Reinickendorf: Planung ins Ungewisse

Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Foto: Annkatrin Rymell

Reinickendorf: Planung ins Ungewisse

Noch immer ist das Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik nicht verkauft. Die zukünftige Nutzung im Bezirk wird heftig diskutiert.

Von Annkatrin Rymell

Nach dem ersten Aufruhr über den geplanten Verkauf der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik im Herbst 2017 ist es still geworden um die Zukunftspläne für das 45 Hektar große Wittenauer Klinikgelände im Besitz der Vivantes GmbH. Nach wie vor steht es zum Verkauf durch das Berliner Immobilien Management (BIM), konkrete Verkaufsgespräche sollen laut Philipp Meier von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen allerdings noch nicht stattgefunden haben. Ein Verkauf an Private sei bisher nicht beabsichtigt. Denkbar sei, dass das Land Berlin oder eine andere landeseigene Gesellschaft das Grundstück erwirbt.

Birte Jessen, Sprecherin der GESOBAU AG, die mehrfach in Gesprächen um Pläne für das Gelände erwähnt wurde, hielt sich bedeckt, verwies vorerst auf den Bezirk und die Senatsverwaltung, da die Entwicklung des Baurechtes erforderlich sei, bevor genaueres gesagt werden könne.

Viele Pläne, wenig Konkretes

Trotz dieser Ungewissheit gibt es große Pläne von vielen Seiten: So habe die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen das städtebauliche Konzept weitestgehend abgeschlossen. Laut Meier sei eine Nutzungsaufteilung vorgesehen mit einer Mischung aus Wohnen, Flüchtlingsunterbringung sowie sozialer Infrastruktur. Dabei soll die denkmalgeschützte Bausubstanz sowie das Krankenhaus für Maßregelvollzug erhalten bleiben. Auch der Anstaltsfriedhof soll weiterhin an die Opfer der hier begangenen Naziverbrechen erinnern.

CDU verlangt Mitspracherecht der Anwohner

Obwohl das genaue Konzept noch nicht veröffentlicht wurde, wird es bereits heiß diskutiert. Die beiden CDU-Politiker Björn Wohlert, Bezirksverordneter, und der Wittenauer Abgeordnete Tim-Christopher Zeelen beklagen vor allem, dass Anwohner bei der Planung übergangen würden. Zeelen fordert die Möglichkeit, Anregungen und Vorschläge einzubringen, etwa auf Veranstaltungen oder an einen bestimmten Ansprechpartner. Anschließend daran gibt Wohlert zu bedenken, dass es in anderen Städten eine sehr umfassende Bürgerbeteiligung bereits bei der Auswahl und Planung von Standorten gibt. Diese erhöhe die Akzeptanz für die Unterkünfte. Seine Kritik: »In Berlin gibt es eine solche breite Beteiligung nicht. Die Kommunikation beschränkt sich in der Regel auf Informationen durch Anwohnerbriefe und Pressemitteilungen des Bezirksamtes, wenn bereits alles fertig geplant ist.«

Eine Rückfrage an Meier scheint diese Einschätzung zu bestätigen. So könne die Einbindung der Bürgerschaft erst nach Bekanntgabe der Pläne erfolgen. Es sei zwingend erforderlich, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ein belastbares Konzept vorschlägt, das mit anderen betroffenen Behörden im Vorfeld abgestimmt und im besten Fall mitgetragen wird. Mit einer Bekanntgabe des Konzepts sei aber in Kürze zu rechnen.

Nur wohin mit den Flüchtlingen?

Ihre Unterbringung auf dem Gelände stellt einen weiteren Streitpunkt dar. Zum aktuellen Zeitpunkt befinden sich rund 750 Flüchtlinge in den sogenannten Sternhäusern im westlichen Zipfel des Geländes der ehemaligen Nervenklinik. Im Konzept der Senatsverwaltung sei aber definitiv der Plan auf weitere Unterbringung von Flüchtlingen enthalten, bestätigen alle Beteiligten.

Meier gibt zu bedenken: »Die Unterbringung und Integration der Geflüchteten ist unser aller Pflicht. Die verfügbaren Flächen auf denen Geflüchtete untergebracht werden können sind begrenzt, sodass bei einer Verlagerung erst ein Alternativstandort gefunden werden müsste. Auch dort würde die Unterbringung von Geflüchteten auf Widerstände stoßen.«

Zeelen dagegen spricht sich, unterstützt von Parteikollege Wohlert, entschieden für eine Verkleinerung der Zahl der Geflüchteten aus. Jedoch keineswegs aus Ablehnung der Flüchtlinge selbst. »Uns eint der Wille, diesen Menschen nach ihrem furchtbaren Schicksal hier ein warmes Willkommen und eine neue Heimat zu geben«, so Zeelen. »Das ist aber mit viel Arbeit verbunden. Viele Helfer geben uns die Rückmeldung, dass der Ortsteil an seine Grenzen stößt.«

Auch Wohlert bestätigt den Wunsch einer dezentralen Unterbringung der Geflüchteten. Diejenigen, die bleibeberechtigt sind, sollten eine Wohnung erhalten können. Dafür bedürfe es allerdings größerer Anstrengungen beim Wohnungsbau für alle Bürger.

Nachhaltiger Wohnungsbau, keine temporären Lösungen

Was die Details angeht, ist man sich allerdings unentschieden: Zeelen zufolge plane der Senat »laut eigener Aussage, weitere 256 Geflüchtete in den ›Tempohomes‹ unterzubringen«. In einer Pressemitteilung vom 15. Januar 2018 forderte er den Senat auf, »keine Containerdörfer auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik zu errichten, sondern ordentlich geplanten Wohnraum zu schaffen«.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen dagegen gibt zu Protokoll, dass die Frage, wie viele Flüchtlinge am Standort untergebracht werden können, noch nicht abschließend geklärt ist. Es würde aber auf langfristige Optionen gesetzt – im Gespräch sei eine Unterbringung von Flüchtlingen im Bestand und in einer Modularen Unterkunft für Flüchtlinge (MUF). Bis die Neubauten fertiggestellt sind, soll für drei Jahre ein Tempohome auf der westlichen Seite des Areals errichtet werden.

Insgesamt sollen laut Senatsverwaltung 500-600 Wohneinheiten realisiert werden. In welchem Verhältnis dabei Flüchtlinge zu Bewohnern stehen sollen, ist ungeklärt. Diesbezüglich gibt Meier zu bedenken, dass Flüchtlinge nach Anerkennung ihres Flüchtlingsschutzes reguläre Wohnungen beziehen können. Die Planung sehe demnach langfristig vor, weitestgehend alle Bauten einer Wohnnutzung zuzuführen. Er betont dabei vor allem: Eine Unterscheidung in AnwohnerInnen und Flüchtlinge wäre somit perspektivisch nicht mehr gegeben.

Das Ideal der Anlage

Für die Senatsverwaltung ist das Planungsziel klar: die Enklave, trotz Schwierigkeiten durch die zahlreichen Einschränkungen des Geländes, in den Bezirk zu integrieren und eine Nutzungsmischung aus Wohnen und sozialer Infrastruktur zu generieren, die Qualität der Flüchtlingsunterbringung zu verbessern und die Parkanlage wieder aufzuwerten.

Auf dem Papier klingt das gar nicht so unterschiedlich zu Zeelens Idealvorstellung. Dieser wünscht sich »eine diverse Wohnbebauung, die langfristig genutzt werden kann, sowohl für junge Familien, als auch für altersgerechtes Wohnen sowie kleinere Wohnungen, etwa für Studenten. Dabei wäre der Erhalt des Naherholungs-Charakters der Gegend wünschenswert und der Erhalt, beziehungsweise Ausbau der historischen Gedenkstätten«.

Im Gedenken geeint

Fest steht, dass sich alle involvierten Parteien eine langfristig tragbare Lösung wünschen, die den historischen Hintergrund des Geländes in Ehren halten soll. Konkrete Pläne für weitere Gedenkstätten sind noch nicht bekannt. Sicher ist aber, dass der Friedhof erhalten wird und die multimediale Ausstellung »totgeschwiegen«, die die Verbrechen an »Geisteskranken« in der Nervenklinik dokumentiert, am Standort verbleibt. Besonderer Schwerpunkt sind hier natürlich die Euthanasieopfer der Nazizeit. Das sollte auch Wohlert und Zeelen freuen, die gemeinsam mit dem Freundeskreis Alter Anstaltsfriedhof daran arbeiten wollen, diesen »aus dem Vergessen zu holen und ihn als authentischen Gedenkort zu erhalten und damit das Erinnern für immer wachzuhalten«.

Die Ziele der verschiedenen Akteure unterscheiden sich mehr in ihrer Prioritätensetzung als in ihren Grundsätzen. Ein ähnliches Ideal verfolgen sie jedenfalls alle: das Gelände der ehemaligen Nervenklinik für die Anwohner bestmöglich nutzbar zu machen und dabei die Historie des Areals nicht aus dem Blick zu verlieren. Wie das aussehen könnte werden die Anwohner Wittenaus allerdings erst nach Veröffentlichung des ersten Konzepts erfahren – und sich hoffentlich aktiv daran beteiligen, die beste Lösung für alle Beteiligten zu finden.


Annkatrin Rymell studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit Englischer Philologie als Nebenfach an der Freien Universität Berlin. Danach will sie als Lektorin in einem internationalen Verlag arbeiten.