Deutschland hat sich geöffnet

Deutschland hat sich geöffnet

Der iranische Journalist Farhad Payar ist 1980 nach Berlin emigriert – ein Gespräch über seinen damaligen Neustart und den Unterschied zu heutigen Flüchtlingen.

Von Shahnoz Bakhtiyorova

Der Verein „Transparency for Iran“ fördert und unterstützt Menschenrechte und Pressefreiheit, will über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Iran informieren und die deutsche Öffentlichkeit für diese Themen sensibilisieren.

Das Magazin „Iran Journal“ ist ein Projekt von Transparency for Iran. Das Journal berichtet täglich im Online-Format über die Geschehnisse im Iran, die in deutschen Medien oft nicht genug beachtet werden, und versucht dabei, ein ganzheitliches Bild der gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Land darzustellen. Die Redaktion besteht aus Journalistinnen und Journalisten mit langjährigen Erfahrungen in deutschen und/oder persisch-sprachigen Medien.

Farhad Payar ist Chefredakteur des Online-Magazins „Iran Journal“. Er ist im Iran geboren und aufgewachsen. Mit 23 Jahren emigrierte er 1980 in die Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Abschluss des Politikstudiums an der Freien Universität Berlin begann Payar als Journalist für verschiedene deutsche und persische Medien zu arbeiten, wie den RBB, den WDR, den BR, die Deutsche Welle, ARTE und andere. Außerdem schreibt Payar Drehbücher, ist als Schauspieler und Regisseur tätig und würde sich gern einmal als Sänger ausprobieren.

Farhad Payar, was war der Grund für Sie, nach Deutschland zu kommen?

Das war ein Jahr nach der islamischen Revolution im Iran. Die Islamisten hatten begonnen, die Opposition zu unterdrücken. Alles, was nicht in ihrem Sinne war, haben sie abgeschafft. Sie haben versucht, den Menschen ihre persönlichen Freiheiten zu nehmen. Damals habe ich verstanden, ich will nicht in einem solchen Land leben. Ich bin 1980 dann direkt nach Deutschland gekommen.

Ich habe immer viel Wert auf ein freies Leben gelegt und dachte an mein Weiterkommen. Da mein Visum dann irgendwann abgelaufen war, und ich nicht ausreisen wollte, bin ich illegal in Deutschland geblieben. Ein Jahr später wurde ich von der Polizei verhaftet. Um nicht zurückgehen zu müssen, haben meine Freundin und ich uns entschieden zu heiraten.

Wie war es damals, ein neues Leben in Deutschland anzufangen?

Natürlich war es schwierig am Anfang. Es war ein ganz neues Leben in einem total anderen Land mit einer anderen Mentalität. Und ich musste Geld verdienen. Ich habe zuerst illegal als Fahrradmechaniker und als Raumpfleger in einer Küche gearbeitet. Später begann ich, Politologie an der Freien Universität Berlin zu studieren. Aber aus finanziellen Gründen war ich dann noch als Taxifahrer, Teppichverkäufer, Jugend- und Flüchtlingsbetreuer tätig.

Sie sind 1980 als Geflüchteter nach Deutschland gekommen. Wie war Deutschland damals?

Es war sehr interessant. Ich war in Westberlin, und Berlin war geteilt. Manchmal sah man die Mauer, und man fühlte regelrecht die Teilung der Stadt. 1980 war Deutschland sehr konservativ, viel kälter als jetzt. Alles war versteckt, jedes Fenster hatte eine Jalousie und zwei Vorhänge. Es war anders als heute. Mittlerweile hat sich Deutschland geöffnet.

Wie schätzen Sie aus Ihrer Erfahrung die heutige Flüchtlingssituation ein – wie kann die Integration gelingen?

Die Flüchtlinge brauchen einen Ort. Wenn ihre Heimat bombardiert wird, fliehen sie. Sie müssen einen Ort haben, wohin sie gehen können. Es ist auch ein natürliches Bedürfnis des Menschen. Und im Vergleich zu der Zeit, in der ich als Flüchtling gekommen bin, ist Deutschland heute viel offener und freundlicher.

Aber was bedeutet Integration? Das ist Blödsinn. Bin ich in diese Gesellschaft integriert? Ich weiß es nicht. Das ist ein blödes Wort. Integration ist ein Wort, das die Menschen eingrenzt. Du gehörst zu mir, wir gehören zusammen, die anderen gehören nicht zu uns. Alles was ausgrenzt, mag ich nicht. Ich bin in die europäische Kultur integriert, aber das heißt nicht, dass ich ein Teil davon bin.

© Shahnoz Bakhtiyorova. Herausgeber des Iran Journals Farhad Payar.

© Shahnoz Bakhtiyorova. Herausgeber des Iran Journals Farhad Payar.

Wann und wie haben Sie angefangen, sich mit Journalismus zu beschäftigen?

Ich habe zunächst Journalismus eigenständig gelernt und 1994 dann richtig angefangen. Ich habe damals begonnen, für Radio „Multikulti“ in der persischen Redaktion zu arbeiten und dann ging es weiter. Journalismus ist für mich eine Berufung, aus der ich einen Beruf gemacht habe. Ich will etwas für die Demokratisierung im Iran tun. Wenn ich Politiker hier über das Geschehen im Iran informiere, fokussiere ich sie auf das Land, und wenn sie sich mit dem Iran beschäftigen, beschäftigen sie sich mit dem Islam. Und wenn sie sich mit dem Islam beschäftigen, beschäftigen sie sich mit der ganzen Region. Auch lenke ich große Aufmerksamkeit auf die Freiheiten und die Gleichberechtigung der Frauen. Ich messe den Fortschritt eines Landes an der Lage der Frauen dort. Wir machen das Iran Journal, weil es wichtig ist, über den Iran auf Deutsch zu berichten.

Auf welche Schwierigkeiten treffen Sie als Journalist?

Das Schwierigste ist für mich, die deutschen bzw. iranischen Medien zu überzeugen, ein vorgeschlagenes Thema auch zu beleuchten.

Was würden Sie heute über die iranisch-deutschen Beziehungen sagen?

Deutschland hat einen guten Ruf im Iran, weil Deutschland keine koloniale Vergangenheit in unserer Region hat. Deutschland hat immer dem Iran geholfen. Der Iran und Deutschland waren immer gute Freunde. Das Interessante dabei ist, dass die Opposition in Deutschland immer die Opposition im Iran unterstützt und dasselbe gilt auch auf der Regierungsebene.

Was bedeutet für Sie persönlich der Iran?

Der Iran ist für mich das Land, wo ich die ersten Gerüche gespürt und die ersten Schritte gemacht habe, die sich in meinem Gehirn so eingeprägt haben, dass es für mich viel mehr als eine Nation oder Heimat bedeutet. Der Iran ändert sich. Ich sehe, was dort jetzt passiert und was folgt. Das ist eine sehr spannende Zeit. Zum ersten Mal denken die Iraner an ihre persönliche Freiheit. Es gibt überall in der Welt solche Entwicklungen, und es ist unmöglich, sie aufzuhalten.


Shahnoz Bakhtiyorova, geboren 1994 in Duschanbe, Tadschikistan, absolvierte Linguistik als Bachelor an der Russisch-Tadschikischen Universität. Sie arbeitet als Nachwuchsjournalistin für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ in Almaty und für die Zeitschrift „Vitamin de“.