Zerstört der Staat die Tattoo-Kultur?

Zerstört der Staat die Tattoo-Kultur?

Über sechs Millionen Menschen in Deutschland sind tätowiert, heißt es aus einer Studie der Ruhr-Universität Bochum. Deswegen hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zusammen mit dem Bundesverband der Tätowierer im Juli 2016 die Aufklärungskampagne „Safer Tattoo“ gestartet. Das Ministerium, welches sich nach eigener Aussage mit einem „gesundheitlichen Verbraucherschutz“ befasst, setzt sich für einheitliche Arbeits- und Hygienevorschriften ein. Diskutiert wird unter anderem einen verpflichtenden Hygieneschein für Praktizierende und welche Farben verwendet werden dürfen. Wie stehen TätowiererInnen zu dieser Diskussion? Ein Interview mit Tattoo-Artist Mathilde Hanmeister.

Von Norma Hillemann

Hast du die aktuelle Diskussion über die allgemeinen und verpflichtenden Standards für Tätowierer in Deutschland mitverfolgt?

Bisher nicht. Aber ich vermute das ist eine ähnliche Diskussion wie wir sie einst in Frankreich hatten. Bevor ich letztes Jahr Frankreich verließ, sollte es ein Gesetz geben, dass jeder Tattoo-Artist eine Art Diplom braucht, um zu tätowieren.

Aber das Gesetz wurde nie durchgesetzt?

Nein. In Frankreich gibt es nur den Hygiene-Schein. Dafür musst du in eine dreitägige Fortbildung, zahlst 600 € und das war’s. Dann kannst du tätowieren.

Wie war dein Standpunkt zu diesem Gesetz? Inwieweit könnten Gesetze in der Tattoo-Praxis sinnvoll sein?

Ich bin für eine Art akademische Ausbildung, immerhin ist das eine richtige Arbeit, die du ausübst. Für andere Jobs brauchst du schließlich auch eine richtige Ausbildung. Es gibt zwar ein paar Tattoo-Schulen – auch in Deutschland – aber die haben bei Tätowierern einen sehr schlechten Ruf. Die sind nur dafür da, jungen Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Diese Schulausbildung geht auch nur ein Jahr oder weniger …

Weißt du, was den angehenden Tattoo-Artist dort vermittelt wird?

Ja, ich habe einen Kollegen, der auf einer solchen Schule war. Er hat das sogar vom Jobcenter bezahlt bekommen. Dort lernte er die Hygienestandards und dann bekam er eine falsche Haut, auf die er eine Blume tätowieren und dafür ein Design entwerfen musste. Aber die lernten dort nicht einmal, wie man richtig zeichnet … Es war keine Kunsthochschule, dort lernten sie nur die minimalen Grundlagen kennen.

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Mathilde Hanmeister legt großen Wert auf Hygiene im Tattoo-Studio. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Mathilde Hanmeister.

Was aber zumindest ein Anfang ist. Hier in Deutschland startete der Minister für Verbraucherschutz mit den Bundesverband der Tätowierer eine Kampagne, wo Konsumenten darüber aufgeklärt werden, was sie bei der Auswahl ihres Tattoo-Studio alles beachten müssen. Außerdem wird ein Gesetzte diskutiert, dass hier ebenfalls der Hygieneschein verpflichtend wird, ebenso ein Bluttest vom Tätowierer, – wegen des potentiellen Blutkontaktes – ein Erste-Hilfe-Kurs und welche Farben benutzt werden dürfen. Ebenso soll es regelmäßige Kontrollen der Tattoo-Studios geben. Was ist dein erster Eindruck, wenn du diese ganzen Vorschriften hörst?

Ich denke, das ist wirklich cool. In diesem Job gibt es sonst so gut wie keine Regeln. Da ist auch niemand, der dir sagt, wie du etwas zu machen hast. Viele Tätowierer, die ich kenne, lernten das Handwerk für sich allein. Ich habe das auch so gemacht. Als ich das erste Mal in einem Studio arbeitete, bemerkte ich erst dann, wie viele Fehler ich bezüglich der Hygiene und anderen Dingen bisher machte. Also diese Vorschriften machen schon Sinn.

Denkst du, diese Vorschriften allein reichen oder würdest du für das Gesetz etwas ergänzen?

Ich denke, das wäre erstmal ein guter Anfang. Ich sehe manchmal so furchtbare Tattoos, da denke ich mir auch manchmal, „Du hast das Tattoo, was du verdienst!“. Es ist auch der Job des Kunden, bei Betreten des Tattoo-Studio zu schauen, was der Künstler so macht, wie die Designs aussehen, ob alles sauber aussieht, … Ich würde vielleicht [für das Gesetz] vorschlagen, dass auch das eigentliche Handwerk – das Zeichnen – geprüft werden muss.

Wie stellst du dir das in der Umsetzung vor? Wer entscheidet, was ein „gutes“ Tattoo ausmacht? Was ist „gut“?

Das ist das Problem. Vielleicht entscheidet das am Ende der Kunde. Ich finde es aber schon verrückt, dass du einen Laden eröffnen kannst und zeichnest wie, … keine Ahnung. Jeder kann einfach so ein Studio eröffnen!

Du hast vorhin angedeutet, dass ein Abschluss an einer Kunsthochschule helfen könnte…

Vielleicht. Aber auf der anderen Seite kenne ich Menschen, die auch ohne solchen Abschluss gut zeichnen können. Kunsthochschulen sind auch sehr teuer. Der Besuch einer solchen Hochschule müsste kostenlos sein. Da wünsche ich mir, dass der Staat dies finanziell unterstützt, wie bei anderen akademischen Ausbildungen auch. Dort müssen dann vielleicht neben Zeichnen auch die Hygiene-Standards vermittelt werden… Auch wenn es schwer ist, eine ausgewogene Regulierung für Tattoo-Studios zu finden. Beispielsweise gab es bei uns in Frankreich wegen der Tattoo-Farben sogar einen Skandal. Einige Menschen reagierten auf die Farbpartikel allergisch und farbige Tattoos sollten darauf hin verboten werden. Das Problem war, dass diese Leute einfach allgemein allergisch gegen bestimmte Inhaltsstoffe waren. Ich kann ja auch keine Erdnüsse verbieten, nur weil es Menschen mit Erdnuss-Allergie gibt.

Wie wählt ihr denn im Laden eure Farben aus?

Wir benutzen nur eine etablierte Marke. Dies ergibt sich aus Gesprächen mit Fachkollegen, da werden halt Empfehlungen ausgesprochen.

Wie stehst du zu einem europaweiten Gesetz, was landesübergreifend die Standards beim Tätowieren regelt?

Klar, warum nicht? Es sollte überall die gleichen Regeln geben. Es gibt ja keine Nationalität, die gegenüber Infektionen resistenter ist als andere. Ich denke, das Problem wird eher die Umsetzung sein.

Und was denkst du über einen selbstverpflichtenden Standard für Studios?

Warum nicht? Solange es keine richtigen Gesetze gibt, ist es besser als nichts. Ich schätze aber, dass es nicht das Problem löst, wenn Leute einfach keine Ahnung haben, auf was alles geachtet werden muss. Es ist wichtig, dass es jährliche Kontrollen gibt, um die Sauberkeit zu gewährleisten. Wäre alles selbstreguliert, wird es weiterhin furchtbare Studios geben.

Hattest du schon Erfahrungen mit einem „furchtbaren Studio“?

Persönlich nicht. Aber eine Freundin und Kundin erzählte mir von ihrem ersten Tattoo. Der Tätowierer war echt verrückt, der trank die ganze Zeit Whisky bei der Arbeit und ließ sie währenddessen ihre Zigaretten rauchen. Ich war einfach nur geschockt. Und das ist das Problem, wenn es gar keine Kontrollen gibt.

Mathilde Hanmeister

Wer sich einen persönlichen Eindruck von der Tätowiererin machen möchte, kann bei ihr einen Termin über Facebook vereinbaren.

Welche Regeln und Standards werden bei euch im Studio umgesetzt?

Alles an Zubehör, was du zum Tätowieren nutzt, wird nur einmal verwendet. Wir benutzten Einmal-Handschuhe, wenn wir den Arbeitsplatz vorbereiten, wir benutzt auch welche, wenn wir alles danach säubern. Ich präpariere meinen Arbeitsplatz gern vor den Augen der Kunden, damit die sehen, dass auch wirklich alles sauber ist. Das beruhigt insbesondere die Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Tattoo kriegen. Wir arbeiten mit Folien, wir fassen nichts anderes während des Stechens an, wegen der Infektionsgefahr.


Norma Hillemann ist Studentin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im vierten Semester und überzeugte Tattoo-Freundin.