. Es wird mehr über die Algorithmen der Verschlüsselung debattiert als über mögliche soziale Folgen des "cyber-money" und Mechanismen der politischen Kontrolle nachgedacht. An dieser Stelle ist interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ökonomen, Politologen, Soziologen und Informatikern gefragt, um soziale Konsequenzen kompetent erörtern zu können.

Die Geschichte des Geldes ist die Geschichte seines Verschwindens, seiner Entmaterialisierung. Banknoten können Edelmetalle als allgemeines Äquivalent ersetzen, weil sie als Wertzeichen allgemeine Anerkennung genießen. Geld ist daher ein soziales Phänomen, eine Tatsache, die erst ins Auge fällt, wenn das System ins Stocken gerät.


Dem digitalen Geld...


...fehlt die Sinnlichkeit des Goldhaufens.

Digitales Geld kann als Off-line oder als On-line Geld ausgegeben werden. Ersteres wird in Chipkarten als kodierte Bitfolgen geladen und kann dann von Chipkarte zu Chipkarte übertragen werden. Digitales Geld kann an der Telefonzelle oder am Geldautomaten nachgeladen werden. Im Unterschied zu traditionellen Kreditkarten handelt es sich um echtes Bargeld, das von einem Konto in die elektronische Brieftasche transferiert wird. Die Banken, bereits dabei, Feldversuche in verschiedenen Städten in der ganzen Welt durchzuführen, versprechen sich von der digitalen Variante des Geldes niedrigere Transaktionskosten und schnellere Rückflüsse. Geld, das nicht in der Tasche oder im Tresor "schläft", ist bei der Bank auf dem Sprung und kann in die Zirkulation zum "Geldmachen" geworfen werden.

Ein Problem ist jedoch die soziale Akzeptanz des digitalen Geldes. Es hat nicht die Sinnlichkeit des Goldhaufens von Onkel Dagobert, und es kann nicht, wie die Münzen in der Tasche, mit den Fingern nachgezählt werden. Geld bedarf allgemeinen Vertrauens, um überhaupt als Geld gelten zu können. Digitales Geld ist aber nicht sinnlich, es ist abstrakt und wer kein Girokonto und Telefon besitzt, ist automatisch aus der Gemeinschaft der Geldvermögensbesitzer ausgeschlossen. Darüber hinaus sind digitales Geld und digitale Systeme genau so sicher wie das schwächste Glied in der Kette der finanziellen Transaktionen. Kein Wunder also, daß Pioniere wie die Firma Mondex, die bereits Chipkarten in Feldversuchen getestet haben, ihre Algorithmen und die Elektronik ihrer Karten geheimhalten.

Anders als Off-line Geld wird On-line Geld durch direkte Netzverbindungen zu den Banken und zwischen den Marktteilnehmern hergestellt. Jeder kann mit Hilfe der entsprechenden Verschlüsse-lungsverfahren Bitfolgen produzieren und sie unterschreiben. Die Zahlungsverpflichtungen, die mit der elektronischen Unterschrift einer Bank versehen sind, können dann in Zahlung gegeben werden. Angst um das liebe Geld? Man kann inzwischen Verschlüsselungsmethoden verwenden, die das Ausspähen der Marktteilnehmer erschweren bzw. unmöglich machen. Die "cash" bleibt anonym und Unbefugte können schwerer dran als die Tunnelgangster an die Tresore der Commerzbank.

Der elektronische Markt bezwingt Raum und Zeit und versetzt die Finanzmärkte in die Lage, den Grad der Globalisierung zu erreichen, den sie von Anfang an angestrebt haben. Es wird nicht lange dauern, bis die notwendigen technischen Standards verabschiedet worden sind und das neue digitale Geld seinen festen Platz im täglichen Leben einnimmt. Bis dahin haben Sozialwissen-schaftler Zeit, um im voraus auf mögliche Gefahren, soziale Konsequenzen und mögliche Lösungsansätze für soziale und ökonomische Probleme in Verbindung mit dem Cyber-money hinzuweisen. Geld ist sicherlich zu wichtig, um es allein den Banken zu über

Daher bereiten die Verfasser für Oktober einen Workshop vor, der sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Darin sollen die Möglichkeiten der transdisziplinären Kooperation zwischen Informatikern und Sozialwissenschaftlern ausgetestet werden. In der Juniausgabe der Zeitschrift "Prokla - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft" sind von den Verfassern zur Thematik ausführliche Artikel erschienen.

Elmar Altvater / Raşl Rojas

Raşl Rojas ist Professor an der Universität Halle und Gastdozent am Fachbereich Mathematik und Informatik der FU. Im Wintersemester 1995/96 hat er die Ringvorlesung "Das globale Datennetz" mitkonzipiert.
Elmar Altvater ist Professor am Otto-Suhr-Institut


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