Stiller und lauter Protest gegen Bedingungen in Notunterkünften für Geflüchtete

Stiller und lauter Protest gegen Bedingungen in Notunterkünften für Geflüchtete

Ein sonniger Tag in Berlin-Wilmersdorf. Zwei Männer sitzen draußen und spielen Karten. Keine ungewöhnliche Szenerie, würden diese beiden Männer nicht auf einer alten Matratze vor der Notunterkunft für Geflüchtete im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf sitzen. Es sind die letzten Beteiligten eines mehrtägigen Protestes in der Brienner Straße 16, der sich gegen die bestehenden Wohnverhältnisse in der Notunterkunft richtete. Die Vorwürfe: Hygieneprobleme, fehlende Privatsphäre und unangemessenes Verhalten des Sicherheitspersonals.

Von Corinna Koch und Johanna Schmied

Lauter Protest der Geflüchteten

Im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf müssen sich die Menschen zumeist ein Zimmer und die Sanitäranlagen mit anderen Bewohnern teilen. Gegessen wird zu vorgeschriebenen Zeiten in einem großen Speisesaal. Es gibt keine Möglichkeiten selber zu kochen, was laut Heimleiter Stefan Wesche besonders viel Frust unter den Bewohnern auslöst: „Dies bereitet den Menschen hier häufig Probleme, denn sie bekommen ihr Essen ja einfach vorgesetzt. Dazu können sie die Uhrzeiten nicht selber wählen. Das bedeutet eine gewisse Abhängigkeit.“ Zusätzlich zur Wohn- und Esssituation wurden die hygienischen Bedingungen und das Verhalten des Sicherheitspersonals kritisiert. Die Zustände bewogen mehr als 60 Bewohner dazu, als Zeichen ihres Protests vor der Unterkunft zu übernachten. „Die Probleme wollen wir auf keinen Fall bestreiten, die sind aber generell der Situation Notunterkunft geschuldet“, so Wesche.

Auslöser des Protestes war ein Vorfall, bei dem einer der Bewohner nach einem Übergriff durch das Sicherheitspersonal mit Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden musste. Der Leiter der Notunterkunft gab an, dass die Security nach Anweisungen gehandelt und ihre Pflicht erfüllt habe. Es bleibt Sache der Polizei, zu prüfen „ob der Einsatz verhältnismäßig war“.

Flüchtlingsinitiative als Sprachrohr für Geflüchtete

Der Protest ist nicht der Erste seiner Art und die Probleme, die er aufgreift, sind seit Langem bekannt. Auch andere Notunterkünfte in Berlin sehen sich mit ähnlichen Verhältnissen konfrontiert. Aus diesem Grund haben sich verschiedene Initiativen mit einem „Offenen Brief“ an den neuen Berliner Senat gewandt, in welchem sie die Bedingungen in den Notunterkünften offen anprangern. Initiiert wurde der Brief von zwei Sprecherinnen der Flüchtlingsinitiative „Willkommen im Westend“. Über einen E-Mail-Verteiler beteiligten sich daraufhin vierzehn weitere flüchtlingspolitische Organisationen und Netzwerke aus unterschiedlichen Berliner Stadtteilen.

Amei von Hülsen-Poensgen, eine der Sprecherinnen der Initiative „Willkommen im Westend“ äußert sich folgendermaßen über die Motivation und Ziele des Briefes: „Wir wollen eine Menge erreichen. Wir wollen die Behandlung von Geflüchteten insgesamt verbessern. Die Tatsache, dass es überhaupt noch Notunterkünfte gibt und Menschen nach zwei Jahren immer noch nicht alleine kochen dürfen – das wollen wir ändern. Wir sind vor Ort, um als Sprachrohr für die Geflüchteten und die Ehrenamtlichen da zu sein.“

Der harte Kern des Protestes vor der Notunterkunft für Geflüchtete in der Brienner Straße. © Corinna Koch

Wenn die „Not“ zur Gewohnheit wird

Der Wunsch nach besseren Wohnbedingungen scheint in Anbetracht der Tatsache, dass Notunterkünfte nur für die erste Unterbringung für bis zu sechs Monate vorgesehen sind bzw. sein sollten, nachvollziehbar. Für Stefan Wesche ist klar, dass „Dinge, die von den Leuten bemängelt werden, eigentlich erträglich sind, auf Dauer hingegen für die Menschen zu einer Zumutung werden“. Viele der Geflüchteten leben deutlich länger in den behelfsmäßig ausgestatten Unterkünften. Das ehemalige Rathaus Wilmersdorf wurde im August 2015 als Notunterkunft eingerichtet und beherbergt heute mehr als 900 Menschen aus über dreißig Ländern.

Nach Aussagen des Heimleiters leben viele der Bewohner bereits seit über 21 Monaten in dieser Einrichtung. Daher bewertet sogar er den Protest als wichtig: „Genau genommen war ich nicht unfroh über den Protest, weil ich so Themen, die ich schon einmal mit dem Landesamt für Flüchtlinge klären wollte, nun nochmal thematisieren konnte.“ Inzwischen konnte ein Schließsystem installiert werden, um die Privatsphäre der Bewohner zu verbessern. Solche Maßnahmen treffen dennoch nicht die Kernforderungen der Protestierenden. „Die Menschen möchten in eine eigene Wohnung oder mindestens in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Dies können wir ihnen hier leider nicht bieten“.

„Es ist ein klares Berliner Problem“

In Berlin leben zurzeit mehr als 11.000 Geflüchtete in Notunterkünften, während es im Rest von Deutschland insgesamt nur 2.000 sind (Stand Juni 2017). „Wir in Berlin kriegen es besonders schlecht hin“, so die „Willkommen im Westend“-Sprecherin Amei. Gründe hierfür sind der Mangel an Gemeinschaftsunterkünften und die schwierige Situation auf dem Wohnungsmarkt. Viele neue Unterkünfte befinden sich im Bau, doch ihre Fertigstellung bleibt abzuwarten. Trotzdem gab das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) den 15.12.2017 bereits als Schließungsdatum der Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf bekannt.

Für eine Anpassung des Rathaus Wilmersdorf zu einer Gemeinschaftsunterkunft sei es nun vermeintlich zu spät. „Umfangreichere Baumaßnahmen hätten sich zu Beginn bestimmt gelohnt“, so Stefan Wesche, jedoch habe das Land Berlin „nur von einem Quartal zum nächsten gedacht und nicht erwartet, dass dieses Haus mal zwei Jahre existieren wird“. „Willkommen im Westend“ benennt diesen Umstand als indiskutabel: „Bei jeder Großveranstaltung machen wir einen riesigen Aufwand für zwei Tage und hier haben wir tausend Leute, die noch ein halbes Jahr lang unter solchen Bedingungen untergebracht werden sollen“. Langfristig sollen Senatsverwaltungen in der momentanen Notunterkunft untergebracht werden. Die Heimleitung erklärt das Vorhaben des Landes folgendermaßen: „Das Rathaus Wilmersdorf ist ein großes Gebäude mit vielen Möglichkeiten in zentraler Lage. Da hat das Land Berlin andere Interessen, als dort dauerhaft Flüchtlinge unterzubringen.“

Erschwerte Zusammenarbeit durch politische Doppelstruktur

Die derzeitigen Probleme werden nicht spurlos verschwinden. Es braucht Initiativen, die sich der Interessen der Geflüchteten annehmen, wie z.B. in dem „Offenen Brief“. Die Resonanz auf diesen war zwar gering, doch darum ging es den Initiativen nicht, wie Amei erläutert: „Unser Ziel ist es Druck auszuüben. Wir sind nicht in der Position politische Entscheidungen zu fällen, aber wir können die Themen ansprechen.“

Als ein Ergebnis der stillen und lauten Proteste findet sich beispielsweise wöchentlich ein Qualitätszirkel zusammen, der zur Verbesserung der Gesamtsituation in der Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf beitragen soll. Daran nehmen Bewohner der Unterkunft und Vertreter des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) sowie des Landesamtes für Flüchtlinge (LAF) teil.

Dennoch wird deutlich, dass eine tatsächliche Veränderung nur im Zusammenspiel von Politik, Initiativen und Betroffenen stattfinden kann. Die „Willkommen im Westend“-Sprecherin sieht die politische Doppelstruktur von Bezirk und Senat dabei als großes Hindernis: „Durch die entstehenden Doppelverantwortlichkeiten fühlt sich hier niemand verantwortlich. Wir fordern, dass sich alle an einen Tisch setzen. Mit genügend Druck kann man das auch schaffen.“


Corinna Koch ist Publizistikstudentin an der FU Berlin. Bei dem Online-Magazin f1rstlife macht sie nebenher ihre ersten Schritte als angehende Journalistin. Als nächstes wird sie ein Semester in Reykjavik studieren und im Jahr 2018 ihre Bachelorarbeit schreiben.


Johanna Schmied ist gebürtige Hamburgerin und studiert Publizistik und Geschichte an der FU Berlin.