Rassismus im Wedding

Rassismus im Wedding

Roi Hendler ist Israeli, Musiker und seit acht Monaten auch Weddinger. Nach seinem Bachelor in Biopsychologie in Jerusalem erfüllte er sich einen Traum und zog nach Berlin. Rike Runge unterhielt sich mit ihm über Rassismus und den Clash der Kulturen in seiner neuen Wahlheimat.

Von Ulrike Runge

Wie offen gehst du Fremden gegenüber damit um, dass du Israeli bist?

Ich sehe mich nicht als jüdisch. Ich bin zwar aus Israel und habe faktisch einen israelischen Pass, aber ich fühle mich weder israelisch noch jüdisch. Das ist nicht Teil meiner Identität. Wenn mich Leute nicht nach meiner Herkunft fragen, sage ich sie notwendigerweise nicht freiwillig. Religion spielt in meinem persönlichen Leben keine Rolle. Leider spielt sie eine Rolle in der politischen Welt, die mich umgibt.

Hast du im Wedding Rassismus erlebt?

Nein, ich habe nie Rassismus erlebt, aber ich hatte kleine Zwischenfälle. Zum Beispiel habe ich mir mal ein Taxi genommen. Der Taxifahrer und ich haben uns über irgendwas unterhalten und ein bisschen gelacht. Es stellt sich heraus, dass er Palästinenser ist. In der Minute in der er realisiert, dass ich Ursprünglich aus Jerusalem komme, hört er auf nett zu sein und verstummt. Das ist auch irgendwo verständlich. Ich kann das nicht zu ernst nehmen, weil Menschen eben verurteilend sind. Ich nehme das nicht persönlich. Ich habe nie Aggressivität oder Beleidigungen erfahren.

Hast du andere Palästinenser in Berlin getroffen?

Hier im Wedding und in Berlin ­ kaum. Ich habe ein paar syrische Flüchtlinge kennengelernt. Einer von ihnen hat meiner Freundin hinter meinem Rücken erzählt, dass er keine Israelis oder Juden mag. Mir gegenüber war er nur etwas kalt, etwa so wie der Taxifahrer. Er war nicht empfänglich, hat keine Fragen gestellt und signalisiert: Ich will keine Verbindung zu dir. Ich habe versucht die Grenzen etwas zu testen, aber das hat bei ihm nicht funktioniert. Ich kann aber nicht behaupten, dass das im Wedding ein allgemeines Phänomen ist. Jeder ist anders. Andere Leute aus der gleichen Gruppe des Flüchtlingsheim waren sehr nett. Wir sind immer noch befreundet. Ein anderer Typ aus der Gruppe hat auch mit meiner Freundin darüber gesprochen und er hat kein Problem. Wir waren vor ein paar Tagen zusammen in dem Theaterstück “The Situation” und alles war cool. Du musst dich wirklich auf diese Seiten konzentrieren und nicht auf die bescheuerten.

Ist “The Situation” nicht ein Theaterstück über genau das Thema, die Überwindung von Rassismus in Berlin?

Ja, “The Situation” bezieht sich auf die Situation im mittleren Osten, also Israel, Palästina, Flüchtlinge und so weiter. Das Stück spielt in einem Sprachkurs in Berlin. Die Gruppe besteht aus einem israelischen Mädchen, ihrem palästinensischen Mann, zwei anderen Flüchtlingen, einem Mädchen aus Dschenin und einem Deutschen, der sich auf der Hälfte des Stücks als Kasache herausstellt. Es ist sehr interessant, wie hier in Berlin alle aufeinanderstoßen, aufeinander reagieren, versuchen die Situation hinter sich zu lassen, aber nicht können.

Nach Berlin zu ziehen war für mich so ein großes Ziel.

Das werde ich mir nicht verderben lassen, selbst wenn ich einen Neonazi auf der Straße sehe.

Habt ihr hinterher über das Stück geredet?

Mit meinem syrischen Freund? Ein bisschen, ja. Ich denke, er mochte es wirklich. Er hat gelacht, das war sehr schön zu sehen. Wir haben direkt nebeneinander gesessen. Das war sehr herzerwärmend. Es hat ihm sehr gefallen, das mochte ich. Wir haben über das Stück geredet, aber sind nicht wirklich ins Detail gegangen. Wir haben uns nur ausgetauscht, was lustig oder schön war, aber wir haben nicht viel analysiert. Ich denke wir sind da alle rausgegangen und haben übereingestimmt, dass wir es genauso sehen.

Wie reagierst du in Situationen wie mit dem Taxifahrer? Was ist deine Strategie?

Ich ignoriere das. Ich mache weiter und zwinge mich genauso zu sein wie vorher. Ich versuche einen Witz zu machen oder zu zeigen, dass es selbstverständlich okay ist, dass er aus Palästina ist und ich aus Israel. Ich tue einfach so, als sei das kein großes Ding. Normalerweise funktioniert das aber nicht auf der anderen Seite. Ich kann das auch irgendwie verstehen. Das ist die “Opferseite” des Konflikts, deshalb haben sie etwas gegen mich, ob nun persönlich oder nicht.

Wenn du einkaufen gehst oder zum Falafelstand, wirst du dann gefragt, wo du herkommst?

Ich wurde nie gefragt, außer wenn wir ins Gespräch gekommen sind, aber niemand hat es unmittelbar gefragt. Einmal war ich aber beim Libanesen Falafel essen und habe meine Herkunft freiwillig geäußert. Aus irgendeinem Grund ist das auch nicht so gut gelaufen. Ich habe Witze darüber gemacht, wie scheiße Falafel normalerweise in Berlin ist und wie gut die Falafel bei dem Libanesen war, fast wie zu Hause. Die waren aber nicht so begeistert.

Hattest du schon mal schlechte Erfahrungen mit Deutschen?

Nicht wirklich, Deutsche sind sehr vorsichtig, besonders bei allem was mit Israel zu tun hat. Da waren mal ein paar Touristen, italienische Mädchen. Die haben mich gefragt, wo ich herkomme. Dann antwortete sie: Ich kann Israel nicht leiden. Das ist das Maximum. Es ist nicht so, als wäre tatsächlich jemand unhöflich oder nicht mehr nett zu mir. Deutsche im Speziellen? Nein, die sind normalerweise sehr einfühlsam gegenüber Israelis und dem ganzen Konzept. Vielleicht habe ich die andere Sorte der Deutschen aber auch einfach noch nicht getroffen. Ich bin nicht so viel herumgereist, ich habe die meisten Leute hier in Berlin getroffen und ein paar in Köln, aber ich war noch nicht im Osten oder im Norden.

Die Hälfte der Weddinger Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, 30% sind Ausländer. Ist es hier im Vergleich zu anderen Berliner Stadtteilen besser oder schlechter?

Ich denke ich füge mich hier auf eine Art besser ein. Ich fühle mich hier nicht so fremd, weil hier alle Fremde sind. Fremde kennen das Gefühl und deshalb interessieren sie sich nicht so sehr für andere Fremde. Sie kennen die Situation und sind damit beschäftigt sich ihr eigenes Leben aufzubauen. Da ist kein großer Unterschied zwischen hier und anderen Orten in Berlin. Der Wedding fühlt sich aber ziemlich freundlich und nett an. Und selbst wenn Leute wie die Späti­-Typen glauben, dass ich Israeli bin, macht das keinen großen Unterschied.

Gibt es noch etwas, das du ergänzen möchtest?

Nach Berlin zu ziehen war für mich so ein großes Ziel. Das werde ich mir nicht verderben lassen, selbst wenn ich einen Neonazi auf der Straße sehe. Er ist ein Idiot, aber ich versuche über alles was ich sehe und alle Leute, die ich treffe positiv zu denken. Vielleicht vergesse ich sogar negative Erfahrungen. Vor vier Jahren, als ich Tourist in Berlin war, hatte ich auch einen Zwischenfall. Ich bin mir nicht sicher ob die Leute Einheimische, Türken oder türkische Einheimische waren. Sie haben Leute in der U-Bahn belästigt. Irgendwann waren meine Freundin und ich an der Reihe. Sie haben geschrien und nach einer Weile merkten sie, dass wir Touristen waren und fragten uns woher. Als ich antwortete, dass wir aus Israel kommen, wurden sie aggressiv. Das war eine Mischung aus Spiel und Ernst. Sie haben so getan als wollten sie uns schlagen, haben aber nur die Wand direkt neben uns geschlagen. Das war nicht schön. Das ist das Schlimmste was bisher passiert ist. Es ist immer das Gleiche mit Rassismus. Ich habe noch nie einen klugen Rassisten getroffen. Vielleicht reagiere ich deshalb so leicht darauf, weil Rassismus für mich eine Tat der Dummheit ist. Ich habe mich durch Rassismus noch nie lebensgefährlich bedroht gefühlt. Ich dachte immer: Komm schon, warum bist du so ein Idiot? Ich habe keine Angst vor Rassismus, ich bin nur genervt davon.

Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.


Foto: Ulrike Thamm

Rike Runge ist 24 Jahre alt. Sie studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeitet nebenbei bei rbb|24. Seit fünf Jahren lebt sie im Wedding und beobachtet mit wachsendem Interesse seine Entwicklung.