Wenn der Partner zuschlägt

Wenn der Partner zuschlägt

Schätzungen zufolge erfährt jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt durch ihren Partner. Fragt man jedoch im eigenen Umfeld nach, kennt niemand jemanden, dem so etwas widerfahren ist. Häusliche Gewalt ist immer noch ein Tabuthema. Und häusliche Gewalt wird häufig unterschätzt, ist sie doch weit mehr als nur Schläge.

Von Julia Kopatzki

„Wann immer er schlechte Laune hatte, musste ich als Ventil für seinen Frust herhalten. Weil er sich selbst nicht aushalten konnte, musste ich mich schlecht fühlen. Er gab mir das Gefühl, widerlich zu sein, ein schlechter Mensch, und obwohl er mir sagte, mich nicht in seiner Nähe haben zu können, lies er mich nicht gehen. Stattdessen hatten wir Sex, der nichts mehr mit dem gemein hatte, was man sich als junge Frau unter Sex mit seinem Freund vorstellt. Er zwang mich zu Dingen, die ich nicht wollte, schlug mich und würgte mich, bis ich Angst um mein Leben bekam. Danach war alles wieder in Ordnung. Ich war wieder die perfekte Freundin, seine Traumfrau.“

Häusliche Gewalt ist selten so, wie man sie erwartet

Was Lara*, eine 23-jährige Studentin, schildert, ist eines der vielen Gesichter, die Gewalt in Beziehungen hat. Dass der Täter nicht immer ein cholerischer Mittvierziger ist, der im Alkoholrausch seine Frau verprügelt, zeigt nicht nur Laras Geschichte, sondern auch eine Studie des Bundesministeriums für Familie: knapp 20 Prozent aller Frauen zwischen 16 und 24 Jahren haben Gewalt durch ihren Partner erfahren. Ein Alter, in dem man solche Zahlen nicht erwartet.

Auch die Annahme, Gewalt finde vor allem in bildungsfernen Schichten statt, ist falsch. Insbesondere bei psychischer und sexueller Gewalt sind Akademiker überrepräsentiert, und auch Lara ist Studentin, die aus gutem Elternhaus kommt.

Eine Statistik der Polizei zeigt außerdem, dass zwei Drittel der Täter nicht unter Alkoholeinfluss standen, als sie gewalttätig wurden.

Häusliche Gewalt ist nicht immer etwas, was man sehen kann, teilweise merken nicht einmal die Opfer selbst, was ihnen angetan wird. „Mir war durchaus bewusst, dass diese Beziehung nicht normal ist. Aber die Zeit, die wir miteinander hatten, wenn alles in Ordnung war, war so schön, dass sie mich immer wieder hat glauben lassen, ich könnte ihn ändern, könnte ihm helfen. Ich habe nicht mich als Opfer gesehen, sondern ihn.“ Was Lara passiert ist, sieht man ihr nicht an. Sie ist eine bildhübsche junge Frau, voller Fröhlichkeit, die inzwischen eine Beziehung führt, wie man sie sich in ihrem Alter wünscht: leicht, frei, verliebt. „So schlimm und ekelhaft ich mich durch ihn gefühlt habe, so gut ging es mir auch dank ihm. Er gab mir das Gefühl, die schönste Frau auf der Welt zu sein, begehrenswert. Er sah Seiten an mir, die ich selbst noch nicht entdeckt hatte. Das kannte ich aus meinen früheren Beziehungen so nicht und war nicht bereit, darauf zu verzichten.“

Letzter Ausweg Frauenhaus?

Lara hat es geschafft auch ohne die Hilfe von Außenstehenden geschafft, sich zu trennen. Doch, dass das nicht immer leicht ist, zeigt die Zahl an Hilfsangeboten, die es in Berlin gibt. Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, kurz BIG e.V., gründete sich 1993 und leistet seitdem wertvolle Arbeit für Opfer von Gewalt. Es gibt eine Hotline, die rund um die Uhr erreichbar ist und allein 2013 fast 10.000 Mal in Anspruch genommen wurde. Die ausschließlich weiblichen Mitarbeiterinnen beraten die Opfer telefonisch, vermitteln Kontakte zu Frauenhäusern und klären die Frauen über ihre Rechte auf.

Das Frauenhaus Cocon ist eines der sechs Frauenhäusern in Berlin, das jedes Jahr knapp 400 Opfer von häuslicher Gewalt aufnimmt. In die Berliner Frauenhäuser kann jede hilfesuchende Frau kommen, ungeachtet von Nationalität und Form der erfahrenen Gewalt. Die Frauen melden sich über eine Notfallnummer, man macht mit ihnen einen Treffpunkt aus und von dort werden sie in die Einrichtungen gebracht. Die Adressen sind nicht öffentlich, zum Schutz der dort lebenden Frauen.

Im Frauenhaus haben die Bewohnerinnen die Möglichkeit, über die nächsten Schritte nachzudenken, die meisten sind in Nacht- und Nebelaktionen aus ihrem Zuhause geflüchtet. Sie bekommen die nötige Hilfe, falls sie ihren Partner anzeigen möchten. Mehr als die Hälfte der Frauen verlässt das Frauenhaus nach spätestens drei Monaten wieder. Informationen darüber, wie es den Frauen nach Verlassen der Einrichtung geht, erhalten die Mitarbeiterinnen leider selten.

„Eine gewaltfreie Beziehung ist selbstverständlich.“

16.000 angezeigte Fälle von häuslicher Gewalt gab es im letzten Jahr in Berlin, etwas, dass laut der Berliner Polizei auch BIG zu verdanken ist. Ohne deren Anstoß und Hilfe hätten sich vermutlich viele Frauen nicht dazu entschlossen, ihren Peiniger anzuzeigen. Dennoch wird die Dunkelziffer deutlich höher vermutet. Dort greift die Präventionsarbeit des BIG e.V., der sich aus staatlichen Geldern und Spenden finanziert, die Mitarbeiter gehen in Schulen und klären schon die Kleinsten über häusliche Gewalt auf.

„Zum einen wollen wir so erreichen, dass diese Kinder mit dem Wissen aufwachsen, dass eine gewaltfreie Beziehung selbstverständlich ist und Gewalt nicht normal“, sagt die Pressesprecherin des BIG e.V. Jennifer Rotter, „zum anderen erhoffen wir uns, dass Kinder, die Zeugen oder selber Opfer von häuslicher Gewalt werden, sich uns anvertrauen.“

Gewalt in Beziehungen ist nichts, was man aushalten muss und erst recht keine Privatsache. Dass jeder das versteht, dafür kämpft der BIG e.V., und dafür, dass immer mehr Frauen die Stärke finden, sich von ihrem Partner zu trennen, ob mit oder ohne die direkte Hilfe von BIG.

*Name von der Redaktion geändert


Julia Autorenkasten

Julia Kopatzki studiert im 4. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und manchmal auch noch Deutsche Philologie.
Zu dem Artikel hat sie der Film „Gone Girl“ inspiriert.

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , , , |