Drehort Berlin

Drehort Berlin

Wenn die Hauptstadt nur eine Nebenrolle spielt

Von Laura Mae Cuntze

Das Gelände um das Gebäude ist weiträumig abgesperrt, davor ein Pförtnerhäuschen mit hohen Gittertoren und etlichen Überwachungskameras. Daneben weht eine große amerikanische Flagge. Im eingezäunten Hof wimmelt es nur so von Wachen in Militäruniformen. Das gleißende Flutlicht vom Dach lässt die Waffen der Männer in der Dunkelheit bedrohlich aufblitzen. Plötzlich herrscht große Aufregung. Jemand schreit. Es fallen Schüsse. Ein glatzköpfiger Auftragskiller mit Strichcode-Tattoo wurde auf dem Gelände gesichtet. Und dann noch ein Schrei: Cut!

Die Illusion des Angriffs auf eine amerikanische Botschaft, wie bei dem Filmdreh des neuen Hitman-Blockbusters „Agent 47“, scheint fast perfekt. Wäre da nicht noch eine Kleinigkeit: Der große Schriftzug „Freie Universität Berlin“ an der Fassade des Henry-Ford-Baus.

Zwei Tage lang filmte das Team von Fox International auf dem Campus der Freien Universität in Dahlem und mit etwas Glück konnten die vorbeischlendernden Studenten einen Blick auf die Stars Rupert Friend („Homeland“) oder Zachary Quinto („Heroes“) erhaschen. Damit aus dem Universitätsgebäude eine Botschaft wurde, musste einiges passieren. „Gerade in diesem Fall war es sehr aufwendig, weil auch bauliche Veränderungen vorgenommen werden mussten.“, erzählt Ilona Woschnik, zuständig für die Raumplanung bei der Verwaltung des Henry-Ford-Baus, „Das Gebäude sollte ja völlig zweckentfremdet werden und die Botschaft nicht mal in Deutschland liegen.“

Aber was lockt eine große internationale Filmproduktion überhaupt nach Berlin, wenn es in dem Film nicht mal um Berlin gehen soll? Und was hat Berlin eigentlich davon?

Dass Berlin als Drehort interessant ist, verwundert wohl niemanden. Die Hauptstadt dient mit ihrer spannenden und tragischen Vergangenheit immer wieder als Kulisse für große nationale wie auch internationale Filmproduktionen. Es kommt aber wie im Fall der Dreharbeiten am Henry-Ford-Bau immer wieder vor, dass Szenen in Berlin gedreht werden, die in ganz anderen Städten oder sogar anderen Ländern spielen sollen.

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Löwenstatuen aus Styropor verwandeln den Gendarmenmarkt in einen Londoner Square (Foto: Ji-Elle)

Bei dem Actionfilm „The Bourne Supremacy“ wurden beispielsweise alle Szenen, die in Moskau spielten, in Berlin gedreht. Dafür brauchte das Produktionsteam nur die passende Straßenecke, ein wenig Kunstschnee und ein paar russische Autos im Hintergrund. Genauso einfach verwandelte das Produktionsteam der Jules Vernes Verfilmung „Around the World in 80 Days“ im Sommer 2003 den Gendarmenmarkt mit ein paar Styropor-Löwen in einen Platz im London des 19. Jahrhunderts. „Ich habe geholfen, die Dreharbeiten zu ermöglichen“, lobte sich damals Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit bei einem Besuch der Dreharbeiten. Dass Berlin in dem Film jedoch gar keine Rolle spielt und potenzielle Touristen das Schloss Charlottenburg in Paris und den Gendarmenmarkt in London vermuten, scheint der Euphorie des Obersten keinen Abbruch getan zu haben. Ganz im Gegenteil, der Sprecher des Bürgermeisters erklärte den Film kurzerhand zu einem „Schmuckstück für die Medienregion“.

Wie oft bei Dreharbeiten an einem bestimmten Ort etwas vollkommen anderes dargestellt werden soll, weiß Locationscout Marion Gerhardt: „Es kommt fast jedes zweite Mal vor, dass man bei der Suche nach Drehorten um die Ecke denken muss. Entweder soll eine andere Zeit, ein anderer Ort oder eben ein anderes Gebäude dargestellt werden, weil man an die Originalschauplätze nicht herankommt.“ Die Geschäftsführerin der Berliner Agentur Location Networx ist seit 2000 hauptberuflicher Locationscout und hat schon für Produktionen wie „Fack Ju Göhte“, „Good Bye Lenin!“ und „Resident Evil“ nach passenden Drehorten gesucht. Gerade bei Botschaften sei es ganz schwierig, Drehgenehmigungen zu bekommen, so Gerhardt.

„Berlin hat eigentlich alles“

Der Reiz an Berlin als Drehort liege zum einen in der Vielseitigkeit und Brüchigkeit der Stadt: „Berlin ist in ständiger Veränderung. Man kann hier Ost und West drehen. Man kann Großstadt drehen, Kleinstadt oder Dorf drehen. Berlin hat eigentlich alles.“ Vor allem aber seien es die guten Produktionsbedingungen hierzulande, die auch große Projekte immer wieder nach Berlin locken: „Es ist oft billiger und die Infrastruktur ist besser, als in den Ländern, die eigentlich dargestellt werden sollen.“ So werde sie oft gefragt, wo man in Berlin New York darstellen könnte, da es einfach zu teuer sei, dort zu drehen. Neben der guten Infrastruktur sei die großzügige Filmförderung ein Anreiz für internationale Produktionen: “Wenn Berlin-Brandenburg viel gibt, wird hier natürlich auch viel gedreht. Davon profitieren wir dann auch.“

In Berlin ist der Hauptansprechpartner für die Filmförderung das staatliche Unternehmen Medienboard Berlin-Brandenburg. Das Medienboard bietet Unterstützung für alle Prozessstufen der Filmherstellung an, von der Stoffentwicklung über die Produktion bis hin zum Verleih und Vertrieb. Das Medienboard hat jährlich knapp 30 Millionen Euro zur Verfügung. Dass dieser Förderetat trotz knapper Haushaltsmittel der Länder beibehalten wird, führt Christian Berg, der Koordinator der Filmförderung beim Medienboard, vor allem auf die große Nachfrage und den Boom der Branchen Film und Medien zurück: „Man könnte uns auch 50 Millionen geben und wir würden das sinnvoll in absolut interessante und erfolgversprechende Projekte stecken können.“

„Jeder Euro hat sich quasi verfünffacht“

Damit große Produktionen nach Berlin gelockt werden, können auch internationale Projekte Geld bekommen, sofern sie einen deutschen Koproduzenten haben. Auch der Hitman-Film „Agent 47“ erhielt eine Unterstützung vom Medienboard in Höhe von 300.000 Euro. Voraussetzung für die Förderung ist, dass 100 Prozent der Fördermittel in der Region Berlin-Brandenburg ausgegeben werden. Laut Berg regt diese Maßnahme weitere Ausgaben in der Region an, denn die Produktionsteams fänden in Berlin alles, was sie bräuchten. Er spricht bei dieser Hebelwirkung von einem wirtschaftlichen Regionaleffekt: „2013 betrug der Regionaleffekt 494 Prozent, das heißt, jeder Euro, den wir in eine Produktion gesteckt haben, hat sich quasi verfünffacht.“

Die Unterstützung durch das Medienboard kann auch mit den nationalen Filmförderprogrammen kombiniert werden. Seit 2007 fördert die Bundesregierung Filmproduktionen in Deutschland mit dem Deutschen Filmförderfonds (DFFF), für den die Bundesregierung jährlich um die 60 Millionen Euro zur Verfügung stellt. 2013 wurden von 240 Produktionsanträgen 113 Förderungen genehmigt, darunter auch 41 internationale Koproduktionen. Durch den DFFF können bis zu 20 Prozent der Produktionskosten, die in Deutschland ausgegeben werden, erstattet werden. Im Fall von Hitman betrug die Fördersumme über 2,8 Millionen Euro.

„Schauspieler und Regisseure fühlen sich in Berlin gut aufgehoben“

Die Filmförderung kurbelt laut Berg jedoch nicht nur die Wirtschaft an, sondern sorge auch dafür, dass international erfahrene Crew-Mitglieder mit großem fachlichem Know-how nach Berlin kommen: „Viele der großen Schauspieler und Regisseure, die hier gedreht haben, haben immer wieder in Interviews gesagt, dass sie gerne wieder mit ihrem nächsten oder übernächsten Projekt nach Berlin kommen, weil sie sich hier gut aufgehoben fühlen.“ Auch die Regierung trage ihren Teil zu diesem positiven Eindruck bei. So gäbe es in Berlin kaum Orte, für die man keine Drehgenehmigung bekommen könnte. Und gerade bei einer so actionreichen Produktion wie Hitman seien eindrucksstarke und ungewöhnliche Drehorte besonders wichtig.

Neben der großzügigen Filmförderung und den interessanten Schauplätzen sind also auch die Berliner selbst dafür verantwortlich, dass internationale Produzenten so gerne in Berlin drehen. „Das ist ein Klima, das Produktionen lieben. Das ist ein Klima, das in der Summe dazu führt, dass Berlin-Brandenburg so attraktiv ist.“, schlussfolgert Berg. Und auch, wenn diese Filme nicht unbedingt als Werbung für Berlin bezeichnet werden können, wird es vielleicht doch dem ein oder anderen Berliner Freude bereiten, plötzlich einen Auftragskiller aus dem Universitätsgebäude stürmen zu sehen.

Filme, von denen man nicht unbedingt erwartet, dass sie in Berlin gedreht wurden:

  • The Bourne Supremacy (2004)
  • Around The World in 80 Days (2004)
  • Flightplan (2005)
  • The International (2009)
  • The Ghost Writer (2010)

photoLaura Mae Cuntze lebt seit 2010 in Berlin und studiert Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Publlizistik-  und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. So oft wie möglich, verbindet sie ihr Studium mit ihrer großen Leidenschaft für das internationale Film- und Fernsehgeschehen.