„Jetzt haben wir den Salat“: Ein Tag am Checkpoint Charlie

„Jetzt haben wir den Salat“: Ein Tag am Checkpoint Charlie

Geschichte, Gyros und das ganz große Geschäft. Am Checkpoint Charlie wetteifern Privatunternehmer und Investoren aus aller Welt um die Deutungshoheit des ehemaligen Grenzübergangs. Die Zukunft des Checkpoints ist ungewiss. Der Frage ob und wie man dort zur Zeit Geschichte erleben kann, bin ich an einem Tag im Januar nachgegangen.

Ich steige aus der U-Bahn am Bahnhof Kochstraße und versuche mir ein Bild zu machen von den Leuten, die es an einem Januarsonntag zum Checkpoint geführt hat. So richtig viel Sinn macht das nicht, denke ich: da ist beispielsweise ein kleines Ensemble von Leuten, die auf die U-Bahn weg vom Checkpoint Charlie warten. Auf einer Bank sitzt ein blasser dünner Kerl, aus seinem kleinkindgroßen Koffer bumst Technomusik. Direkt daneben ein hochbetagtes Ehepaar auf Berlin-Urlaub, von Kopf bis Fuß mit Nerz bedeckt. Die Musik wird immer lauter, ihre roten Lippen werden proportional zur Lautstärke schmaler, verschwinden schließlich ganz. Der Mann hört wohl nicht mehr richtig.

Ich möchte mich umschauen am Checkpoint Charlie, mich mitreißen lassen von der Geschichte des Ortes und vor allen Dingen: Vorurteile abbauen über uninteressierte Touristen, schlechtes Essen, hochpreisige Museen und den nicht aufzuhaltenden Ausverkauf einer der geschichtsträchtigsten Orte dieser Stadt.

Der Checkpoint Charlie ist mit seiner prominenten Lage zwischen Kreuzberg und Mitte besonders bei Nicht-Berlinern beliebt, wie mir Andrea Prehn aus dem Referat Kulturstatistik und Besucherforschung des Instituts für Museumsfoschung erklärt: „Etwa 60 % der Besucher kommen aus dem Ausland, 40 % reisen aus Deutschland an.“ Um das Areal des Checkpoints hat sich seit etwa 2000 ein Paradies für Gastronomie- und Erinnerungsanbieter etabliert, der Checkpoint selbst ist auf dem Ranking der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Berlins unter den Top 10. Von heritage-industry ist in Sybille Franks Buch „Der Mauer um die Wette gedenken“ die Rede. Der Begriff stammt aus dem angloamerikanischen Raum, der Brutstätte ebenjener Industrie und bezeichnet das Phänomen, dass neben öffentlichen Investoren vermehrt private Akteure von einem Erinnerungsort profitieren. Am Beispiel des Checkpoints zeichnet Frank die ‚idealtypische‘ erlebnisorientierte Popularisierung eines historisch stark aufgeladenen Ortes nach. Der turning point für die Etablierung einer Heritage-Industrie erstmals auch in Berlin fand Frank zufolge 2004 statt. In diesem Jahr entzündete sich eine hitzige Diskussion über das angemessene und bisher ungenügend stattgefundene Mauergedenken. Denn statt Gedenken findet man heute brachliegende Flächen rund um den Checkpoint, der von 1961 bis 1990 als Grenzübergang zwischen Koch,- und Zimmerstraße oder auch West- und Ostberlin diente. „Das hätte man mal alles kaufen sollen nach der Wende hier, war ja spottbillig.“ Sagt ein junger Mann, den ich bei der Blackbox Kalter Krieg frage, wie ihm das hier alles so gefällt. Als er das sagt schaut er mehr seinen alten Vater als mich an, halb vorwurfsvoll, dass der dies damals nicht getan hat. Der alte Mann schweigt, ist ja schon gut, jetzt haben wir den Salat, sagt sein Blick.

Spurenlose Fluch

Auf Drängen des Berliner Abgeordnetenhauses und des Deutschen Bundestages legte der Berliner Senat 2005 ein Konzept mit dem Ziel vor, die „Auseinandersetzung mit der Berliner Mauer und ihrer Überwindung wie auch das Gedenken an die Opfer zu fördern und im gesamtdeutschen Geschichtsbewusstsein zu verankern“. Seitdem ist viel passiert am Checkpoint Charlie. Eine Mauerstiftung wurde eingerichtet, das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart hat unter freiem Himmel die Checkpoint Gallery, eine Bildergalerie an der Friedrichstraße, und die Blackbox Kalter Krieg errichtet. Mit ihrem vergleichsweise niedrigen Eintritt von 5 € und der für eine Box angenehmen Atmosphäre wirkt sie wie eine ständige Vertretung für das in die Jahre gekommene Mauermuseum. Auf eine Anfrage an dieses nach Angeboten (Führungen, Diskussionen, Filmvorführungen, etc. ..) und einem wirklich auch sehr kurzen Gespräch zum Mauermuseum wurde mir nach wirklich sehr langer Zeit ein Besuch im Museum empfohlen. Das würde sicherlich viele meiner Fragen beantworten. Diesen doch sehr einleuchtenden Hinweis nehme ich mir dankend zu Herzen und schäme mich insgeheim, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Im Inneren angelangt, stellen sich mir allerdings neue Fragen, so irritiert mich die unübersichtliche und für ein historisches Museum unübliche Petersburger Hängung. Dicht an dicht und ohne erkennbare Ordnung hängen Drucke, Tafeln und Bilderrahmen. Über textbeladenen, vergilbten und teilweise durch Klebestreifen zusammengehaltenen Infotafeln hängt, beinahe als wollte es sich verstecken, ein Original der Dadaistin Hannah Höch. Oder eins von Johannes Grützke, oder ein Plakat von Käthe Kollwitz mit dem Titel „Helft!“ Ich würde ja so gern. Der Schwerpunkt des Museums liegt in den zahlreichen Flüchtlingsgeschichten, die durch Infotafeln und beistehende Fluchtapparaturen- und gefährte visualisiert werden. Ernüchterung stellt sich ein, wenn der Text einer eindrucksvollen Fluchtgeschichte auf nebenstehenden Gegenstand verweist und nebenstehend – nichts steht.

Ein neues Gedächtnis für Charlie

Seit 2012 lockt eine weitere Attraktion zum Checkpoint-Areal: das Asisi-Panorama. Auf einer Länge von insgesamt 60 m eröffnet sich ein monumentaler Rundumblick vom ehemaligen West-Berlin über die Mauer und Grenzposten hinweg in den grauen Osten. Beeindruckend, ganz bestimmt, für 10 € jedoch sicher nichts für den schmalen Geldbeutel.

An Besuchern fehlt es Museum und Blackbox wohl nicht, überall treffe ich auf interessierte Gesichter. Was die Menschen zum Checkpoint treibt, frage ich Andrea Prehn, die im Auftrag des Senats eine Besucherstudie über den Checkpoint Charlie durchführt. „An erster Stelle steht beispielsweise bei der Blackbox das allgemeine Interesse der Leute an Geschichte, dann kommt das Interesse an der Berliner Mauer und an dritter Stelle das direkte Interesse am Checkpoint und seiner Geschichte.“ Im Gespräch wird deutlich, dass Prehn, studierte Kulturpädagogin, selbst nicht mit der Erlebniskultur und der musealen Aufbereitung am Checkpoint zufrieden ist. Die Blackbox sei aber ein Anfang. Wie ihr Wunschmuseum aussehen würde, frage ich sie. Prehn ist davon überzeugt, dass man dem privaten Museum ein anderes Haus gegenüberstellen und inhaltlich natürlich mit dem Geschichtsort abstimmen sollte. Der Stellenwert der Architektur sei dabei nicht zu unterschätzen: „die historische Bedeutung des Ortes sollte sich im Gebäude niederschlagen, Museumsarchitektur ist wichtig.“ Recht hat sie, denkt man an die mediale Aufmerksamkeit, die dem Libeskind-Neubau für das Jüdische Museum zuteil wurde. Mit einer dreiviertel Million Besucher im Jahr gehört es zu den meistbesuchten Museen Deutschlands.

Mittlerweile ist es dunkel am Checkpoint. Ich stehe in einem abgelegenen Flügel des Mauermuseums und schaue aus dem Fenster. Die Wand vor mir ist komplett verglast, sodass ich einen zugegebenermaßen beeindruckenden Panaoramablick auf das Areal habe. Dafür muss man auf der anderen Seite im Café Geld bezahlen, schießt es mir durch den Kopf und ich beginne, den Museumseintritt von 9,50 € mit einem spekulierten Kaffeepreis zu verrechnen und komme: immer noch auf einen viel zu hohen Eintrittspreis.

Hütchenspiel am Checkpoint – nur einer kann gewinnen

Ein Symbol des kalten Krieges und zugleich wichtiges Zeichen der Grenzkontrolle, das amerikanische Kontrollhäuschen, wurde nach der Wende abgerissen. Wer das zermürbende Gefühl der Personenkontrolle jener Tage verpasst oder vermisst hat, konnte dies ab 2000 wieder aufleben lassen, da wurde das Häuschen in einem Nachbau wieder Teil des Checkpoints, engagierte Schauspieler in Soldatenuniform inklusive. Die stehen auch heute hier, ich frage den dritten im Bunde, der für gewöhnlich für das Foto knipsen zuständig ist, nach dem Foto des sowjetischen Soldaten, das übermannshoch auf der Friedrichstraße prangt. Er überlegt kurz, obwohl er den Satz natürlich hundertmal am Tag sagt, trotzdem möchte er eine Prise des Spontanen, Improvisierten mitgeben: „Dit is nur symbolisch jemeint, is irgendein Jesicht, könnte jeder sein. Aber auf der Amerikaner-Seite – dit is wieder typisch – da ham se denn echten Soldaten von damals– der war letztens sogar hier, is‘ natürlich jetzt knackalt.“ Fotografieren lassen habe er sich dann mit den heute falschen Soldaten.

Der Senat prüft die Besucherstruktur am Checkpoint. Doch genaue Pläne gibt es nicht. Auch die Bereitschaft der privaten Investoren, ein Museum zu errichten, sei fragwürdig. Bisher werden die Gebäude und Grundstücke am Checkpoint verkauft und gekauft, einem Hütchenspiel kommt das gleich. Einen Gewinner gibt es bei diesem Hin und Her zumindest: die Imbissbuden. Die dürfen weiter fleißig verkaufen, und wer weiß, vielleicht wird gerade dieses Phänomen bald zum neuen Publikumsmagnet des Checkpoints: der Ort mit der höchsten Dichte und Varianz an Imbissläden.

Titelbild: „Checkpoint Charlie, 1983“ von Mark Vitullo [CC BY-NC-ND 2.0]