Netzen (Ev. Dorfkirche)

Kirchenkreis Lehnin-Belzig

Die Dorfkirche von Netzen ist ein sehr interessanter gotischer Backsteinbau mit einem eingezogenen, spätmittelalterlichen Westturm aus Feldstein. Das Gebäude wurde barockzeitlich nach Osten verlängert. Das zugesetzte spitzbogige Südportal hat ein profiliertes Gewände. Beiderseits des Portals befinden sich Rundblenden mit Wandmalereien. Im ursprünglichen Teil der Kirche wurden im unteren Teil des Mauerwerks sehr große Ziegel verwendet. Sie besitzen das größte Volumen, das wir bisher an Ziegeln in einer mittelalterlichen Dorfkirche erfaßt haben.

Lage der Kirche: Netzen liegt nordwestlich von Lehnin. Das Historische Ortslexikon typisiert den Ort als Gassendorf. An der Südseite des Netzener Sees, 2 km westlich des Ortes liegt ein rundlicher Hügel von 200 m Durchmesser, wahrscheinlich ein vorgeschichtlicher Burgwall. Herrmann (1960) erwähnt von dort den Fund von "Lausitzer Scherben" (Spätbronzezeit). Die Kirche liegt mitten im Ort umgeben vom ehemaligen Friedhof.

Ortsgeschichte: Netzen wird bereits 1190 erstmals urkundlich genannt, als ein "Burchardi, sacerdotis de Nydecem" erwähnt wird. Dieser Pfarrer kommt noch in anderen Urkunden bis 1209 vor. Fischer (1970) leitet den ursprünglichen Namen des Dorfes Netzen ("Nydecem") von einem polabischen Personennamen Nedesim her. Die Ortsherrschaft hatte von 1241 bis 1542 das Kloster Lehnin inne. Es hatte sukzessive sämtliche Rechte und Abgaben erworben. Im Landbuch von 1375 erscheint das Dorf unter der Überschrift "Monachorum in Lenyn", nach der alle Lehniner Klosterdörfer aufgelistet sind. Es hatte zu dieser Zeit 25 Hufen, von denen 1 Hufe für den Pfarrer reserviert war. Die Abgaben betrugen 1/2 Wispel Roggen und ein 1/2 Wispel Hafer für die Pacht. Für Zins und Bede mußten 8 Talente weniger 6 Pfennige gegeben werden. Der Krug mußte 30 Schillinge geben. Es waren 13 Kossäten im Dorf ansässig, die 9 Schillinge und 8 Hühner bezahlen mußten. Die gesamte Ortschaft mußte zudem 13 Hühner abliefern. Allerdings gaben die Einwohner 1375 nur Hälfte der üblichen Abgaben, da das Dorf kurz vorher von den v. Wulffen verwüstet worden war.

Baustruktur: Die Kirche ist heute eine lange Rechteckkirche (19,85 m lang, 8,70 m breit) mit einem etwas schmalerem Westturm (5,75 m lang, 6,10 m breit). Sie ist allerdings um ca. 6 m nach Osten verlängert und um ca. 1 m aufgestockt worden. Die Kirche weicht mit magnetisch gemessenen 14° nach Nordosten von der idealen Ost-West-Ausrichtung ab.

Mauerwerksausführung: Das Kirchengebäude ist ein Backsteinbau, der Unterbau des Westturms ist überwiegend in Feldstein gemauert; die Ecken sind dagegen meist in Backstein ausgeführt. Das Mauerwerk des ursprünglichen Teils des Schiffes wurde überwiegend im gotischen Verband ausgeführt (zwei Läufer, ein Binder). In diesem Teil wurden zwei unterschiedliche Ziegelformate benutzt. Im unteren Teil der Wand bis ca. 2 m Höhe wurden sehr große Ziegel mit dem Format 31 x 13-14,5 x 11-12 cm verwendet. Darüber folgen einige Lagen mit kleineren Backsteinen (Format: 29-29,5 x 13 x 9 cm). Im Bereich des Putzfries wurden aber wieder die sehr großen Ziegel verwendet. Die Ostverlängerung ist überwiegend im unregelmäßigen Verband ausgeführt. Im östlichen Teil der Nordwand befindet sich ein größerer Bereich, der vorwiegend aus liegenden Bindern besteht. An der Südwestecke des Turms maßen wir das Ziegelformat 27,5-28 x 13,5-14 x 8,5 cm, an der Nordwestecke 28 x 13,5 x 9 cm. Der Turm hat einen Feldsteinsockel. Auch die Ostverlängerung besitzt einen Feldsteinsockel. Im ursprünglichen Teil des Schiffes sind die Ziegel direkt über Niveau durch neuere kleine Ziegel mit dem Format 24 x 12 x 6 cm ersetzt.

Mörtel und Putze: Die Kirche hat teilweise einen Ganzputz. Auf der Südseite sind das Mauerwerk ab der vermuteten Aufstockung, die Reparaturbereiche um die Fenster und die Ostverlängerung komplett verputzt. Auch die Ostseite ist komplett verputzt. Dagegen ist die Nordseite lediglich im höheren Teil des Mauerwerks (Aufstockungsbereich) verputzt.

Portale: Die Kirche besaß ursprünglich zwei Portale. Das heute zugesetzte Südportal ist spitzbogig mit zwei Rundblenden rechts und links des Portals. Das Gewände besteht aus profilierten Formsteinen. Das flach-segmentbogige Westportal ist der einzige Zugang zum Kircheninneren. Es liegt in einem vertikal verlaufenden Putzfeld.

Fenster und Blenden: Die Nordseite des Schiffes weist drei, relativ schmale, flachbogige Fenster auf, die unterschiedliche Abstände zu einander haben. Zwei Fenster sitzen im ursprünglichen Teil des Schiffes, ein Fenster in der Ostverlängerung. Die Bögen reichen in den verputzten und im Barock aufgestockten Bereich der Mauer hinein. Die Südseite zeigt ebenfalls drei Fenster in ähnlicher Position wie die Fenster der Nordseite. Allerdings haben diese Fenster unterschiedlich breite Putzfaschen. Das östliche Fenster sitzt im verputzten Bereich der Ostverlängerung. Direkt über dem Portal und zwischen den beiden Rundblenden ist ein verputzter Bereich, der bis an den Portalbogen herabreicht. Es ist zu vermuten, dass hier einmal ein Fenster saß, das bei einer späteren Umbaumaßnahme. Das schmale Fensterchen in der Südwand des Turms hat ein Ziegelgewände, dessen Ränder abgefast sind. Die Ziegel messen 29 x 14 x 9 cm. Der Putz, der auf Traufhöhe des Schiffes beginnt, schneidet ein zugesetztes Fenster mit Ziegelgewände ab. Über dem Westportal sitzt ein flachbogiges, relativ großes Fenster. Die Ostseite weist zwei hochrechteckige Fenster auf.

Innenbögen: Wir haben das Innere der Kirche noch nicht gesehen.

Turm: Der Turm ist ein später angebauter, gegenüber dem Schiff eingezogener annähernd quadratischer Westturm. Das Untergeschoß besteht aus Feldstein, das Obergeschoß aus verputztem Fachwerk. Er wurde in zwei Bauphasen in der Spätgotik und im Barock errichtet. In der Süd- und Westseite befinden sich je zwei kleine Schallöffnungen. In der Nordseite ist nur eine kleine Schallöffnung. Der Turm schließt mit der Kombination Kugel, Windfahne und Stern ab. In der Windfahne ist die Jahreszahl 1796 zu lesen.

Dächer: Das Satteldach des Schiffes ist nach Osten abgewalmt und mit unterschiedlichen Biberschwanzziegeln eingedeckt. Das Turmdach ist im Ansatz ein flaches Zeltdach, das mittig zu einem achteckigen, verschieferten Spitzhelm ausgezogen ist.

Innenausstattung: Wir haben das Innere noch nicht gesehen.

Außenbereich: Im ursprünglichen Teil besitzt die Kirche noch die Reste eines eingetieften Friesbandes. Beiderseits des zugesetzten Südportals sitzt je eine eingetiefte Rundblende mit profiliertem Gewände. Die glattgeputzte Innenfläche weist Malereien auf, die aber schon stark verblasst sind. Südlich der Kirche steht ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges.

Baugeschichte: Der Baubeginn ist aufgrund des profilierten, breit-spitzbogigen Südportals und der Medaillons beiderseits des Südportals wohl nach 1400 zu datieren. Auch besitzt die Kirche kein separates Priesterportal. Dies deutet auf eine späten Baubeginn hin. Die Kirche wurde sicher nach der Verwüstung des Ortes (1375) errichtet.
Die Kirche besaß ursprünglich ein West- und ein Südportal. In der Südwand können ursprünglich nur zwei Fenster gewesen sein. Auch in der Nordwand können maximal zwei Fenster gesessen haben. Die Proportionen der Kirche, relativ kurz und breit sowie vergleichsweise niedrige Umfassungsmauern, erlauben auch eine Rekonstruktion mit einem dreiseitigen Chorschluß.
Vermutlich um 1500 wurde der Unterbau des Westturmes angefügt.
Im 18. Jahrhundert wurde die Kirche nach Osten verlängert, eventuell unter Beseitigung eines dreiseitigen Chorschlusses. Möglicherweise wurde auch der höhere Teil des Turmes in dieser Zeit errichtet. Auch die Einbauten könnten aus dieser Zeit stammen.
Vermutlich stammt der Spitzhelm des Turmes erst aus dem 19. Jahrhundert.1934 fand eine Umgestaltung des Innenraumes statt.

Vergleiche: Der Ursprungsbau der Dorfkirche Netzen (13,85 m lang, 8,70 m breit) läßt sich am ehesten noch mit dem Ursprungsbau der Dorfkirche Gollwitz vergleichen, die aber deutlich kleinere absolute Maße. Die Dorfkirche in Radewege hat ebenfalls ähnliche Proportionen, besitzt jedoch einen dreiseitigen Chorschluß. Es wäre daher denkbar, daß die Netzener Kirche vor ihrer Verlängerung nach Osten einen dreiseitigen Chorschluß hatte.

Bemerkungen: Die Baugeschichte ist noch schlecht recherchiert.

Information und Dank: -

Literatur: Fischer (1970), Brandenburgisches Namenbuch, Teil 1 (Zauche), S.88/9, Rohrlach (1977), Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil 5 Zauch-Belzig, S.282-4, Bau- und Kunstdenkmale in der DDR, Bezirke Berlin/DDR und Potsdam (1978), S.50, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bezirke Berlin/DDR und Potsdam (Dehio/Potsdam), (1983), S.301, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Brandenburg (Dehio/Brandenburg) (2000), S.692/3.

Ältere Beschreibungen:

Dehio/Potsdam: Netzen Bez. Potsdam, Ldkr. Brandenburg
Dorf-K. Rck. Backsteinbau, im Kern sp.14./fr. 15. Jh. An der SSeite Spitzbogenportal, flankiert von je einer Kreisblende, darin Reste von Wappenmalereien, als Abschluß Teile des urspr. Frieses erh. Der WTurm im Untergeschoß spätma. aus Feldstein, sein Aufbau in Backstein bar. Das Schiff im fr. 18. Jh. nach O verlängert, erhöht und geputzt. Im Inneren flache Muldendecke. Die Längswände durch Nischen gegliedert, deren oberer Abschluß barockisiert; in den beiden ö Wandpfeilern je 2 Nischen, die unteren spitzbogig und von Profilen umrahmt, möglicherweise für Reliquien. - Die Einbauten aus der Zeit der bar. Umgestaltung, 1934 nach alten Resten gefaßt. Kanzelaltar in Verbindung mit OEmpore, der 5seitige Korb zwischen Pilastern, Schalldeckel, gesprengter Giebel. Hufeisenförmige Empore auf toskanischen Säulen; kleiner Orgelprospekt fr. 19. Jh.

Dehio/Brandenburg: Netzen Lkr. Potsdam-Mittelmark. Karte 5 Ev. Dorfkirche. Rechteckiger Backsteinbau, im Kern um 1400, A. 18. Jh. nach Osten verlängert, erhöht und geputzt. Der eingezogene Westturm im Untergeschoß um 1500 aus Feldsteinen errichtet, barocker Fachwerkaufsatz, verputzt. Südl. Spitzbogenportal aus profilierten Formsteinen, flankiert von zwei Kreisblenden mit Resten von Wappenmalereien; in die zugesetzte Öffnung eingelassen Grabstein Louise Gorgas (+ 1823) mit Urnenrelief. Im Turmraum Westportal, stichbogig in Spitzbogenblende (beschädigt), ebenfalls aus Formsteinen. Innen flache Muldendecke. Die Längswände gegliedert in der Art nach innen gezogener Strebepfeiler, beim barocken Umbau zu korbogigen Nischen zusammengefaßt. In den beiden östl. Wandpfeilern je eine spitz- und eine stichbogige Nische übereinander, möglicherweise für Reliquien. - Einbauten 18. Jh., 1934 neu gefaßt. Kanzelaltar in Verbindung mit Ostempore, der fünfseitige Korb zwischen Pilastern, Schalldeckel und gesprengter Giebel. Hufeisenförmige Empore aus toskanischen Säulen; kleiner Orgelprospekt A. 19. Jh.

Bau- und Kunstdenkmale in der DDR: Netzen Dorfkirche Spätgotischer rechteckiger Backsteinbau mit Westturm, im frühen 18. Jh. nach Osten verlängert und erhöht, barock verputzt. Turmabschluß 19. Jh. Am südlichen Spitzbogenportal Blenden mit Wappenmalereien. - Kanzelaltar mit Chorempore 18. Jh. Hufeisenförmige Empore und Orgel E. 18. Jh. Kronleuchter, Messing, barock (?).

Historisches Ortslexikon für Brandenburg: K spätgotischer rechteckiger Backsteinbau mit WTurm, im 17,/18.Jh nach O verlängert und erhöht, barock verputzt, Turmabschluß 19. Jh, am s Spitzbogenportal Blenden mit Wappenmalereien, im OTeil innen Nischengliederung.

Aufnahme der Kirche: Februar 2001, März 2003

Grundriss:

Grundriss der Dorfkirche Netzen (eigene Aufnahme; nicht winkeltreu).

Zur Startseite


©Theo Engeser und Konstanze Stehr, Jühnsdorf, 2003