Die Rettung Schiffbrüchiger

Seit Christi Zeiten und vielleicht auch noch davor haben Seefahrer die Wasserwege vor unseren Küsten für friedlichen Handel, aber auch kriegerische Auseinandersetzungen genutzt bzw. benutzt. Kam ein Schiff und dessen Besatzung in Not, blieb es lange Zeit mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob man z. B. von Land aus etwas zur Rettung unternahm oder nicht. Oft rettete man nicht, sondem erschlug die Überlebenden eines Schiffsunglücks, um sich so leichter an Schiff und Ladung bereichern zu können. Erst nach und nach, nicht selten unter Androhung drakonischer Strafmaßnahmen seitens der Landesherren, ließ dieses Unwesen nach.

Die Strandung der Dreimastbark 'Johanne' 1854 vor Spickeroog mit 77 Toten, brachte, unterstützt von einem neuen, humaneren Zeitgeist, ein Umdenken. Nach langen, schwierigen Verhandlungen schlossen sich am 29. Mai 1865 in Kiel fast alle der vielen kleinen örtlichen Rettungsvereine zu einem nationalen Rettungswesen zusammen.

Es war die Geburtsstunde der
Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

Unter den Gründern ragen zwei Persönlichkeiten hervor: Der Bremer Dr. A. Einminghaus, der viel für diesen Zusammenschluß tat, und der erste Vorsitzende der Gesellschaft, H. H. Meier, Gründer und Förderer des Norddeutschen Lloyds. Letzterer blieb bis zu seinem Tode 1898 an der Spitze der D.G.z.R.S.Er ruhte nicht eher, bis 1888 auch die letzten an der Ostsee bestehenden Rettungsstationen der preußischen Regierung der Gesellschaft beitraten. Kommt es heute vor unserer Küste zu einem Notfall, sind die modernen und leistungsstarken Seenotrettungskreuzer der Gesellschaft, oft in Zusammenarbeit mit den SA-R- Hubschraubern der Bundesmarine, schnell zur Stelle. Das war nicht immer so. Lange Zeit mußten die mutigen Rettungsmänner mit primitiven Mitteln, zumeist nur mit offenen Ruderbooten, ihr Hilfswerk versehen. Nicht wenige Einsätze blieben so ohne Erfolg, und eine Reihe von Männern der Gesellschaft kamen bei ihrer harten Arbeit ums Leben.

An Ideen für modernere Rettungsmittel hat es auch schon vor über 100 Jahren nicht gefehlt. Spleenige, aber auch brauchbare Neuerungen kamen vor allem aus England. So hatte dort ein Hauptmann Manby aus Yarmouth den Einfall, per abgeschossener Kanonenkugel mit daran befestigter Leine eine Verbindung zum gestrandeten Schiff herzustellen.Unter Zuhilfenahme weiterer Leinen und eines mit Korkholz besonders schwimmfähig gemachten Korbes konnten die Schiffbrüchigen dann an Land geholt werden.
Für die schwierigen Rettungseinsätze an den englischen Steilküsten mit hoher Brandung war Manby's Erfindung segensreich. Mußten vorher die Retter an Land oft tatenlos zusehen, wie die Seeleute vor ihren Augen umkamen, so konnten sie jetzt helfend eingreifen. Die Weiterentwicklung von Manby's Konstruktion war der Raketenapparat. An Stelle von Kanone und Kugel traten Abschußrohr und Rakete mit größerer Zielgenauigkeit und Reichweiten von einigen hundert Metern. Auch der Korb hatte ausgedient, die Hosenboje ersetzte ihn.

Seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts fand der Raketenapparat, heutiger Name Leinenschießgerät, auch an den deutschen Küsten breite, erfolgreiche Verwendung. So heißt es in der Statistik der Gesellschaft von 1915, daß sie bis dahin in 115 Fällen 609 Menschen mit dem Gerät aus Seenot rettete.Heute kommt dieses Rettungsmittel von Land aus kaum noch zum Einsatz. An Bord von Rettungskreuzern, Bergungs- und Kriegsschiffen gehört es nach wie vor zur Standardausrüstung. Ein Hauptproblem des Rettungswerkes an unserer Küste lag in der oft zu langen Übermittlungsdauer von Notmeldungen. Unbeabsichtigt brachte der 1. Weltkrieg eine kleine Verbesserung. Die Kaiserliche Marine drang aus kriegsbedingten Gründen darauf, alle noch ausliegenden Feuerschiffe mit Funkanlagen auszurüsten. Der positive Nebeneffekt für die zivile Schiffahrt: Von den Feuerschiffen beobachtete Notfälle konnten nun per Funk minutenschnell den Rettungsstationen gemeldet werden. Als der Krieg vorbei war, wurden die Funkanlagen wieder ausgebaut, und prompt stellte sich der alte, schlechte Zustand wieder ein. Für die Weser- und Elbmündung nicht ohne Folgen. Die hier tätigen Rettungsstationen, in den harten Nachkriegsjahren ohnehin nicht optimal ausgerüstet das einzige Motorrettungsboot war z. B. an die Station auf Borkum ausgeliehen -, kamen wie vorher mit ihrer Hilfe nicht selten zu spät oder konnten wie im Falle des auf dem Großen Vogelsand gestrandeten Schleppers 'Nordstern' nichts unternehmen. Erst nach und nach trat in der Ausrüstung und der Nachrichtenübermittlung eine Besserung ein. Aber noch 1930, als die 'Luise Leonhardt' in der Elbmündung mit der gesamten 30- köpfigen Besatzung verlorenging, wurde berechtigte Kritik an dem Zustand der Rettungseinrichtungen der Gesellschaft laut. Heute ist, wie gesagt, alles viel besser. Wobei nicht verkannt werden darf, daß sich in wirklich schwierigen Fällen immer öfter der Hubschrauber als Rettungsmittel bewährt. Den Booten der Gesellschaft bleibt dagegen in der Mehrzahl das gemischte Vergnügen, sich mit leichtsinnigen Freizeitkapitänen herumärgern zu dürfen.