Albtraum Panikattacke

Albtraum Panikattacke

Bei einer Panikattacke haben Menschen ohne einen äußerlichen Auslöser Angst davor, zu sterben: Sie kriegen keine Luft mehr, brechen in Schweiß aus, der Puls rast. Oft werden einzelne Attacken zur langfristigen Panikstörung und die Angst vor der Angst beginnt, das Leben der Betroffenen zu steuern.

Von Solveig Gode

An einem heißen Tag im Sommer 2002 stritten sich Kilians geschiedene Eltern am Telefon besonders heftig. Kilian stand im Flur hinter der angelehnten Tür und hörte alles mit an. Auf einmal bekam er Angst, konnte nicht mehr atmen, sein Herz raste. Er glaubte, sterben zu müssen – er war sich todsicher. „Wie aus dem Nichts habe ich Atemnot bekommen und meine Mutter angebettelt aufzulegen“, erinnert Kilian sich. Sie tat es, aber nach wie vor bekam er keine Luft. Als Kilian begann, zu hyperventilieren, stürzte er nach draußen vor die Haustür. Seine Mutter zwang ihn, Bachblüten zu essen, und er beruhigte sich schließlich – die Angst jedoch blieb.

Mit damals elf Jahren bekam Kilian an diesem Sommertag seine erste Panikattacke. In Deutschland sind solche Attacken keine Seltenheit. Angst- und Panikstörungen sind bei Frauen die häufigste, bei Männern die zweithäufigste psychische Störung. Nach Studien des Max-Planck-Instituts für Psychologie und des Bundesgesundheitsministeriums bekommen rund 14 Prozent der deutschen Bevölkerung im Lauf ihres Lebens eine Angststörung. Insgesamt leiden zwischen 2,4 und fünf Prozent an Panikstörungen- das sind mindestens 2 Millionen Deutsche.

Von der Panikattacke zur Panikstörung

Nach Kilians erster Panikattacke folgte zwei Jahre später die zweite, ein weiteres Jahr später die dritte und schließlich kamen die Attacken in immer kürzeren Abständen. Die Attacken sind zur langfristigen Panikstörung geworden. Von einer Panikstörung spricht man, wenn schwere Angstattacken immer wiederkehren und nicht vorhersehbar sind. Meist treten sie ohne einen spezifischen Grund auf, jedoch verbinden die Betroffenen häufig bestimmte Orte oder Situationen mit der Angst, in denen sie schon einmal eine Panikattacke erlitten haben und sehen diese fälschlicherweise als Auslöser.

Kilians zweite Attacke kam, als seine Mutter gerade das Haus verlassen hatte, um einkaufen zu gehen. Seitdem verbindet er das Alleinsein mit der Angst – seit zwölf Jahren hat er keine einzige Nacht allein in einem Haus geschlafen. Seine Freunde fahren ohne ihn auf Partys oder in den Urlaub. Die Angst vor der Angst fängt an, das Leben zu bestimmen. Sie sorgt dafür, dass Betroffene wie Kilian sich stark in ihrer Lebensführung einschränken, da sie Situationen, in denen die Angst schon einmal aufgetreten ist, meiden. Sie fahren nicht mehr mit dem Bus, gehen nicht mehr einkaufen, meiden überfüllte Plätze. Die Scham vor einer neuen Attacke ist zu groß. Die Menschen um sie herum wissen schließlich nicht, dass die Betroffenen eine Panikstörung haben und häufig kommen unverständliche oder sogar bissige Kommentare. Das macht die Situation für Menschen, die an einer Panikstörung leiden, noch angsteinflößender. So können aber auch Angstattacken vermieden werden, sagt Kilian: „Die Peinlichkeit überwiegt. Ich sage mir dann, ich kann doch jetzt nicht vor einem Fremden eine Attacke haben. Manchmal funktioniert das“.

Notaufnahme statt Therapie

Nach dem ersten Auftreten beschreiben Panikpatienten oft nur körperliche Symptome wie das Herzrasen, Atemnot, Schweißausbrüche oder Schwindel, weshalb sie meistens zuerst die Notaufnahme besuchen, anstatt einen Psychotherapeuten. Die Panik ist schließlich eine natürliche Alarmreaktion des Körpers, wenn ihm alles zu viel wird: Es werden sämtliche Kräfte mobilisiert, die Durchblutung von Muskeln und Gehirn steigt, als müsste man um sein Leben kämpfen. Obwohl auch Kilian keiner körperlichen Bedrohung gegenüberstand, hatte er Angst, zu sterben. „Dir wird heiß und kalt, der ganze Körper steht unter Spannung und man verliert komplett die Kontrolle. Danach bin ich immer ausgelaugt und kann den ganzen Tag nichts mehr machen“, beschreibt Kilian die Attacken. Er hat ebenfalls zuerst nicht an eine psychische Störung geglaubt. Erst nachdem mehrere Ärzte ihm versicherten, mit ihm sei körperlich alles in Ordnung, hat seine Mutter ihn zu einer Therapie überreden können.

Woher kommt die Angst?

Kilian war bei drei verschiedenen Therapeuten – jeder vermutete eine andere Ursache für seine Panikstörung. Einen Grund, den er selbst nennt, ist die Scheidung seiner Eltern, die ihn als Kind sehr mitgenommen hat. Daher könnten die Verlustängste kommen. Auch bei vielen anderen Angstpatienten werden bei einer therapeutischen Analyse familiäre Gründe und Entwicklungen in der Kindheit als Ursache aufgeführt. Lange Phasen voller Stress im Beruf oder Privatleben gelten ebenfalls als typische Auslöser für Panikattacken.

Konfrontations- und Verhaltenstherapie als Schlüssel?

Oft leben die Betroffenen lange allein mit ihrer Angst, bevor sie professionelle Hilfe aufsuchen. Nur 46 Prozent begeben sich in eine Therapie. Doch selbst verschiedene Therapeuten und Hypnose konnten Kilian langfristig nicht helfen, die Panik loszuwerden. Die Therapeuten suchten eher nach den Ursachen des Problems und die Hypnose diente der Selbstreflexion, aber nichts davon vertrieb die Panikattacken. Nichtsdestotrotz halfen diese Maßnahmen, Kilians Selbstbewusstsein zu stärken und seit mehreren Jahren kann er offen über seine psychische Störung, wie er es selbst nennt, sprechen. Er macht sogar Witze darüber. Seine größten Erfolge jedoch erzielte er durch Selbstkonfrontation. So schaffte er es endlich, die 20 Kilometer zu seiner damaligen Freundin allein im Auto oder über die Autobahn zu fahren. Als nächsten Schritt denkt er über eine Verhaltenstherapie nach, welche die typische Behandlung bei Panikstörungen ist. Die Verhaltenstherapie arbeitet ebenfalls mit der Konfrontation und hat als Ziel, die Angst vor der Angst zu verlernen. Die Betroffenen treten ihren Ängsten unter Aufsicht der Therapeuten direkt gegenüber, um zu erkennen, dass sie während einer Panikattacke nicht sterben. Dadurch erhofft sich Kilian eine langfristige Besserung: „Ich glaube daran, dass es möglich ist, irgendwann ohne die Attacken leben zu können. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es schaffe, aber ich werde alles dafür geben“.

So erkennen Sie eine Panikattacke

Mindestens vier der folgenden Symptome, davon eines der ersten vier
Quelle: ICD-10, WHO, Version 2005
1. Palpitationen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
2. Schweißausbrüche
3. Fein- oder grobschlägiger Tremor
4. Mundtrockenheit (nicht infolge Medikation oder Exsikkose)
5. Atembeschwerden
6. Beklemmungsgefühl
7. Thoraxschmerzen, -missempfindungen
8. Nausea oder abdominelle Missempfindungen (z. B. Unruhegefühl)
9. Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche, Benommenheit
10. Derealisation (Objekte erscheinen unwirklich), Depersonalisation (Gefühl, man ist nicht wirklich hier)
11. Angst vor Kontrollverlust oder verrückt zu werden, „auszuflippen”
12. Angst zu sterben
13. Hitzegefühle oder Kälteschauer
14. Gefühllosigkeit, Kribbelgefühle

Autorenbox Solveig Gode 1Solveig Gode studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft im 6. Semester an der Freien Universität Berlin und hat Angst vor der Bachelorarbeit.

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , |