Volker von Prittwitz
Jenseits des
Doping-Dilemmas
Eine neue
Strategie der Anti-Doping-Politik
(Juli 2008)
Zusammenfassung
Alle
Akteure dopingsensitiven Sports stecken in einem Dilemma: Da sie fürchten
müssen, dass sich Konkurrenten durch Doping Vorteile verschaffen, fühlen sie
sich, auch wenn sie Doping im Grundsatz ablehnen, zu Dopingpraktiken oder deren
Hinnahme veranlasst. Damit entsteht hier ein stiller Wettbewerb darum, wer am
effizientesten mit Antidoping-Regelungen umgeht, also gerade noch legal
operiert oder unerkannt dopt. Als mögliche Auswege aus diesem Dilemma werden
drei Strategien diskutiert, 1) die Kontroll-/Sanktions-Strategie, 2) die
Freigabe von Doping, 3) die sportpolitische Höherbewertung und verstärkte
Förderung von Sportformen jenseits des Doping-Dilemmas. Hiervon verspricht
allein die dritte Strategie (Sportförderung jenseits des Doping-Dilemmas) eine
grundlegende Lösung. Bezogen auf noch geförderten Sport in doping-sensitiven
Bereiche muss dagegen weiterhin mit der Kontroll-Sanktions-Strategie vorgegangen
werden.
Summary
All
actors in doping sensitive
kinds
of sports are in a dilemma: Because they fear competitors’ doping, they feel
forced to dope or to accept doping practices even if they are in principal
against doping. Thereby, a silent competition about who deals most effenciently
with current doping regulations comes into beeing. Possible ways out of this
dilemma could be: 1) intensifying doping controls and sanctions, 2)
decontrolling doping, 3) fostering kinds of sports beyond the doping-dilemma. Only
strategy 3) induces a basic solution. It should be combined with strategy 3) regarding
doping-sensitive areas.
1. Das Doping-Dilemma
Alle
Akteursgruppen dopingsensitiven Leistungssports (Leistungssportler, Betreuer,
Ärzte, Mannschaftsleitungen, Sportverbände, Sportministerien, Öffentlichkeit)
stecken in einem unauflösbaren Dilemma: Doping ist zwar mit Risiken belastet,
die unter Umständen gravierend sein können, so dem Risiko der Aufdeckung und
Bestrafung sowie gesundheitlichen Risiken. Zudem wird Doping in der
Öffentlichkeit heute überwiegend abgelehnt. Dopen Konkurrenten, so erhöht dies
aber deren Erfolgschancen beziehungsweise verringert dies die Erfolgschancen nichtdopender Sportler/innen. Entsprechendes gilt, wenn Konkurrenten
relativ wirkungsvoll dopen, ohne dass ihnen dies nachgewiesen werden kann. In
der Furcht vor diesem Dopingvorsprung von Konkurrenten wird trotz allgemeiner
Ablehnung beziehungsweise öffentlicher Sanktionierung von Doping doch immer
wieder gedopt. Ja es entwickelt sich ein stilles Wettrennen darum, wer mit
Antidoping-Regelungen am effizientesten umgeht, also gerade noch legal operiert
oder die Regelungen besonders wirkungsvoll, aber unerkannt unterlaufen kann.
Diese
komplizierte Situationsstruktur lässt sich nach dem Modell des
Vertrauensdilemmas (Gefangenendilemma)
verstehen, wonach sich Akteure, die für die Ausbeutung des jeweils anderen
Akteurs besonders hoch belohnt werden, ohne gegenseitige Verhaltensabsicherung
gegenseitig auszubeuten suchen, auch wenn dies zu einem kollektiv unerwünschten
Gesamtergebnis (hier Doping-Wettrennen) führt. Ausgehend von diesem Dilemma
stellt sich die Frage nach möglichen Lösungsstrategien.
2. Lösungsstrategien
2.1 Kontroll- und Sanktionsstrategie
Im
Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und der praktischen Anti-Doping-Politik
steht bisher die Strategie verschärfter Doping-Kontrollen und Sanktionen. Diese
Strategie hat mehrere Vorteile: 1.) In der Öffentlichkeit entsteht durch
publizierte Kontrollen der Eindruck gezielter Aktivität zugunsten eines
sauberen Sports. Dies schafft Vertrauen, legitimiert die Erhaltung des
jeweiligen Leistungssports und regt den Fluss privater und/oder öffentlicher
Fördergelder an. 2.) Je regulärer (im Wettkampf und Training) kontrolliert
wird, desto mehr geht das Vertrauensdilemma (ohne Information und gezielte
Reaktionsmöglichkeit) in eine Situation kontrollierter Information über. 3.)
Mit Kontroll- und Sanktionsverschärfungen wächst das Risiko, für Doping
bestraft zu werden, und die Erfolgschancen von Sportlern, die nicht dopen,
steigen. Doping verliert insoweit an Attraktivität für rationale Akteure.
Die
Kontroll- und Sanktionsstrategie hat allerdings einige Schwächen. So entstehen
mit der kontrolltechnischen und kontrollorganisatorischen Aufrüstung des
Leistungsports zusätzliche Maßnahmekosten, die üblicherweise durch die
Allgemeinheit zu tragen sind. Vergleichbar mit einem durch Terrorismus hochbedrohten Staat, der einen enorm großen Anteil seiner
Ressourcen in Sicherheits- und Kontrollapparate steckt, wird dopingsensitiver
Leistungssport also zunehmend teuer für die Allgemeinheit. Da bei hochgradig
aufgerüsteten Sportkontrollen Doping vergleichsweise leicht und in hohem Maße
erfasst werden kann, vergrößert sich umgekehrt häufig die Zahl der ertappten
Dopingsünder und es entsteht das Bild eines zunehmend oder regulär
dopingverseuchten Sports. Kontrolltechnisch- und organisatorisch hochaufgerüstete Sportarten sind damit in der Tendenz durch
hohe Kontrollkosten und das häufige Auftreten von Negativsymbolen durch
festgestelltes Doping gekennzeichnet.
Hochgradig
ausgebaute Kontrolltechnik und -organisation impliziert weiterhin das Risiko
der möglichen Fehlkonstruktion von Befunden aufgrund von Helferinteressen im
Kontrollapparat (nach dem Muster des Feuerwehrmannes, der, wenn er seinen Job
zu verlieren droht, einen Brand legt, um eingestellt zu bleiben) oder von
Konkurrenzinteressen (nach dem Muster des Konkurrenten, der einem etwas in die
Suppe träufelt). Der Ausbau von Kontrollorganisation führt daher nicht
unbedingt nur zu Professionalität und Routinekompetenz der Kontrollierenden,
sondern kann auch Misstrauen und Angst verbreiten – eine Wirkung, die den
Zielen des Sports, der ja Freude bereiten soll, diametral widerspricht.
Schließlich
lösen auch verschärfte Dopingkontrollen das skizzierte Doping-Dilemma nicht
zwingend. Dopingtechnisch besonders versierte oder besonders risikofreudige
Akteure können verschärfte Kontrollbedingungen nämlich auch als Anreiz dazu
auffassen, noch innovativer und effizienter zu dopen. Die dann einfahrbaren
Dopingvorteile dürften besonders groß sein, da sich die übergroße Mehrzahl der
Konkurrenten regelkonform verhält. Das Doping-Dilemma ist also auch mit
schärfsten Kontrollen nicht völlig auflösbar. Angesichts dessen stellt sich die
Frage nach anderen, möglicherweise aussichtsreicheren Lösungsstrategien. Eine
besonders rigide Strategie ist die der Dopingfreigabe.
2.2 Dopingfreigabe
Kann
das Doping-Dilemma in dopingsensitiven Sportbereichen nie vollständig aufgelöst
werden, so liegt es nahe, die gesamte Dopingbekämpfung in Frage zu stellen:
Wäre es nicht konsequenter und effizienter, Doping im Leistungssport
freizugeben? Die
Verantwortung für mögliche gesundheitliche Risiken würde dann vollständig den
Sportlern selbst überlassen und der faire Wettbewerb wäre wieder hergestellt,
da alle Sportler grundsätzlich dieselben Wettbewerbschancen einschließlich der
Verwendung leistungssteigernder Mittel hätten. Die
dopingbezogenen Kontrollkosten und Maßnahmerisiken fielen weg. Und
die als Negativsymbole wahrgenommenen Dopingfälle wären kein Thema mehr, womit
der dopingsensitive Leistungssport wieder an Legitimation gewänne.
Für
diese Strategie könnte zudem angeführt werden, dass in zahlreichen Sportarten –
siehe etwa das Rodeln, Skifahren oder den Automobilrennsport – die gezielte
Verbesserung technischer Leistungsvoraussetzungen anerkannter integraler Teil
sportlicher Leistungskonkurrenz ist. Warum sollten dann nicht auch chemische
und medizinische Formen der Leistungssteigerung etwa in der Leichtathletik, der
Schwerathletik oder dem Radsport legitime Komponenten sportlichen Wettbewerbs
sein?
So
sehr diese Argumentation auf den ersten Blick auch überzeugen mag, so
vordergründig ist sie. Denn selbst die sportliche Konkurrenz um die technische
Weiterentwicklung von Schlitten, Bobs oder Automobilen vollzieht sich sehr wohl
regelgebunden – ansonsten würden nämlich groteske Leistungsentwicklungen
zustande kommen, deren menschlicher Sinn gegen Null, deren Risiken aber gegen
Unendlich gingen (etwa Autos, die wegen ihrer übermäßig hohen Geschwindigkeiten
nicht mehr sicher beherrschbar wären und zu verheerenden Unfällen führen
könnten).
Vor
allem aber würde eine völlige Freigabe des Inhalts und der Formen sportlicher
Konkurrenz bedeuten, dass das menschliche Maß verloren ginge. Die ungebunden
leistungsbezogene Konkurrenz würde absehbar zur Ausbildung grotesk
spezialisierter Hominiden führen, die auf spezialisierte Spitzenleistungen
getrimmt wären (Radfahrer mit spezialisierten Herz-Kreislaufsystemen und
Beinen, riesige Hammerwerfer mit gentechnisch konstruierten Wurfarmen und
ähnliches). Chemisch-biologische Mittel der Leistungssteigerung wären also nur
eine – über den Sport öffentlich anerkannte – Durchgangsstation zu gentechnisch
weiterentwickelten Spezialhominiden.
Schließlich
bestünde die Gefahr, dass bei völlig unreguliertem Wettbewerb die jeweils
stärksten Akteure (hinter denen die stärksten
chemisch-biologischen-gentechnischen etc. Kapazitätskomplexe stünden)
sportliche Wettbewerbe nach ihren Interessen beliebig beherrschen und
manipulieren könnten – eine Gefahr, die bei völlig freigestelltem ökonomischem
Wettbewerb häufig auftritt (siehe beispielsweise Großkonzerne, die
monopolistisch über Infrastrukturen verfügen, auf deren Nutzung ihre
potenziellen Mitbewerber angewiesen wären. Die völlige Freigabe von Doping
würde daher in der Konsequenz die Auflösung freien sportlichen Wettbewerbs
bedeuten.
2.3 Höherbewertung und besondere
Förderung von Sport jenseits des Doping-Dilemmas
Ein
dritter, bisher wenig thematisierter, Ansatz von Antidoping-Politik besteht
darin, wenig oder nicht dopingsensitive Sportformen und Sportbereiche besonders
zu fördern und sportpolitisch zu favorisieren. Dabei geht es vor allem um
Sport, in dem die Freude an der sportlichen Tätigkeit an sich im Vordergrund
steht und (konkurrenzorientiertes) Doping daher sinnlos ist. Derartiger Sport
jenseits des Dopingdilemmas besteht insbesondere in Formen des
erholungsorientierten Freizeitsports – siehe etwa den inzwischen auf der ganzen
Erde beliebten Freizeitkick. Doping ist hier nicht nur überflüssig, sondern
eine geradezu lächerliche Option, da der jeweilige Leistungsvergleich zwischen
Freizeitkickern von verschwindend geringer Bedeutung ist im Vergleich zur
Freude am Fußballspiel an sich. Sport dieser Art ist also nicht dopingsensitiv,
vollzieht sich jenseits des Doping-Dilemmas. Ähnliches gilt für Funsportarten wie Drachenfliegen, Bungee-Jumping
oder Flussabfahrten, bei denen es für die Beteiligten ausschließlich um ihr
unmittelbares Erleben geht. Selbst wenn Funsportler
einmal ihr Erleben durch Drogen steigern möchten, handelt es sich dabei nicht
um Doping, da keine Wettbewerbssituation besteht und damit auch nicht versucht
wird, Leistung wettbewerbsverfälschend zu steigern.
Werden
Sportbereiche jenseits des Doping-Dilemmas, dabei der Schul-, Hochschul-,
Betriebs- und Freizeitsport, gegenüber dopingsensitiven Sporttypen favorisiert,
so verbessert dies die Chancen zur Verbreitung dopingfreien Sports. Die
Sportpolitik besinnt sich wieder stärker auf ihre ursprünglichen Kernziele:
Freude an sportlicher Betätigung zu ermöglichen und die allgemeine Gesundheit
zu fördern. Gestärkt werden damit schließlich auch weiche soziale Normen, so
insbesondere Fairnessnormen – ein Impuls für die Verbreitung von Institutionen
der offenen Gesellschaft auch jenseits des Sports.
Mit
dieser Strategie gewinnt nicht nur der Freizeitsport,
sondern generell auch komplex interaktive Sportdisziplinen an Gewicht. In
derartigen Disziplinen, so allen Ballspielarten und verwandten Sportarten,
beispielsweise Fußball, Handball, Hockey, Eishockey, Basketball, Volleyball
oder auch Tennis und Badminton, ist Doping zur physischen oder psychischen
Leistungssteigerung zwar praktisch nicht ausgeschlossen; die Chance, damit zum
Erfolg zu kommen, ist aber deutlich geringer als in Sportarten mit
vergleichsweise einfachen biomechanischen Leistungsprofilen (wie
Schwerathletik, Leichtathletik oder Schwimmen). In komplex interaktiven
Sportarten hängt nämlich ein Großteil des sportlichen Erfolgs von interaktiven
Abläufen ab. Hier aber kann sich Doping zweischneidig, unter Umständen sogar erfolgsmindernd auswirken, so etwa, wenn ein gedopter
Spieler bestimmte Bewegungsabläufe besser, andere aber schlechter ausführt oder
überaggressiv reagiert und deshalb des Feldes verwiesen wird.
Werden
komplex-interaktive Spielsportarten gegenüber relativ einfachen biomechanischen
Leistungsvergleichen sportpolitisch favorisiert, dürfte dies also die Bedeutung
von Dopingpraktiken zwar nicht beseitigen, aber doch tendenziell verringern.
Zudem würde sich der Sport auch in reflektierter Form in
allgemeingesellschaftliche Wandlungsprozesse einfügen. Ähnlich wie in der
Arbeitswelt würde damit nämlich auch in der Sportwelt ein tendenzieller Wandel
von einfachen zu komplex-interaktiven Tätigkeiten gefördert. Eine derartige
strukturelle Antidoping-Politik dürfte allerdings auf erhebliche Widerstände
der Vertreter klassischer Individualsportarten stoßen. Zusätzlich Einwände
ergeben sich in vergleichender sportpolitischer Sicht.
3. Vergleichende Feststellungen zur
Doping-Problematik und Antidoping-Politik
Sowohl
im (historischen) Längsschnitt- wie im aktuellen Querschnittsvergleich zeigen
sich charakteristische Muster der Dopingproblematik und Antidoping-Politik. So
haben in den letzten Jahrzehnten in OECD-Ländern wie Deutschland sportliche
Antidoping-Einstellungen an Bedeutung verloren. Dopingversuche
gibt es zwar etwa im kompetitiven Fahrradsport seit
jeher; mit der Entwicklung vielfältiger relativ leichter Dopingmittel, vor
allem aber auch der Ausweitung und verstärkten Ökonomisierung des Berufssports,
ist Doping aber für die Beteiligten attraktiver geworden, ja es hat sich in
einzelnen Sportarten, so der Schwer- und Leichtathletik (aber auch in Teilend
des Schwimmsports und anderen Sportarten) eine reguläre Dopingkultur
entwickelt. Möglicherweise auch beeinflusst durch diese Entwicklung, die
für Zuschauer und Teilnehmer alles in allem die Attraktivität von Sport
vermindert, haben besonders dopingsensitive Sportarten relativ zu
nichtdopingsensitiven Sportarten an Bedeutung verloren. Demgegenüber haben
komplex-interaktive Sportarten, insbesondere Mannschaftsspiele, weiter stark an
Bedeutung gewonnen – ein dopingvermindernder Trend,
der sich zudem fortzusetzen scheint.
Mit diesen allgemeinen Sportentwicklungen verändern
sich tendenziell die internationalen Beteiligungs- und Leistungsprofile an
einzelnen Sportarten: Während dopingsensitive Individualsportarten des
biomechanischen Leistungsvergleichs (wie Leichtathletik, Schwerathletik,
Schwimmen) noch vor wenigen Jahrzehnten stark oder vollkommen durch Länder der
nördlichen Hemisphäre dominiert waren, (wobei sozialistische Länder wie die
Sowjetunion und die DDR Erstaunliches
leisteten), beteiligen sich heute gerade an der Leichtathletik Athleten aus
allen Kontinenten. Dabei sind
inzwischen nicht selten Sportler/innen aus Schwellenländern und armen Ländern
besondere Leistungsträger (Beispiel: Dominanz ostafrikanischer Länder in den
Mittel- und Langstrecken-Laufdisziplinen). Wirtschaftlich hochentwickelte
Länder dagegen haben in solchen Sportbereichen stark an Stärke und Beteiligung
verloren, wobei sie noch am ehesten in besonders technischen Teildisziplinen
Erfolge haben (Deutschland im Speerwerfen, Diskuswerfen, Kugelstoßen und
Hammerwurf).
Demgegenüber
dominieren Pionierländer und klassische Länder in relativ wenig
dopingsensitiven komplex-interaktiven Sportarten wie Fußball, Handball, Rugby
oder Tennis bis heute, obwohl diese inzwischen weltweit betrieben werden und
sich damit eine scharfe globale Leistungskonkurrenz entwickelt hat. Damit
ergeben sich forschungsrelevante Assoziationen zwischen der Entwicklung von
Beteiligungs- und Leistungsstrukturen an Sportdisziplinen, der jeweiligen
Dopingsensitivität und Trends der allgemeinen Wirtschafts- und
Gesellschaftsentwicklung.
4. Empfehlungen
Die
bisher dominierende Antidoping-Strategie verstärkter Kontrollen und Sanktionen
erscheint zwar naheliegend; sie löst das grundsätzliche Dopingdilemma aber
nicht. Zudem sind mit der kontrolltechnischen und kontrollorganisatorischen
Aufrüstung tendenziell stark steigende Maßnahmekosten und atmosphärische
Nachteile verbunden. Auch die Strategie der Dopingfreigabe löst das Problem
nicht – im Gegenteil: Sie ordnet sportliche Normen völlig dem individuellen
Erfolg unter und würde, soweit zu erkennen, zu desaströsen Fehlentwicklungen
führen.
Demgegenüber
erscheint in und seitens Ländern wie der Bundesrepublik
Deutschland eine kombinierte Antidoping-Strategie vergleichsweise
aussichtsreich. Dabei werden die Dopingkontrollen und Dopingsanktionen in
dopingsensitiven Sportdisziplinen verstärkt, so dass sich die
Kosten-Nutzen-Relationen für potenzielle Doper
verschlechtern. Dopingsensitive Disziplinen des Leistungssports wie das
Gewichtheben, die Leichtathletik oder der Radrennsport erhalten nur noch dann
(begrenzte) öffentliche Unterstützung, wenn sie scharfen öffentlichen Kontroll-
und Sanktionsanforderungen genügen. Demgegenüber werden wenig oder nicht
dopingsensitive Sportbereiche, insbesondere alle Formen des auf Freude und
Erholung gerichteten Freizeitsports, verstärkt gefördert und gegenüber
dopingsensitiven Bereichen favorisiert.
Schwellenländern
und armen Ländern, die im internationalen Leistungssport vorwiegend
internationale Anerkennung und finanzielle Zuflüsse (durch Verbände und
mögliche Gewinne ihrer Spitzensportler) suchen, erscheint eine solche
dopingbezogene Reform der Sportpolitik dagegen voraussichtlich wenig attraktiv.
Auch diese Länder haben das selbstverständliche Recht, ihnen alle praktisch zur
Verfügung stehenden legitimen Kapazitäten und Entwicklungspotenziale des Sports
wahrzunehmen. Hierbei müssen sie allerdings die Einhaltung scharfer
dopingbezogener Regularien akzeptieren und tendenziell selbst tragen –
eine qualitative Veränderung der Rahmensituation gegenüber der sportpolitischen
Phase ab Mitte des 20. Jahrhunderts, als Länder wie die Sowjetunion und die DDR
mangels technisch-medizinischer Kontrollkapazitäten und mangelnder
internationaler Kontrollorganisation exorbitante Erfolgsvorteile für sich durch
Doping erreichten.
Die
Verantwortung für eine umfassende internationale Antidoping-Politik liegt im
Augenblick im Besonderen bei den kapazitätsreichen Mitgliedsländern der
internationalen Sportverbände. Tendenziell soll und kann sie aber – wie in
anderen Politikfeldern, so der Klimapolitik – voraussichtlich stärker globalisiert
werden.
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Der
Autor, Prof. Dr. Volker von Prittwitz, lehrt Politikwissenschaft an der Freien
Universität Berlin (siehe www.volkervonprittwitz.de). Von ihm ist erschienen: Vergleichende
Politikanalyse, Stuttgart 2007 (UTB 2871).