Kulturförderung – zwischen Freiheit und Abhängigkeit

Kulturförderung – zwischen Freiheit und Abhängigkeit

Kunst kostet Geld, teilweise sogar sehr viel. Und dieses Geld muss irgendwo her kommen: Hier greift die Kulturförderung. Der Senat beispielsweise unterstützt die deutsche Kulturlandschaft mit rund 400 Millionen Euro im Jahr (Stand 2015).

Doch welche Künstler bekommen dieses Geld, und um welche Summen handelt es sich? Wer trifft die Entscheidungen? Vor wem müssen diese Entscheidungen verantwortet werden? Transparenz scheint für die staatliche Kulturförderung essentiell zu sein. Doch ist diese Transparenz wirklich immer gegeben, wenn Steuergelder an Projekte verteilt werden? Kann eine strikte Trennung zwischen Politik und Kunst gesichert werden?

Von Renée Zajic und Bernadette Binner

„Förderentscheidungen basieren auf den Prinzipien von Transparenz, Verfahrensgerechtigkeit und Gleichbehandlung. Entscheidungen zu Projektförderungen und Stipendien werden nach dem Antragsprinzip und auf Grundlage nachvollziehbarer Kriterien, insbesondere künstlerischer Qualität, getroffen. Über die Anträge beraten unabhängige Beiräte und Fachjurys. Diese werden von der Kulturverwaltung nach fachlicher Eignung ausgewogen zusammengesetzt und in regelmäßigen Abständen neu berufen. Alle Entscheidungen werden veröffentlicht und in der zentralen Zuwendungsdatenbank des Landes erfasst.“ (Berliner Senat)

Was passieren kann, wenn ein Kunstprojekt sich gegen die politischen Ansichten der öffentlichen Förderer stellt, zeigte sich vor wenigen Monaten: Im April 2016 gelangt das Projekt „Aghet“ der Dresdner Sinfoniker in die Schlagzeilen: Das Konzertprojekt, die Initiative des Intendanten Markus Rindt und des Musikers Marc Sinan, setzt sich mit dem Völkermord an den Armeniern durch die Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts auseinander. Ein Versöhnungsprojekt soll es sein. Doch die türkische Vertretung in der EU-Kommission fordert die Einstellung der EU-Fördergelder für „Aghet“ – schließlich zahlt die Türkei selbst auch in den Fördertopf ein und finanziert das Projekt somit mit.. Die Fördergelder bleiben, die Beschreibung des Projektes von der EU-Homepage allerdings wird erst aus dem Netz genommen und später umformuliert: Die Verwendung des Begriffes „Völkermord“ wird deutlich als die alleinige Meinung der Künstler gekennzeichnet, während sich die EU-Kommission selbst davon  distanziert. „Aghet“ scheint erst mal eine zu große Provokation zu sein. Wie weit sollten die Förderer auf inhaltlicher Ebene in die Projekte eingreifen dürfen?

Der Intendant Markus Rindt berichtet im Interview über „Aghet“, über seine Erfahrungen mit staatlicher und privater Kulturförderung und über Kunst als politisches Vermittlungsvehikel:

Der Armenien-Genozid

Bereits um die Jahrhundertwende entwickeln sich die ersten Konflikte zwischen der christlichen Minderheit der Armenier und den türkisch-muslimischen Bürgern im Osmanischen Reich. Das Vielvölkerreich unter Sultan Abdülhamid II. droht zu zerfallen, in Folge werden nationalistische Ideologien gestärkt und es soll ein rein türkisch-muslimischer Staat geschaffen werden.

1915, nach Eintritt des Osmanischen Reiches in den ersten Weltkrieg, kommt es zur Eskalation: Erst werden Mitglieder der armenischen Elite verhaftet, gefoltert und hingerichtet – anschließend wird versucht, ein ganzes Volk auszulöschen. Über eine Million Armenier werden unter Leitung der osmanischen Regierung ermordet, doch bis heute wird dieses Verbrechen von der türkischen Regierung nicht offiziell als Genozid anerkannt.

2016 verabschiedete der deutsche Bundestag trotz heftiger Kritik der Türkei eine Resolution, in welcher die Ereignisse 1915 als Völkermord eingestuft werden.

Zu Anfang: möchten Sie das Projekt „Aghet“ noch einmal in eigenen Worten beschreiben?
Das Projekt begann vor etwa sechs Jahren. Ich war mit meinem Kollegen und Freund Marc Sinan, das ist ein deutsch-türkisch-armenischer Komponist und Gitarrist, zusammen in Anatolien unterwegs. Er erzählte mir auf dieser Reise die Geschichte seiner Großmutter, die den Genozid an den Armeniern als sechsjähriges Kind erlebt hatte und bei diesen Geschehnissen im Jahr 1915 ihre gesamte Familie verlor. Ich fand das sehr bewegend. Er sagte dann er möchte eigentlich gerne ein musikalisches Projekt für seine Großmutter machen. Und auch ein Projekt für die Opfer des Genozids. Wir haben dann relativ schnell überlegt ein Konzertprogramm mit Musikern aus Armenien, der Türkei und Deutschland, auf die Bühne zu bringen. Am Konzert sind fast 50 Leute beteiligt, türkische, armenische und deutsche Musiker, sowie Musiker aus den ehemaligen jugoslawischen Staaten. Wir haben eine EU Förderung beantragt. Das Ziel ist ja immer auch verschieden EU Staaten zusammen zu bringen, für diese Förderung. Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt des Projektes ist, die Zusammensetzung der Komponisten. Wir haben eine türkische Komponistin Zeynep Gedizlioğlu, die ist aus Istanbul und lebt mittlerweile in Berlin und ist eine sehr bekannte Komponistin. Dann gibt es den armenischen Komponisten Wache Scharafjan, der sehr bekannt ist und auch weltweit schon oft gespielt wird. Und den deutschen Komponisten Helmut Oehring, der ja auch ein bekannter Name ist. Alle drei Komponisten haben ihren Teil zum Konzertabend beigetragen. Also ein musikalisch extrem vielseitiges Programm. Das ist die Grundidee von „Aghet“.

Sie hatten auch eine Aufführung in Istanbul geplant, wie sieht es nun zum heutigen Zeitpunkt mit dieser Aufführung aus?

Wir haben „Aghet“ 2015 in Berlin uraufgeführt – zum 100. Jahrestag des Völkermordes. Jetzt gab es eine Aufführung in Dresden und jetzt gibt es ja noch weitere Aufführungen. Das heißt also wir spielen in Jerewan Anfang September und in Belgrad. Istanbul ist nach wie vor in der Planung, wobei wir versuchen eine Freundschaftsgesellschaft zu gründen. Eine Freundschaftsgesellschaft, nach dem Vorbild von Mikis Theodorakis  mit dem wir auch ganz guten Kontakt haben. Mikis Theodorakis hatte mal in den 80er Jahren eine griechisch-türkische Freundschaftsgesellschaft gegründet, die sehr erfolgreich war für die Politik der beiden Staaten. Danach gab es dann eher eine Friedenspolitik. Mich hatte neulich ein griechischer Manager angesprochen, er meinte es sei ja gut und schön, dass wir jetzt den Völkermord machen und dass man auch darauf bestehe, dass das so genannt wird, aber wir müssten auch weiter denken, wir müssten auch denken was jetzt dann eigentlich kommt, was passiert, wenn das anerkannt werde. Er hat uns diese Idee, dass man vielleicht so was Ähnliches macht quasi gegeben. Das finden wir eigentlich auch gerade für Istanbul in dieser jetzigen Situation eine super gute Idee. Nämlich: noch mehr die Hand auszustrecken und mit verschiedenen Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern gemeinsam diese Freundschaftsgesellschaft zu gründen und das Konzert in Istanbul dann zu nutzen um diese Freundschaftsgesellschaft zu starten. Das wäre unser Ziel. Wir haben das Auswärtige Amt als Partner und hoffen dass die uns entsprechend schützen (lacht).

Mit welchen Gefühlen fährt man dann nach Istanbul – können sie sich vorstellen, wie das dann sein wird? Was für Erwartungen stecken da dahinter?

Also natürlich ist das ein Affentheater, was da gerade passiert (lacht). Das ist ja unerträglich. Aber natürlich ist mir auch klar, dass Erdoğan jetzt nicht sagen würde „Ach Mensch das ist eine Freundschaftsgesellschaft, das ist ja eine wunderbare Idee, da sind wir ja noch nie drauf gekommen, da machen wir doch mit.“ Das ist schon logisch, aber hier geht es ja vor allem darum, dass wir die deutsche Politik auf unsere Seite holen.
Ich habe ja auch die Verantwortung für eine Reihe von Musikern. Man muss das beobachten und stur weitermachen, die Flüge müssen irgendwann gebucht werden und ich hoffe, dass wir da fahren können.

Was ist genau passiert? Wurden die Vorgänge mit Ihnen kommuniziert?

Markus Rindt

Der Intendant der Dresdner Sinfoniker wurde in Magdeburg geboren. Er stammt aus einem musikalischen Elternhaus – die Mutter war Chorsängerin, der Vater Orchestermusiker. Mit sechs Jahren erhielt Markus Rindt seinen ersten Klavierunterricht.Er studierte später Horn bei Prof. Peter Damm in Dresden und Prof. Erich Penzel in Köln.

1996 gründete er gemeinsam mit dem Musiker und Komponisten Sven Helbig die Dresdner Sinfoniker. Markus Rindt ist regelmäßig Juror internationaler Kompositionswettbewerbe, so unter anderem bei der Brandenburger Biennale. Er wurde mit dem Kunstförderpreis 2000 der Landeshauptstadt Dresden, als Kulturmanager des Jahres 2008 und 2010 als Dresdner des Jahrzehnts ausgezeichnet. Quelle, Foto: Graziela Diez

Doch, die kulturfördernde Agentur, die diese Kooperationsprojekte macht, die haben uns irgendwann angerufen und haben gesagt sie hätten hier eine Anfrage der Türkischen Vertretung in der EU. Die Vertretung hatte also eine Anfrage bei der EU-Kommission gestellt. Sie sagten, es geht um ein Projekt, aber sie wissen nicht worum genau. Sie wollten wissen, ob wir irgendwie informiert seien. Wir wussten nichts. Dann kam nach ein paar Tagen kam wieder eine Meldung: „Ja, es ging um euer Projekt und wir wollten euch nur mal vorwarnen, was da passiert“. Dann haben sie uns in den Tagen danach auch immer wieder informiert, sodass der Druck innerhalb dieser Tage erhöht wurde. Die Türkische Seite hat dann verlang die Unterstützung einzustellen; dass das total kleingehalten wird, dass das niemand davon erfährt, dass niemand davon berichtet. Auch, dass sie das also auch nicht PR mäßig unterstützen sollen und haben dann eben auch verlangt, dass dieser Begriff „Völkermord“ von der Seite genommen wird, damit das nicht so aussieht als ob die EU diese Meinung im allgemeinen vertreten würde. Dann haben sie damit gedroht – das hat uns die EACEA auch mündlich erzählt – dass die Förderung der Türkei in diesen Kulturtopf eingestellt werde, wenn sie das nicht machen. Das witzige an dieser ganzen Geschichte ist ja, dass wir drei Länder haben die dieses Projekt tragen. Deutschland, Serbien und die Türkei. Armenien wäre als Partnerland nicht möglich, weil sie nicht in der EU sind. Die Türkei ist auch nicht in der EU aber sie zahlen trotzdem,  im Verlauf dieser Beitrittsverhandlungen schon ein. Man kann sie also seit zwei Jahren wirklich als Partnerland einsetzen. Das ist denen an dem Punkt wahrscheinlich auch erst aufgefallen, dass sie selbst fördern bei einem Projekt, dass sie eigentlich gar nicht wollen.

Wie haben Sie auf die Löschung der Projektbeschreibung reagiert? Es gab einen  ausführlichen Brief vieler Künstler. Was hat dieser bewirkt?

Jedes Projekt was von der EACEA gefördert wird hat eine Webpräsenz  und sie haben sich auch immer klar hinter uns gestellt. Sie haben auch gesagt sie werden auf keinen Fall die Förderung einstellen, die Gefahr bestünde gar nicht es gebe ja auch Verträge. Das haben sie wohl auch der Türkischen Seite gegenüber klar gemacht. Aber sie haben die Beschreibung zu einem bestimmten Punkt rausgenommen aus dem Netz. Da haben wir protestiert und gesagt sie sollen das auf jeden Fall sofort wieder reinnehmen. Wir haben dann auch eine Presseerklärung verfasst, die wir der EU Kommission also der EACEA dann auch zugeschickt haben bevor sie veröffentlicht wurde. Dann hat das eine riesen Welle gemacht und am Montagvormittag haben sie schon eine Pressekonferenz (auch von der EU Kommission gegeben) und haben dann auch den Text wieder reingenommen. Allerdings mit einem Disclaimer wo drinsteht, dass das nicht die Meinung der EU Kommission wieder spiegelt, sondern die Meinung der Künstler ist. Sie wollten eben kein Risiko eingehen.

Generell, wie sind Ihre Erfahrungen mit staatlicher Kulturförderung?

Fakt ist, dass die es nicht gut fanden, dass wir das veröffentlichen. Aber sie haben sich auch nicht direkt gegen uns gestellt. Ich glaube, dass sie einfach aus strategischen Gründen dafür plädiert hat, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Um vielleicht die Tournee sicherer durchführen zu können, oder nicht die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit zu erregen. Sie müssen sich vorstellen: Es gibt  nicht viele Stellen, bei denen die Dresdner Sinfoniker Fördermittel beantragen können, wenn man von den kleineren absieht, die nur zwischen 1.000 und 20.000 Euro vergeben. Aber es gibt nur zwei oder drei größere Förderstellen: Zum Beispiel die Kulturförderung, oder die Bundeskulturstiftung, oder den Hauptstadtkulturfonds, wenn man etwas in Berlin macht. Damit ist das dann eigentlich schon ziemlich zu Ende. Und jetzt müssen Sie sich vorstellen, man bekommt ein Signal von der EU-Kommission, dass man etwas lieber nicht veröffentlichen soll, aber in Zukunft ist man durchaus auf die Förderung angewiesen – man fühlt sich schon unter Druck. Was macht man denn jetzt? Geht man damit an die Öffentlichkeit, weil hier eine Grenze überschritten ist oder denkt man an zukünftige Projekte, an zukünftige Förderungen? Und rechnet damit, dass diese in Zukunft vielleicht nicht besonders wohlwollend betrachtet werden. Das ist natürlich schwierig. Wir haben uns dann trotzdem entschieden, das zu veröffentlichen. Ich habe aber überhaupt keine Ahnung, ob das sich jetzt in Zukunft negativ auswirkt (finanziell).

Grafik

Wer bekommt wie viel? Der Haupstadtkulturfonds hat 2015 die Kunst- und Kulturlandschaft mit 9.801.650 € unterstützt. Die Infografik zeigt, mit wie viel Prozent der Gesamtsumme die diversen Sparten gefördert wurden.

Sollten die staatlichen Förderer transparenter arbeiten?

Auf jeden Fall. Ich selbst saß ja drei Jahre in der Jury der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und musste dort über hunderte von Anträgen abstimmen. Man möchte natürlich die guten Projekte fördern,  aber es ist halt einfach immer zu wenig Geld da und man wird dazu angehalten, sehr kritisch zu sein. Es ist wahnsinnig entscheidend, ob sich auch nur eine einzige Person in der Jury für ein Projekt stark macht oder nicht. Ich erzähle Ihnen mal ein Beispiel: Es gab mal ein Projekt, dessen Projektbeschreibung so schlecht geschrieben war, dass man sich nur dachte: „Was wollen die einem sagen? Was soll das denn für ein Quatsch sein?“ Wir haben uns das in der Jury angeschaut und gefragt, ob jemand was damit anfangen könne. Ne, konnte keiner. Dann wurde das quasi schon weggelegt bis sich eine Person meldete und meinte: „Ich beobachte diese Gruppe schon sehr, sehr lange. Das ist eine fantastische Arbeit und die haben sich unglaublich entwickelt.“ Dann hat er uns einen Vortrag gehalten und uns überzeugt, das Projekt wurde bewilligt. Man sieht hier also, wie wahnsinnig wichtig es ist, wenn auch nur eine einzige Person für ein Projekt spricht. Wenn Sie mich nach Transparenz fragen: Da weiß man überhaupt nichts. Es kommt immer nur eine allgemeine Absage, und man weiß nicht warum. Da sind auch gute Projekte dabei – eben so etwas wie „Aghet“ oder andere großartige Sachen. Es gibt eine Standardabsage, Grund A, Grund B, Grund C oder so was. Da wird dann kurz drüber gesprochen und nicht groß darüber nachgedacht, das geht wahnsinnig schnell und ist dann auch ein bisschen ungerecht. Leider.


Schwerpunkte der staatlichen Kulturförderung in Deutschland:

Unterhalt öffentlicher Institutionen (wie zum Beispiel Theater, Museen und Bibliotheken die vorrangig der Kulturvermittlung dienen)

Indirekte Kulturförderung durch Schaffung günstiger rechtlich-sozialer Rahmenbedingungen (z.B. im Steuer-, Sozial- und Medienrecht – darunter zu verstehen sind beispielsweise Ermäßigungen von Eintrittspreisen für bestimmte Gruppen)

Wirtschaftliche Hilfen im Kultur- und Mediensektor (z.B. durch Druckkostenzuschüsse oder Mieterlass)

Förderung „freier“ Kulturaktivitäten (z.B. durch Preise und Stipendien von Künstlern und Autoren, durch die Unterstützung privater Theater oder durch Hilfen für Amateurvereinigungen wie Kunstvereine usw.)

Was glauben Sie, welche Projekte haben Chancen bei der staatlichen Kulturförderung?
Projekte, die einfach nur „schöne“ Musik, Projekte, die einfach nur künstlerisch wertvoll sind aber keine Brisanz haben, haben es schwer zurzeit. Projekte hingegen, die künstlerische Dingen machen, aber gleichzeitig auch als Vermittlungsprogramm dienen, die haben es viel leichter. Da kann man auch Fördergelder bei viel mehr Stiftungen beantragen. Haben wir mit „Aghet“ auch so gemacht. Wir haben mit zwei Gymnasien „Die 40 Tage des Musa Dagh“ inszeniert. Die Schüler haben diesen Stoff als Schauspiel auf die Bühne gebracht und die Dresdner Sinfoniker haben mit internationalen Musikern mitgewirkt – das war ein phantastischer Theaterabend. Das war einen Tag vor unserem Konzertabend: Am 29. April spielte „Die 40 Tage des Musa Dagh“ und am 30. war dann die Dresdner Uraufführung von „Aghet“. Ein ganzes Jahr haben wir mit den Schülern zusammengearbeitet, zum Beispiel sind wir mit ihnen in Flüchtlingsheime gegangen. Die Schüler haben auch das ganze Layout und die gesamte Pressearbeit selbst gestaltet, die Musik selbst mitkomponiert, sie habe die Dresdner Sinfoniker in eigenen kleinen Formationen begleitet,  das Bühnenbild mit entworfen usw.  Das Ganze halt immer unter professioneller Anleitung: Es gab eine tolle Choreografin, die mit ihnen einen Tanz erarbeitet hat, oder der Regisseur Tom Quaas hat mit ihnen die Inszenierung gestaltet. Das ist zum Beispiel einfach eine ganz tolle Geschichte, nach der ich sage: In Zukunft kein Projekt mehr ohne Vermittlung.

Um nochmals kurz auf Förderungen zurückzukommen, haben Sie eigentlich auch Erfahrung mit privaten Förderungen? Und wenn ja, wo liegen die Unterschiede zu staatlichen Förderungen?

Das ist wahnsinnig schwierig. Ich persönlich  habe persönlich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Das mag aber auch an verschiedenen Aspekten liegen. Der erste Aspekt ist, dass Dresden wenige Firmen hat, die dort ihren Firmensitz haben. VW mit der Gläsernen Manufaktur zum Beispiel, die sitzen ja in Wolfsburg. Siemens, die sitzen in München. Und so weiter und so fort. Diese großen Firmen, die jetzt wirklich das Potential hätten privat zu fördern, die sitzen nicht in Dresden. Wenn man sich ansieht wie viel denn zurzeit an privaten Mittel in „Aghet“ steckt, dann kann ich eigentlich nur sagen: Null. Zurzeit ist das null. Das sind alles öffentliche Fördermittel….oder Mittel von Kooperationspartnern, zum Beispiel Hellerau als Veranstaltungsort, die natürlich was dazu geben, aber die Veranstaltungsorte zahlen auch wenig. Hellerau zahlt zum Beispiel 20.000 Euro, sonst könnte man das auf gar keinen Fall dort spielen. Man braucht diese Kooperationspartner einerseits, sonst kriegt man die Förderungen nicht – andererseits könnten Kooperationspartner das nicht selbst stemmen. Das ist so.

Um von zukünftigen Projekten zu sprechen: Haben Sie Befürchtungen, dass es schwieriger werden könnte, Förderungen zu bekommen?

Ja, also das wäre ja Spekulation. Es gibt solche und solche Meinungen. Manche sagen: Ja klar, es wird bestimmt schwierig! Die wollen sich bestimmt nicht wieder Querulanten ins Boot holen.  Andere sagen: Das können die sich nicht leisten, das machen die auf jeden Fall nicht. Es gibt immerhin immer eine unabhängige Jury, die über Fördergelder entscheidet und die gucken jetzt nicht unbedingt, was wir publiziert haben und was nicht. Wir haben auch nichts Schlimmes gemacht. Wir haben positive Dinge bewirkt! Der Bundestag hat plötzlich über uns gesprochen. Das EU-Parlament hat über uns gesprochen. Schon kurz nach dem Projekt, in den Tagen danach. Wir haben die Öffentlichkeit sensibilisiert. Für den Offenen Brief an die Bundesregierung, den wir geschrieben haben, hatten wir in kürzester Zeit sehr viele prominente Unterstützer. Ich nenn mal ein paar, wie Fatih Akin oder Katharina Thalbach, Rolf Hosfeld, der Leiter des Lepsiushauses, oder eben Mikis Theodorakis. Das ist schon enorm. Und wir haben dann ja auch entsprechende Nachricht vom Bundestag bekommen, von verschiedenen Fraktionen, die das richtig gut fanden, was wir gemacht haben. Cem Özdemir zum Beispiel hat gemeint, er könne nicht diesen Brief unterschreiben, weil er dann ja befangen wäre. Weil er eben selbst mit abstimmt, da kann er das nicht machen [Abstimmung des Bundestages über eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich, Anm. d. Red.]. Aber er findet das gut, dass es eben auch von künstlerischer Seite eine Art Rückendeckung gibt.

Abschließend noch eine Frage: Sie werden in einem Artikel in der Zeit in einem Atemzug mit Jan Böhmermann genannt. Was ist Ihre Meinung: Wo liegen die Grenzen der Kunst?

Das ist ja Satire, was er gemacht hat. Der Unterschied von Böhmermann zu uns ist eigentlich ganz klar. Wir wollten überhaupt nicht provozieren. Das wird deutlich, wenn man sieht, wie wir in einem Orchester verschiedene Nationen vereinen und dann auch in diesen Ländern spielen. Mit Musik kann man versuchen, Dinge zu erreichen, welche die Politik vielleicht gar nicht mehr schafft heutzutage. Ich denke, da kann Kunst schon eine ganze Menge bewirken – wenn man es auch erstmal nicht glaubt.
Was Böhmermann gemacht hat, ist sicherlich nicht wahnsinnig schlau gewesen. Aber ich denke auch, dass es die Freiheit der Kunst gibt und in diesem Fall gehört die Satire mit Sicherheit dazu. Deswegen müsste das eigentlich auch möglich sein. Wir tolerieren ja so etwas hier in Deutschland, das ist ja völlig schmalspurig, was da in der Türkei passiert – und erschreckend! Ich kann mir ehrlich gesagt zurzeit auch nicht vorstellen, dass unser Projekt da so viel bewirken wird. Wenn wir „Aghet“ aufführen, dann hat das symbolische Wirkung in der Türkei und legt vielleicht die Grundlage für eine Freundschaftsgesellschaft. Vielleicht wird es dann in 20, 30, 40, 50 Jahren mal anders sein – aber kurzfristig ändert sich da garantiert nichts.

Vielen Dank für das Gespräch!

Was sagen die staatlichen Kulturförderer?

Ein Großteil der staatlichen Kulturförderungsinstitutionen sowie deren Juroren wollten keine Auskunft zum Thema Transparenz und politische Beeinflussung in der Kulturindustrie geben. Die wenigen Antworten waren allesamt Ablehnungen. Hier ein kleiner Auszug aus dem Email-Verkehr:

 „Grundsätzlich sind die Vergaben öffentlicher Fördermittel juriert und staatsfern organisiert und es ist in der Tat so, dass die Politik den Empfehlungen unabhängiger Jurys aus Experten folgt; nur sehr selten entscheiden die politisch Verantwortlichen anders. […] Zudem werden gewährte Fördermittel grundsätzlich nicht gestrichen, sondern bei regelwidriger Verwendung wird ggf. eine Prüfung veranlasst und ggf. zurückgefordert. Von einer unmittelbaren politischen Beeinflussung kann u.E. keine Rede sein; dafür ist der Prozess der Entscheidung über die Etatisierung, Vergabe und Abrechnung öffentlicher Fördermittel transparent gestaltet und lässt keine willkürlichen, gar politisch intendierten Entscheidungen zu.“

„Zu Fragen hinsichtlich der Kulturstiftung des Bundes müssten Sie sich direkt mit der KdB in Verbindung setzen, da wir als Fachjuroren nicht für die Institution sprechen und unsere Arbeit der Vertraulichkeit unterliegt.“

„Ich glaube es gibt berufenere [sic] als mich für Ihr Vorhaben.  Von der Kulturindustrie verstehe ich nachgerade überhaupt gar nichts. Entschuldigen Sie bitte, dass ich das so sage. Nur auf eine Frage kann ich Ihnen antworten: politische Einflussnahme gibt es meiner Kenntnis nach keine. Es sei denn: die Benennung der Jury. Aber die ist ja heterogen genug und wird nach Sparten, nicht nach Proporz bestimmt, glaube ich.“


Bernadette Binner studiert Theaterwissenschaft und Publizistik im 4. Semester an der Freien Universität Berlin.


Renée Zajic studiert Publizistik und Philosophie im 4. Semester an der Freien Universität Berlin.