Ruprecht Eser - Journalist mit Leib und Seele und mit Distanz auch zum eigenen Beruf

Die meiste Zeit auf 180


Millionen von Fernsehzuschauern kennen ihn nur in Schlips und Anzug, bis vor wenigen Jahren als Moderator des "heute-journals", heute als Gastgeber der sonntäglichen Gesprächsrunde "halb 12 - Eser und Gäste". Die Kamera hat Ruprecht Eser nicht mehr im Visier, wenn er sich nach der Sendung in sein Büro zurück- und Krawatte und Jackett auszieht. Beides verschwindet schnell im Schrank, Eser mag die förmliche Kleidung nicht und zieht sich stattdessen rasch die bequemere Strickjacke über und legt die Beine auf den Tisch. "Das ist entspannend", erklärt er zufrieden.

Gelernt hat er die bequeme Haltung beim German Service der BBC in seiner Lieblingsstadt London und zudem das journalistische Handwerk. Das angelsächsische Verständnis von Journalismus, wonach erst die Distanz zu Themen und Personen den kritischen und unbefangenen Umgang mit Ereignissen und Menschen ermöglicht, ist seitdem auch das seine. Mit unverhohlener Mißachtung spricht er von den Kollegen, die katzbuckeln, weil dies der Karriere förderlich ist und die alle mit krummer Wirbelsäule herumlaufen.


Eser und Gäste un halb zwölf im ZDF

Ruprecht Eser hat schon früh gelernt, den Rücken gerade zu halten. 1943 in Wittenberg geboren, kam er noch während der Schulzeit in Leipzig in Konflikt mit den DDR-Oberen. Gemeinsam mit einem Freund schreibt er bissige Randglossen in eine Schulzeitung. Genau kann er sich heute nicht mehr erinnern, warum dies damals so viel Aufregung verursachte. "Wir haben wohl die zehn Gesetze der sozialistischen Moral verkackeiert", mutmaßt er. Die Bestrafung jedenfalls folgte auf dem Fuß. Der Abiturient sollte sich in der sozialistischen Produktion und anschließend bei der NVA bewähren. Eltern und Sohn sahen schließlich nur noch einen Weg, und der führte wenige Wochen vor dem Mauerbau nach Westberlin. Ein Abschied mit Wehmut. Der junge Eser liebte den Sport, war Kreismeister im Hochsprung. "Es ist mir schwer gefallen, die Leichtathletik aufzugeben", erinnert er sich. Doch Leistungssportler wollte er ohnehin nicht werden: "Das war mir damals schon zu blöd, immer nur Trainingsergebnisse im Kopf zu haben". Mehr und mehr Raum nimmt stattdessen die Idee vom Journalismus ein. "Doch in der DDR gab es da keine Perspektive für mich, ich wollte ja schließlich nicht Sportreporter werden", resümiert Eser.

Nach einem einjährigen Abiturkurs in Hanau schreibt er sich 1962 an der FU für Publizistik, Politologie und Soziologie ein. Zur Vorbereitung auf den späteren Traumberuf schien dem angehenden Studenten die Fächerkombination ideal. Nach nur acht Semestern schließt er das Studium mit einer Magisterarbeit über die Lizenzpresse in der amerikanischen Besatzungszone ab. "Doch wir haben uns nicht kaputtgemacht", erinnert sich Eser an das entspannte Studentenleben. "Wenn es abends mal später wurde, haben wir die erste Vorlesung schon mal ausfallen lassen." Doch faul ist der Student Eser nicht. Während der Semesterferien "ackert" er, um das Verschlafene nachzuholen. Nebenbei schreibt er - hauptsächlich für das BBC-Studio in Berlin. Seine Beiträge kommen so gut an, daß er schließlich das Angebot erhält, als Redakteur beim Londoner Rundfunk zu arbeiten. Mit dem Magister in der Tasche hält den 24jährigen deshalb nichts mehr in Berlin. Londen wird für vier Jahre zu seiner Wahlheimat und zu seiner Lieblingsstadt auf Lebenszeit. Der Jungjournalist mag den "entspannten Umgang der Menschen dort miteinander", er mag die Nähe zur englischen Südküste und zu seiner Ferieninsel Irland und fühlt sich " rundum sauwohl".

1970 kehrt er der Insel trotzdem den Rücken. "Wenn ich noch länger geblieben wäre, hätte der Abschied noch mehr geschmerzt." Außerdem will Eser etwas Neues probieren. Er geht nach Mainz zum ZDF. Nach zwei Jahren als Redakteur für Außenpolitik wechselt er in die Hauptredaktion Innenpolitik. Während der "hochpolitischen Zeit der ¥ra Brandt" lernt der Ostdeutsche das westliche Deutschland genauer kennen. Doch die Liebe zur britischen Insel läßt ihn nicht mehr los. Als ZDF-Korrespondent kehrt er nach London zurück und berichtet ein Jahr lang von der Themse, bevor er 1985 Moderator und drei Jahre später schließlich Redaktionsleiter des "heute-journals" in Mainz wird. Hier erlebt Eser die "vielleicht journalistisch interessanteste Zeit mit Gorbatschow und der deutschen Einheit". Aber er ist keiner, der gerne jeden Tag im Studio steht, denn eines weiß er: "Was man erzählt, muß man auch erleben, sonst gerät man in die Gefahr aus der Retorte zu leben."

Eser will noch einmal etwas ganz anderes machen. Er verabschiedet sich nach 21 Jahren vom ZDF und hebt mit anderen den neuen Sender VOX aus der Taufe, dessen Programmdirektor er anschließend wird. "Es ist ein Traum,und ich hoffe, ich wache nicht auf und muß am Ende feststellen, es war ein Kindertraum oder es wird zum Alptraum", kommentierte Eser 1991 seinen Wechsel zum Privatfernsehen. Ob Kinder- oder Alptraum, Eser ist früh und bitter erwacht. "Ich hatte so viel Managementaufgaben, da blieb für den Journalismus keine freie Minute", begründet er seinen Ausstieg nur ein Vierteljahr nach dem offiziellen Sendestart.

Seit fast zwei Jahren ist Eser nun wieder beim ZDF. Neben der wöchentlichen Gesprächsrunde "halb 12" ist er für aktuelle Hintergrundberichte viel auf Reisen, zuletzt in Split, im Oktober dann in Moskau. Ruprecht Eser liebt es, draußen zu sein, zu beobachten, zu recherchieren, zu dokumentieren. Doch der Journalist mit Leib und Seele bemerkt auch: "Der Beruf prägt das Privatleben zu sehr, man liest zu viele Zeitungen, sitzt zu oft vorm Fernseher. Dabei wäre es doch ganz schön, wenn man mal in die Luft gucken und eine Locke drehen könnte".

Um in die Luft zu gucken und den vorbeiziehenden Wolken hinterherzuschauen, fährt Eser gelegentlich nach Irland. "Anstatt den ganzen Tag auf 180 zu laufen", wandert er gemächlich über die Wiesen und genießt die Ruhe. Manchmal hat er einen Gedichtband von Rilke dabei.

Holger Heimann


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