Wie das Horrorgenre seine Rückkehr in die Spielwelt feiert

Wie das Horrorgenre seine Rückkehr in die Spielwelt feiert

Schweißnasse Hände, Herzklopfen, Panik: Horrorspiele wie Resident Evil oder Silent Hill gehen selbst hartgesottenen Gruselfans noch unter die Haut. Jetzt erlebt das Genre ein Revival. Egal ob Zombies, wahnsinnige Wissenschaftler oder heimtückische Außerirdische – das Durchleben virtueller Albträume fasziniert die Spielwelt wie schon lange nicht mehr. Vor allem in der Zukunft lässt das auf willkommene Abwechslung im von Action und Arcade übersättigten Markt hoffen.

Von Julien Hoffmann

Es kostet Überwindung, die Spielkonsole einzuschalten: Mit dem Versuch, den Gedanken an das bevorstehende Grauen zu unterdrücken, greift die Hand widerwillig nach dem Controller. Die bedrohlich-beklemmende Musik im Menüsystem macht es nicht besser; die Verlockung, dem zweitklassigen Roman auf dem Nachttisch noch einmal eine Chance zu geben, ist jetzt größer denn je. Man entscheidet sich dennoch dafür, das Spiel zu starten und die nächsten zwei, drei Stunden zusammengekauert auf dem Sofa damit zuzubringen, panisch auf den Bildschirm zu starren. Mit verkrampften Fingern und ständig auf der Hut vor dem nächsten Jumpscare versucht man das virtuelle Martyrium zu überstehen. Wie von der Angst gebannt, treibt es einen immer weiter voran, rasendem Puls und wachsendem Unwohlsein zum Trotz. Es ist dieser Gemütszustand des wohligen Gruselns, den Forscher mit dem Begriff der Angstlust umschreiben und der momentan in Spielen wie „Alien: Isolation“, „Outlast“ oder „Affected“ für ein Revival des Horrorgenres sorgt. Doch was genau ist der Grund dafür, dass wir in der Furcht etwas Positives sehen und wie kommt es, dass wir uns immer wieder so gerne der Angst aussetzen?

Angst wird meistens negativ empfunden. Sie kann uns aber auch genau so gut faszinieren. Foto: John Magas

Angst wird meistens negativ empfunden. Sie kann uns aber auch genau so gut faszinieren. Foto: ‚Fear of Darkness‘ von John Magas (cropped) / CC BY-NC 4.0

Warum wir uns so gerne gruseln

Als etwas Ur-menschliches scheint uns die Faszination an allem Schrecklichen und Beängstigendem schon seit jeher zu begleiten. Bereits Aristoteles erkannte die Bedeutung von Furcht als Stilmittel in der griechischen Tragödie. Durch das Erleben bestimmter emotionaler Affekte, wie Angst oder Mitleid, sollte dem Zuschauer dabei geholfen werden, sich von eben diesen Erregungszuständen zu läutern. Was der griechische Philosoph noch mit dem Begriff der Katharsis zu erklären versuchte, fällt heute in den Deutungshorizont der Psychologie. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Lust an der Angst zunächst einmal ganz grundsätzlich auf dem Bedürfnis nach physischer Stimulation aufbaut. Thomas Saum-Aldehoff von der Zeitschrift Psychologie Heute verrät: „Wir mögen es, wenn wir uns in einem Zustand befinden, in dem wir aktiviert sind und in dem wir uns durch erhöhten Adrenalinausstoß besonders lebendig fühlen.“

Das bewusste Erleben von Angst wird so zum Teilaspekt eines größeren psychologischen Konzepts, das Forscher unter dem Schlagwort des „sensation seeking“ untersuchen. Interessanterweise geht es dabei nicht nur um Nervenkitzel in Form von Extremsport oder Survival-Urlaub. Vielmehr legt die Forschung mittlerweile den Schluss nahe, dass auch Normalbürger auf der Suche nach dem „Thrill“ sind und sich lediglich in Bezug auf ihr Stimulationsniveau von Basejumpern und Abenteurtouris unterscheiden: Was für den einen der Fallschirmsprung vom Hochhausdach, ist für den anderen die Lektüre des neuesten Stephen King Romans. Als psychische Grundkonstitution jedem von uns in die Wiege gelegt, differiert demnach also nur das Ausmaß an benötigter Spannung, sowie der Weg, auf dem diese erzielt wird. „Es ist ein bisschen mit der optimalen Zimmertemperatur zu vergleichen. Die einen mögen es lieber kühler, die anderen fühlen sich erst bei höheren Temperaturen richtig wohl. Ähnlich verhält es sich auch beim sensation seeking“, sagt der Essener Psychologe Marcus Roth, der das menschliche Verlangen nach Nervenkitzel untersucht hat, und sich in seiner Forschung mit Themen wie Stresswahrnehmung und Persönlichkeitspsychologie beschäftigt.

Horrorspiele als Suche nach dem Kick

Freiwilliges Angstempfinden im Rahmen von Horrorspielen ist somit also ein potentieller Weg, diesem psychologischen Bedürfnis nach Stimulation nachzukommen. Zwar versprechen immer wieder auch Filme und Bücher schaurige Erlebnisse, die unter die Haut gehen. Im Gaming jedoch hat der Horror den Vorteil, den Schrecken unmittelbar und als selbst handelnde, interagierende Person erfahrbahr zu machen. Auf diese Weise stärker in die Handlung eingebunden und damit empfänglicher für das eigene Angstempfinden, muss der Spieler vor allem mit dem permanenten Gefühl von Unterlegenheit und Machtlosigkeit kämpfen: Dunkle Gänge, Orientierungslosigkeit, undefinierbare Geräusche, übermächtige Gegner, Munitionsknappheit – wesentlicher Grund dafür, dass man immer wieder von der Furcht übermannt wird, ist der Verlust von Kontrolle über die Umwelt. Chad Habel von der Universität Adelaide, hat sich als einer der ersten mit den Dynamiken hinter diesem Phänomen der Angst in Videospielen befasst. Er erklärt: „Als Genre basiert Survival Horror auf dem grundsätzlichen Gefühl, vollkommen entmachtet zu sein. Essentieller Teil des Spielerlebnisses ist es, sich komplett der Spielwelt ausgeliefert zu fühlen.“

Mit diesem Ansatz knüpfen aktuelle Games an den Ursprung des Genres an, das nach seinem Höhepunkt zu Beginn der Nullerjahre etwas in Vergessenheit geraten war. Wieder zu Erfolg verholfen wurde dem Horror der Gegenwart vor allem durch kleinere Independententwickler: Ambitionierte Teams wie das schwedische Frictional Games, das mit dem Titel „Amnesia“ als eines der ersten den neuen Trend einläutete, schafften es so, den virtuellen Grusel auch kommerziell wieder attraktiv zu machen, nachdem die Spieleindustrie ihren Fokus lange auf Action und Arcade, also auf massentaugliche Franchises wie „Call of Duty“ oder „Fifa“ gelegt hatte. Mit dem bereits über zwei Millionen mal verkauften „Alien: Isolation“ ist jetzt seit langer Zeit der erste Tripple-A-Horrortitel erschienen.

Virtueller Grusel mit Sci-fi Atmosphäre. Das ist Alien: Isolation.

Virtueller Grusel mit Sci-fi Atmosphäre. Das ist Alien: Isolation. Quelle: Produktbild „Alien: Isolation – Ripley Edition“ © Sega

Die Angst im Nacken

Thematisch greift das Spiel die Atmosphäre des ersten Alien-Films von 1979 auf. In der Rolle von Amanda Ripley erkundet man die verlassene Raumstation Sevastopol, ständig auf der Hut vor dem ominösen Alien, das es auf Überlebende abgesehen hat. Ganz im Survival-Horror-Stil sind Verstecken und Flucht dabei oft das einzige, was der Spieler dem außerirdischen Antagonisten entgegenzusetzen hat. Dadurch dass die Laufroute des Aliens jedes mal zufällig generiert und sein Erscheinen so zum unberechenbaren Faktor wird, steigt die Spannung in der ohnehin schon bedrohlichen Szenerie zusätzlich an. Steht das unheimliche Wesen dann plötzlich vor einem, lässt sich der impulsive Panikschrei nur selten unterdrücken.

Nach diesem Rezept funktionieren derzeit viele Horrorgames. Es findet sich kaum ein Spiel, das heute ohne solche Schockmomente auskommen würde. Umso überraschender ist es, dass der Einsatz dieses Designelements ursprünglich allein den begrenzten technischen Möglichkeiten geschuldet war. „Als es mit Videospielen gerade los ging, hatten die Designer Schwierigkeiten, Objekte in der Ferne abzubilden. Die Technik war hierfür noch nicht ausgereift genug. Also baute man gezielt Nebel in die Szenerien ein, aus dem die Untoten wie aus dem Nichts vor dem Spieler auftauchen konnten.“ erläutert Chad Habel. In aktuellen Spielen wird dieser einst aus einem Mangel geborene Mechanismus zur Perfektion gebracht. Eines der vielen Beispiele, in denen solche Jumpscares das Spielerlebnis zur Tortur werden lassen, ist das von den Kritikern hoch gelobte „Outlast“. Mit dem Auftrag eine verlassene Nervenklinik zu untersuchen, bleibt einem oft nur die Nachtsichtfunktion der Videokamera, um sich in den dunklen Räumen zurecht zu finden. Im Stil von Blair Witch Project oder Cloverfield muss sich der Protagonist so immer weiter vorantasten, nur um dann von aus der Finsternis auftauchenden Gestalten überrascht zu werden.

Outlast war bei den Fans so beliebt, dass die Entwickler bereits einen zweiten Teil angekündigt haben. Und auch sonst haben Horrorfans allen Grund zur Vorfreude: Titel wie „Routine“, „Until Dawn“, „Soma“ oder „Perception“ verheißen eine schaurig schöne Zukunft. Perception zum Beispiel lässt den Spieler als blindes Mädchen, das sich allein anhand von Schallwellen orientieren kann, in einem von Dämonen heimgesuchten alten Gebäude auf Wanderschaft gehen. Im Vergleich zu den gefühlt immer gleichen Actionshootern mit ihren überzeichneten Helden und Michael-Bay-haft inszenierten Geschichten, wirken solche Ideen erfrischend anders.

Virtual Reality als Zukunft des Genres?

Wirklich vielversprechend sind in diesem Zusammenhang aber eigentlich weniger die unzähligen Neuerscheinungen an sich, als vielmehr die Möglichkeit, aktuelle und kommende Spiele mithilfe von Virtual-Reality-Technik sehr bald noch intensiver zu erleben. Erste Erfahrungen mit entsprechenden Virtual-Reality-Brillen wie Sonys Project Morpheus oder der mittlerweile von Facebook aufgekauften Oculus Rift (beide sollen schon nächstes Jahr auf den Markt kommen) kann man bereits massenweise auf Youtube bestaunen. Hauptfunktion der direkt am Kopf befestigten Displays ist es, ein komplett räumliches 3D Gefühl zu vermitteln, das durch einen bewegungsempfindlichen Minibildschirm vor jedem Auge erzeugt wird. Der Effekt: Es entsteht der Eindruck, das dargestellte Geschehen unmittelbar als beteiligte Person und losgelöst von der realen Umgebung zu erleben, statt es nur abstrakt und passiv auf einem entfernten Bildschirm präsentiert zu bekommen. Für das Horrorgenre scheint dieses virtuelle Eintauchen in fiktive Realitäten – auch Immersion genannt – wie geschaffen zu sein.

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Der Gamer von morgen: Mit Brille und Kopfhörer in virtuellen Welten versinken. Foto: Sergey Galyonkin [CC BY-SA 2.0]

Vor allem wenn man sich besagte Videos anschaut, in denen Menschen mit Brillenunterstützung Horrorspiele wie das kürzlich erschienene „Affected“ spielen, das all jenen vom Gebrauch abrät, die unter Herzschwächen leiden, dann wird einem bewusst, dass hier wohl gerade so etwas wie das Gruselkabinett 2.0 am Entstehen ist. Neben impulsiven „Oh my god“ und „This is Awesome“ Ausrufen, sind sich die meisten Virtual-Reality-Pioniere auf Youtube in erster Linie in dem Eindruck von Realität einig, den einem die Brillen suggerieren. „This looks almost too real“ ist einer der Sätze, denen man am Häufigsten begegnet.

Auf die Spitze getrieben werden könnte dieses Spiel mit der Angst letztendlich durch Menschen wie James Jensen. Als Mitbegründer von „The Void“ hat der Amerikaner nichts geringeres als einen kompletten Virtual-Reality Vergnügungspark geplant, der voraussichtlich im Sommer nächsten Jahres im US-Bundesstaat Utah entstehen wird. Mit den neuen Datenbrillen, Kopfhörern und zusätzlichen Bewegungssensoren am Körper ausgestattet, sollen die Besucher auf den „Gaming Pods“ genannten Spielfeldern, zusammen mit anderen Mitspielern oder alleine in virtuelle Welten abtauchen können. Die fiktive Umgebung passt sich dabei an die Grenzen der Realität an, sodass niemand im Eifer des Gefechts gegen eine echte Wand laufen muss. Abgesehen von dieser Einschränkung, soll die virtuelle Szenerie jedoch komplett als räumlich-visuell wahrnehmbare Welt erfahrbar gemacht werden. Neben Action und Abenteuer werden abgedroschene sensation seeker in „The Void“ auch Horrorgeschichten erleben können. Die Vorstellung in einem dunklen Kellergang von einer Horde Zombies gejagt zu werden, könnte dann aber doch für die meisten eine Nummer zu heftig sein.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen findet auch Chad Habel: „Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass Virtual-Reality die Leute einfach nur abschreckt. Statt zum Mainstream zu werden, könnte VR den Horror weiter in ein Nischendasein drängen, da die Reize hier um ein vielfaches intensiver und damit für viele weniger erträglich sind.“ Doch ganz egal ob sich Neuerungen wie Oculus Rift oder Project Morpheus im Horrorgenre durchsetzen werden – einen Markt für die Lust an der Angst wird es auch weiterhin geben. Und dass dabei weniger oft mehr ist, zeigt nicht zuletzt eine kleine App, die den Schrecken direkt in die eigenen vier Wände bringt. Bei „Night Terrors“ läuft man mit der eingeschalteten Handykamera durch die vorzugsweise dunkle Wohnung, um dann auf dem Display von Geistern und allerhand paranormalen Aktivitäten heimgesucht zu werden. In der richtigen Stimmung werden echte und fiktive Umgebung dann im Kopf schnell zu einem Ganzen vermischt: Das Monster befindet sich plötzlich nicht mehr auf dem Display, sondern tatsächlich im selben Zimmer. Wer sich danach noch normal schlafen legen kann, sollte es in der Zukunft wohl dann doch lieber mal mit Basejumping probieren.

Titelbild: ‚Fear of darkness‘ von John Magas / CC BY-NC 4.0


Julien Hoffmann studiert im sechsten Semester Geschichte und Publizistik an der Freien Universität Berlin.

2017-07-06T12:18:08+02:00 Kategorien: Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , , |