[1998] [2008]



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Ach ja, der Wecker. Eigentlich ist es ja gar kein Wecker, eher ein kleines, rappelndes Biest, das ursprünglich von Motorola als Funkrufempfänger gedacht war. Noch etwas müde drücke ich auf einen der drei Knöpfe. Nach zwei Minuten vibriert das Kunststoffgehäuse wieder. Ach so: Ich muß gar nicht aufstehen, jemand hat mir eine Nachricht auf den Pager geschickt.
Hmm, mal sehen:
2: 3 user489300 mitc.net - Grand prize!! 10 day trip to Hawaii! Enter drawings!
Gut. Ich wurde also mal wieder von Spammail geweckt. Irgendwann werde ich alles so konigurieren, daß Spam in der Nacht nicht mehr meinen Pager erreicht, doch dazu werde ich mindestens einen Tag brauchen, programmieren müssen und dann immer noch keine zuverlässige Lösung haben.
Warum lasse ich das Ding denn nachts überhaupt an? Die einzige sinnvolle Funktion, die es ausführen kann, ist, mich aus dem Schlaf zu reißen. Ich muß wohl ein Kommunikationsjunkie sein. Außerdem schlafe ich schnell und entspannt wieder ein.
Oh, der Pager meldet sich schon wieder. Diesmal ist es aber tatsächlich die Weckfunktion. Ich muß ja auch unbedingt ein Nebenfach studieren, das Veranstaltungen um acht Uhr beginnen läßt. Dunkel ist es auch noch. Toll.
Ich stehe auf, schalte den Rechner ein und verlasse den Raum, weil ich morgens das Geräusch des anlaufenden Bandlaufwerks nur schwer ertagen kann.
Gefrühstückt, geduscht. Du meine Güte, heute hat das Quix aber viel zu tun. Es muß schon eine Weile versucht haben, sich meiner Aufmerksamkeit zu versichern, denn mittlerweile ist es von dem Zeitungsstapel, auf dem es liegt, auf den Boden gewandert. Diesmal ist es eine Mail, die mir schon im Betreff sagt, daß die Veranstaltung, wegen der ich heute so früh auf gestanden bin, ausfällt.
Strg+Alt+U. Der Rechner erwacht aus dem Stromsparmodus und merkt, daß ich das Mailprogramm aufrufen möchte. Ja, ich möchte die Mail abrufen und danach offline gehen. Nach ca. 10 Dialogschritten habe ich dann die neuen Mails auf dem Rechner. Schön, die Mail hat der Dozent schon gestern Abend geschrieben, sie ist aber bei einem der zwei Mailweiterleitungsdienste, die ich benutze, knapp zehn Stunden hängengeblieben.
Aber alles hat sein Gutes: Zu der Zeit, als die Mail geschrieben wurde, saß ich gerade in der U-Bahn. Da hätte der Pager keinen Empfang gehabt und ich befände mich jetzt schon in der Kälte auf dem Weg zur Uni.
Einige weitere Mails sind auch noch angekommen: Es gibt eine neue, endlich um die dümmsten Bugs bereinigte, PowerZip-Version. Außerdem haben wir da zwei Mails mit dem gleichen Inhalt, die mir davon erzählen, welche Telefonanbieter um Weihnachten herum günstige Tarife anbieten.
Vielleicht werde ich dann mal Tobi über RSLCom anrufen. Kerstin schreibt, daß sie noch nicht wisse, wann und wo wir uns heute Abend treffen könnten, weil sie viel arbeiten müsse. Sie will mich von der Arbeit aus anrufen. Schön, daß ich den ganzen Tag unterwegs sein werde. Egal.
Da ich ja jetzt Zeit gewonnen habe, gönne ich mir PowerZip. Reboot. Na bitte: Funktioniert.
Wie gut, daß es freie Software gibt.
Ich habe immer noch Zeit und aktualisiere ein bißchen das Webangebot der Publizisten. Hinke schon wieder hinterher. Naja, sie können sich auch nicht beschweren, schließlich machen wir den Job ja unentgeltlich.
Mir fällt ein, daß ich ja heute Mittag einige Stunden frei haben werde. Wie komme ich also am schnellsten mit der tollen BVG von Dahlem in den Proberaum, daß ich noch etwas trommeln kann? www.bvg.de. "Wollen sie unseren Java-Fahrinfo-Client oder die eingeschränkte Abfrage mit Formularen?" Eingeschränkt? Nee, danke. Gib mir Java. Daten werden übertragen. Bitte? 956KB für eine kleine Abfrage. Egal. Wir haben’s ja.
Zum Glück habe ich mich über Snafu und nicht über die Uni eingeloggt. So kommen die Daten mit voller ISDN-Übertragungsrate zu mir. Fein, er hat aufgehört zu laden. Was ist denn jetzt? "Error: Can’t start Applet fgi."
Gut, ihr wollt mich nicht. Liegt es an Netscape 4.5? Werde ich es jemals erfahren? Man könnte der BVG jeden Tag einige Kilobyte geballten Haß zukommen lassen. Warum also sich darüber noch aufregen?
Eingeschränkte Abfrage. Wie hieß nochmal die dumme Haltestelle?!? Nachdem die BVG alle drei Spontanversuche abgewiesen hat, bemühe ich in einem neuen Browserfenster meine Bookmarks und wähle den Stadtplandienst. Genau: Es heißt ja nicht Bölkestr. sondern Boelckestr. - ich Dummchen. Jetzt spielt auch die BVG mit und die günstigste Route kommt aus dem Drucker.
Wäre ich nicht mit dem BVG-Servicetelefon besser weggekommen? Wäre es nicht schneller gegangen, hätte ich nicht weniger Telefonkosten erzeugt? Mag sein. Aber die Leute, die die BVG unter 19449 ins Callcenter setzt, sind meistens hochgradig unfreundlich und fangen dann an, die fünf günstigsten Routen vorzulesen, die man dann eifrig mitschreiben muß. "Ein Fax schicken" ist für die BVG kein Servicemerkmal.
Die aktualisierte Seite für kommwiss.fu-berlin.de ist jetzt auch schon online. Kontrollbesuch: Mist, warum zeigt der Browser den kleinen Pfeil da nicht an? Immer diese Tippfehler. Schaff‘ Dir doch endlich mal ein visuelles Tool für HTML an! Wer schreibt schon heute noch HTML-Quellcode?
Ein Blick in die Zeitung (offline ;-), dann konfiguriere ich noch die Anrufbeantwortersoftware um und verlasse das Haus Richtung Uni.
15:30. Vorlesung. Wieder mal reißt mich das Quix aus dem Halbschlaf meiner Totpunktzeit am Nachmittag. Auf dem Display steht: "Anruf von Kerstin (Arbeit) auf Leitung1".
Wie geht das denn? Ich habe dem Anrufbeantworter, der unter Windows am ISDN hängt, gesagt, daß er eine Mail an das Quix schicken soll, wenn Kerstin anruft. Der AB hat nun anhand der übermittelten Rufnummer erkannt, daß das Reisebüro, in dem die Kerstin arbeitet, der Urheber des Anrufs war. Nach Beendigung der Verbindung hat sich das Programm ins Netz eingewählt, die Nachricht geschickt und die Verbindung (hoffentlich) getrennt.
15:45. Das Kartentelefon im Foyer ist überraschenderweise mal nicht umlagert. Das scheint an manchen Fachbereichen Trend zu sein: Die Leute telefonieren mit dem Handy.
Als ich nun den AB aus der Telefonzelle abhöre, sind dort wieder einige Stimmen zu hören, die ihrer Forderung, ich solle mir endlich ein Handy kaufen, reichlich genervt Ausdruck verleihen. Ich werde das wohl bald tun müssen. Komisch, daß kaum jemand bei einem Pager anruft - ein Gespräch per Handy wird doch meist genauso teuer.


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Ach ja, der Wecker. Eigentlich ist es ja gar kein Wecker, sondern Teil meines PINE (personal information network). Das Gerät, das jetzt gerade den Weckschall erzeugt hat, ist ein Flachdisplay, das sich an der Seitenwand des Nachttisches festgesaugt hat. Im Liegen äuge ich auf den Schirm. Die BioWizards-Aktie hat im Computerhandel um knapp sieben Prozent zugelegt. Damit haben sie im letzten Monat mehr als 30% Wertsteigerung erfahren. Wir haben vorher investiert, weil die Computerbiologinnen, die die StartUp vor vier Monaten gegründet haben, wirklich gute Visionen für eine vernetzte Informationsgesellschaft haben, die endlich nachhaltig intelligent mit den Ressourcen umgeht. Sie entwickeln die Technologien dafür. Außerdem ist vor drei Stunden eine Nachricht mittlerer Priorität von Kendra eingetroffen. Ich weiß nicht, wer die Nachrichten niedriger Priorität erfunden hat. Niemand hat sie je benutzt.
Kendra jedenfalls sagt mir auf dem Video, daß sie etwas Tolles herausgefunden habe und daß ich doch, wenn ich dann ausgeschlafen haben würde, sie mal zurückrufen solle. Sie sagt ‚gimme a call‘, wie das unsere generation noch tut. Die Studenten, die meine Firma heute von der Uni holt, sagen meist ‚gimme a ping‘, obwohl ich diesen Ausdruck total bescheuert finde.
"Bitte Kendra anrufen," sage ich, knapp zehn Sekunden später bin ich mit ihr per Videokonferenz verbunden. Weil ich das 90er CNN-Theme gewählt habe, steht in ihrem Bildfenster ihr Name und ‚Live from Bali (Indonesia)‘ in weißer Schrift mit rotem Balken. Ich löse das Display vom Schrank, stehe auf und halte es etwas tiefer als Augenhöhe vor mich. Dann lasse ich das 200$-Gerät los. Jetzt macht es alle meine Bewegungen mit und schwebt immer so, daß mich das Kameramodul, das hinter Kendras Gesicht auf dem Schirm liegt, im Blick hat.
Sie erzählt mir begeistert, was sie gerade für bahnbrechende Erkenntnisse über traditionelles balinesisches Gamelan, über das sie forscht, gewonnen hat. Ich dusche mich derweil und ziehe mich an. Unter der Dusche wird Kendras Stimme über die Raumlautsprecher verstärkt, die Wassergeräusche werden für sie herausgefiltert.
Sie blendet ein zusätzliches Video auf meinem Schirm ein und versucht es mir zu erklären. Ich fühle mich ziemlich monokulturell, fasse das Display an den Rändern und ziehe daran, so daß es seine Anzeigefläche vergrößert. Jetzt kann ich das Orchester, über das sie spricht, besser sehen. Die Auflösung des Displays beträgt ca. 2000 dpi. Wir quatschen noch etwas - bei weltweiten Pauschalpreisen für eine bestimmte Bandbreite (bei mir ‚Professional‘ für ca. 2 GigaBit/s) ist das gar kein Problem.
Als ich dann mit dem Frühstück fertig bin, beenden wir das Gespräch und ich schaue mir die Geschäftspost auf der Terrasse an. Das PINE hat schon alles nach Priorität geordnet und Handlungsoptionen entworfen. Ich schließe mich mit den Entwicklern kurz und bespreche Kundenwünsche und deren Realisierbarkeit. Zum Arbeiten ziehe ich mein Display meistens auf ca. einen Meter auf, damit ich alle nötigen Informationen im Blick habe. Nur wenige Berührungen braucht das Display. Die meisten Kommandos empfängt das System per Stimme.
Bei Signaturen bin ich altmodisch. Meine Unterschrift wird erst akzeptiert, wenn Stimme, Retina-Face-Scan und Daumenabdruck zueinander passen.
Daß die Anwendungen alle das Internet, beziehungsweise das VPN meines Unternehmens nutzen, merkt man nicht mehr. Die Verbindungen bauen sich dynamisch auf und wieder ab, Verbindungen zwischen verschiedenen Diensten und Netzen muß man heute nicht mehr aufwendig konfigurieren, nachdem es eine einheitliche Programmierschnittstelle für Kommunikationsservices gibt. Viele Geräte implementieren diese Standards schon heute. Aber die FlyingVisuals von ITNG Inc., einer weiteren, von uns unterstützten StartUp, die vor einem Jahr auf den Markt kamen, haben die Kommunikationslandschaft revolutioniert, so daß sie heute als Universalgeräte dienen.
Dabei kommt ihnen ihre klevere Antriebs- und Befestigungstechnologie genauso zugute, wie ihre Flächenverstellbarkeit durch die sie sowohl als Handies, als auch als Präsentationsfläche dienen können.
Das größte Benefit, das bis dahin noch von keinem Infodevice geboten wurde, ist aber die Möglichkeit, ein GUI-Interface mit dem heimischen PC oder den Rechnern in der Firma herzustellen. Da sich Linux nach der großen Microsoft-Konfusion 1999 gut durchgesetzt hat, liegt dahinter die X-Technologie.
Diese Funktion hat dann auch ganz schnell die emailWatches und Webphones verdrängt.
Allen Unkenrufen zum Trotz, wie sie vor 10 Jahren auf der Comdex und danach immer wieder laut wurden, ist der PC als komplexer Datenspeicher und Rechengerät nicht wegzudenken. Niemand will wirklich seine privaten Daten - Verschlüsselung hin oder her - bei OnlineStorage-Companies parken.

FVs nutzen nun die Rechenleistung des PC und steuern ihn fern. Der User sieht nur die Bildschirmausgabe auf dem FV, während auf dem PC das Officepaket läuft. Für Conferencing-Dienste benutzen die FVs aber meist nicht den PC, lesen lediglich aus seiner Datenbank Adressinformationen, wie die Adresse von Kendra und stellen die Verbindung über das gerade verfügbare Netz her.
In meinem Fall handelt es sich dabei um eine DECT3-Funkzelle, die als hausinterne Kommunikationszentrale dient und über den UCP, den UniversalComPlug, ans Glasfasernetz angeschlossen ist.
Bin ich irgendwo unterwegs, sucht sich das FV die bestmögliche Verbindung heraus (Zellulärfunk, Satellit oder ein anderes, privates, gerade nicht benutztes, privates DECT3-Netz).
Dadurch arbeite ich immer seltener direkt an der Konsole des PC, sondern einfach überall. Zum FV gibt es zusätzliche Eingabegeräte, die man bei Bedarf drahtlos mit ihm verbindet. Wenn ich zum Beispiel in meinem kleinen Homestudio am Schlagzeug sitze, steht neben mir ein Keyboard, über dem das FV schwebt. Ich schreibe neue Songs, indem ich Keyboard, Drums und manchmal auch meine alte E-Gitarre benutze und die Texte dazu direkt ins FV diktiere oder dem Computersystem Melodien vorsinge. Die Sequencersoftware läuft auf dem PC im ersten Stock und schreibt meine Ideen eifrig mit. Bin ich dann fertig, schicke ich der Band eine Mail mit einem Link mit dem für sie freigeschalteten Song, über den wir dann schon vor der nächsten Probe, zu der wir uns meist altmodisch noch alle persönlich treffen, diskutieren können.
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