Essen ist politisch: „Wir haben es satt!“

Essen ist politisch: „Wir haben es satt!“

Glyphosat, Pestizide und Gentechnik. Was essen wir überhaupt? „Wir haben es satt“ setzt sich für eine qualitativ hochwertige und nachhaltige Landwirtschaft ein. Warum das so wichtig ist und warum man das schleunigst fördern sollte, darüber sprechen wir mit Christian Rollmann und Benedikt Haerlin.

Von Pauline Ost, Sophia Derda und Daniela Tenenbaum

Mehr als 400 Kläger machen den Unkrautvernichter Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Nun hat ein amerikanischer Bundesrichter die Klagen zugelassen. Im Zusammenhang mit Glyphosat wird meist Monsanto als Hersteller genannt. Monsanto ist das führende Unternehmen in der Produktion von Saatgut und Herbiziden. Mehr als 400 KlägerInnen werfen dem US-Unternehmen vor, durch das Mittel das Non-Hodgkin-Lymphom bekommen zu haben – eine Form von Lymphdrüsenkrebs. Monsanto hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Es gebe keine Verbindung zwischen Glyphosat und Krebs. Das sehen die US Gerichte aber anders: es gebe ausreichend Hinweise für eine Verhandlung der Klagen, in denen dem glyphosathaltigem Pestizid „Roundup“ vorgeworfen wird, krebserregend zu sein. Aber was ist an Glyphosat und Gentechnik überhaupt so schlimm? Und was sollte jeder wissen, um das zu vermeiden? Wir haben uns mit führenden ExpertenInnen und AktivistInnen aus Deutschland getroffen und uns zu diesen Themen mit ihnen unterhalten.

Seit acht Jahren geht die „Wir haben es satt“-Bewegung auf die Straße, um für eine bäuerliche, ökologischere und sozial gerechtere Landwirtschaft hier in Berlin und weltweit einzutreten. Sie fordern den Stopp der industriellen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Sie wollen artgerechte Tierhaltung und gut erzeugte Lebensmittel von Bäuerinnen und Bauern für alle. Seit 2011 gehen sie dafür im Januar, aufgerufen von über 50 Organisationen, zum Auftakt der weltgrößten Agrarmesse „Grüne Woche“ für bäuerliche Betriebe und eine ökologischere Landwirtschaft auf die Straße. Eine Person, die sich für uns Zeit genommen hat, ist Christian Rollmann, der für die Presse-und Öffentlichkeitsarbeit von der Bewegung „Wir haben es satt“ verantwortlich ist.

Worauf man achten sollte und was jeder Einzelne dafür tun kann

Christian Rollmann  ©Foto:privat                                                    

Christian meint:„Ja, also erstmal um darauf zu achten, wo kommt das [Essen] her. Man muss natürlich auch darauf achten saisonal zu konsumieren. (…) Es muss ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür geben, wer das [Essen] produziert und wie die Arbeitsbedingungen sind. Wir, als Konsumenten, müssen mehr darauf achten. Es gibt ja Möglichkeiten der Direktvermarktung, das heißt direkt beim Bauern kaufen oder SoLaWi, Solidarische Landwirtschaft, wo man seinen Anteil kauft und das macht, glaube ich, Sinn um wieder einen normalen Bezug zum Essen zu bekommen.“ Mit dem deutschen Journalisten und ehemaligem Politiker der Grünen Benedikt Haerlin haben wir uns auch getroffen. Seit 2002 arbeitet er für die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und ist Initiator der Initiative „Save Our Seeds“, die sich gegen Gentechnik im Saatgut engagiert. Sein Traum ist eigentlich ein riesiger Garten: „Ein Garten, das ist etwas anderes als ein Feld, wo nur eine Frucht wächst“. Es geht ihm um Vielfalt und um Pflanzen, die eine Gemeinschaft bilden und die sich gegenseitig unterstützen.                                                                       „Pestizide werden dann unnötig. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg“.

 

„Chemische Kriegsführung gegen die Natur“

Benedikt Haerlin, in seinem Büro von „Save Our Seeds“ in Berlin – Mitte © Sophia Derda

Aber was ist überhaupt so schlimm an Gentechnik für den Menschen und für das Tier?

Gentechnik ist eine Technologie, mit der der Mensch und die Natur keine Erfahrung hat. Der Mensch verändert das Genom von Pflanzen, von Tieren, auch von Menschen auf eine Art und Weise, wie das in der Natur nicht vorkommt. Und das ist eine ziemlich langfristige Geschichte. Die Natur hat etwa 2 Milliarden Jahre Erfahrung mit ihren Techniken und jetzt kommen die Menschen, die sich seit 20 Jahren mit dieser Technologie auseinandersetzen und man kann noch gar nicht einschätzen, wo das alles hinführen wird. Und deshalb geht es eigentlich in erste Linie um Vorsorge, es muss wohlüberlegt geforscht werden und sich nicht nur um Monokulturen gesorgt werden. Für Benedikt Haerlin handelt es sich dabei um „chemische Kriegsführung gegen die Natur“.

Monokultur:

Anbau immer der gleichen Pflanzenart auf einer Bodenfläche *https://de.wikipedia.org/wiki/Monokultur

Der Unterschied zwischen biologischer und konventioneller Landwirtschaft

Die biologische Landwirtschaft dreht sich im Prinzip um die Boden-Fruchtbarkeit. Das ist das Ziel des Anfangs und Endes der biologischen Landwirtschaft – wie kann man den Boden so fruchtbar machen, dass man nicht von außen Chemie zuführen muss und wie kann man mehr Stoffe aus dem Boden so in den Kreislauf führen, auch mithilfe der Tiere, dass er Fruchtbarkeit aufbaut und nicht abbaut? Das ist eigentlich die Essenz. Es wäre ein Beginn die biologische Landwirtschaft vom Staat subventionieren zu lassen, sodass sich jeder die Lebensmittel leisten kann, findet Christian.

Vor allen Dingen ist Bio auch deshalb teuer, weil die Schäden, die die konventionelle Landwirtschaft anrichtet, von der Allgemeinheit bezahlt werden und nicht von denen, die das billige konventionelle Fleisch kaufen. Würde man also sozusagen eine Wahrheit der Preise durchsetzen, müsste man eine Pestizid-, und Stickstoff-Abgabe bezahlen. Umgekehrt bekämen die Bio Landwirte eine Prämie dafür, wenn ihre Böden fruchtbarer werden, weil das der Allgemeinheit nützt. Christian geht noch weiter:

„Das kann man vergleichen mit der Diskussion um Atom. Also wenn ich jetzt Atommüll auf Jahrtausende produziere und die Konzerne damit Milliarden Profite machen, warum sollen wir das dann weiterhin als Gesellschaft, als Staat, finanzieren? Leuchtet halt irgendwie nicht ganz ein. Und dann könnte man sagen, dass Bio subventioniert werden müsste. Dann kommen wir langsam in so Sphären, wo Preis nicht mehr das Ausschlusskriterium ist, also auch besser konkurrieren könnte mit dem konventionellen Essen“.

Was sich Christian weiterhin wünschen würde, wäre, dass man vom massiven Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung wegkommt. „Nicht zuletzt, weil wir sonst ein richtiges Problem mit den Antibiotika durch Resistenzen haben. Den Menschen wird irgendwann Antibiotika einfach nicht mehr helfen.“ Es geht also nicht nur um die Qualität des Essens allgemein, sondern es wird auch noch viel fatalere Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in Zukunft haben.

 „Wir machen euch satt!“

 Dennoch hat die „Wir haben es satt“ Bewegung auch Gegner.

„Wir machen euch satt“ ist eine von Landwirte organisierte Demonstration, um ein Zeichen für mehr Anerkennung der Arbeitsleistung in der Landwirtschaft zu setzen. Konkrete Themen sind unter anderem der generelle Vorwurf der Tierquälerei und Umweltverschmutzung gegenüber konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben. Wunsch der Organisatoren ist es, dass Unzufriedenheit und Kritik direkt an die Landwirte herangetragen und mit diesen diskutiert wird. Angestrebt wird dabei ein fachlicher Dialog zu Themen wie der Weiterentwicklung der Agrarstrukturen und dem Tierwohl. Mit der Aktion „Wir machen euch satt!“ soll daher das Bewusstsein um und die Wertschätzung von landwirtschaftlicher Arbeit in der Bevölkerung gestärkt werden.

2015 fand vor dem Berliner Hauptbahnhof eine vom Bauernverband unterstützte Gegendemonstration statt, an der sich laut Polizei etwa 550 Menschen beteiligten. Auch 2016 versammelten sich am Hauptbahnhof laut Polizei rund 500 Anhänger der konventionellen Landwirtschaft, die sich gegen Kritik von Tierschutzverbänden und Naturschutzorganisationen wehren. Lösungen zur Verbesserung haben sie aber nicht.

Dies bestätigt uns auch Christian:

„ ‚Wir haben es satt‘ ist mehrmals in den Dialog mit ‚Wir machen euch satt‘ getreten, um Lösungen zu diskutieren. Doch leider kam da nie etwas. Der Punkt ist nämlich, dass ‚Wir machen euch satt‘ gar keine Veränderungen wollen. Sie verdienen sehr gut an der jetzigen Situation, also warum auch? Und auch wenn man sich die Werbung anguckt, von Bayer: Bayer macht sehr viel Werbung im Moment an allen Ecken (…), dann wird einem auch ein bisschen Angst und Bange, dass die einfach so viel Geld in die Verdummung des Volkes stecken. Das ist ungesund.“

Glyphosat, Pestizide und Antibiotika müssen also schleunigst weg! Was wird also in der Zukunft dagegen getan?

In Deutschland sind laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) derzeit 37 Mittel mit Glyphosat zugelassen, die unter 105 Handelsnamen vertrieben werden. Um Mensch und Natur zu schützen, solle Glyphosat außerdem nicht mehr in öffentlichen Parks und Sportanlagen sowie in der Nähe von Gewässern verwendet werden dürfen, sagte die Agrarministerin Julia Klöckner. Auch für Naturschutzgebiete soll es künftig keine Ausnahmen mehr geben. Bauern sollen Glyphosat nur noch unter Auflagen nutzen, Privatleute praktisch gar nicht mehr.

Benedikt bringt es auf den Punkt: „Es ist mein Traum, dass wir mehr Arbeit machen. Sowohl in der Landwirtschaft, als auch in der Ernährung und in der Verarbeitung. Dass wir weg kommen von dieser industriellen Normierung, Einseitigkeit und Entfremdung.  Und dass eine enorme Vielfalt daraus entsteht, sowohl an Ökosystemen und Agrarformen als auch an Lebensmitteln und deren Verarbeitungsformen sowie an Restaurants und allgemein an Lebensentwürfen. Ich träume auch ein bisschen davon.“


Pauline Ost studiert Sozial-und Kulturanthropologie im Hauptfach und Publizistik-und Kommunikationswissenschaft im Nebenfach an der Freien Universität Berlin.



Sophia Derda studiert Theaterwissenschaft und Publizistik im 4. Semester an der Freien Universität Berlin.



Daniela Tenenbaum studiert Kunstgeschichte im Hauptfach und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im Nebenfach an der Freien Universität Berlin.