Sollte einer meiner Nachbarn auf die Idee kommen, meinen kleinen blechernen Briefkasten im Hausaufgang näher zu inspizieren, so aus reiner Neugier und natürlich nur mit den besten menschlichen Vorsätzen, so könnte dieser oder jener zu dem Schluß kommen, daß die junge Dame im dritten Stock keinerlei Kontakte schriftlicher Art pflegt und sich scheinbar auch nicht für Printmedien interessiert. Dabei ist sie doch Studentin, oder nicht? Lesen die nichts mehr? Schreiben die niemanden?

Aber was meine kleinen zerzauselten Nachbarn nicht wissen können ist, daß dieser Schein schlicht und einfach trügt. Tagtäglich flattert mir Post elektronischer Art und Weise ins Haus. Darum flugs die Kiste angeworfen:

Sie haben Post!

Ja, feine Sache! Da hat mir doch ein guter Freund aus Hamburg ein paar liebe Grüße und einen Konzeptentwurf für seine Diplomarbeit ge-emailt. Ich soll mal beizeiten einen Blick darauf werfen und ihm meine Meinung dazu mitteilen, Verbesserungsvorschläge willkommen. Na klar doch. Meine Süße aus Charlottenburg schreibt mir ihren Wochenendablauf - nicht ohne mir ein Grinsen zu entlocken und mein Liebster sendet mir zweideutige Bildchen. Aber Hoppla.

Aus Bolivien bekomme ich Post von meiner Besten, die für ein halbes Jahr dort ihr Praktikumssemester absolviert. Die Post von Bolivien nach Berlin dauert unglaublich lange, aber dank elektronischer Verbindung komme ich fast jeden dritten Tag in den Genuß von ihr zu hören und von mir hier in Berlin zu berichten. Den Blick auf die Uhr spare ich mir, denn aus Erfahrung weiß ich nun schon, daß mich die ganze Sache hier jetzt wieder ein wenig Zeit kostet. Zwischen all den mir bekannten Absendern erspähe ich nach Beendigung meiner privaten E-Mail-Post meine täglichen abonnierten News. Schnell durchgeschaut, Links aufgerufen, zu Favoriten dazugefügt und interessante Informationen heruntergeladen. Das könnte auch für X/Y von Wert sein.

Für meine Hausarbeiten fehlt mir noch passende aktuelle Literatur. Suchmaschine aufrufen, Bücher suchen. Ein paar Online-Texte zu meinen Themen gibt es auch und die elektronischen Archive geben einiges her. Soso. Gleich mal schauen, vielleicht findet sich hier und da ein Gedankengang, der mir auf die Sprünge hilft. Nebenbei findet sich im Netz bestimmt auch die Komplettlösung zu meinem neuen Computerspiel. Sicher ist sicher. Na, wer sagsts denn.

Des Abends überkommt mich die Spiellust. Ich klicke mich durch die zahlreichen MUSHes und MUDs und entscheide mich dann doch wieder für die mir schon bekannten. Nach einer Stunde wird es fad. Die Textoberfläche ermüdet auf die Dauer. Also schnell raus hier, Suchmaschine auf und nur zur Unterhaltung einfach rumstöbern im WWW.

Ich glaube mir ist langweilig.

In der Jobbörse findet sich ein interessantes Angebot. Ich schicke meine Bewerbung per e-Mail. In einer Download-Area findet sich ein nettes Shareware-Programm - das nehme ich mit.

Ich habe da doch letztens so eine nette junge Dame kennengelernt. Ob die wohl im Internet zu finden ist? Na wer sagt's denn. E-Mail-Adresse angeklickt und ein paar nette Worte geschrieben.

Mir wird schwummerig, wenn ich an meine Telefonrechnung denke! Also erstmal für das gute Gewissen wieder offline gehen.

Wie schon so spät? Hat hier wer an der Uhr gedreht? Ich sag's ja, mein Computer ist der reinste Zeitfresser: lost in time and space.


Wunderschön die Aussicht und erst die gute Luft!

Ja, so ein Ortswechsel ist schon was feines. Das Hotel ist auch erstklassig, aber daß verriet mir ja schon der virtuelle Hotelführer.

"Bei uns kaufen Sie nicht die Katze im Sack. Lassen Sie sich von uns in 3D und interaktiv durch die besten Hotels und Restaurants der Stadt führen", stand in großen Lettern vor einigen Tagen auf der Internet-Seite meines virtuellen Reisebüros. Eine E-Mail unterrichtete mich darüber, daß die Tickets hinterlegt seien und das aufgrund meiner persönlichen Angaben entsprechende Vorrichtungen im Hotel getroffen werden. Alle Zimmer hätten selbstverständlich Internetanschluß. Bei Wunsch würden auch entsprechende Kommunikationssysteme bereitgestellt. Nicht nötig, denn jetzt sitze ich hier mit meinem Lab-Top und checke bereits meinen Terminplan. Als erstes steht ein Telefongespräch in die Schweiz an. Videokamera also eingeschaltet. Schnell rücke ich mir noch die Frisur etwas zurecht und logge mich ein. Mein Gegenüber ist entzückt und das Gespräch verläuft positiv. Per Internet bestelle ich gleich im Anschluß den Flug in die Schweiz.

Bevor es an den Strand geht, diktiere ich ein paar Briefe. Die müssen heute unbedingt noch rausgeschickt werden. Während ich spreche, beobachte ich, wie sich die Zeilen Wort für Wort füllen. Nebenbei gieße ich mir noch etwas Tee nach und suche meine Badesachen zusammen. Briefe sind fertig. Gut. Senden per E-Mail.

Mal schauen, ob daheim auch alles in Ordnung ist. Ich logge mich auf meine Festplatte im entfernten Berlin ein. Kurz darauf erscheint das mir bekannte Bildschirmmenü. Haushaltsorganisation. Der Computer fragt mich, ob er die verbrauchten Lebensmittel nachbestellen soll. Ich berühre den Bildschirm bei OK und verschiebe den Liefertermin auf 5 Tage. Bis dahin bin ich wieder zu Hause. "Angebote im Netz vergleichen und günstigstes auswählen?" Selbstverständlich, darum bitte ich. Da könnte ich doch gleich die gute Schokolade aus der Schweiz und den Wein von diesem hervorragenden italienischen Händler mitbestellen. Aber ich sollte doch lieber erst einmal meinen Kontostand checken. Alles im grünen Bereich. Bestellung kann also erfolgen.

Eine nette Lektüre für den Strand fehlt mir noch. Aha. Da sind ja auch schon zwei Literaturhinweise von meinem Lieblingsautor. Das ist genau das richtige.

"Dateien laden?" Oja bitte. Ich stöpsele das E-Book an die entsprechende Vorrichtung und drücke: OK. Die täglichen News haben auch noch Platz.

So das wäre erledigt. Ich sollte nur noch schnell meine e-Mails abrufen. Super, die Unterlagen für den Termin in der Schweiz sind angekommen. Diese Informationsagentur ist wirklich gut. Die finden alles und recherchieren erstklassig.

Der Download für den Film steht zur Verfügung. Na da habe ich doch für heute Abend nach der Videokonferenz schon was feines zum Entspannen.

Jetzt aber nichts wie zum Strand mit meinem E-Book und den News. Den Lap-Top lasse ich lieber da, sonst bin ich doch nur wieder am werkeln. Schließlich sollte das hier ja Urlaub sein.