Netzpolitik: »Fight for your Digital Rights«

Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org. Foto: Ricarda Becher

Netzpolitik: »Fight for your Digital Rights«

An der Schnittstelle von Politik, Digitalisierung und Gesellschaft trifft man im eher netzscheuen Deutschland nur wenige Organisationen, eine der größten und bekanntesten ist netzpolitik.org. Für einen Blick hinter die Kulissen führte Redakteur Ingo Dachwitz durch die Büros und stand Rede und Antwort.

Von Ricarda Becher

Wer die Redaktionsräume von netzpolitik.org im Prenzlauer Berg besuchen will, findet sich in einem modernen Hinterhausaufgang vor sechs Stockwerken gleichaussehender, unbeschrifteter Türen wieder. Während sich die Besucherin noch ratlos fragt, welche es denn jetzt sein möge, wird sie bereits vom Redakteur in Empfang genommen und durch eine der Türen den Gang entlanggeführt, auf dem sich die Redaktionsbüros befinden. Auf dem Flur grüßen Menschen, die den Kopf aus anderen Büros stecken und unter anderem für die re:publica, eine Konferenz für Digitalisierung und Gesellschaft, arbeiten.

Ingo Dachwitz, jung, freundlich, gut gelaunt, bietet erstmal Kaffee an. Seit knapp zwei Jahren ist er als festangestellter Redakteur bei netzpolitik.org dabei, davor hat er an der Freien Universität Berlin einen Master in Medien und politischer Kommunikation abgeschlossen. An der Wand hinter seinem Schreibtisch prangen auf neonpink erleuchtetem Untergrund die Worte: »Fight for your Digital Rights«. Im Gespräch wird schnell klar, diese Formulierung wird hier ernst genommen. Verständlich und kompetent erklärt er aktuelle netzpolitische Themen und bietet einen Einblick in die Arbeit und Ziele von netzpolitik.org.

Vom Blogprojekt zum etablierten Onlinemedium

Entstanden ist Netzpolitik im Jahr 2007 als Blogprojekt des heutigen Chefredakteurs Markus Beckedahl, eigentlich »eher so nebenbei«. Aus einem Mangel an verfügbarer Berichterstattung begann er selbst Informationen über Politik und Digitalisierung in Deutschland und Europa zu sammeln und bereitzustellen. Heute kann man von einem etablierten Onlinemedium sprechen, mit sieben festangestellte Redakteure und nahezu komplett von Spenden finanziert, ist das Projekt mit seiner kritischen Berichterstattung zur Politik der digitalen Welt im deutschsprachigen Raum einzigartig.

Die Redaktion interpretiert ihren journalistischen Auftrag ganz klar »aus der Perspektive von Grund-, Freiheits- und Bürgerrechten«. Journalismus an der Schnittstelle zu Netzaktivismus, eine Arbeitsweise, bei der man auch mal ins Visier des Staates geraten kann, wie ein Fall aus dem Jahr 2015 zeigt. Die Redakteure Markus Beckedahl und André Meister wurden des Landesverrates angeklagt, nachdem sie Dokumente über Pläne des Bundesverfassungsamtes zur Online-Überwachung durch den Verfassungsschutz veröffentlicht hatten. Das Verfahren wurde eingestellt, der mediale Aufruhr aber verschaffte netzpolitik.org einige öffentliche Aufmerksamkeit.

Im Kampf für das öffentliche Interesse

Spricht man mit Dachwitz über das Verfahren, so ist ihm wichtig, das Prinzip hinter der Veröffentlichung der Dokumente zu betonen: Transparenz zu ermöglichen, um diese und ähnliche Pläne öffentlich nachvollziehbar zu machen. Der Kampf gegen eine Ausweitung der staatlichen Überwachung liegt ihm am Herzen. Hierzu zählt auch die Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz, ein vom Innenministerium und Bundeskriminalamt durchgeführten Testprojekt. Hier gebe es nicht genug öffentlich zugängliche Informationen und zudem eine Unwilligkeit des Bundesinnenministeriums für mehr Transparenz zu sorgen.

Sichtlich frustriert berichtet er von ans Ministerium gestellten Anfragen, die in geschwärzten Akten endeten. Dabei, so sieht man es innerhalb der Redaktion, geht es hier um ein öffentliches Interesse. Aber auch Dachwitz weiß, dass momentan das Thema innere Sicherheit oft mehr Zuspruch und öffentliche Aufmerksamkeit hat als Fragen von Überwachung und Datenschutz. Man müsse akzeptieren, dass dieses Bedürfnis nach Sicherheit vorhanden sei und wolle es auch nicht abwerten, trotzdem sei man eben der Meinung, dass der Diskurs über konkrete Maßnahmen durch die Zurückhaltung von Informationen vermieden werde.

Der Staat und vor allem sein Umgang mit digitalen Technologien stehen bei netzpolitik.org häufig im Zentrum der Berichterstattung und werden oft scharf kritisiert. Trotzdem bemüht Dachwitz sich im Gespräch immer wieder, auch positive Entwicklungen aufzuzeigen. Um differenzierten Journalismus, für Demokratie und Bürgerrechte, für mehr Partizipation im digitalen Zeitalter.

»Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen Lernprozess«

Doch wie sehr interessiert sich ein größeres Publikum wirklich für Themen wie Datenschutz, die als ein wenig trocken empfunden werden und längst nicht immer im Mehrheitsdiskurs eine Rolle spielen sind? Dachwitz verweist er auf die treue Leserschaft, die die Arbeit von netzpolitik.org durch ihre Spenden, größtenteils Kleinstbeträge, ermöglicht. Eine Basis also, auf der man aufbauen könne. Gleichzeitig sieht er die Digitalisierung als immer noch andauernden gesellschaftlichen Lernprozess. Je mehr Leute ein Bewusstsein für die Problematiken der digitalen Welt entwickeln würden, desto mehr steige die Nachfrage nach Berichterstattung darüber. Auch wenn die gesellschaftliche Dimension von netzpolitischen Themen – wie Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung – immer noch unterschätzt werde.

Was die Vermittlung anbetrifft, geht netzpolitik.org neue Wege. Das im Januar gestartete Videoformat about:blank soll internetpolitische Themen kurz und knapp erklären. Mit leicht verdaulichen Videos, wie man sie von anderen Onlinemedien kennt. Ein Versuch, mehr Reichweite und Aufmerksamkeit zu erreichen für die Themen, die der Redaktion am Herz liegen – im Kampf um die begrenzte Aufmerksamkeit der Nachrichtenkonsumenten. Auch wenn man sich von denen, so hatte Dachwitz eingangs erklärt, so gut es geht frei machen wolle.

Der angebotene Kaffee ist längst leer, das Gespräch läuft schon eine halbe Stunde länger als geplant. Die Antworten sind ausführlich, ein engagierter Redakteur will sich erklären, will Lösungen aufzeigen. Mit zu viel Optimismus? Eine Portion Idealismus ist immer dabei. Man mag das naiv finden oder aber anerkennen, Dachwitz ist das egal. Er will einen Beitrag hin zu mehr Informations- und Partizipationsmöglichkeiten leisten. Versucht, zum Aufbau einer digitalen Zivilgesellschaft beizutragen, die heutige Zielkonflikte vielleicht irgendwann auflösen kann.

Passend zum Prinzip Idealismus gibt es das große Motto von der Leuchttafel hinter dem Schreibtisch dann zum Mitnehmen. Sticker in allen Farben des Regenbogens: »Fight for your Digital Rights«. Unterstützung willkommen!


Ricarda Becher studiert im 6. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit Spanisch im Nebenfach an der Freien Universität Berlin.