„Was ist der Mensch und wo kommt er her?“

„Was ist der Mensch und wo kommt er her?“

Der Tübinger Professor für ältere Urgeschichte Harald Floss, Doktorand Christoph Wißling und die Grabungstechnikerin Maria Malina haben 2008 im Team von Nicholas Conard an der Entdeckung der Venus vom Hohle Fels mitgewirkt. Der Fund gilt als Sensation. Im Interview sprechen sie über ihren manchmal schwierigen, meist aber spannenden Beruf und darüber, wie sich das Heben eines Schatzes auf die eigene Karriere auswirkt.

Interview: Anthea Valerani und Simiona Giulieri, überarbeitet von Lars-Ole Müller

Warum haben Sie sich für die Archäologie als Berufsfeld entschieden?

Harald Floss: Das geht schon auf meine Jugendzeit zurück, als ich mich, wie heute auch noch, sowohl für Geologie als auch für Kunst interessierte. Die Urgeschichtsforschung bietet eine ideale Plattform, diese beiden eigentlich sehr gegensätzlichen Pole zu verbinden. In meiner Arbeit werde ich auch heute noch von einem beinahe kindlichen Entdeckergeist geleitet. Er treibt mich voran, neue Erkenntnisse zur frühen beizutragen, die die Forschung weiterbringen und überholte Meinungen revidieren können.

Christoph Wißling: Ich stelle mir immer wieder aufs Neue die Frage, was ich bin und woher ich komme, bzw. was ist der Mensch und woher kommt er. Der Wunsch, diese Fragen zu beantworten, war der Grund für meine Berufswahl.

Maria Malina: Das stimmt! Es gibt nichts Faszinierenderes, als darüber zu forschen, wo unsere Wurzeln liegen und wo wir herkommen. Deshalb habe auch ich mich für die Ur- und Frühgeschichte entschieden.

Wie es sich anhört beschäftigen sie sich bei ihrer Arbeit mit elementaren Fragen. Was macht dabei den besonderen Reiz ihrer Arbeit aus?

Wißling: Nun, die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, man arbeitet beispielsweise sowohl im Büro und im Labor, als auch draußen im Gelände.

Harald Floss

Harald Floss (Foto: Privat)

Floss: Zudem gelangt man immer wieder an außergewöhnliche Orte. Ausgrabungen in einer Höhle, wie etwa im Falle der Venus vom Hohle Fels sind beispielsweise immer etwas Besonderes. Obwohl es dort meist kalt und nass ist, ist es ein unbeschreibliches Erlebnis zu wissen, dass man gerade genau an der Stelle arbeitet, wo schon vor 30.000 Jahren prähistorische Menschen gesessen haben. Bei Ausgrabungen trifft man darüber hinaus immer wieder auf interessante Menschen aus vielen verschiedenen Ländern.

Das klingt nach einem Traumjob. Gibt es auch Dinge, die nicht so rosig sind?

Wißling: Es ist natürlich schon immer schwierig gewesen, in diesem Bereich zu arbeiten. Nach dem Studium bzw. der Promotion kann nur ein Bruchteil der gelernten Archäologen auch wirklich in ihrem Beruf arbeiten, denn die Stellen sind sehr selten. Ein Hauptproblem sind die eigentlich immer auf zwei Jahre beschränkten Arbeitsverträge.

Malina: Ich persönlich denke dennoch, dass es immer leicht ist, dort zu arbeiten, wo es einem gefällt und die Arbeit einem Spaß macht.

Floss: Trotzdem wird es immer schwerer, Gelder für unsere Forschung zu bekommen. Entdeckungen von bedeutenden Funden können da sicherlich helfen, keine Frage.

Die Venus vom Hohle Fels, die sie zusammen mit Nicholas Conard in einer Höhle in der Schwäbischen Alb entdeckt haben, ist ein solcher Fund. Hat dieser dazu beigetragen, die angesprochene Situation für Sie zu verbessern oder hat er sogar Ihnen persönlich zu einer Art Karriereschub verholfen?

Cristoph Wißling

Cristoph Wißling (Foto: Privat)

Wißling: Meine eigene Karriere hat sich durch den Fund in keinster Weise verändert. Ich möchte klarstellen, dass diese Entdeckung nicht dazu geführt hat, dass neue Arbeitsplätze für Archäologen entstanden sind oder dass ich meinen Forschungsschwerpunkt verlagert hätte.

Floss: Man muss aber schon einräumen, dass der Fund für uns alle am Institut in Tübingen ein einschneidendes Erlebnis darstellt. Die Venus hat unserer Universität schon sehr viel Prestige eingebracht und ich denke, sie hat der gesamten Urgeschichtsforschung einen Schub gegeben. Plötzlich interessieren sich viele Disziplinen für die Eiszeitkunst, die dies früher eher weniger getan haben, beispielsweise die Kunstgeschichte. Außerdem haben wir seither viel mehr Kontakt mit den Medien und werden oft gebeten, Vorträge zu dem Thema zu halten.

Also eher eine Veränderung auf der öffentlichen Ebene als ein Sprung auf der Karriereleiter?

Malina: Dem würde ich zustimmen. Meine Karriere und mein Leben haben sich auf Grund des Fundes der Venus in keiner Weise verändert, gleiches gilt für meine Kollegen. Das öffentliche Interesse am Fundplatz und an unserer Arbeit ist jedoch immens gestiegen. Das zeigt sich etwa darin, dass sich die Medien in den zwei bis drei Jahren nach der Entdeckung im Jahr 2008 verstärkt um Film- und Tonaufnahmen bemüht haben.

Wißling: In der Tat, die Entdeckung hat schon viel positive mediale Aufmerksamkeit gebracht.

Welche Bedeutung hat die Venus vom Hohle Fels denn eigentlich, dass sie so ein Medienecho auslösen kann?

Floss: Die Venus vom Hohle Fels ist eine der bedeutendsten Entdeckungen aus dem Bereich der Erforschung des Paläolithikums der letzten Jahre. Der Fund zeigt, dass wir es kulturgeschichtlich seit dem Beginn des Jungpaläolithikums mit großen sozialen und kulturellen Veränderungen zu tun haben. Der Fund ist die älteste gut datierte Menschendarstellung der Welt. Er begründet eine Tradition von Frauendarstellungen, die bislang vor allem aus dem mittleren Jungpaläolithikum bekannt waren, d.h. aus einer Zeit, die 10.000 Jahre jünger ist, als das Aurignacien, aus dem die Venus vom Hohle Fels stammt.

Wißling: Dieser Fund in der Hohle Fels Höhle steht ja nicht alleine, sondern wurde in einer Schicht gefunden, in der auch andere Kunstgegenstände vergleichbaren Alters entdeckt worden sind. In der Nähe befindet sich zudem eine weitere Höhle, das Geißenklösterle. Hier lagerten Knochen- und Elfenbeinflöten gleichen Alters, ebenfalls sehr spannend. Ein anderes Tal auf der Schwäbischen Alb, das Lonetal bei Niederstotzingen ist ebenfalls berühmt für Kunst und Schmuck des Aurignaciens. Alle diese Fundstellen sind in etwa gleich alt und bilden den ersten Technokomplex des wahrscheinlich modernen Menschen. Genau aus dieser Region stammen die ältesten figürlichen Kunstwerke und Musikinstrumente weltweit.

Wenn Sie es auf den Punkt bringen sollen; worin besteht denn die Kernbotschaft Ihrer Funde in der Schwäbischen Alb?

Floss: Mir ist es wichtig, den Menschen an Hand der Funde und unserer gesamten Arbeit zu erklären. Ohne es idealisieren zu wollen, würde ich sagen, dass der prähistorische homo sapiens mit seiner Natur im Einklang lebte und das er schon Musikinstrumente und Kunstwerke kannte. Und zwar zu so einem frühen Zeitpunkt, wie es die breite Öffentlichkeit niemals für möglich gehalten hätte.

Titelbild: ‚Fundstelle der „Venus vom Hohlen Fels“ im vorderen Bereich der Hoehle „Hohler Fels“ im Achtal bei Schelklingen, Schwaebische Alb, Sueddeutschland‘ von Thilo Parg / CC BY-SA 3.0