Symbolpolitik in der Klima- und Ressourcenpolitik

Vortrag in der Bundeszentrale für politische Bildung am 8. Oktober 2007

Volker von Prittwitz

 

 

1. Einführung

Geht es um Politik und Symbolik, so sprechen wir herkömmlicher Weise im Anschluss an die Diskussion um Murray Edelmans Politics as Symbolic Action (1971) von symbolischer Politik, verstanden als Politik des leeren Scheins, als illegitimes Nicht- oder Scheinhandeln. Gerade in der Umweltdiskussion steht die Bezeichnung symbolisch traditionell für eine Politik, die nur den Anschein zielorientierten Handelns erweckt, in Wirklichkeit aber nichts für die Umwelt leistet (siehe zum Beispiel den von Bernd Hansjürgens und Gertrude Lübbe-Wolff herausgegebenen Sammelband Symbolische Umweltpolitik aus dem Jahr 2000). Da hinter solcher Politik üblicherweise Interessen mächtiger Akteure vermutet werden, ist das Konzept der symbolischen Politik prinzipiell herrschaftskritisch ausgerichtet. So sinnvoll, ja notwendig Herrschaftskritik im Sinne vitaler Demokratie und effizienten öffentlichen Handelns immer wieder ist, so wenig reicht solche Kritik aus, um die Wirkungszusammenhänge zwischen Symbolen und Politik angemessen zu verstehen. Hierzu müssen wir vielmehr versuchen, Symbole und die auf deren Nutzung, Produktion und Verbreitung gerichtete Politik systematisch zu analysieren.

Der Symbolbegriff hat sich in seiner jahrtausende langen Geschichte vielfach verändert. Heute verstehen wir hierunter kurz Zeichen mit Bedeutungsüberschuss, das heißt Bedeutung zusammenfassende, auch  emotional bindende (verdichtende) Zeichen, die über ihren unmittelbaren Bezeichnungsbereich hinaus Aussagekraft besitzen. Ein Beispiel hierfür sind Nationalflaggen, die nationale Sichtweisen und Gefühle verdichtet symbolisieren, ein anderes Beispiel ist das Bild eines ölverschmierten Wasservogels. Dieses interpretieren wir nicht nur als Abbild der Verschmutzung des einen gezeigten Vogels, sondern als ein uns berührendes Symbol der Gewässerverschmutzung im allgemeinen, ja der Umweltverschmutzung im allgemeinen. Solche Zeichen mit Bedeutungsüberschuss können mehr oder weniger große Symbolkraft (Symbolizität) erreichen, je nachdem, wie weit sie in ihrer symbolischen Bedeutung verstanden werden und Bindungskraft entfalten.

Träger von Symbolen können beliebige Zeichen bzw. Zeichenkombinationen werden, beispielsweise verbale Zeichen (Worte wie Erdgipfel), Zahlen, so Glücks- oder Unglückszahlen, Farben – siehe die politische Farbenlehre von schwarz, braun, blau (in vielen Ländern für konservativ) bis rot, grün, gelb, orange –, stilisierte bildliche Zeichen (Beispiel: Karikaturen, Umweltzeichen) und Text-Bild-Kombinationen (Atomkraft – Nein danke!), Bilder (Der ölverschmierte Wasservogel…) oder  Handlungsformen (Mao Tse Dong im Yang Tse schwimmend/Töpfer als kleiner Umwelt-Mao im Rhein schwimmend…, Willi Brands Kniefall am polnischen Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus).

Als Formen von Symbolen unterscheide ich zunächst System- und Handlungssymbole: Systemsymbole symbolisieren die Geltungsansprüche von Systemen, dabei Herrschaftsansprüche – siehe  beispielsweise Symbole fürstlicher Macht, Nationalstaatssymbole wie Flaggen oder Hymnen, religiös-transzendentale Symbole oder Partizipationssymbole (So drückt das Recht der allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen und gleichen Wahl symbolisch auch die Volkssouveränität aus). Handlungssymbole symbolisieren Anforderungen oder die Verwirklichung öffentlichen Handelns. Hierzu können ausgehend vom Modell des Policy-Zyklus Problemsymbole, die öffentliches Handeln legitimieren, kurz: Legitimationssymbole, und Aktivitätssymbolen, die öffentliches Handeln belegen sollen, unterschieden werden. Weiterhin sind Implementations-, Bewertungs- und Lernsymbole denkbar.

Symbole jeder Art können manipulativen Charakter haben und dann an Stelle praktischen Steuerungshandelns, praktischer Macht, praktischer Beteiligung usw. treten; sie können aber auch öffentliches Handeln wie politische Systeme fördern, ja zu einem wichtigen Element des Handelns bzw. soziopolitischer Systeme werden – gerade wenn diese, wie in Demokratien üblich, öffentlich legitimiert werden müssen. So lassen sich in Demokratien gerade neue Politiken beziehungsweise Politikwechsel üblicherweise nur mit Hilfe eingängiger Legitimationssymbole durchsetzen und die Öffentlichkeit verlangt früher oder später auch nach Aktivitätssymbolen. Dementsprechend versuchen Experten, vor allem aber Politiker, starke Symbole zur Legitimation ihrer Auffassung zu nutzen und zu verbreiten. Und gerade Regierungsmitgliedern liegt viel daran, Aktivitätssymbole zu bedienen.

Die Beziehung zwischen Symbolen und Politik sollte also, so mein Facit zum ersten Punkt, prinzipiell ergebnisoffen analysiert werden: Symbole und darauf bezogene Politiken müssen nicht, können aber zu einem wichtigen eigenständigen Moment des politischen Prozesses und politischer Systeme werden. Genau in diesem ergebnisoffenen Sinne lassen sich auch Symbolaspekte der Klimapolitik analysieren.

 

2. Symbolische Klimapolitik?

Klimapolitik wird häufig als symbolische Politik im skizzierten Als-Ob-Sinne kritisiert. Hierbei dienen üblicherweise von Wissenschaftlern ausgewiesene Zielmarken für die Verringerung von Treibhausgasen als Referenzkriterien. So fordert beispielsweise das Potsdamer Klimaforschungsinstitut (unter anderen Instituten und politischen Akteuren), im 21. Jahrhundert höchstens eine Erhöhung von 2 Grad Celsius zuzulassen (siehe Kernaussage 5 in Folie 5). Dies wiederum erfordert die Reduktion der zivilisatorischen Treibhausgasemissionen um etwa 1% pro Jahr (Kernaussage 6), was das Wirtschaftswachstum nur geringfügig verlangsamen würde, aber eine globale „Kulturrevolution“, bei der Stadt- und Landleben neu definiert werden müssen, erfordert (Kernaussage 6 und 7).

 

Sieben Kernaussagen zum Klimawandel (Potsdamer Klimaforschungsinstitut/2007)

1. Durch menschlichen Einfluß haben die Treibhausgase in der Atmosphäre Konzentrationen erreicht, die für die letzten Jahrmillionen beispiellos sind. Insbesondere Kohlendioxid ist von 280 ppm (Millionstel der gesamten Lufthülle) im Jahr 1750 auf heute etwa 380 ppm angestiegen. Dadurch wird der Erde ein massiver zusätzlicher Treibhauseffekt aufgezwungen.

2. Wirtschaftet die Menschheit weiter wie bisher, könnte sich unser Planet bis zum Jahr 2100 um 5 °C erwärmen. Dies ist in etwa die natürliche Temperaturdifferenz zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit. Da wir uns gegenwärtig schon in einer Warmzeit befinden, steuerten wir direkt auf eine „Heißzeit" zu.

3. Die Langzeitfolgen wären ein Meeresspiegelanstieg im 30-50 Meterbereich und eine massive Versauerung der Ozeane, die einem Abfall des marinen ph-Werts von 8,2 auf 7,7 entspräche.

4. Außerdem kann ein ungebremster Klimawandel eine Reihe von „Kippschaltern“ im Erdsystem (wie den Amazonasregenwald, das El Nino-Phänomen oder den Indische Monsun) umlegen und die Betriebsweise ganzer Subkontinente und Meeresbecken auf den Kopf stellen. Sich gegenseitig aufschaukelnde Wechselwirkungen könnten schließlich sogar einen „galoppierenden Treibhauseffekt“ auslösen.

5. Es besteht jedoch die Möglichkeit, solch einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, indem die globale Erwärmung auf höchstens 2°C begrenzt wird. Dies bedeutet insbesondere, daß die Konzentration atmosphärischer Treibhausgase langfristig 400 ppm C02-Äquivalente nicht übersteigen darf.

6. Dies wiederum erfordert die Reduktion der zivilisatorischen Treibhausgasemissionen im 21. Jahrhundert um etwa 1% pro Jahr. Neuste sozioökonomische Analysen haben gezeigt, daß die entsprechenden Maßnahmen das globale Wirtschaftswachstum bis 2100 um nur 3 Monate verzögern würden, wenn die technischen und institutionellen Innovationspotentiale ausgeschöpft würden.

7. Die Begrenzung der Erwärmung auf 2 °C und die Anpassung an den Restklimawandel erfordern nichtsdestotrotz eine  globale „Kulturrevolution“, bei der Stadt- und Landleben neu definiert werden müssen.

 

Werden derartige Zielmarken durch beschlossene oder ins Auge gefasste Maßnahmen nicht vollständig erreicht, so gelten sie für Kritiker als symbolisch. Als solche wurden häufig die lediglich völkerrechtlich verbindliche Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen von 1992 und das Kyoto-Protokoll von 1997 aufgefasst, in dem relativ geringe Reduktionsauflagen enthalten sind, das nur bis zum Jahr 2012 gilt und das erst am 16. Februar 2005 formell in Kraft trat.  Ein Routineargument in diesem Sinne bezieht sich schließlich auf die Haltung der USA: Da sich diese nicht zu bestimmten Reduzierungen verpflichten lassen, sei das ganze Maßnahmebündel symbolische Politik.

Dieser Auffassung stehen zwei Gegenpositionen gegenüber:

1.    Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich internationale Regime, so auch das Klimaregime, dynamisch entwickeln können. So entziehen sich inzwischen auch die USA und China, die sich bislang weitgehend abwehrend oder passiv verhielten, nicht mehr völlig dem „Post-Kyoto-Prozess“, in dem über ein Nachfolgeregime ab 2012 verhandelt werden soll (siehe Rostocker G8-Gipfel, eigene Klimakonferenz der USA im September 2007, an dem die Länder beteiligt waren, die zusammen mehr als 90% der globalen Treibhausemissionen verantworten).

2.    Zum anderen gibt es so genannte Klimakritiker. Diese behaupten, es gäbe keinen Klimawandel oder aber, ein solcher Wandel sei nicht anthropogen bedingt, die skizzierten Referenzkriterien des Klimawandels für notwendige klimapolitische Maßnahmen seien daher manipuliert und unbegründet.

Während also in der ersten Position die Rahmenkriterien zur Beurteilung von Klimapolitik akzeptiert werden, sich aber die Beurteilung der praktischen Klimapolitik unterscheidet, werden in der zweiten Position bereits die naturwissenschaftlich begründeten Referenzkriterien notwendiger Politik und damit auch diese Politik fundamental in Frage gestellt.

Zwar ist dieser sich auf naturwissenschaftliche Kriterien beziehende Streit sozialwissenschaftlich nicht definitiv entscheidbar. Aber sehr viele Daten sprechen für herrschende Meinung eines massiven antropogenen bzw. anthropogen verstärkten Klimawandels, auf den zügig reagiert werden muss. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit tritt damit die Frage, inwiefern Symbole bzw. Symbolpolitik zu einer effektiven Klimapolitik beitragen können. Hierzu sollten wir einen problemfeldbezogenen Symbolizitätsvergleich der Klimapolitik anstellen.

 

3. Die klimapolitische Symbolizität im Problemfeldvergleich

Klimapolitik wird durch starke bildhafte Symbole angetrieben. Hierzu gehört das Bild abschmelzender Polkappen und eines stark steigenden Meeresspiegels, dabei auch das Bild untergehender Inseln, das Bild schmelzender Gletscher und das Bild immer stärkerer katastrophaler Stürme. Diese unser Denken und Fühlen ansprechenden bildhaften Vorstellungen gründen sich zwar, wie skizziert, auf wissenschaftlich erfasste und verarbeitete Datenreihen sowie einzelne Abbildungen, so Fotographien zurückgehender Gletscher oder abbrechender Eisberge. Letztlich aber gewinnen sie ihre Symbol-, sprich Überzeugungs- und Motivationskraft, erst aus der sich verbreitenden Überzeugung, dass uns ein sehr folgenreicher globaler Klimawandel wirklich droht. Diese Überzeugung wiederum wird auch und gerade durch  – ihrerseits symbolische – Proteste gegen eine zu schwache oder fehlende Klimapolitik und vielfältige andere Formen von Symbolpolitik gespeist. Hierzu gehören eine mit Problemsymbolen versetzte Berichterstattung in den Medien, eine mit Aktivitätssymbolen versetzte Berichterstattung über Anstrengungen zum Klimaschutz, etwa Klimakonferenzen und politische Spitzengespräche und schließlich Mitmach-Symbole der Klimapolitik (Beispiel Energiesparen).

Auf dieses Set klimapolitischer Legitimations- und Aktivitätssymbole beziehen sich inzwischen Dritte, so globalisierungskritische Akteure, mit eigenen Widerstands- und Konfliktsymbolen. So gilt die globale Klimapolitik inzwischen nicht mehr nur als sachlich abgegrenzter Problembereich, sondern auch als Synonym für Konflikte um globale Armut, soziale Ungleichheiten, ja als Symbol für generelle  Unzulänglichkeiten herrschender Politik (im Sinne sehr breit symbolischen Handelns) (siehe zum Beispiel: Interview Ulrich Becks in der Frankfurter Rundschau vom 4. Oktober 2007)

Vergleichen wir die Klimapolitik unter den angeführten Gesichtspunkten mit anderen umweltpolitischen Problemfeldern globalen Handelns, so der Artenschutzpolitik, der Konflikt um die Atomtechnologie, diversen Handlungsbereichen weiträumiger Luftverschmutzung, dem Schutz der stratosphärischen Ozonschicht und der sogenannten POPs-Problematik (Persistent Organic Pollutants, dabei auch Problem der Reduzierung der männlichen und weiblichen Reproduktionsfähigkeit infolge der Kumulation schädlicher Chemikalien), so ergibt sich folgendes Vergleichsprofil

Umwelt-Problemfelder im Symbolizitätsvergleich

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Problembereich                   Hauptsymbole                         Symbolstärke

Artenschutz (CITES)           Kaiman/Falter                         gering bis fehlend

Anti-Atom-Politik               Atomkraft Nein Danke!          mittel

Weiträumige                        Begriff Saurer Regen           

Luftverschmutzung             Begriff und Bilder

(SO2, NOx, andere)            Waldsterben                           mittel bis stark

Ozonschutz                          Ozonloch                                stark

Klimapolitik                        Abschmelzende Polkappen    sehr stark

                                             Meeresspiegel, Gletscher

                                             Konferenzen/Gipfel

POPs                                    -                                                         fehlend

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Während der globale Artenschutz (CITES-Regime) über annähernd keine Symbolizität verfügt, wurden der Atompolitik zunächst Konfliktsymbole mittelstarker Symbolizität zugeordnet (am bekanntesten: Atomkraft Nein Danke!). Die Diskussion um weiträumige Luftverschmutzung dagegen wurde durch mittel bis starke Symbole vorangetrieben, so durch den Begriff Saurer Regen (ab Mitte der 1970er Jahre den Begriff/das Bild Waldsterben (ab Beginn der 1980er Jahre). Ein starkes kompaktes Bildsymbol stellte schließlich der Begriff/das Bild Ozonloch als Stimulans der globalen Politik zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht dar. Nur der Klimapolitik können noch stärkere (mehrere miteinander korrespondierende) Bildsymbole mit hoher legitimierender Kraft zugeordnet werden. Zusätzlich spielen hier Aktivitäts- und weitläufige Konfliktsymbole eine Rolle.

 

4. Haben sich Gewicht und Ausprägungen symbolpolitischen Handelns im Kontext der nationalen und internationalen Klimapolitik verändert?

Der Verlauf der öffentlichen Klimapolitik lässt sich in Phasen mit relativ geringer und relativ großer öffentlicher Sichtbarkeit einteilen. Hierzu gehören eine Anlaufphase mit noch relativ geringer Sichtbarkeit, die von der Mitte der 1980er Jahre bis zum Beginn der 1990er Jahre dauerte, die öffentlich sichtbaren Aktivitäten vor und um den Erdgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 (Klimarahmenkonvention), eine anschließende überwiegend expertenorientierte Phase mit vergleichsweise geringer Öffentlichkeitswirkung, die öffentlich stark wahrgenommene Verabschiedung des Kyotoprotokolls im Jahr 1997, die vergleichsweise öffentlichkeitsschwachen Kyotonachfolgekonferenzen und Workshops bis 2005 und eine öffentlichkeitsstärkere Phase seit 2005, dem offiziellen Inkrafttreten des Kyotoprotokolls (ohne Beteiligung der USA und Australiens) und der beginnenden öffentlichen Diskussion der Post-Kyoto-Anforderungen (ab 2012).

In diesem Prozess zeigt hinsichtlich der klimapolitischen Symbolik einerseits eine gewisse Kontinuität: Von Beginn an und durch alle Phasen mehr oder minder starker Öffentlichkeit hindurch spielen bestimmte bildstarke Legitimationssymbole, so vor allem das Bild des steigenden Meeresspiegels, eine Rolle. Ein Abschmelzen der Polkappen und ein folgender starker Anstieg des Meeresspiegel (bis zu 50 Metern) wurde bereits im Jahr 1986 (von der Deutschen Physikergemeinschaft) für den Fall fehlender klimapolitischer Aktivitäten prognostiziert (eine Schätzung, die übrigens inzwischen deutlich nach unten korrigiert worden ist). Aber gerade in den öffentlichkeitsstarken Hochphasen standen und stehen die starken Bildsymbole der Klimapolitik im Mittelpunkt. Auch der Verweis auf Forschungs- und Konferenzaktivitäten, der bereits selbst einem Aktivitätssymbol geworden ist, findet sich durchgehend.

Bei dieser grundsätzlichen Aktivität finden sich dann aber einige charakteristische Veränderungen:

1.    Verdichtung der Problemsymbole, Symbolteppich und Symbolkombinationen der Bedrohungslage 2006/2007: Klimakatastrophenfilme, so Al Gores Film "Eine unbequeme Wahrheit"

2.    Durch eine besonders dichte Folge von Konferenzen/politischen Treffen mit höchster politischer Beteiligung – siehe G8-Gipfel in Rostock – ist in den letzten Jahren auch das Aktivitätssymbol reproduziert worden.

3.    Problem- und Aktivitätsaspekte, dabei auch Problem- und Aktivitätssymbole, verschränken sich zunehmend: Problemwahrnehmung regt Aktivität, aber auch Aktiv intensivierte Problemwahrnehmung an. Siehe auch Berichte, beispielsweise den Bericht des früheren Weltbankökonomen Nicholas Stern über die Kosten des Klimawandels ("Stern-Report"), in dem die wirtschaftlichen Kosten der Erderwärmung berechnet werden. Wirtschaftliches Wachstum erscheint demnach nicht mehr als strikter Gegensatz zum Klimaschutz, sondern Klimaschutz zunehmend als Bedingung und Chance für wirtschaftlichen Erfolg.

4.    Der Globalisierungsgrad der Symbole hat zugenommen: Heute ist es selbstverständlich, dass die allgemeinen Problem- und Aktivitätssymbole der Klimapolitik alle großen Emittenten von Treibhausgasen, auch beispielsweise China, betreffen (Änderung in wenigen Jahren mit dem Aufstieg Chinas zur beginnenden Wohlstandsnation und sich verstärkenden Weltmacht!)

5.    Das Konzept Klimapolitik diffundiert unter dem Einschluss sozialer Ungleichheiten: a) Traditionell thematisierte sozioökonomische Ungleichheiten im Nord-Süd-Kontext (Verschuldungsprobleme etc.), b) Ressourcensparen (Energiesparen, aber auch Außenseiter-Engagement) im Norden (Beispiel: Reportage in Radio Fritz über junge Außenseiter unter einer Brücke lebend, die ihren Lebensstil als Beitrag zum Klimaschutz kommentieren).

6.    Starke soziale Diffusion der Klimapolitik vermittelt durch multiplikatorgestützte Problem- und Mitmachsymbole: Die Symbolizität der Klimapolitik gewinnt an gesellschaftlicher Breite und Internationalität, siehe etwa Life Earth-Konzerte als symbolische Unterstützung der Klimapolitik im Jahr 2006 in den USA! Symbolisches Mitmachen beim Klimaschutz wird schick! Klimaschutz als Thema der Verbrauchertipps: Was kann jeder/jede selbst tun, um das Klima zu retten, also um seinen individuellen CO2-Ausstoß zu begrenzen? Klimadiät beim Essen, beim Reisen oder beim Heizen"…(Hanna Gersmann am 23. Februar 2007 in der tageszeitung).

 

5. Wie erklären sich Strukturen und Veränderungen klimapolitischer Symbolhaftigkeit?

Hierzu erscheinen mir vier Erklärungsansätze von besonderem Gewicht: funktionalistische, kapazitätstheoretische, situationsbezogene und spezieller prozessuale Erklärungen. Ich skizziere im Folgenden die Erklärungspotenziale dieser Ansätze für Veränderungen klimapolitischer Symbolizität.

 

5.1 Funktionalistische Erklärung (Problemdruck und Problembearbeitung)

Im funktionalistischen Denken erklären sich soziale Prozesse und Strukturen aus ihrer sozialen Funktion. Die besonders starken Problem- bzw. Legitimationssymbole der Klimapolitik erklären sich demnach daraus, dass sie helfen, das Problem des Klimawandels zu bewältigen. Diese Erklärung von Legitimationssymbolen aus gegebenem Problemdruck lässt sich nach dem gezeigten Modell des Policy-Zyklus noch um eine Erklärung von Aktivitätssymbole der Klimapolitik ergänzen: In dem Maße, in dem das Problem Klimawandel gezielt bearbeitet wird, gewinnen naturgemäß Aktivitätssymbole (etwa der Forschung, politischer Konferenzen etc.) an Gewicht. Je stärker also das Klimaproblem wird, desto stärkere Legitimations- wie Aktivitätssymbole der Klimapolitik sind zu erwarten. Diese dürften in der Regel mit einer gewissen Zeitverzögerung zur objektiven Problementwicklung auftreten.

 

5.2 Kapazitätstheoretische Erklärung

Objektiver Problemdruck schlägt sich nun allerdings keineswegs immer in entsprechend intensivierter Problemwahrnehmung nieder. Vielmehr muss Problemdruck, so stark er objektiv auch sein mag, von den Beteiligten subjektiv wahrgenommen und dann noch einmal in entsprechende, zum Beispiel symbolische, Zeichen kommunikativ übersetzt werden. Dies aber hängt auch von anderen Bedingungen, insbesondere vorhandenen Wahrnehmungs- und Handlungskapazitäten, der Beteiligten ab: Ein Problem kann üblicherweise nämlich nur dann problemlösungsorientiert wahrgenommen werden, wenn es mit gegebenen oder leicht zu beschaffenden Mitteln zu bewältigen ist. Merkt der Akteur, ein System etc. dagegen, dass ein Problem absolut nicht bewältigt werden kann, wird es dieses Problem auch nicht mehr öffentlich thematisieren, sondern davonrennen, das Problem verdrängen oder ähnliches.

In dieser kapazitätstheoretischen Sicht werden klimapolitische Symbole vor allem dort und dann sensibel kommuniziert werden, wo bzw. wenn vergleichsweise große Handlungskapazitäten zur Bewältigung von Klimaproblemen zur Verfügung stehen: Vor allem die kapazitätsstarken OECD-Länder sind demnach problemsensibel und offen für starke legitimationsförderliche Symbole der Klimaproblematik, während technisch, ökonomisch oder durch ihren herrschenden Lebensstil kapazitätsschwächere Länder (darunter die USA mit schwachen Innovationskapazitäten des Lebensstils) klimapolitische Problemsymbole dagegen eher ablehnen oder ignorieren werden. Und besonders starke klimapolitische Symbolisierungen werden voraussichtlich in Phasen fallen, in denen hierfür politische Kapazitäten zur Verfügung stehen, beispielsweise in Phasen mit relativ günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen (wie 2006/2007).

 

5.3 Situationsspezifische Erklärungen (Rational Choice)

Verhalten sich Akteure im großen und ganzen rational-optimierend, so werden sie auch Symbole in jeder Situation mehr oder weniger stark aufnehmen bzw. kommunizieren, je nach ihren situativen Bedingungen (die sich kombinieren lassen aus funktionaler Nachfrage und kapazitätsbezogenem Angebot). Rational-Choice-Ansätze leisten damit nichts besonderes als eine situative Kombination der erstgenannten beiden Erklärungsansätze. Daneben gibt es noch andere Relativierungen wie Fixierungen, Fehler etc.

 

5.4 Speziellere Prozesserklärungen

Funktionalistische und kapazitätstheoretische Erklärungselemente lassen sich für die konkrete Erklärung symbolpolitischer Prozesse (Veränderungen) gut miteinander kombinieren, etwa mit Bezug auf die skizzierten sechs Phasen der Klimapolitik. So bilden Funktionserfüllungen, so der Abschluss der Klimarahmenkonvention oder des Kyoto-Protokoll sowie das Inkrafttreten dieses Protokolls Kapazitäten für gesteigerte Problemwahrnehmung. Führt diese zu wachsender Intensivität konkreter Problembearbeitung und/oder intensivierter Symbolisierung, bedeutet dies weiteres Kapazitätswachstum, usw. Nach diesem Muster könnten Diffusions- und Aufschaukelungsprozesse (auch quantitativ) analysiert werden (Diffusionsforschung, statistische Prozessanalyse).

Kommt es hierzu allerdings nicht, kann der Prozess einbrechen, ja zurückfallen.  Wollen Sie Genaueres über klimapolitische Prozesse, darunter Prozesse der Symbolisierung, wissen, so müssen Sie sich demnach mit einzelnen Situationen, ihren Akteurkonstellationen und Entscheidungsprofilen, sowie den Verknüpfungsbedingungen solcher Situationen befassen. Dabei können dann doch situationsspezifische Besonderheiten der rationalen und irrationalen Wahlentscheidung  (etwa besondere Interessen am Export klimaschutzbezogener Techniken) eine Rolle spielen  Hinzu kommen weitere Konkretisierungsoptionen, so beispielsweise situative Wahrnehmungs- und Lernkapazitäten.

Zusammen gesehen stellen sich Prozesse klimapolitischer Symbolisierung als recht komplex und damit ergebnisoffen dar, die im Einzelnen (unter Berücksichtigung struktureller und situativer Kontextbedingungen) nachvollzogen bzw. modelliert werden müssen.   

 

6. Schlussfolgerungen für die politische Bildung

Ob Sie aus dem Vorgetragenen irgend welche Anregungen für Ihre politische Bildungsarbeit gewonnen haben, und wenn ja, welcher Art diese Anregungen waren oder sein können, möchte ich erst einmal Ihnen überlassen. Sie bilden Gesehenes und Gehörtes im Rahmen Ihrer eigenen Modellwelt ab und bestimmen, was darin Eingang finden kann und was nicht, bestimmen auch letztlich, was Sie gehört oder gesehen haben.

Werde ich danach gefragt, welche Schlussfolgerungen ich aus der Analyse von Symbolpolitik, etwa in der Klimapolitik, für die politische Bildung ziehe, so verweise ich zunächst auf die Ziele dieser Bildung. Genauso wie die Bundeszentrale für politische Bildung betrachte ich die Förderung der Demokratie, insbesondere die Förderung praktischer Beteiligung an Demokratie, als erstrangiges Ziel dieser Bildung.

Ausgehend von diesem Ziel könnte zunächst gefolgert werden, Symbole demokratischer Willensbildung und eines demokratisch fundierten Regierungssystems in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen – eine traditionell erscheinende Sicht, soweit es um nationalstaatliche Institutionen mit Symbolfunktion geht, so in Deutschland etwa um das Grundgesetz, um Wahl- und Abstimmungssysteme, Bundestag, das Bundespräsidialamt, das Kanzleramt, das Bundesverfassungsgericht usw. Dass selbst diese Aufgabe keineswegs überholt ist, ergibt sich aus dem bestürzenden Wissensmangel über Institutionen der Demokratie. Gerade im interkulturellen Spannungsfeld des Bildungsprozesses der Weltgesellschaft aber erscheint es mir dringend erforderlich, ja überfällig, vitale Demokratie auch in einfach verständlichen und emotional ansprechenden, symbolischen Formen zu verdeutlichen. Hierbei kann und sollte es allerdings nicht allein um formelle Institutionen demokratischer Willensbildung alleine gehen; vielmehr sollte vor allem danach gefragt werden, wie sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen einer offenen Gesellschaft (so nicht prädeterminierter Prozessvorstellung, Pluralität und offenem Zugang/Ausgang), die den Rahmen für vitale Demokratie bilden, symbolisieren lassen – siehe etwa die Symbolfunktion regelgebundenen Wettbewerbs (ohne Betrug und Korruption).

Neben derartigen Systemsymbolen spielen in der offenen, Demokratie förderlichen, Gesellschaft auch Problem- und Aktivitätssymbole öffentlichen Handelns, so der Klimapolitik, eine eigenständige Rolle (anders als in geschlossenen Gemeinschaften, in denen System und Handlungsymbole ineinander übergehen). Leistungsträger der offenen Gesellschaft müssen sich also immer darum bemühen, neben strukturellen Symbolen von Offenheit, etwa Pluralität, und Demokratie, in jedem Problemfeld sachliche Konzepte und möglichst auch einfache Symbole zu finden oder zu entwickeln, die diesen sachlichen Anforderungen bestmöglich gerecht werden.

Symbole sind nicht bäh entsprechend dem Edelman-Verdikt symbolischer Als-ob-Politik, sondern sie sind ein ergebnisoffen analysierbares Element sozialer und politischer Prozesse, das häufig wichtige konstruktive Bedeutung hat. Fehlen in einem Problemfeld schlagkräftige Legitimationssymbole, wird voraussichtlich auch wenig Öffentlichkeit und wenig politische Bewegung in diesem Problemfeld sein (Beispiel Elektrosmog). Fehlt aber politische Bewegung, lebt Demokratie auch nicht.

Die aktive Beteiligung an Demokratie hängt schließlich nicht nur von politischer Partizipation im engsten Sinne ab. Vielmehr ist auch jeder Versuch, soziale und politische Strukturen, Prozesse und/oder Handlungsformen aktiv zu analysieren, ein Schritt aktiver Beteiligung. Nicht nur wirkungskräftige Symbole offener Gesellschaft und Demokratie sollten daher vermittelt werden, sondern vor allem auch Fähigkeiten (selbstbewusste Einstellung und inhaltliche Anregungen) dazu, offene und geschlossene Gesellschaft, Demokratie und Autokratie und eben auch Symbole, symbolische Politik und Symbolpolitik, zu analysieren. Politikanalyse, hier Symbolanalyse und Analyse von Symbolpolitik, fördert politische Bildung. Ja für nicht wenige Menschen bedeutet es, eigenständig und ruhig analysieren zu lernen, einen besonders wichtigen Schritt politischer Bildung. Dementsprechend liegt mir daran, dass nicht vor allem Wissen, sondern Analysefähigkeit (zum dem auch Wissen gehört) vermittelt wird. Dies bezieht sich auch und gerade auf Symbolpolitik.

 

Autor:

Prof. Dr. Volker von Prittwitz

Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft

der Freien Universität Berlin

Forschungsschwerpunkt Vergleichende Politikanalyse

Ihnestr. 26, 14195 Berlin

Email: vvp@gmx.de, Homepage: www.volkervonprittwitz.de