Sexistische Werbung

Sexistische Werbung

Sexismus in der Werbung ist und bleibt ein Thema. Es ist längst nicht zu leugnen, dass das auf großen Unmut stößt. Nicht nur von Seiten der FrauenrechtlerInnen. „Sex sells“ sollte schon lange kein Verkaufsmotto mehr sein. Und trotzdem räkeln sich Frauen leicht bekleidet auf Werbeplakaten. Frauen- und Männerkörper als verkaufsförderndes Mittel für das zu vermarktende Produkt zu nutzen, ist schon lange nicht mehr die Absicht der Werbefirmen und erst recht nicht die, der Empfänger.

Ein Feature von Norma Hillemann, Antonia Schmid und Mike Zagorski

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Es ist eine geräumige Altbauwohnung in Berlin-Neukölln. Laura [i] schreitet vorne weg und weist den Weg ins Wohnzimmer. Ihren Sohn Noah[ii] hält sie stets fest im Arm. Laura lebt in einer lesbischen Beziehung mit Kind und Hund in dieser Wohnung, die alltagstypische Spuren eines Familienlebens aufweist: Spielzeug, Wäsche, Zeitschriften, jedoch keinen Fernseher. Bei dem Blick in den Mode-Katalog beschreibt sie, “der Katalog ist schon so unterteilt: Alles, was rosa oder pink ist, für Mädchen und blau tragen Jungs”. Zu viel Werbung laufe auch im Fernsehprogramm. Werbung empfindet sie generell als störend. Nicht, weil sie immer dann kommt, wenn es gerade spannend wird, sondern wegen des Inhaltes und Bildes, das sie vermittelt. Dass Männer muskulös sein müssten und Frauen schlank mit viel Oberweite, ärgert sie. „Ich wundere mich häufig, was die Frau da macht, wenn sie ein Produkt verkauft. Es geht doch nicht um Duschmittel, sondern um was ganz anderes.“ Für Laura ist es ein klarer Fall von Sexismus. Die Frau, die sich unter dem Wasserfall räkelt und das Duschgel über ihren wohlgeformten Körper verteilt, habe für sie wenig mit Sinnlichkeit zu tun.

Für den Begriff Sexismus gäbe es, wie für Vieles, „keine allgemeingültige Definition,“ führt Julia Busse, Sprecherin des Werberats, an. Und doch scheint es einen Konsens darüber zu geben, was Sexismus in der Werbung ist. Der Werberat definiert Sexismus als „die Herabwürdigung und diskriminierende Werbung gegenüber Personen,“ egal welchen Geschlechts. Neben Frauen würden mittlerweile auch Männer auf einen Objektstatus degradiert und nur auf ihre Sexualität reduziert werden, befindet Ina Mastnak von der Grazer Watchgroup, dem österreichischen Pendant zum deutschen Werberat. Vor allem, wenn nackte Körper als verkaufssteigerndes Mittel des beworbenen Produkts missbraucht werden, ist für viele Experten nicht nur die Grenze des schlechteren Geschmacks überschritten, vielmehr ist dann die Rede von Sexismus.
Für die Gesellschaft ist und bleibt Sexismus ein Thema. In den verschiedensten Bereichen des Lebens und der Arbeitswelt kommt es immer noch vor, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts Männern untergeordnet sind und eben nicht die gleichen Chancen haben.

Für Maja Wegener, die sich bei Terre des Femmes als Fachbereichsleiterin frauenfeindlicher Werbung schwerpunktmäßig widmet, ist die so genannte „Gender-Pay-Gap“ bestes Beispiel dafür. Auch die vermeintlich schlechteren Aufstiegschancen, die sie als „gläserne Decke“ bezeichnet, seien ein Indiz. Auch die Werbung spiegele dieses Verhältnis wider und laut der Bezirksmeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Hermann, sehe man, „dass wir weit davon entfernt sind, eine sexismusfreie Gesellschaft zu sein,“ . Auch die Werbung müsse sich für ein emanzipierteres Frauenbild in der Gesellschaft ändern. „Das ist ein wichtiger Baustein,“ meint Wegener.

Prägung des Rollenbildes

In der Gesellschaft werden Geschlechter schon im jungen Alter sozial konstruiert. Im Kindergarten sei es klar, so berichtet Laura, mit welchem Spielzeug Jungs spielen, mit welchem die Mädchen und, dass eine rosa Tasse auf dem Mittagstisch eine “Mädchentasse” ist. Für Laura sollte es keine konkrete Geschlechtertypisierung geben. Sie erzählt von ihrem Erlebnis in einem Modegeschäft, in dem Sie für Sohn Noah eine Jacke kaufen wollte. “Als die Verkäuferin mich fragte, ob sie für ein Mädchen oder einen Jungen bestimmt sei, antwortete ich, ‘es ist mir egal‘“. Ich fand auch eine Mädchenjacke sehr schön, aber als ich sie kaufen wollte, sagte die Verkäuferin, das könne sie nicht tun.” Völlig überrascht von dieser Haltung verließ Laura den Laden. Sie kommt regelmäßig in die Situation, erklären zu müssen, dass das “Mädchen”, für das ihr Sohn aufgrund einer Jacke mit Blümchen oft gehalten würde, keines ist. “Mich nervt es, dass es immer so wichtig ist, ob Mädchen oder Junge,” sagt sie.

Auch in der Werbung werden Rollenbilder geprägt. Sie ist überall präsent. Niemand kann sich ihr entziehen. Unlängst wird darüber debattiert, welchen Effekt sie auf uns hat, als Konsument und bloßer Zuschauer. Unumstritten scheint es zu sein, dass ein Einfluss besteht. Wegener erkenne, dass durch Werbung Rollenbilder und -verständnisse eindeutig geprägt würden. “Wenn Frau immer passiv dargestellt wird […] und wir immer einen Mann im Anzug präsentiert bekommen, reagiert unser Unterbewusstsein darauf,“ Der Mann bekäme, nach ihrem Verständnis, die Rolle des Entscheidungsträgers zugewiesen, während die Frau passiv bliebe.

Ein Werbeverbot als hilfreiche Konsequenz (?)

Bereits 2013 ging beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Antrag einer Bürgerinitiative ein, die ein Werbeverbot forderte. Es ging ihr nicht nur um sexistische oder diskriminierende Werbung, sie kämpfte sogar für „einen werbefreien öffentlichen Raum,“ schildert Susanne Hellmuth, Vorsitzende des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Queer. Dem Anliegen ist die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nicht gefolgt, weil der Bezirk einige seiner Brunnen mit den Einnahmen aus den vom Bezirk geschlossenen Werbeverträgen finanziere, erklärt sie. Für deren fortlaufenden Betrieb sei das Geld dringend notwendig.

Die Initiative war aber nicht völlig erfolglos: Ihre Forderung, Rollenbilder in der Werbung anzugehen, stieß auf offene Ohren und schließlich wohlwollenden Aktionismus. Ähnlich wie das seit 2008 geltende Verbot von Tabak- und Alkoholwerbung sollte gezielt gegen sexistische Reklamen vorgegangen werden. Es gründete sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus 15 fachkundigen, fast ausschließlich weiblichen Experten aus Politik und Verbänden, die einen Zehnpunkte-Katalog erarbeiteten. Ausgehend von, teils historisch, sozial konstruierten Geschlechtern, sah und sieht die Arbeitsgruppe ihre Aufgabe darin, die Gleichstellung von Männern und Frauen voranzutreiben. Werbung sei, anhand der Kriterien, immer dann sexistisch, diskriminierend oder frauenfeindlich, wenn „die Gleichwertigkeit […] von Personengruppen, insbesondere von Frauen, offen oder subtil in Frage gestellt wird“, heißt es. Außerdem auch, wenn der Frau extreme Eigenschaften zugeschrieben werden, wie hysterisch, naiv und willensschwach, oder wenn sie dem Mann unterwürfig dargestellt werden. Werbung, die Geschlechtern bestimmte Rollenbilder als gesellschaftliche Norm auferlegt, würde als sexistisch eingestuft.

Diese Regelung durch den Bezirk findet nicht überall Zustimmung. Insbesondere, dass „es ist nicht Aufgabe des Bezirks, dem Bürger vorzuschreiben, welches Rollenbild nun das Richtige […] oder zeitgemäß ist,“ sorgte für Unverständnis beim Deutschen Werberat. Deren Sprecherin kritisiert, dass auch “die fürsorgliche Mutter, schöne oder anlasslos lächelnde Frauen” sowie Hausfrauen in der Werbung nicht mehr gezeigt werden dürften, wenn es nach dem Bezirk ginge. “Bei der Abbildung der Realität kann es auch eine klassische Mutter-Vater-Kind-Familie geben, in der auch die Mutter das Essen zubereitet,” das sei nicht diskriminierend, führt Busse aus.

Diese Kritik weißt Hellmuth mit Kopfschütteln zurück. Oft würden nur verkürzte Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und skandalisiert. Es ginge darum, dass die Werbung Menschen aufgrund ihres Geschlechts nicht abwerte. Das Gesamtbild in der Werbung müsse heterogen sein: “Das Problematische, was die Kriterien ansprechen, ist ja nicht, dass mal eine Frau einkaufen geht oder die Waschmaschine füllt, sondern dass es immer nur die Frauen sind,” konstatiert Hellmuth.

“Der Werberat hat es immer noch nicht verstanden”

Eigentlich verfolgen sowohl der Werberat als auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das gleiche Ziel: gerechtere Werbung, frei von Sexismus und Diskriminierung. Beide versuchen ein offenes Ohr für die Gesellschaft zu haben, die sich mit Beschwerden an sie wenden. Dennoch stehen sie auf unterschiedlichen Seiten der Frage, was getan werden muss, beziehungsweise kann. Der Werberat plädiert für Selbstkontrolle der Unternehmen.  Bezirksbürgermeisterin sieht jedoch fundamentale Probleme beim Werberat. Er sei kein unabhängiges und neutrales Gremium, da er aus Wirtschaftsvertretern bestünde, die sich selbst kontrollierten. Außerdem wäre der Werberat sehr nachlässig in ihrer Arbeit und “nicht konsequent genug”. Auf die Kritik des Werberats, der Bezirk würde Rollenbilder verbieten wollen, findet Hermann deutliche Worte: „[Es ist] ein wunderbares Beispiel dafür, dass sie es immer noch nicht verstanden haben,” und erklärt, dass sich Sexismus nicht nur durch nackte Haut veranschaulicht, sondern auch eine Frage der Rollenbilder sei.

Bisher seien wohl keine Plakate aufgrund des Verbotes entfernt worden. Weder die Bezirksbürgermeisterin, noch Susanne Hellmuth, die Mitglied der AG und Initiatorin des Gesetzesentwurfs ist, können Fälle nennen, die unter das Verbot fielen. Hellmuth sieht dennoch einen Erfolg: „Der Effekt ist für mich eher indirekt, also die öffentliche Debatte darüber.“ Die Reaktionen, insbesondere von Eltern, sei eher positiv. Außerdem könne sie beobachten, dass vermehrt Kinder sich aktiv mit der Werbung in ihrem Bezirk auseinandersetzen. So seien Mädchen und Jungen im Rahmen verschiedener Projekte durch die Stadt gelaufen und hätten über Werbung diskutiert. Möglicherweise wäre es Werbepartnern auch bewusst, dass sexistische Werbung auffallen würde, und gingen deshalb kein Risiko ein, vermutet sie.

“Are you Beach Body Ready?”

In London will der Bürgermeister Sadiq Khan nun drastisch gegen Bademodewerbung vorgehen und verkündete, dass ab Juli diesen Jahres ein Werbeverbot in U-Bahnhöfen gelte. Zuvor bewarb ein Hersteller sein Proteinpulver mit Plakaten, auf denen eine durchtrainierte Frau im Bikini sowie eine eher rhetorische Frage „Are you beach body ready?“ zu sehen war, und stieß eine Welle der Empörung los, die durch die sozialen Netzwerke schwappte. Einige erhitzte Gemüter zogen auch mit Rotstift durch die U-Bahnhöfe und verzierten die Plakate mit passenden Antworten, wie „mein Körper ist fit für den Strand, wenn ich es sage“ oder „sobald ich mir einen Bikini anziehe“. Solche Werbung, auch “body shaming advert” genannt, soll künftig nicht mehr zu sehen sein, weil sie ein unrealistisches und ungesundes Körperbild vermittelt.

Auch in Berlin diskutiert man seit einiger Zeit über ein solches Verbot. Es gäbe Für- und Gegenstimmen um eine Verbannung solcher Werbung aus dem öffentlichen Raum, hält Susanne Hellmuth fest. Sie persönlich spricht sich aber für nackte Haut aus, wenn sie im Zusammenhang zum beworbenen Produkt steht. Eine andere Debatte wäre die Kennzeichnungspflicht von retuschierten Körpern. Hellmuth plädiert eher für einen offenen Umgang mit Schönheitsidealen bzw. solche, die von den mit Models geschmückten Plakaten suggeriert werden. Dass ein Verbot nach dem Londoner Vorbild in naher Zukunft auch in Berlin übernommen wird, ist daher eher unwahrscheinlich.

Es gibt noch viel zu tun

Sexistische und diskriminierende Darstellungen von Männern und vor allem Frauen ist immer noch ein Mittel, das hin und wieder von der Werbebranche genutzt wird. Dass jede Werbung, die sich dem bedient, scharf zu kritisieren ist, einigt die Experten. „Sexismus ist eigentlich etwas, was wir in unserer Gesellschaft nicht mehr haben wollen,“ betont Hermann. Warum es trotzdem vorkommt, darüber kann man nur spekulieren. Ein mittelständiges Unternehmen greife wohl eher aus Einfallslosigkeit auf nackte Brüste zurück. Wenn große Firmen auf derart plakative Werbung setzen, würden sie es ganz bewusst tun, um einen Shitstorm zu provozieren, „von dem sie wissen, dass er kommt, wenn sie nur frauenfeindlich genug sind,“ vermutet Wegener. Für Werbeagenturen ist es immer ein Spagat, wenn sie Kampagnen für ihre Kunden gestalten. Wie viele Klischees sollten bedient werden, um Aufmerksamkeit zu erregen? Für Lisa Geiger, Online-Konzepterin bei der Werbeagentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr, ist es auch ein bisschen Kalkül, aber „am Ende will der Kunde ja immer verkaufen.“ Ihr Kollege Lucas, Senior Community Manager, weist außerdem auf Einfallslosigkeit hin, insbesondere bei mittelständischen Unternehmen, „aber das macht das Endergebnis nicht besser“, denn schließlich gebe es einen „Werber-Ehre-Kodex“.

Es handele sich bei sexistischer Werbung „nicht um ein Massenphänomen,“ findet Julia Busse. Was den Einsatz von sexistischen Motiven betrifft, habe sich die Werbung schon deutlich weiterentwickelt. In den Augen von Lisa sei Werbung aber immer noch sehr sexistisch und oft auf reine Körperlichkeiten reduziert. Auch die von Werbung vermittelten Rollenbilder sind ihr sehr präsent. Der Papa steht am Grill und Mama kümmert sich um die Wäsche. Über eine klassische Mutter-Vater-Kind-Familie käme die Werbung gar nicht hinaus.  Lisa würde sich wünschen, dass auch mal lesbische und schwule Paare gezeigt würden. Werbung müsse vielfältiger sein und auch Menschen einen Platz geben, die eben nicht der Norm entsprechen. Für Maja Wegener ist die Richtung klar: Wenn alle Geschlechter in allen Lebenssituationen dargestellt werden, „müssen wir über das Thema nicht mehr diskutieren, […] aber so weit sind wir noch nicht.“

[i] Name von der Redaktion geändert
[ii] Name von der Redaktion geändert


Norma Hillemann ist Studentin der Literaturwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im vierten Semester. Die überzeugte Queer-Feministin wird von Freunden und Bekannten auch „Normix“ genannt.


Large Blog ImageAntonia Schmid studiert Englische Philologie und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im 4. Semester. Gerade die #sexistischekackscheisse, die sich insbesondere in Stickerform in Kreuzberg verbreitet, galt als Inspiration für dieses Feature.


Mike Zagorski ist Student der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Politikwissenschaft. Seiner Meinung nach muss man kein ausgewiesener Feminist sein, um gegen Sexismus zu sein.