Aschenputtel im grauen Kittel

Tiermediziner - Ärzte zweiter Klasse?


Tierärzte haben immer noch unter Geringschä,tzung in der Bevölkerung zu leiden


Da kann ich ja gleich zum Viehdoktor gehen - ein geflügeltes Wort, das den Humanmedizinern nicht ganz unbekannt sein dürfte. Dieser Ausspruch, vom Patienten als Schelte für die seiner Meinung nach schlechte Behandlung durch seinen Arzt g edacht, trifft die Befindlichkeit vieler Tierärzte bis ins Mark. Schließlich haben sie seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten unter dieser in der Bevölkerung weit verbreiteten Geringschätzung zu leiden. Und wie sie leiden.

Der Einkommensunterschied zwischen den Halbgöttern im weißen und dem Aschenputtel im grauen Kittel wäre, wenn auch nur schwer, zu verkraften. Aber dann auch noch den Besitzern der versorgten Tiere die Höhe der ohnehin schmalen Einn ahmen plausibel machen zu müssen, das ist einfach zu viel. Wenn sie selbst zum Arzt gehen, bekommen sie auch alles umsonst, denken sie. Obendrein erntet man noch den Spott der humanmedizinischen Kollegen: "Ihr habtÍs doch gut, bei euch geht alles cas h über den Tisch. Da kriegt das Finanzamt doch fast nichts ab." Haben die eine Ahnung! Wir müssen auch noch Mehrwertsteuer zahlen, da ist die nächste Leasingrate für das neue T-Modell schon manchmal eine Belastung. Die müßt en doch eigentlich wissen, daß sich in der Tiermedizin seit James Harriot und "Alle meine Tiere" vieles verändert hat, daß die meisten Kleintierpraxen und -kliniken mittlerweile Qualitätsstandards bieten, von denen so manches Kranken haus nur träumen kann. Und das alles mit viel geringeren technischen Möglichkeiten, denn wer läßt schon bei seinem Wellensittich eine Computer- oder Kernspintomographie machen, nur weil der seit drei Tagen Kopfschmerzen hat.

Die Bereitschaft der Tierbesitzer, Geld für ihre Lieblinge auszugeben, kann leider mit der Kostenexplosion im Gesundheitswesen bei weitem nicht Schritt halten. Aus diesem Grunde wird es in der Tiermedizin auch keine kostenaufwendige Geriatrie oder Orthopädie geben, Berufsfelder, an denen in der Humanmedizin auch in Zukunft immer mehr verdient wird. Genauso können Tierärzte nach der Maxime verfahren, es gebe keine gesunden, sondern nur schlecht untersuchte kranke Patienten. In der Gr oßtiermedizin ist die Lage noch schlechter - wenn eine kostenaufwendige Behandlung ansteht, wird geschlachtet. Die Zeiten, in denen Emma und Lisa bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr Milch gegeben haben sind lange vorbei. Heute leben sie im Durc hschnitt nur noch drei bis vier Jahre. In der Pferdemedizin wird bei Renn- und Springpferden, wie in der Humanmedizin auch, viel Geld in die Sportmedizin gesteckt. Der Unterschied ist allerdings: In der Humanmedizin wird ohne Grenzen rehabilitiert, in der Tiermedizin geschlachtet, wenn eine Rehabilitation wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Der Kuchen, der in der Tiermedizin zu verteilen ist, ist zwar nicht so groß wie der in der Humanmedizin, Tierärzte sind aber trotzdem keine Ärzte z weiter Klasse, wenn sie verantwortungsvolle Arbeit leisten und wissen, welchen Wert die hat. Dies ist allerdings ein Problem, mit dem viele Tierärzte zu kämpfen haben. Denen sei gesagt: Verliert den Mut nicht, denn auch Aschenputtel machte einst eine königliche Karriere.

Siegbert Kramp-Zertani


Siegbert Kramp-Zertani studierte von 1980 bis 1985 Veterinärmedizin an der FU. Er ist niedergelassener Tierarzt und arbeitet darüber hinaus als freier Journalist.


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