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Den Marlene-Dietrich-Platz erleben

Wege zum Potsdamer Platz

Hohe Terrakotta- und Sandsteinfassaden, ein abgesenkter Vorplatz, der zu hinter Glasfassaden liegendem Musical Theater, Casino und Erlebnisgastronomie führt, mehrere Wasserflächen und Kanäle von geringer Tiefe, ein IMAX Kino, ein McDonald’s rechts von einer Treppe, die nach oben in einen Hof führt, das Hyatt Hotel, dazwischen vier asphaltierte Straßen, die nach Norden, Nordosten, Osten und Südosten wegführen, eine blau glänzende, bonbonhafte Skulptur von Jeff Koons, eine aus patinierten Stahlträgern und -flächen bestehende Skulptur von Mark di Suvero und eine aus Aluminium gefertigte Gedenktafel an Marlene Dietrich – gebauter, den Marlene-Dietrich-Platz einfassender Raum. Dazu ein paar junge Laubbäume (abgesehen von den mehrere Jahrzehnte alten Linden auf der Alten Potsdamer Straße), Vögel, und, abhängig von Zeit und Wetter, Busse, Taxis, Pkws, Gehende, Rad- und auch Skateboardfahrende, mal mehr von den einen, mal mehr von den anderen – Menschen, die den Raum wahrnehmen und auf unterschiedliche Art und Weise erleben, die den Raum füllen mit ihren Aktivitäten, oder die ihn leer erscheinen lassen, wenn nur wenige da sind.

Um sich einen visuellen Eindruck vom Potsdamer Platz zu verschaffen gibt es die Möglichkeit, sich ein Panoramabild bei BerlinOnline anzusehen.

(Drei Jahre nach Veröfftlichung dieser Arbeit bin ich auf einen sehr spannenden Link zum Potsdamer Platz gestossen. Michael Pryke von der Open University in London hat eine Montage von Video Clips, Geräuschen und Bildern erstellt. Mit diesen Eindrücken und einem von Lefebvres Rhythmanalysis inspirierten Text ermöglicht er ein Eintauchen in die Atmosphäre des Potsdamer Platzes. Sehr empfehlenswert.)

Dieser Ort ist Teil dessen, was heute als Potsdamer Platz bezeichnet wird, Teil des großen Bauprojekts, das auf dem Niemandsland des von der Mauer geteilten Berlins entstanden ist und das auch jetzt, im Jahr 2001, noch nicht fertig gestellt ist. Ein Teil dieses ‚Potsdamer Platzes’, der ein größeres Gebiet umfasst als nur die Straßenkreuzung mit dem Namen Potsdamer Platz, liegt im ehemaligen Ostteil der Stadt, im Bezirk Mitte, der andere Teil liegt im Westen, im sich bis zum Zoologischen Garten erstreckenden Bezirk Tiergarten – eine Teilung, die vor Ort nicht offensichtlich wird. Nur ein nicht weiter erläuterter, in die Neue Potsdamer Straße eingelassener Streifen aus Kopfsteinpflaster deutet den früheren Verlauf der Mauer an.

Im Fernsehen läuft ein Musiksender; ein Videoclip zeigt wenige Menschen in einer Großstadt. Nach ein paar Blenden erkenne ich, dass es sich um Berlin handelt – ein Großteil des Clips wurde am Potsdamer Platz gedreht und die Fassaden des Quartiers DaimlerChrysler und des Sony Centers bewegen sich über den Bildschirm.

An einer Bushaltestelle wartend, sehe ich ein für eine Berliner Biermarke werbendes Plakat. Im Vordergrund sind junge, feiernde Menschen zu sehen, im Hintergrund sieht man die Silhouetten der Gebäude am Potsdamer Platz. Das ist merkwürdig. Dort, wo die jungen Leute stehen müssten, wenn man die Silhouetten in der auf dem Plakat gezeigten Perspektive sieht, sind eigentlich nur Baustellen und eine Straßenkreuzung. Gut gelaunt sind die Menschen auf dem Plakat trotzdem.


Egal ob als TouristIn kommend, in Berlin wohnend oder nur vorübergehend hier arbeitend, den meisten Menschen wird der Potsdamer Platz bereits in den Medien begegnet sein, bevor sie ihn tatsächlich betreten. Auch wenn sie ihn regelmäßig überqueren, dort einkaufen oder ins Kino gehen, immer wieder werden sie mit Bildern undBerichten – verschiedenen Repräsentationen – des Potsdamer Platzes konfrontiert. Im Rahmen dieses Textes, der sich vor allem mit dem beschäftigt, was sich konkret am Marlene-Dietrich-Platz abspielt und was sich dort beobachten lässt, kann und will ich nicht das breite Spektrum dieser medialen Repräsentationen wiedergeben oder gar analysieren.

Trotzdem will ich verdeutlichen, dass eine Annäherung an das Geschehen am Marlene-Dietrich-Platz dieses auch immer in einen breiten Kontext stellen muss. Der Potsdamer Platz im Gesamten ist mit einer Vielzahl von Vorstellungen, Praktiken und Interessen verknüpft, seine Entstehung in der jetzigen Ausprägung ist das Ergebnis eines komplexen Prozesses, in dem Unternehmen, Politik, Interessengruppen verschiedenster Art, Künstler, Architekten, Ingenieure, Journalisten und verschiedene andere Gruppen und Individuen interagiert, Konflikte ausgetragen und versucht haben, den Raum und das Image des Raumes zu definieren und zu realisieren.[2]

So ergeben sich bei einer Annäherung an den Potsdamer Platz und damit auch an den Marlene-Dietrich-Platz eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven: Er kann als Vollendung eines beeindruckenden Großbauvorhabens betrachtet werden, als ‚neue Mitte’ Berlins, als abstoßendes Entertainment Center mit Mall, als Symbol des vereinigten Berlins, als Überspielung und Ausblendung der vergangenen siebzig Jahre, als Ort zum Shoppen, als Wohnort und noch vieles mehr. Indem diese unterschiedlichen Perspektiven und die dazu gehörigen Machtkonstellationen verfolgt würden, ließe sich rekonstruieren, welche Interessen sich erfolgreich in das symbolische Gefüge und in die Repräsentation des Potsdamer Platzes eingeschrieben haben und welche Definitionen des Potsdamer Platzes ausgeschlossen worden sind. In diesem Text will ich jedoch versuchen, mich von einem solchen Ansatz zu lösen. Der Marlene-Dietrich-Platz soll hier nicht als Objekt eines Diskurses betrachtet und ‚gelesen’ werden. Der Marlene-Dietrich-Platz ist ein konkreter Ort, ein räumliches Gefüge; die Erfahrbarkeit des Ortes steht dem entsprechend im Zentrum.

So will ich hier von den von mir am Marlene-Dietrich-Platz gemachten Beobachtungen und Erfahrungen ausgehen, diese Erfahrungen durch längere beschreibende Passagen plastisch und auch in ihrer Subjektivität nachvollziehbar machen und sie Stück für Stück analytisch auswerten. Erst im Zusammenhang mit der Analyse und Einordnung der von mir gemachten Beobachtungen werde ich auf theoretische Konzepte im eigentlichen Sinne Bezug nehmen und so einerseits meine Beobachtungen mit Theorie anreichern und andererseits die Reichweite der genutzten Theorien ausloten.

Ich verzichte also auf eine systematische Auseinandersetzung mit dem diskursiven Umfeld des Marlene-Dietrich-Platzes und des Potsdamer Platzes als solchem, statt dessen will ich das räumliche Umfeld dieses Ortes erkunden und mich im Rahmen dieses Textes auf drei verschiedene Arten dorthin begeben.

Jeder dieser Wege durchquert anderes Terrain und je nachdem, durch welches Terrain ich mich bewege, erscheint der Ort in einem etwas anderen Zusammenhang und andere Charakteristika treten hervor – allerdings ergibt sich aus den ausgewählten drei Wegen und aus der Durchquerung von drei unterschiedlichen Räumen kein Anspruch auf Vollständigkeit der erfassten Annäherungsmöglichkeiten, wie ich im Verlauf der Beschreibungen noch erläutern werde. Die zum Potsdamer Platz führenden Wege und die dabei durchquerten räumlichen Konstellationen sind nicht unbedingt einzigartig oder nur spezifisch für diesen Ort, in bestimmten Aspekten haben sie auch anderswo Gültigkeit, sind allgemein; trotzdem bilden sie den Einstieg in diesen Raum, führen zum Potsdamer Platz und zum Marlene-Dietrich-Platz, der sich ebenfalls in einem Zusammenspiel von allgemeinen und ortsspezifischen Eigenschaften zusammensetzt.


Ich erkunde einen Teil des Umfeldes auf eine Art und Weise, die es erleichtern soll, die Komplexität des Geschehens am Marlene-Dietrich-Platz abzubilden und zu verstehen; eines Geschehens, das an einem konkreten Ort Statt hat und das sich erst über die Einbettung des Ortes in seine Umgebung erschließt.

Fußnoten

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