Deutschland als zweite Heimat

Deutschland als zweite Heimat

Keiner in Deutschland kann auf den ersten Blick sagen, dass sie ursprünglich aus dem Ausland kommen. Sie sprechen sehr gut Deutsch und unterscheiden sich äußerlich kaum von der sonstigen Bevölkerung. Das sind die Spätaussiedler aus den ehemaligen Ländern der UdSSR, die deutsche Wurzeln haben. Manche wohnen schon mehr als 10 Jahre in Deutschland. Wie die Integration und das Leben solcher Menschen in der neuen Heimat verläuft, das hat mir Natalia Gorodetskaja, Spätaussiedlerin aus Kasachstan, erzählt.

Von Roman Safronov

Als Natalia 15 Jahre alt war, ist ihre Familie aus der kasachischen Stadt Schymkent in das Saarland umgezogen. Mittlerweile lebt sie schon 12 Jahre in Deutschland und fühlt sich heute wie eine vollwertige Bürgerin. Gegenwärtig studiert sie Interdisziplinäre Russlandstudien an der Universität Potsdam und arbeitet gleichzeitig als Deutsch-Russisch Übersetzerin. Zurzeit denkt Natalia über ihre Zukunft nach.

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Natalia Gorodetskaja wohnt glücklich in Deutschland, aber vermisst Kasachstan, © Roman Safronov

Warum ist deine Familie aus Kasachstan ausgesiedelt?

Mein Stiefvater hat Verwandte in Deutschland. Schuman ist sein Nachname und er hat ethnische deutsche Wurzeln. Nach dem Bundesvertriebenengesetz bekam unsere Familie die Anerkennung als Spätaussiedler. Deswegen hatten wir das Recht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen und hierher überzusiedeln. Der Hauptgrund war die damalige instabile Finanzlage in Kasachstan. Ich würde sagen, dass es keine interkulturellen Probleme in unserer Umgebung gab.

Zuerst sind wir ins Bundesland Saarland gezogen, wo bis heute die ganze Familie Schuman wohnt. Ich habe schon ein wenig in Dresden und dann in Berlin gelebt. Heute wohne und studiere ich in Potsdam.

Gab es Probleme in den ersten Jahren des Lebens hier?
Das Komplizierteste war die Integration in das neue Land, die Kultur und die Sprache. Wir wurden aber nicht benachteiligt gegenüber der deutschen Bevölkerung.

Wie hast du Deutsch gelernt?

Ich hatte Glück, von der 1. bis zur 9. Klasse habe ich Deutsch in meiner kasachischen Schule gelernt. Das hat mir am Anfang des Aufenthaltes in Deutschland geholfen. Obwohl, die deutsche Sprache hier und im Ausland sind zwei verschiedene Ebenen. Deswegen braucht man Zeit für die Integration. Die ersten 10 Monate besuchte ich die Sprachkurse und danach habe ich meinen ersten Schulunterricht in Deutschland angefangen. Und es ist lustig, dass ich im Saarland einen französischen Akzent bekommen habe (Das Saarland grenzt an Frankreich). Das merkten alle nach meinem Umzug nach Dresden.

Welche Unterstützung hat Deutschland geleistet?

Das Wichtigste: es wurde uns Unterstützung gezahlt und wir haben eine Mietwohnung vom Staat bekommen. Die kostenlosen Sprachkurse für Spätaussiedler habe ich bereits erwähnt.

Hast du dich in den 12 Jahren verändert?

Unbedingt! Ich bin sehr pünktlich geworden, wie alle Deutschen, und selbstsicherer. Auch würde ich sagen, dass ich mich gesünder ernähre. Und was meine Heimat anbetrifft, wenn ich dorthin fahre, fühle ich mich leider nicht als ein Teil des Landes. Ich fühle mich zwar nicht fremd, aber ich lebe dort schon lange nicht mehr.

Beobachtest du die Entwicklung Kasachstans? Vermisst du dein Heimatland? Wie oft besuchst du Kasachstan?

Die Entwicklung Kasachstans in den letzten 10 Jahren gefällt mir sehr! Ich besuche meine Heimat ziemlich oft, etwa zweimal pro Jahr. Dort wohnen immer noch mein Onkel und mein Opa. Besonders über die ehemalige Hauptstadt Kasachstans Almaty möchte ich sagen: ich bin beeindruckt, wie hoch das Niveau des Wohlstands hier inzwischen ist! Ich bin sehr stolz auf meine Heimat! Ich plane sogar, bald kasachische Sprachkurse an der Humboldt-Universität zu besuchen. In Berlin gibt es auch die deutsch-kasachische Gesellschaft «KAZGER», bei der ich Mitglied bin. Sie organisieren kulturelle Veranstaltungen für die deutschen Bürger und die Aussiedler aus Kasachstan.

Was fehlt dir in Deutschland besonders?

Bis heute vermisse ich die Mentalität unserer (kasachischen) Menschen. In der Heimat begegnet man einer größeren Offenheit und Gastfreundschaft. Trotzdem hängt alles von dem Mensch ab, nicht von der Nationalität.

Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Nach dem Studium möchte ich in die Richtung deutsch-russisch-kasachische Beziehungen arbeiten. Ehrlich gesagt, ich bin bereit, dorthin auch lange Dienstreisen zu machen. Vielleicht treffe ich dort meinen zukünftigen Mann und werde mit ihm einige Zeit in Kasachstan leben. Ich würde gerne eine Doppelstaatsbürgerschaft haben. Leider gibt es vorerst keine solche Möglichkeit in Kasachstan…

Wie verbringst du deine Freizeit am liebsten?

Früher mochte ich verschiedene Nachtklubs. Zum Glück gibt es in Berlin ein großes Angebot in dieser Richtung. Jetzt bin ich 27 und mag lieber die Freizeit an der frischen Luft verbringen und gehe in den Park und im Wald spazieren. Ich lese sehr gern und ebenso liege ich auf dem ebenen deutschen Rasen und fahre mit dem Fahrrad.

Laut Statistik sind mehr als 2,5 Millionen Spätaussiedler bis 2015 nach Deutschland gekommen. Ich hoffe, dass alle diese Menschen hier so glücklich leben, wie Natalia Gorodetskaja.


Roman Safronov kommt aus Kasachstan. Er studiert Journalistik in Jekaterinburg, Russland. Er interessiert sich für die Spätaussiedler, weil Roman selbst deutsche Wurzeln hat. In der Zukunft möchte er auch als Spätaussiedler nach Deutschland kommen.