Vielfalt in den deutschen Medien?

Vielfalt in den deutschen Medien?

Medienschaffenden mit Migrationsgeschichte den Rücken stärken und helfen, in ihrem Beruf weiterzukommen. Diesen Aufgaben haben sich die „Neuen deutschen Medienmacher“ verschrieben

Von Daria Kortschak und Sobir Pulatov

Das macht schon viel aus: Ungefähr jeder fünfte Einwohner in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Und darunter sind natürlich auch viele Medienschaffende, die aber trotzdem ziemlich selten in den deutschen Redaktionen anzutreffen sind. Demzufolge sieht die Berichterstattung oft eher einseitig aus, wenn die Rede von „Ausländern“ oder auch „Flüchtlingen“ ist. Das halten die Mitarbeiter des Vereins „Neue deutsche Medienmacher“ für einen großen Fehler: Ebru Tasdemir, Rebecca Roth und Luciana Ferrando haben uns ihre Arbeit vorgestellt und erklärt, warum solche JournalistInnen in Deutschland eine Stimme haben sollen.

Ebru Tazdemir

43, freie Journalistin, studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin, engagiert sich aus eigenem Antrieb bei den „Neuen deutschen Medienmachern“

Rebecca Roth

40, freie Journalistin, seit März 2016 Projektleiterin bei den „Neuen deutschen Medienmachern“

Luciana Ferrando

38, freie Journalistin, schreibt unter anderem für die taz, arbeitet seit Juni 2016 bei den „Neuen deutschen Medienmachern“

Frau Roth, wie und wann ist die Organisation „Neue deutsche Medienmacher“ entstanden? Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen solchen Verein in Deutschland zu gründen?

Rebecca Roth: Offiziell existiert unser Verein seit 2009. Schon damals wurde uns das Problem offensichtlich, dass es in Deutschland sehr viele Menschen mit Migrationsgeschichte gibt, es aber zugleich kaum möglich ist, solche Journalisten in den deutschen Redaktionen zu finden. Ihr Anteil lag damals nur bei etwa drei Prozent. Wir wollten gerne irgendwie dazu beitragen, dass sich diese Situation zu ihren Gunsten verändert. Darüber hinaus hielten wir es für realisierbar, auch die Darstellung von Migranten in den deutschen Medien vielfältiger zu machen, so dass sie nicht nur in einem negativen Kontext dargestellt werden und, dass sie eine eigene Stimme in den Medien bekommen. Daher haben wir zum Beispiel eine Expertendatenbank erstellt, zu der schon 450 Fachleute mit Migrationsgeschichte gehören. Sie sind Spezialisten in ganz verschiedenen Bereichen. Viele Medienschaffende, Institutionen und andere Interessierte nutzen unsere Datenbank mittlerweile ziemlich oft – und damit wird auch die Berichterstattung vielseitiger.

Der Zusammenschluss „Neue deutsche Medienmacher“ ist sowohl ein Verein mit mehr als 250 Mitgliedern als auch ein Netzwerk, das ungefähr 1100 KollegInnen bundesweit zusammenschließt. Es sind nicht nur Menschen mit Einwanderungsgeschichte, die sich vernetzen. Verwaltet wird der Verein vom Vorstand.

Aber es ist selbstverständlich, dass jede Initiative solcher Art nicht nur Zeit, sondern auch Geld kostet. Aus welchen Quellen bekommen Sie finanzielle Unterstützung?

Ebru Tazdemir: Ja, das ist nicht zu bestreiten. In erster Linie investieren wir unsere eigene Arbeitszeit, damit die Organisation wirksam funktioniert. Zur Finanzierung tragen vor allem staatliche Stellen wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder auch die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration bei. Mittlerweile fördern auch verschiedene Redaktionen einige unsere Projekte. Es gibt mehrere Geldgeber, darunter auch eine Reihe von Stiftungen, wie zum Beispiel die Bertelsmann Stiftung, FAZIT und die Heinrich-Böll-Stiftung.

Frau Tazdemir, Sie haben Ihre Projekte erwähnt. Könnten Sie darauf etwas ausführlicher eingehen? Die schon erwähnte Expertendatenbank gehört auch dazu, oder?

Ebru Tazdemir: Die Expertendatenbank – oder mit anderen Worten der „Vielfaltfinder“ – gehört tatsächlich zu unseren Projekten. Darüber hinaus gibt es bei uns ein Mentoring-Programm für NachwuchsjournalistInnen aus Einwandererfamilien. Ein anderes Projekt, das wir zusammen mit dem Berliner Bildungswerk Kreuzberg machen, ist der „Bikulturelle crossmediale Journalismus“. Das Projekt beinhaltet eine 15-monatige Journalistenausbildung, die angehenden JournalistInnen mit Einwanderungsgeschichte einen Weg in den Beruf ebnen soll. Auch für bereits ausgebildete JournalistInnen haben wir ein Traineeprogramm, das ein Jahr dauert und unter anderem für exilierte JournalistInnen ins Leben gerufen wurde.

©Sobir Pulatov. Neuen deutschen Medienmacher im Berliner Büro.

©Sobir Pulatov. Neuen deutschen Medienmacher im Berliner Büro.

Wie genau werden die exilierten Journalisten dabei unterstützt?

Ebru Tazdemir: Sie bekommen für ein Jahr einen Mentor und besuchen mit uns die Redaktionen. Außerdem nehmen die geflüchteten Journalisten an Themenseminaren teil. Sie gehen dann in die Redaktionen und bieten ihre Themen und Artikel zur Veröffentlichung an.

Das sollte wirklich hilfreich für Journalisten im Exil sein. Ihr jüngstes Projekt heißt „No hate speech movement“. Worum geht es dabei?

Luciana Ferrando: Die Europarat-Kampagne „No hate speech“ existiert europaweit und ist gegen Hass im Internet gerichtet. Es ist ja die Tendenz zu beobachten, dass das Internet zu einem Raum geworden ist, wo viele Postings voller Hass verbreitet werden – unter anderem gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Wir koordinieren die Umsetzung der Europarat-Kampagne in Deutschland und erstellen eine Webseite, auf der alle nützlichen Informationen, Argumente und Instrumente gegen Hass im Netz zu finden sind.

Frau Ferrando, was hat Sie dazu bewegt, sich bei den „Neuen deutschen Medienmachern“ zu engagieren?

Luciana Ferrando: Ich habe selbst an einem Programm des Vereins für Journalisten mit Einwanderungsgeschichte teilgenommen. Diese Fortbildung war für mich tatsächlich sehr gut. Dadurch wurde ich gefördert, und ich habe mich persönlich weiterentwickelt. Für mich waren vor allem die Kontakte sehr wichtig, weil ich gerade aus Argentinien gekommen war. In Argentinien habe ich zwar auch schon sehr lange als Journalistin gearbeitet. Am Anfang wusste ich hier in Deutschland aber dennoch gar nicht, wie alles in diesem Land funktioniert. Ich hatte ja hier gar keine beruflichen Kontakte. Mit Hilfe der „Neuen deutschen Medienmacher“ habe ich dann ein Praktikum gemacht, Redaktionen und Leute kennengelernt. Erst danach fing ich langsam an, hier als freie Journalistin zu arbeiten. Jetzt arbeite ich selbst im Verein an dem Mentoring-Programm mit. Wenn jemand Fragen hat oder eine Beratung braucht, kann er mich anrufen und sich informieren.

©Sobir Pulatov. Neuen deutschen Medienmacher im Berliner Büro.

©Sobir Pulatov. Neuen deutschen Medienmacher im Berliner Büro.

Und warum sind Sie von Argentinien nach Deutschland umgezogen?

Luciana Ferrando: Wegen einer Liebesgeschichte (lächelt).

Klingt sehr romantisch! Was unterscheidet eigentlich einen „neuen deutschen Medienmacher“ von allen anderen Medienmachern? Gibt es besondere Charakteristika?

Ebru Tazdemir: Die „neuen deutschen Medienmacher sind sehr vielfältig, und es gibt sehr verschiedene Bereiche, in denen wir gut sind. Unsere Journalisten sind an verschiedenen Standorten und in verschiedenen Redaktionen tätig. Wenn ich irgendeine Information brauche, weiß ich, bei wem ich sie bekommen könnte. Und außerdem ist das ein sehr freundliches, angenehmes Netzwerk.

Mit welchen ähnlichen Organisationen arbeiten Sie zusammen? Gibt es solche Vereine wie die „Neuen deutschen Medienmacher“ auch in anderen Ländern?

Ebru Tazdemir: Ja, es gibt in Italien und auch in Österreich ähnliche Vereine. Wir haben Kontakt mit ihnen, aber wir arbeiten nicht zusammen. Eigentlich ist es schade, dass wir viel zu wenig Zeit und Geld, dafür aber viel zu viel zu tun haben. Deswegen ist es ein bisschen schwierig. Aber wir werden uns austauschen, und wir sind erste Gesprächspartner für europäische und andere Länder, wenn es um Medien und Einwanderungsgeschichte geht. Ansonsten arbeiten wir mit vielen Medienorganisationen zusammen.

Könnten Sie vielleicht jungen Journalisten einen Rat geben, wie sie richtige Profis in ihrem Fach werden können?

Ebru Tazdemir: Es ist wie ein guter Koch zu werden: Ganz, ganz lange üben, Fehler machen können und dürfen. Und immer im Austausch sein. Ganz viel versuchen zu lernen und niemals denken, dass man schon alles kann, sondern von anderen lebenslang lernen wollen.


Daria Kortschak studierte Germanistik an der Uralischen Föderalen Universität in Jekaterinburg und Medienmanagement an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau. Sie würde gerne eine erfolgreiche Journalistin oder Medienmanagerin werden. Das steht fest auf ihrer Agenda. Sie schreibt sehr gerne – am liebsten über Sport aber manchmal auch über Steuerpolitik.


Sobir Pulatov Sobir Pulatov studierte Deutsch und Englisch auf Lehramt am Staatlichen Fremdspracheninstitut in Samarkand. Sein Studium will er weiter fortsetzen und einen Master in Politik und Publizistik schaffen und in der Zukunft in einer supranationalen NGO in Zentralasien in den Bereichen Zivilgesellschaft und Medien interagieren.