Ist Lateinamerika kein freundlicher Ort für Journalisten?

Ist Lateinamerika kein freundlicher Ort für Journalisten?

Für Journalisten in einigen lateinamerikanischen Ländern gibt es drei Möglichkeiten, heißt es: Sie lassen sich kaufen, sie werden getötet oder sie entscheiden sich für die Selbstzensur. Auch die Journalistin Yenith González stand jeden Tag vor dieser Entscheidung während der 26 Jahre, in denen sie in Kolumbien arbeitete.

Von Sitora Sodatkadamova

In Ländern wie Costa Rica, Surinam, Belize oder Uruguay ist es nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen gar nicht so schlecht um die Pressefreiheit bestellt. In vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, wie Mexiko, Kuba, Venezuela, Brasilien, Ecuador oder Guatemala, sieht dies dagegen ganz anders aus. Sie nehmen in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit Plätze jenseits der 100er-Grenze ein. Auch Kolumbien gehört auf Platz 134 mit zu dieser Negativliste.

Yenith González kennt die schwierige Beziehung ihres Landes zur Pressefreiheit nur zu gut. Sie hat in schwerer Zeit in Kolumbien als Journalistin gearbeitet. Bereits die Berufswahl stieß in ihrer Familie auf Unverständnis: Eine Journalistin hatte es vor ihr in der Familie noch nicht gegeben.

„Mein Vater war gegen meine Berufswahl und hielt Journalismus für etwas Unseriöses. Zwei Mal musste ich mich für ein Ingenieursstudium bewerben. Nach der zweiten Absage aber traf ich die Entscheidung, gegen die Meinung meiner Familie und für meine Interessen, und begann „Kommunikationswissenschaft und Journalismus“ zu studieren“, erzählt González.

González war sehr gut in Mathematik, so dass ihre Familie wollte, dass sie Ingenieurin wird. Aber ihre Vorliebe gehörte dem Journalismus. © Yenith González Privatarchiv

González war sehr gut in Mathematik, so dass ihre Familie wollte, dass sie Ingenieurin wird. Aber ihre Vorliebe gehörte dem Journalismus. © Yenith González Privatarchiv

Sie war in einer Familie mit vier Kindern in Santa Marta – der Hauptstadt von Departamento del Magdalena – in Kolumbien geboren. Bereits während des Studiums begann Yenith González, eine Praktikumsstelle zu suchen, um Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Ohne Kontakte in einem Land wie Kolumbien, das von Korruption durchdrungen ist, eine journalistische Karriere zu starten, sei unmöglich, sagt Gonzáles.

Erst im dritten Semester findet Gonzáles eine Stelle im kolumbianischen Radio „WV Bogota“, wo sie sich zunächst drei Monate lang mit Telefonieren und der Koordinierung der nationalen und internationalen Korrespondenten beschäftigte. Als Praktikantin durfte sie sich an der Nachrichtenproduktion nicht beteiligen. Am Ende ihres Studiums wird sie dann aber von „WV Bogota“ als Produzentin für internationale Politik und als Moderatorin des Wetterberichts und der Kurznachrichten angestellt.

„Als ich fürs Radio gearbeitet habe, war ich Tag und Nacht beschäftigt. Ich musste um fünf Uhr im Büro, und später am Tag von 18 bis 22 Uhr an der Uni sein. Es war sehr schwer, aber es hat sich gelohnt.“

„Ich hatte keine Angst über Konflikte zu schreiben, weil ich damals noch keine Mutter war.“

Die Strategie, sich beruflich schon während des Studiums zu entwickeln, war erfolgreich: Zwei Jahre später arbeitete Yenith González für „El Espectador“ – eine der ältesten und heute die zweitgrößte Tageszeitung in Kolumbien. Mit ihrer kritischen Berichterstattung hatte die Zeitung viele Feinde im von Korruption geplagten Land: Ihr Direktor Guillermo Cano Isaza wurde 1986 ermordet, drei Jahre später gab es einen Bombenanschlag auf das Redaktionsgebäude.

Ungewöhnlich sind Gewalttaten gegen Journalisten in der Region nicht: Nach Angaben der Kommission zur Untersuchung von Verbrechen gegen Journalisten (CIAP) wurden 228 Journalisten von 2007 bis 2013 in Lateinamerika getötet, weil sie Berichte über Drogenkriminalität, Korruption sowie innenpolitische Konflikte veröffentlicht hatten. Mehr als hundert Journalisten gelten immer noch als verschwunden.

Auch Yenith González schrieb und recherchierte über Korruption und über Konflikte im Land. Angst hatte sie aber keine:

„Die meisten Journalisten, die bedroht und getötet werden, arbeiten in kleinen Städten für lokale Zeitungen“, erklärt sie. „Ich habe dagegen in einer großen Stadt und in einer großen Zeitung gearbeitet. Das bedeutete, ich hatte Schutz.“

Schreiben über Korruption und Drogenkriminalität – ein journalistischer Alltag für Kolumbianische Journalistin. ©Yenith González Privatarchiv

Schreiben über Korruption und Drogenkriminalität – ein journalistischer Alltag für Kolumbianische Journalistin. ©Yenith González Privatarchiv

Dies hatte Yenith González zum Beispiel 2007 gemerkt. Damals hatte sie ein Interview mit einem kolumbianischen Paramilitär geführt, in dem er ihr alles über seinen Konkurrenten, der in dem Moment im Gefängnis saß, erzählte. Das Gespräch fand in einem kleinen Café statt, wie sich Gonzales auch heute noch erinnert. Sie musste sich dahin in einem Auto von unbekannten Menschen in ein entferntes Stadtviertel fahren lassen. Ihr Artikel wurde dann ohne Autorennamen und ohne Informationsquelle veröffentlicht – weckte aber gleich ein starkes Interesse der Sicherheitsbehörden.

„Aber da ich für „El Espectador“ gearbeitet habe, hat der Chefredakteur ihnen keine Informationen gegeben, obwohl auch er Drohung bekommen hatte.“

Auf dem Höhepunkt der journalistischen Karriere der Umzug nach Deutschland

2009, auf dem Höhepunkt ihrer journalistischen Karriere, wandert Yenith González mit ihrem deutschen Mann, den sie zwei Jahre zuvor in Kolumbien kennengelernt hatte, nach Deutschland aus. Die Entscheidung hierüber war aus ihrer heutigen Sicht unvernünftig.

„Was ich in Kolumbien zurückgelassen habe, sind: Eine feste Stelle in einer der größten Zeitungen Kolumbiens mit sehr interessanten Themen für Recherchen und auch eine Stelle als Leiterin der Kommunikationsabteilung der Spanischen Entwicklungskooperation (AECID) an der Spanischen Botschaft und einen sehr guten Lohn.“

In Deutschland fing für Yenith González das Studentenleben wieder an. Nachdem sie ein Jahr lang einen Deutschkurs besucht hatte, startete sie eine Berufsausbildung im Bereich „Projektmanagement und Fundraising“ in Berlin.

„Eine journalistische Arbeit in Deutschland zu finden, ist schwer für mich. Das wichtigste Hindernis ist die Sprache. Außerdem leben in Deutschland viele spanischsprachige Journalisten, und die Konkurrenz unter Kollegen ist hier sehr hoch.“

Heute kümmert sich Yenith González um ihre fünfjährige Tochter und arbeitet als freie Journalistin. Für das Projekt „Aktive Integration in Marzahn-Hellersdorf“ von MaMis en Movimiento e.V. berichtet sie auf Spanisch und Deutsch über aktuelle und wichtige Themen für Migranten in Deutschland. Für die Unternehmungsberatung Association France Euro-China macht sie Analysen und Politikberatung zu ökonomischen und politischen Entwicklungen in Lateinamerika. Außerdem berichtet sie als Korrespondentin für ihre alte Zeitung El Espectador zu den Themen Politik und Sicherheitspolitik. Da sie keine feste Arbeitsstelle hat, sieht ihr Arbeitsalltag immer unterschiedlich aus. „Manchmal arbeite ich zehn Stunden pro Woche, manchmal keine“, sagt sie.

Die Journalistin findet auch noch Zeit, sich ehrenamtlich bei verschiedenen Projekten zu engagieren, zum Beispiel als Pressefrau für das „Filmfest auf Spanisch in Berlin.“

Ihr nächstes selbständiges Projekt soll ein Reiseportal im Internet sein, wo sie als freie Journalistin auf Spanisch, Deutsch und Englisch über ihre Auslandsreisen, über Besonderheiten und eigenartige Orte in unterschiedlichen Ländern schreiben könnte. Aber trotz alledem: Ihrer journalistischen Karriere in Kolumbien, dem Land ohne Pressefreiheit, trauert sie noch immer ein wenig hinterher: „Es ist für mich heute schwer zu glauben, dass ich in Kolumbien so großen Erfolg im Journalismus hatte und jetzt wegen der Sprache und der hohen Konkurrenz keinen guten Arbeitsplatz bekomme. Wenn ich die Möglichkeit hätte, wieder mit der ganzen Familie zurück nach Kolumbien zu gehen und dort wieder zu arbeiten, würde ich es machen.“


Sitora Sodatkadamova kommt aus Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, und hat dort „Linguistik und Interkulturelle Kommunikation“ an der Russisch-Tadschikischen Slawischen Universität studiert. In ihrer freien Zeit schrieb sie schon früh kleine Artikel als freie Journalistin und arbeitete als Dolmetscherin und Assistentin bei der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) in Tadschikistan. Ehrenamtlich engagiert sie sich für die ökologische Organisation „Little Earth“. Sie mag traditionelles Tanzen, Volleyballspielen und fotografieren. Ihr Name bedeutet übrigens „Stern“.