Die Qual der Wahl beim Online-Dating

Die Qual der Wahl beim Online-Dating

Blaue und braune Augen, Partygänger und Couchpotatos, Sonnenanbeter und Skifanatiker: auf Onlinedating-Plattformen tummeln sie sich alle. Aber bei einer solchen Auswahl kann einem die Entscheidung schon mal schwer fallen. Die Ethnologin Julia Dombrowski hat über die Liebe im Netz geforscht. Im Interview schildert sie, wie die Angst, Mr. oder Mrs. Right zu verpassen, dazu führt, dass viele Nutzer keine endgültige Partnerwahl treffen können.

Von Militsa Tekelieva und Sophia Gröschel

Sie haben 50 Nutzer von Partnerbörsen im Internet genau beobachtet. Konnten Sie dabei feststellen, dass die große Anzahl von möglichen Partnern auf den Plattformen zu einer Angst vor der endgültigen Entscheidung führte?

Ja, das ist wirklich ein Klassiker. Es war sehr auffällig, dass extrem viele Studienteilnehmer das Problem hatten, sich zu entscheiden. Wenn ich bei so einer Börse angemeldet bin und mit sechs Männern schreibe, kann es gut sein, dass ich einen davon ganz großartig finde und vielleicht sogar ein bisschen verliebt bin. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich aufhöre weiterzusuchen. Und da steckt tatsächlich die Furcht dahinter, man könnte etwas noch Besseres verpassen.

Und diese Furcht, etwas Besseres zu verpassen, konnten Sie bei ihren Studienteilnehmern tatsächlich in dieser Form beobachten?
Definitiv. In vielen Interviews haben die Teilnehmer diesen Zustand ganz explizit so beschrieben. Ich hatte mehrere Informanten, die zwar mit einer Person über das Onlinedating quasi liiert waren, aber dennoch heimlich in den Börsen weitersuchten und sich auch trotzdem mit anderen trafen. Insgesamt würde ich sagen, dass dieses Phänomen ungefähr ein Drittel der Studienteilnehmer betroffen hat. Bei denen ist praktisch auch eine Art Sucht nach dem Onlinedating aufgetreten. Einige Pärchen, die sich online kennengelernt haben, hatten auch so eine Art Ritual, dass sie sich gemeinsam von der Dating-Plattform abgemeldet haben.

Als Zeichen, dass sie es wirklich ernst meinen.

Genau, wobei man sich dann natürlich auch heimlich wieder woanders anmelden kann, was einige auch gemacht haben. Und als Grund dafür wurde von vielen Teilnehmern die Furcht genannt, man könnte etwas verpassen. Ich denke, dass das Onlinedating diese Furcht ganz konkret hervorruft, da es den Zugriff auf eine enorme Vielzahl von potentiellen Partnern möglich macht. Außerdem hängt das meiner Meinung nach auch ganz stark mit dem Aufbau und der Art von Wissenschaftlichkeit der Seiten zusammen. Zum Beispiel wird dir durch Matching-Points oder ähnliches vorgegaukelt, es gebe den absolut idealen Partner für dich. Wobei man aber auch betonen muss, dass fast alle Teilnehmer ein furchtbar schlechtes Gewissen hatten, wenn sie weitersuchten, obwohl sie eigentlich schon jemanden gefunden hatten. Sie haben das nicht komplett skrupellos gemacht und sich ihres Lebens erfreut. Aber selbst dieses moralische Dilemma, das sie auch genau als solches wahrnahmen, hielt sie eben nicht davon ab, weiterzumachen. Sie befürchteten, dass das beste Match noch auf sie wartet und sie Mr. oder Mrs. Right verpassen könnten. Man guckt natürlich auch mit ganz anderem Blick auf die potentiellen Partner, wenn da steht, dass man zu 80 Prozent zueinander passt.

Julia Dombrowski hat ihre Doktorarbeit über Onlinedating geschrieben.

Julia Dombrowski hat sich in ihrer Doktorarbeit intensiv mit dem Thema Onlinedating beschäftigt.

Das heißt, man kann sagen, dass gerade durch die angebliche Wissenschaftlichkeit, also das Vergeben von Matching-Points oder Erstellen von Diagrammen, ein starkes Bewusstsein dafür entsteht, wie viele potentielle Partner es online gibt. Und dadurch verändert sich dann das Verhalten auf solchen Partnerbörsen?

Auf jeden Fall. Ein wirklich interessanter Punkt ist ja, wie man die Leute überhaupt dazu bringt zu denken, dass jemand der ideale Partner sei. Und da spielen diese Graphiken oder Zahlen, die bestimmen sollen, wie gut zwei Menschen zueinander passen, eine ganz entscheidende Rolle. Man kann natürlich auch in einen Club gehen, wo man den und den und den toll findet, und kann diese Menschen dann ansprechen. Beim Onlinedating hat man jedoch einen außergewöhnlich hohen Zugriff auf sehr viele andere Menschen. Aber diese neuen Möglichkeiten sorgen eben nicht unbedingt immer für Klarheit.

Würden Sie deshalb sagen, dass Onlinedating seinen Zweck verfehlt und genau genommen ungeeignet für die Partnersuche ist?

Keineswegs. Ich habe mit Leuten gesprochen, die online einen Partner gefunden haben, mit dem sie jetzt verheiratet sind und Kinder haben. Ich habe aber auch mit Leuten gesprochen, die frustriert aufgehört haben, online nach einem Partner zu suchen. Es ist also wirklich ganz unterschiedlich. Für manche Menschen war Onlinedating auch einfach unheimlich praktisch. Zum Beispiel für alleinerziehende Mütter, die abends nicht weggehen konnten. Ich habe auch mit einem Biologen gesprochen, der an der Uni arbeitete und dort fast nur männliche Kollegen hatte. In seiner Freizeit spielte er Fußball und hatte dementsprechend einfach keinerlei Kontakt zu Frauen. Von daher hat das Onlinedating auch viele Vorteile. Aber man muss natürlich versuchen, einen klaren Kopf zu bewahren. Und das erweist sich als wahnsinnig schwierig, wenn sich einem so unglaublich viele Möglichkeiten bieten.

Verändern sich nicht auch die Ansprüche an den zukünftigen Partner, wenn man von vorneherein nach bestimmten Merkmalen wie beispielsweise Bildungsstand, Haarfarbe und Körpergröße suchen kann?

Absolut. Wenn ich ausfüllen kann, dass mein Traumpartner 1.80 Meter groß ist, schwarze Haare hat und Akademiker ist, steigen natürlich sofort meine Vorstellungen und Ansprüche und sind von Anfang an sehr konkret. Man muss aber auch sagen, dass diese expliziten Vorstellungen in der Anfangsphase meist hochgeschraubt werden und sich mit der Zeit wieder normalisieren. Zu Beginn ist es natürlich einfach ein überwältigendes Gefühl, wenn man den Eindruck bekommt, den absolut perfekten Partner finden zu können. Aber auch hier funktioniert Schwarz-Weiß wie bei so vielen Sachen nicht. Für viele, gerade ältere Frauen, die schon eine Ehe hinter sich haben, ist es auch einfach ein völlig neues Gefühl, zum ersten Mal frei wählen zu dürfen und sich der eigenen Wünsche klarzuwerden. Aber es besteht natürlich eine große Gefahr, sich in all den Möglichkeiten und Idealvorstellungen zu verlieren.

Spielt bei der Entscheidung zwischen all den möglichen Partnern denn immer noch die Liebe die ausschlaggebende Rolle?

Ja, die Grundzüge bleiben schon gleich. Ich habe die Teilnehmer auch gefragt, ob sie jemanden lieben würden, nur weil die Matching-Points übereinstimmen, aber so weit geht es nicht. Letzten Endes sind das immer noch Liebesentscheidungen, die getroffen werden. Das grundlegende Konzept der Partnerwahl wurde also nicht gesprengt, aber doch arg ausgeweitet.
Dürfen wir Sie noch fragen, wie Sie Ihren eigenen Partner kennengelernt haben?

Den habe ich beim Sport getroffen. Ganz langweilig. Aber was ich lustig finde, ist, dass ich ihn über eine Onlinedating-Plattform wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. Er ist nämlich anderthalb Jahre jünger als ich und ich glaube, ich wäre einfach nie auf die Idee gekommen, online nach jüngeren Männern zu suchen. Insofern kann man sich auf den Onlinebörsen durch die anfänglichen Auswahlkriterien auch unheimlich beschränken.


Militsa Tekelieva hat große Angst davor sich selbst zu beschreiben, weil ihr immer die richtigen Worte fehlen. Sie kommt aus Bulgarien und ist gerade 22 geworden. Im sechsten Semester ist sie fast mit ihrem Publizistikstudium an der FU Berlin fertig, für die Zukunft hat sie jedoch keinen Plan. Wenn sie nicht damit beschäftigt ist, Artikel über Onlinedating zu schreiben, tanzt sie gerne Swing, liest lange Bücher oder isst Tomaten, die ihre Oma selbst gepflanzt hat.


Sophia Gröschel studiert im vierten Semester Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität in Berlin. Ihre Freizeit verbringt sie bisher noch nicht auf Onlinedating-Plattformen, sondern eher mit Freunden, guten Büchern oder Johnny Cash-Musik. Ihr Herz hat sie sowieso schon längst an die grüne Insel verloren – was gibt es auch Schöneres als Schafe, Regen und Guinness? Beängstigend findet sie vor allem, wovor man alles Angst haben kann.

2017-07-06T12:18:07+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , , |