Nun sag, wie hast Du's mit dem Tierversuch? Zwei Stellungnahmen zu einer Gretchenfrage der medizinischen Wissenschaften.

Von Mäusen und Menschen


Neue Weg in der Transplantationschirurgie: Ein Kunstohr aus Menschenzellen wächst auf dem Rücken der Maus


In der jüngeren Vergangenheit haben Tierversuchsgegner wiederholt behauptet, man könne auf Tierversuche verzichten, bzw. diese durch sogenannte "alternative Methoden" ersetzen. In diesem Zusammenhang sind Wissenschaftler, die Tierversuche dur chführen, angegriffen und diffamiert worden. Tierversuchslaboratorien sind überfallen, verwüstet und die Tiere "befreit" worden. Als Pharmakologe mit langjähriger Tätigkeit in der Arzneimittelforschung und -entwicklung möchte ich mich zu einigen Postulaten der Tierversuchsgegner äußern.

1. Ergebnisse des Tierversuches lassen sich nicht auf den Menschen übertragen.

Tiere sind keine Menschen, aber das höhere Säugetier kommt dem Menschen in Physiologie und Verhalten sehr nahe, und Versuchsergebnisse an solchen Tieren lassen sich mit einer hohen Treffsicherheit auf den Menschen übertragen. In einer 19 62 veröffentlichten Studie hat sich zeigen lassen, daß zwei Drittel der nach Versuchen an Ratte und Hund vorausgesagten Nebenwirkungen von Arzneimitteln auch beim Menschen auftraten. Andererseits wurden 80 Prozent der nach dem Tierversuch nich t erwarteten Nebenwirkungen auch beim Menschen nicht beobachtet. Eine derartige Voraussage von Arzneimittel-Nebenwirkungen läßt sich mit anderen Methoden nicht erreichen, und das Arzneimittelgesetz schreibt daher auch vor, daß vor der kli nischen Prüfung eines neuen Arzneimittels eine dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende pharmakologisch-toxikologische Prüfung durchgeführt sein muß. Der Tierversuch leistet also einen erheblichen und nicht erse tzbaren Beitrag zur Arzneimittelsicherheit.

2. Tierversuche können durch "alternative Methoden" ersetzt werden.

"Alternative Methoden", die man besser als Versuche an schmerzfreier Materie bezeichnet, werden in der Pharmakologie und Toxikologie seit vielen Jahrzehnten vorgenommen (isolierte Organe, Versuche an Zell- und Bakterienkulturen und Enzymen). Sie sind s innvoll zur Aufklärung des Wirkungsmechanismus und werden hier auch zunehmend eingesetzt und dienen der Einschränkung der Tierversuche. Zum Beispiel sind die früher üblichen Methoden der Standardisierung von Arzneimitteln im Tierversu ch mit der steigenden Verfeinerung analytischer Methoden großenteils ersetzt worden. Sie spiegeln aber stets nur eine Facette der Arzneimittelwirkung wider und können den Tierversuch nicht ersetzen. In vitro kann ein Arzneimittel ein Enzym &uum l;berzeugend hemmen, der Tierversuch zeigt aber u.U., daß die dazu erforderlichen Konzentrationen über ein anderes Organsystem bereits eine toxische oder letale Wirkung ausüben. Besonders bei Arzneimitteln mit Wirkungen auf komplexe Organs ysteme (Zentralnervensystem, Kreislauf, Niere), die unter dem Einfluß zahlreicher Regelsysteme stehen, läßt sich die Wirkungsanalyse im Tierversuch nicht vermeiden. Es kann keinem Patienten zugemutet werden, daß ein nur in vitro mit "alternativen" Methoden geprüftes Medikament ohne Tierversuch am Menschen erprobt wird. Andererseits gestatten in vitro-Methoden oft, wirkungslose Substanzen zu erkennen und von der weiteren Untersuchung (im Tierversuch) auszuschließen.

3. Tierversuche sind Tierquälerei.

Tierexperimentell tätige Wissenschaftler sind bemüht, Schmerzen und Leiden für die Versuchstiere soweit möglich zu vermeiden und für eine optimale Haltung zu sorgen. Dies schreibt das Tier--schutzgesetz verbindlich vor. Nur von Tieren, die Vertrauen zu den Wissenschaftlern und Laboranten haben, können aussagefähige Resultate erwartet werden. Viele eingreifendere Versuche werden in adäquater Schmerzausschaltung vorgenommen und die Tiere werden, nachdem das Versuch sziel erreicht ist, noch in Narkose getötet. Tierpfleger, technische und wissenschaftliche Mitarbeiter sind ein Personenkreis mit einer meist engen Beziehung zum Tier, sie hätten unsere Laboratorien längst verlassen, wenn wirklich tierqu&au ml;lerische Eingriffe vorgenommen würden. Inzwischen werden von wissenschaftlichen Zeitschriften Mitteilungen, die die Grundsätze des Tierschutzes nicht beachten, zurückgewiesen. Speziell für die Veterinärmedizin kann die Pharmako logie und Toxikologie in Versuchen an der Zieltierart Grundlagen für die Dosierung und Anwendung von Arzneimitteln erarbeiten und dabei auch die spezielle Wirkung auf das Tier und die möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen eruieren. Damit wi rd eine verläßliche Grundlage für die klinische Behandlung geschaffen, und es werden Schäden und Leiden vermieden, die sich aus Unkenntnis über die Wirkung des Arzneimittels ergeben. Auch hier ist der Tierversuch unerlä&szli g;lich. Man wird Tierversuche in einem gewissen Grade einschränken können, wie das schon seit Jahrzehnten geschieht. Letztlich ist der Tierversuch aber unverzichtbar, wenn eine Substanz beim Menschen oder Tier als Arzneimittel eingesetzt werden soll. Jede tierversuchsfreie Strategie wäre ein Verbrechen. Wenn Tierversuche verzichtbar wären, würde die pharmazeutische Industrie mit Begeisterung diesen sehr kostenintensiven Zweig der Forschung (Gebäude, Personal, Administration u nd nicht zuletzt die Versuchstierpreise) aufgeben.

Hans-Hasso Frey


Hans-Hasso Frey war von 1969 bis Ende des Sommersemesters '95 ordentlicher Professor für Pharmakologie und Toxikologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin.


Ihre Meinung:

[vorherige [Inhalt] [nächste


Zurück zur -Startseite