Vom Mauerbau bis Mauerriß

"Das Versprechen", ein Film über die Irrtümer der westlichen Linken, der vorgibt, ein Film zu sein über die Realität des vermeintlich linken Ostens


Nein, die FU wird in diesem Film mit keiner Silbe erwähnt, und doch: Es ist ein Film, in dem die Freie Universität durchschimmert, wenn auch nur in jener Form, die Erich Kuby einmal als "antithetische Bindung" an jene andere Uni Unter den Linden bezeichnet hat. Ein Gegenbild, das hier nicht gezeigt wird, das der Wissende aber erahnen kann.

Wir sehen - na, klar - eine deutsch-deutsche Liebesbeziehung von Mauerbau bis Mauerriß, die aber nur den Vordergrund abgibt für die eigentliche Geschichte; wir sehen, wenn wir denn sehen wollen, vielmehr eine recht gnadenlose Abrechnung mit dem, was die DDR war und was sie mit ihren Menschen, hier besonders ihren Wissenschaftlern, gemacht hat, wir sehen zugleich eine resolute Abrechnung mit den Blindheiten der akademischen Linken des Westens.

Peter Schneider, Führungsfigur der Studentenbewegung an der FU, Literat und - vor 17 Jahren - Drehbuchautor des sehr westdeutschen Films "Messer im Kopf", hat sich nun - nachdem er Anfang der 80er schon den "Mann auf der Mauer" geschrieben hatte - ganz auf ostdeutschem Terrain versucht. Berlin 1961: Vier junge Leute flüchten durch das noch nicht vergitterte Abwasserkanalsystem von Ost nach West, ein fünfter - Konrad (Anian Zollner/August Zirner) - bleibt zurück, wird vom eigenen Vater (Dieter Mann als strammer Parteisoldat der SED) angezeigt, kommt - zur Bewährung - zu den Grenztruppen. Ein Fluchthilfeversuch, wie er damals zahlreich auch von FU-Studenten organisiert wurde, scheitert ebenfalls.

Konrad darf dennoch studieren, darf als Astrophysiker wissenschaftliche Karriere machen, wird Reisekader und kommt so - im Spätsommer 1968 - zum Fachkongreß nach Prag. Hier trifft er erstmals nach sieben Jahren Sophie, die Freundin, die damals im Abwasserkanal vorneweg war in den Westen. Es ist die alte Liebe. Ein Plan wird gemacht. Ein Kind wird gezeugt. Doch dann wird nichts aus dem Plan vom Zusammenleben an diesem quasi neutralen Ort - die Panzer kommen. Der vielleicht nur intellektuelle Traum von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz ist ausgeträumt. Das war Prag 68.

Ost-Berlin: Vor der Humboldt-Universität stehen fünf Studenten mit schwarzen Armbinden und einem Bild Alexander Dubceks. Sie stehen nicht lange. Die Stasi holt sie ab.

Potsdam: Das Astrophysikalische Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR. Hier arbeitet Konrad. Hier arbeitet sein Mentor Professor Lorenz (Otto Sander), der ihm die Reisemöglichkeit verschafft hat, sich ansonsten aber anpaßt: "Ich muß mein Talent schützen." Und dann âarbeitetâ da noch Ruhländer, der Kaderleiter, Personalchef also. Und Müller, der Stasi-Mann im Institut, dem es schon Kindheitswunsch war, für die Sicherheit dieses Staates zu wirken.

Ruhländer (Philippe Morier-Genoud) ist für die schlechten Nachrichten zuständig: Wenn das Visum mal wieder kurzfristig entzogen wurde und die Kongreßreise in den Westen wegen "Krankheit" abgesagt werden muß. Müller (Hark Bohm) macht die miesen Deals: Besuchsgenehmigung für Konrads heranwachsenden Sohn aus dem Westen gegen eine Unterschrift für eine verlogene Erklärung. Oder gegen Beistand bei dem Versuch, einen Bürgerrechtler zur Ausreise in den Westen zu überreden. Und wenn der Vater nicht pariert, dann wird der Sohn eben wieder ausgesperrt. So hätte es vielleicht noch eine Weile gehen können, wäre Konrad nicht irgendwann mal der Kragen geplatzt, was ihm - ungewöhnlich genug - zwar offenbar nicht Knast, aber doch immerhin einen Job als Heizer im Schwimmbad einträgt. Und hätte es da nicht diesen November 1989 gegeben.

West-Berlin - das ist ein ziemlich ferner Ort in diesem Film - und doch zum Flüchten nah. Anfangs sieht man das Wirtschaftswunderland, zwischendurch hört man das Ho-Ho-Ho-Chi-Minh der Studentenbewegung - die Studenten, die gegen den Einmarsch in Prag demonstrierten, sieht und hört man nicht - und liest auf der Mauer die Parole vom "Sieg der vietnamesischen Revolution"; später dient der (noch nicht herausgeputzte) Bahnhof Zoo als Illustration für das Jammertalige des Kapitalismus. Da ist - außer in der Schöner-Wohnen-Atmosphäre einer Fabriketage - wenig zu sehen von dem, was den freien Westen ausmacht. Kein Wunder also, daß die Protagonistin des Films (Meret Becker/Corinna Harfouch) sich hier nicht recht zu Hause fühlt.

Daß für das Jahr 1981 - die Mauer steht 20 Jahre, Grafitti ersetzt auf ihr die politischen Parolen - der Protest der ultrakonservativen "Gesellschaft für Menschenrechte" ins Bild gesetzt wird, unterstreicht die (Selbst-) Kritik der Autoren: Man hat ja die Klappe gehalten damals, hat Leuten wie dem FU-Gründungsstudenten und späteren Moderator des rechtslastigen ZDF-Magazin Gerhard Löwenthal das Feld überlassen. Schneiders Zeitgenossen wollten ja nicht als reaktionär gelten. Es waren - zunächst zumindest - fernere Orte, denen die Aufmerksamkeit der Studentenbewegung und ihrer diversen Ausläufer galt: Vietnam und Chile waren da wichtiger als Ost-Berlin und Prag.

Der Radikalenerlaß in Westdeutschland wurde allemal wichtiger genommen als die Existenzvernichtung in Ostdeutschland. Atomraketen und -kraftwerke im Westen schienen stets gefährlicher als jene im Osten. Die Wende kam mit Afghanistan und Tschernobyl; sie kam langsam, aber sie kam. Schneider, Jahrgang 40 und in Lübeck geboren, sagt selbst, er habe sich über die Tabuisierung der Mauer in der westdeutschen Literatur gewundert: "Dieses Unding aus Beton hatte die Geschichte doch allen Deutschen hinterlassen, nicht nur den Rechten." Für Margarethe von Trotta waren die Recherchen zum "Versprechen" auch ein Lernprozeß: Im Verlauf der Begegnungen mit Leuten in Ost-Berlin sei sie der DDR gegenüber kritischer geworden.

So ist "Das Versprechen" ein Film über die Irrtümer der westlichen Linken, der vorgibt, ein Film zu sein über die Realität des vermeintlich linken Ostens. Es ist ein harter Film, nicht nur, weil er hart ist in seiner - nicht immer realistischen - Darstellung der Wirklichkeit, sondern vor allem, weil er seinem Publikum auch Emotionen abverlangt. "Die Kritik", sagt Schneider nach einer Vorführung, "die Kritik wird diesen Film verreißen; beim Publikum wird er funktionieren." Es ist nicht ehrenrührig, in diesem Fall zum Publikum zu zählen.


Christian Walther


Das Drehbuch zum Film, inklusive eines Anhangs, der beispielsweise ein Gespräch zwischen Schneider, Trotta und Jens Reich dokumentiert, ist im Verlag Volk und Welt erschienen.


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